8. Kapitel. (132-135.)

[135] Aufstand unter Bar-Kochba. R. Akibas Anteil daran. Neue jüdische Münzen. Verfolgung der Judenchristen. Operationen des Krieges. Belagerung und Fall Betars.


So lange Hadrian in Ägypten und Syrien weilte (130-131), hielten die Unzufriedenen in Judäa mit dem Aufstande zurück1, den sie vielleicht schon von langer Hand hinlänglich vorbereitet hatten. Die Waffen, welche die jüdischen Schmiede für die Römer anfertigten, machten sie, in der Voraussicht, daß man dieselben gegen sie gebrauchen werde, geflissentlich schwach und unbrauchbar.2 In den höhlenreichen Kalkgebirgen Judäas legten die Verschworenen im Stillen unterirdische Gänge und Schlupfwinkel an, welche vor dem Kriege als heimliche Waffenplätze und während desselben als gelegene Hinterhalte dienten, um den Feind unversehens zu überfallen. Eine geräuschlose, aber erfolgreiche Tätigkeit scheint R. Akiba bei den Vorbereitungen zur Erhebung entwickelt zu haben. Er hatte weite Reisen zu den jüdischen Gemeinden der parthischen Länder und Kleinasiens gemacht, war in Zephyrium, einer Stadt Siziliens, in Cäsarea-Mazaka, der Hauptstadt Kappadoziens, in Phrygien und Galatien.3 Mit Recht vermutet man, daß der Zweck seiner Reise gewesen sei, die jüdischen Einwohner dieser Länder für den Abfall von Rom und die Wiederherstellung eines jüdischen Staates zu entflammen. Die große Zahl von 12 000 oder gar 24 000 Jüngern, die eine Nachricht ihm beilegt, dürften, mit Abzug dessen, was die Sage übertrieben hat, die begeisterten Anhänger gewesen sein, die er für den Aufstand angeworben hatte. Wie dem auch sei, so ist jedenfalls gewiß, daß R. Akiba nach dem Tode R. Josuas als das Haupt der jüdischen Gesamtheit anerkannt wurde. Hadrian, in völlige Sicherheit gewiegt, merkte von der fast unter seinen Augen an verschiedenen Punkten des römischen Reiches geleiteten Verschwörung der Juden erst dann, als sie mit Zuversicht und Kraft [135] ans Tageslicht getreten war; so geschickt hatten die Juden die römischen Auflaurer zu täuschen verstanden. Als der Aufstand ausbrechen sollte, war alles in Bereitschaft, Waffenvorräte, Kommunikationsmittel, Krieger und selbst ein gewaltiger Führer, welcher durch eine eigene Stellung religiöse Begeisterung und kriegerischen Mut einzuflößen wußte. Als günstige Vorbedeutung für das kühne Unternehmen des Abfalls von Rom galt der Untergang der zwei Stationsplätze für die Legionen. Cäsarea und Emmaus waren einige Jahre vorher von einem Erdbeben zerstört worden.4 Cäsarea war die römische Hauptstadt in Judäa, die Residenz der Statthalter, die gleich Rom den Haß der Juden auf sich geladen hatte. Eine eigentümliche Vorstellung war verbreitet, daß, wie Cäsareas Größe von der Zerstörung Jerusalems datierte, Jerusalem wiederum durch den Fall Cäsareas sich erheben werde. Man wendete auf das Verhältnis beider Städte zueinander einen Vers des Propheten Ezechiel an: »Ich fülle mich durch die Zerstörung« (Ezechiel 26, 2.) und legte ihm den Sinn unter: »Wenn die eine zerstört wird, so erhebt sich die andere.«5 – Emmaus war von Vespasian 800 ausgedienten Soldaten zum Wohnplatz angewiesen worden6, und demnach eine zweite Zwingburg gewesen.

Der Hauptheld der Erhebung in den letzten Regierungsjahren des Kaisers Hadrian war Bar-Kochba, der dem römischen Reiche in seiner damaligen Schwäche nicht weniger Schrecken einjagte, als einst Brennus und Hannibal. – Von der Abstammung und dem frühern Leben dieser vielfach geschmähten und verkannten Persönlichkeit ist auch nicht eine dunkle Spur bekannt. Er taucht, wie jeder Revolutionsheld, plötzlich auf, erscheint als der vollendete Inbegriff des Volkswillens und des Volksunwillens, verbreitet Schrecken um sich her, und steht da als der einzige Mittelpunkt der ereignisreichen Bewegung. Sein eigentlicher Name war Bar-Kosiba, ohne Zweifel von einer Stadt Kosiba oder Kesib, deren es zwei gegeben hat. Die jüdischen Quellen kennen ihn einzig und allein unter diesem Namen und deuten auch nicht im geringsten darauf hin, daß man ihm diesen als Schimpfnamen »Lügensohn« beigelegt hätte. Bar-Kochba war nur ein symbolisch-messianischer Name, welchen ihm R. Akiba gegeben hat. Als dieser, für die Befreiung des jüdischen Volkes so tätige Weise ihn zum ersten Mal erblickte, machte dessen ganze Erscheinung einen solchen ergreifenden Eindruck auf ihn, daß er in die Worte ausbrach: »Das ist der messianische [136] König.« Er wendete auf ihn den Schriftvers an: »Kosiba ist als ein Stern (Kochab) aufgegangen in Jakob.«7 R. Akiba wurde durch die jedenfalls hervorragende Persönlichkeit Bar-Kochbas in seinen Hoffnungen, daß der römische Übermut bald gebeugt und die Herrlichkeit Israels wieder erglänzen werde, noch mehr bestärkt, und erwartete durch ihn das messianische Reich in der nächsten Zukunft. Er wendete darauf den Vers des Propheten Chaggaï an (2, 6): »Noch ein Kleines, und ich lasse Himmel und Erde erschüttern, das Meer und das Festland, und ich lasse die Völker erbeben.«8 Indessen teilten nicht alle R. Akibas fromme Schwärmerei; Jochanan ben Torta entgegnete zweifelnd auf diese hochfliegenden Hoffnungen: »Eher wird Gras aus deinen Kinnladen, Akiba, wachsen, ehe der Messias erscheinen wird.«9 Die Anerkennung und Huldigung, die R. Akiba ihm zuteil werden ließ, war jedoch vollkommen hinreichend, Bar-Kochba den Strahlenschein einer heiligen, von Gott stammenden Würde zu verleihen und ihm eine unbestreitbare Autorität beizulegen, welche die Mittel, die ihm zu Gebote standen, vervielfältigte und steigerte.

Von Wundern, die der Messias-König zur Berückung der Menge getan haben sollte, wissen die jüdischen Quellen gar nichts. Nur eine Nachricht von feindlicher Seite erzählt, Bar-Kochba habe angezündetes Werg aus dem Munde geblasen, um feuerspeiend zu erscheinen.10 Die jüdischen Nachrichten heben nur seine gewaltige Körperkraft hervor; sie erzählen, er habe die Ballistensteine, welche die Römer vermittelst der Kriegsmaschinen auf das jüdische Heer warfen, mit den Knien zurückzuschleudern vermocht.11 Nirgends wird auch nur angedeutet, daß er mit seinem Messiastum irgend eine selbstsüchtige Nebenabsicht gehabt hätte; er war lediglich von der hohen Aufgabe erfüllt, die Freiheit seines Volkes wieder zu erobern, den erloschenen Glanz des jüdischen Staates wieder herzustellen und die Fremdherrschaft, die sich seit zwei Jahrhunderten in die Interessen des Judentums eingemischt hatte, ein für allemal entschieden abzuweisen. Ein solcher Unternehmungsgeist, verbunden mit hohen kriegerischen Eigenschaften, hätte bei der Nachwelt, wenn ihm auch der Erfolge nicht günstig war, eine gerechtere Anerkennung finden sollen, und verdiente keineswegs so sehr geschmäht zu werden, wie es das Vorurteil, von parteiischen Quellen geleitet, getan hat. Zu diesem Messiaskönige strömten die jüdischen Krieger aus allen Ländern [137] herbei12 und die Erhebung erhielt dadurch eine weitgreifende Ausdehnung. Selbst die Samaritaner, die sich sonst immer zur Gegenpartei der Juden hielten, scharten sich, wie ihre Chroniken erzählen, um ihre ehemaligen Gegner.13 Sogar Heiden machten gemeinschaftliche Sache mit den Juden, von dem Gedanken geleitet, auch ihrerseits das unerträgliche römische Joch abzuschütteln. Es schien, als ob das ganze römische Reich in Bewegung wäre und einen gewaltigen Stoß erleiden müßte, als sollten die mühsam zusammengehaltenen Glieder des Riesenleibes sich trennen und der eigenen Schwere folgen.14 Man kann nach diesen Vorgängen die Zahl der Krieger in diesem Aufstande nicht für durchaus übertrieben halten, wenn sie eine jüdische Quelle auf 400 000 und der heidnische Geschichtsschreiber Dio Cassius gar auf 580 000 angibt. Bar-Kochba soll, um die Standhaftigkeit seiner Krieger zu erproben, sie einer eigenen Prüfung unterworfen haben; sie mußten, ehe sie in sein Heer aufgenommen wurden, sich selbst einen Finger abhauen; seine Räte sollen jedoch diese Verstümmelung mißbilligt und ihm zu einer andern Probe geraten haben: im Reiten einen Baum entwurzeln zu lassen. Bar-Kochba fühlte sich durch seinen eigenen Mut und sein erprobtes Heer so unüberwindlich, daß er die lästerlichen Worte gesprochen haben soll: »Herr, wenn du uns nicht helfen willst, so hilf wenigstens unsern Feinden nicht, dann werden wir nicht unterliegen.«15

Einer so riesigen Kraftentwicklung war der damalige römische Statthalter in Judäa mit seiner wahrscheinlich geringen Truppenzahl nicht gewachsen. Sein Name war Tinnius16 Rufus und in den jüdischen Quellen unter dem Namen Tyrannus Rufus, als Typus eines Menschenschlächters, welcher zu der Grausamkeit übermütigen Spott hinzufügt, berüchtigt. Dem Andrange des kriegerischen Messias, dessen Scharen aus dem Boden zu wachsen schienen, konnten die römischen Stationstruppen nicht lange widerstehen. Rufus zog sich zurück, räumte den Aufständischen eine Festung nach der andern, und binnen Jahresfrist (132-133) fielen an fünfzig feste Plätze und 985 offene Städte und Dörfer in ihre Hände.17 Es scheint, daß ganz Judäa mit Samaria und Galiläa von den Römern geräumt, in den Besitz der Juden gekommen war. [138] Als Hadrian die erste Nachricht von dem Aufstande in Judäa erhielt, legte er ihr kein großes Gewicht bei; aber als dann die Berichte von einer Niederlage der römischen Truppen nach der andern ein liefen, schickte er Truppenverstärkung und seine besten Feldherren auf den Schauplatz des Krieges. Legionen aus Phönizien, Ägypten und Arabien wurden eiligst nach Judäa befördert, selbst aus den weitliegenden Provinzen Mösien und Mauretanien wurden Truppenteile herangezogen. Die spanische und phönizische Flotte hatten vollauf zu tun, um Truppenteile zur Verstärkung herbeizubringen. Zwei auf andern Schauplätzen siegreiche Feldherren trafen gleichzeitig oder nacheinander ein, den Krieg, welcher sich über die Nachbarprovinzen auszudehnen drohte, zu beenden: Publius Marcellus, Statthalter von Syrien, und Lolius Urbanus, bisher Statthalter von Niederdeutschland. Sie sollten den Kaiser in der Führung des Krieges vertreten. Vergebens, sie hatten kein besseres Glück als Rufus und sie ließen ihren Ruhm auf den judäischen Schlachtfeldern.18 Diese unerwarteten Erfolge machten das jüdische Volk so sicher, als wenn seine Unabhängigkeit nimmermehr gefährdet werden könnte. Diejenigen, welche früher, um der Judensteuer zu entgehen, ihre jüdische Abstammung durch eine künstliche Vorrichtung unkenntlich gemacht hatten, unterwarfen sich neuerdings einer Operation19, um nicht mit diesem Zeichen der Abtrünnigkeit behaftet, bei der neuen Ordnung der Dinge vom messianischen Reiche ausgeschlossen zu werden. Ganz ohne Zweifel war auch Jerusalem in den Händen der jüdischen Sieger, und diese mochten wohl auch an die Wiederherstellung des Tempels gedacht haben, wiewohl keine einzige jüdische Quelle diese Tatsache auch nur mit einem Worte andeutet. Mitten in stetem Kriegsgetümmel, fortwährend von neuen römischen Legionen beunruhigt, hatten sie keine Zeit, Hand an ein so umfassendes Werk zu legen. Auch mochte es an Bauholz gefehlt haben, welches zu jedem Neubau des Tempels vom Libanon herbeigeschafft werden mußte, dieses Gebirge aber mit seinen Zedernwaldungen war in den Händen der Römer. Jerusalem spielte also in diesem Kriege durchaus keine Rolle.

Bar-Kochba übte, um die Unabhängigkeit des jüdischen Landes recht scharf hervortreten zu lassen, einen Akt souveräner Machtvollkommenheit aus: er ließ jüdische Münzen prägen. Man nannte sie Bar-Kochba-Münzen (Ma'ot-Cosbiot, Matbea schel ben Cosiba), auch Revolutionsmünzen (Matbea sche-marad). [139] Es scheint, daß es zweierlei solcher Bar-Kochba-Münzen gegeben hat. Römische Münzen früherer Kaiser und auch aus Trajans Zeit wurden so umgeprägt, daß über die römische Prägung die jüdische gestempelt wurde. Das jüdische Gepräge trug den Charakter derjenigen Münzen an sich, welche Simon wohl kurz vor der Tempelzerstörung schlagen ließ, und hatte gleich diesen althebräische (samaritanische) Schriftzüge. Die Embleme auf den umgeprägten Bar- Kochba-Münzen sind entweder eine Weintraube oder ein Palmzweig (beides Sinnbilder des jüdischen Volkes), oder zwei Trompeten (Sinnbilder des Priestertums), oder endlich eine Lyra (Symbol für Lobgesang), und die Inschriften lauten auf gleiche Weise »Simon« »zur Freiheit Jerusalems« (le-Cherut-Jeruschalaim) als Ergänzung zur Jahreszahl. Diese umgestempelten römischen Münzen nehmen sich mit ihren gemischten Schriftzügen, Althebräisch und Lateinisch oder Griechisch, ganz eigentümlich aus. Eine dieser Münzen zeigt den Trajanskopf noch ganz deutlich.20 Diese Umstempelung veranschaulicht auf das Lebendigste die leitenden Gedanken jener Kämpfe: Judäa in seinem Hochgefühl sich aufrichtend, feiert die Freiheit Jerusalems, die es dem freiheitsmörderischen Rom abgerungen hat. Ohne Zweifel beschränkte sich der Führer des Volkes nicht auf diese Umprägung, sondern ließ auch selbständige Münzen schlagen, welche denselben Stempel Simon zur Freiheit Jerusalems mit denselben Verzierungen trugen.

Trotz des tiefen Hasses der Juden gegen die Römer übten sie an ihren Feinden, die in ihre Hände geraten waren, keinerlei Wiedervergeltung. Die heidnischen Quellen deuten auch nicht mit einem Zuge an, daß die Juden an den Römern irgendwie Rache genommen hätten, wiewohl in einem so heftigen Prinzipienkriege die fanatisierten Massen zur Grausamkeit nur allzu geneigt sind. [140] Vielleicht mochten die jüdischen Krieger aus Rücksicht auf die Heiden, die sich ihren Reihen angeschlossen hatten, gegen die gefangenen Römer Schonung geübt haben. Nur gegen die Judenchristen, die in Judäa lebten, verfuhr Bar-Kochba feindselig, da gegen sie im Herzen der Juden ein vielleicht noch größerer Ingrimm sich angesammelt hatte, als gegen die Römer, weil man sie als Abtrünnige und als Angeber und Spione betrachtete. Dieser Haß gegen die Judenchristen steigerte sich, als sie sich hartnäckig weigerten, an dem Nationalkriege teilzunehmen und die einzigen müßigen Zuschauer dieses furchtbaren Dramas blieben. Eine der ältesten christlichen Quellen erzählt, Bar-Kochba habe die Christen aufgefordert, Jesus zu verleugnen und sich an dem Kampfe gegen die Römer zu beteiligen, und diejenigen, welche solches verweigerten, seien mit harter Strafe belegt worden.21 Diese Strafe war wohl nichts anderes, als Geißelung, welche die jüdischen Gerichtshöfe über sie als Gesetzesübertreter verhängt haben mochten.

In dem wiederhergestellten Staate, in dem sämtliche Gesetze wieder in Kraft treten konnten, hielten sich die jüdischen Behörden für berechtigt, diejenigen ihrer Stammgenossen vor ihren Richterstuhl zu ziehen, welche dem Gesetze nicht nur Gehorsam versagten, sondern es noch dazu verhöhnten. Es wird nirgends erzählt, daß die Christen gezwungen worden seien, Bar-Kochba als einen neuen Christus anzuerkennen und an ihn zu glauben. Solcher Gewissenszwang scheint dem neuen jüdischen Staate fern geblieben zu sein. Spätere christliche Chroniken haben in ihrer Weise die einfache Strafe der Geißelung, der die Judenchristen unterworfen wurden, vielfach vergrößert und daraus eine förmliche Christenverfolgung, in Begleitung von Tod und Märtyrertum gemacht, wozu aber jeder geschichtliche Anhalt fehlt.22 Die Evangelien, welche von dem Auftreten Bar-Kochbas, den Kriegsbewegungen und allen Erscheinungen jener Zeit in einer verhüllten, aber doch hinlänglich erkennbaren Weise sprechen, geben allein das Verhalten des jüdischen Staates zu den Christen richtig an. Sie scheinen anzudeuten, daß im Schoße der Christengemeinde selbst Uneinigkeit geherrscht habe, indem einige von ihnen für die Sache der Freiheit entflammt waren und ihre lauen Glaubensbrüder in übergroßem Eifer den jüdischen Gerichten überantworteten. Diese evangelischen Andeutungen legen Jesus eine Prophezeiung in den Mund, nach welcher er inmitten dieser sturmbewegten, ereignisreichen Zeit, die ein Wendepunkt zu werden versprach, in leiblicher Gestalt zum jüngsten Gericht wieder erscheinen wollte. Jene angeblich von Jesus selbstverkündigten Worte veranschaulichen [141] die ganze düstere Stimmung und das un heimliche Gefühl der Bar-Kochbaschen Zeit. Sie lauten: »Sehet zu, daß euch nicht jemand verführe, denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen, ich bin der Messias, und werden viele verführen. Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so fürchtet euch nicht, denn es muß also geschehen. Aber das Ende ist noch nicht da. Es wird sich ein Volk wider das andere empören und ein Königreich wider das andere. Und werden geschehen Erdbeben hin und wieder und wird sein teure Zeit und Schrecken. Das ist der Not Anfang. Ihr aber sehet euch für, denn sie werden euch überantworten vor die Rathäuser (Synhedria) und Schulen (Synagogen) und ihr müsset gegeißelt werden. – Es wird aber überantworten ein Bruder den andern und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören wider die Eltern, und ihr werdet gehaßt sein von jedermann um meines Namens willen, wer aber verharrt bis ans Ende, der wird selig sein.«23 So tröstete ein Kirchenlehrer die ratlose Christengemeinde in Judäa. – Es scheint, daß das Synhedrion in der Bar-Kochbaschen Zeit eine Art Neuerung eingeführt hat, um der bereits unter Judenchristen überhand nehmenden Vergötterung Jesu entgegenzuwirken und ein Erkennungszeichen zu haben, wer es mit ihm oder den Nationaljuden halte. Es war nämlich schon seit mehrern Jahrhunderten Brauch geworden, den heiligen biblischen Gottesnamen (JWH) nicht auszusprechen, sondern dafür die Bezeichnung »Herr« (Adonaï) zu gebrauchen. Ein Teil der Nazarener hatte aber die Verehrung für Jesus nach und nach bis zu dessen Vergötterung gesteigert; sie nannten ihn »den Herrn«, also mit derselben Benennung, die in judäischen Kreisen für Gott im Gebrauche war. Um diesem entgegenzuarbeiten, verordnete das Synhedrion, daß beim Gebete und selbst bei Begrüßungen nicht der Name »Herr« (Adonaï), sondern der vierbuchstabige Name Gottes wie in den ältesten Zeiten geradezu in Gebrauch komme.24

Der Krieg unter Leitung des Bar-Kochba hatte bereits fast zwei Jahre gewütet (132-134). Mit tiefer Bekümmernis blickte Hadrian auf den fortschreitenden Gang der jüdischen Revolution; sie hatte einen Verlauf und eine Ausdehnung genommen, welche unberechenbare Rückwirkungen befürchten ließ. Jede Verstärkung, die er zu ihrer Bekämpfung nachgeschickt hatte, erlitt Niederlagen, jeder neue Führer ließ seinen Ruhm auf den jüdischen Schlachtfeldern. Hadrian war genötigt, den größten Feldherrn seiner [142] Zeit aus weiter Ferne, aus Britannien, wo er den Aufstand einer nicht minder freiheitsliebenden Nation unterdrückt hatte, nach Judäa zu versetzen. Julius Severus schien ihm der einzige zu sein, der sich mit dem großen Kriegshelden Bar-Kochba messen könnte. Severus fand aber bei seinem Erscheinen auf dem Kriegsplatz die militärische Stellung der Juden so günstig und unangreifbar, daß er es nicht wagte, ihnen sogleich eine Schlacht zu liefern. – Der Hauptstützpunkt der Juden in diesem Kriege war die Gegend am Mittelländischen Meere, welche die Stadt Bethar (Bither, Bet-Tar, auch Betarus) zum Mittelpunkte hatte. Diese Festung, deren Trümmer noch heute zu sehen sind, lag nur eine römische Meile (ein Viertel geographische Meile) vom Meere entfernt25, vier Meilen südlich von dem Sitze der römischen Statthalter Cäsarea und zwei und eine halbe Meile nördlich von Antipatris.26 Eine christliche Quelle verlegt Betar fälschlich in die Nähe Jerusalems.27 Ein Küstenfluß, von der Art derer, welche in diesem Landstrich im Sommer zu versiegen pflegen, floß bei oder durch Betar vom Berge Zalmon unweit Sichem herab, und führte früher den Namen Kison, zu dieser Zeit aber Joredet ha-Zalmon. Diese befestigte Stadt muß einen bedeutenden Umfang gehabt haben, wenn man bedenkt, wie viel Menschen sie im letzten Akt dieses Krieges fassen konnte. Sie soll schon vor der Tempelzerstörung eine nicht unbedeutende Stadt gewesen sein, deren Einwohner über den Fall Jerusalems Schadenfreude geäußert hätten, weil sie bei Festreisen öfter von Betrügern der Hauptstadt geprellt worden waren. Einer Andeutung zufolge scheint Betar auch ein Synhedrion gehabt zu haben.28

Außer Betar hatte Bar-Kochba noch mehrere Punkte in Verteidigungszustand gesetzt, welche vermutlich eigenen Befehlshabern anvertraut waren. Im Norden am Fuße des galiläischen Hochlandes, am Eingange zur großen Ebene Jesreël (Esdrelom oder Bet-Rimon) bildeten drei Städte fast in einem Dreiecke eine Reihe von Festungen vom Mittelmeere bis zum Tiberiassee. Im Westen unweit Akko lag Kabul oder Chabulon29 (fälschlich Zabulon); drei Meilen davon nach Südost zu war die feste Stadt Sichin, nahe bei Sepphoris in einer fruchtbaren Ebene30; zu Sichin waren viele [143] Metallarbeiter. In fast derselben Entfernung östlich nahe bei Tiberias und an dem nach diesem Orte benannten See lag Magdala31 mit dem Zunamen »der Färber« (Zeb'aja), berühmt wegen des Schittimholzes, das in seiner Nähe vorhanden war.32 Alle drei Städte, Kabul, Sichin und Magdala, werden als ungemein bevölkert geschildert, und sie bildeten den Vorposten, der das Eindringen der Römer von Syrien und Obergaliläa aus verhindern sollte. Sepphoris und Tiberias scheinen in diesem Kriege, wie früher unter Vespasian und Trajan, heimlich ihre Anhänglichkeit an die Römer bewahrt zu haben; man mochte ihnen nicht ganz getraut und daher die zuverlässigern Städte in ihrer Nachbarschaft zu Sammelpunkten gewählt haben.

Eine zweite Verteidigungslinie, außerordentlich begünstigt durch die Bodenbeschaffenheit, war in der Mitte des jüdischen Landes. Von der großen Ebene Jesreël zieht sich ein langgestrecktes Gebirge von Nord nach Süd, nach zwei Seiten hin, dem Mittelmeere und dem Jordan, sich allmählich abdachend. Diese Bergkette, die früher das Gebirge Efraim oder Israel genannt wurde, führte zur Zeit Bar-Kochbas den Namen Königsgebirge (Har-ha-Melech, Tur-Malka); diesen Namen hatte es von den hasmonäischen Königen erhalten, die daselbst Festungen, wie Alexandrion und andere angelegt hatten.33 Eine der Hauptfestungen, welche Bar-Kochba wahrscheinlich wieder in Verteidigungszustand gesetzt hatte, war Tur-Simon, ohne Zweifel nach dem Hasmonäer Simon genannt. Der Name des Befehlshabers von Tur-Simon, Bar-Droma, in einer Sage erhalten, scheint auf einer Tatsache zu beruhen. Auch diese feste Stadt soll eine so überaus zahlreiche Bevölkerung gehabt haben, daß an jedem Freitag dreihundert große Körbe mit Broten an Arme verteilt wurden. Von hier aus soll nach einer Sage der Aufstand den Anfang genommen haben wegen einer Beleidigung, welche den Einwohnern von den Römern widerfahren war. Es war nämlich Sitte, vor dem Brautpaare am Hochzeitstage ein Paar Hausvögel zweierlei Geschlechts voranzutragen. Als eine römische Truppe eines Tages das Hühnerpaar gewaltsam weggenommen hatte, sollen die Juden über sie hergefallen sein und sie getötet haben. Darauf habe Hadrian seine Legionen in Tur-Simon einrücken lassen.34 Solche kleinliche Vorfälle pflegten oft einen lange vorbereiteten Aufstand zum Ausbruche zu bringen.

[144] Julius Severus, dessen Feldherrnblick die Schwierigkeiten eines Sieges bei den vielen Verschanzungen, günstigen Stellungen, der Menge der Krieger und dem fanatisierten Mut derselben keineswegs entgangen waren, vermied es, sich in eine entscheidende Schlacht einzulassen, welche Bar-Kochba, der auf die Zahl und Hingebung seiner Truppen vertraute, erwünscht gewesen wäre. Wie Vespasian, zog auch Severus den Krieg geflissentlich durch Kreuz- und Querzüge in die Länge. Er rechnete besonders auf den Mangel an Lebensmitteln, der in einem von allen Seiten eingeschlossenen Ländchen sich unfehlbar einstellen muß, wenn die Hände das Schwert anstatt des Pfluges handhaben. Er beschränkte sich darauf, dem Feinde die Lebensmittel abzuschneiden, die jüdischen Truppenkörper vereinzelt anzugreifen und sie durch die Reiterei, die den Juden ganz fehlte und den Römern einen Vorsprung gewährte, nach und nach aufzureiben. Diese Taktik gelang ihm vollkommen, zumal sie von der Unmenschlichkeit unterstützt wurde, die Gefangenen sofort dem Tode zu weihen. Die Natur eines solchen Krieges erfordert viel Zeit. führt aber desto sicherer zum Ziele.35 Die Einzelheiten dieses Revolutionskrieges waren wohl nicht minder denkwürdig und von ergreifendem Effekt, als der Krieg der Zeloten; es hat sich aber keine Quelle erhalten, welche der Nachwelt den Todeskampf der jüdischen Nation aufbewahrt hätte. Die Heldentaten der Zelotenführer Bar-Giora und Johannes von Gischala hat ihr größter Feind wider seinen Willen verewigt, während die letzte Kraftäußerung des jüdischen Volkes, der Kriegsruhm des letzten jüdischen Helden keinen Griffel gefunden hat, sie in die Geschichtstafeln einzutragen, gleichsam als sollten die Erinnerungen an die Waffentaten für die neuen Geschlechter, welche dazu bestimmt waren, den Krieg zu verlernen, geradezu verwischt werden. Selbst die im römischen Interesse geschriebenen Erzählungen vom jüdischen Kriege unter Hadrian, die des römischen Redners Antonius Julianus und des Griechen Ariston von Pella36, sind ein Raub der Zeit geworden, so daß von ihnen nicht einmal Bruchstücke zu uns gelangt sind. Nur einzelne Züge sind uns aus diesem Kriege bekannt geworden, welche von der Tapferkeit der Juden nicht minder wie von ihrer todesmutigen Begeisterung für ihre Volkstümlichkeit ein vollgiltiges Zeugnis ablegen.

Wenn, wie die geographische Lage Judäas gebieterisch verlangt, der erste Angriff der Römer vom Norden her, von der syrischen und phönizischen Seite geschehen ist, so mußten die drei nördlichen [145] Festungen Kabul, Sichin und Magdala zu allererst an die Reihe kommen. Die jüdische Quelle, deren Nachrichten von überlebenden Zeitgenossen dieses Krieges stammen, erzählt von der Zerstörung dieser drei Städte und gibt zugleich die nähern Ursachen an, wodurch ihr Untergang herbeigeführt wurde. Kabul fiel durch Uneinigkeit im Innern, Sichin durch Zauberei, worunter vermutlich eine unerwartete Überrumpelung zu verstehen ist, endlich Magdala wegen Ausschweifung, welcher sich die Einwohner zu sehr ergeben hatten. Nach dem Falle dieser drei Verteidigungspunkte an der Grenze war der Krieg eigentlich entschieden, wie nach dem Falle Jotapatas und Gadaras in der ersten Revolution das übrige Land als unterworfen angesehen werden konnte. Ein anderer Schauplatz des Krieges scheint die Rimmonebene, wo die Erhebung ihren Anfang genommen hat, gewesen zu sein; die römischen Legionen mußten hier ihren Weg nehmen, um in das Herz des Landes einzudringen. Dieses Tal, welches zu verschiedenen Zeiten verschiedene Namen führte (Megiddo, Jesreël, später Legio), scheint auch nach dem Flusse Kison und einem andern namenlosen, welche hier entspringen und zwei Armen ähnlich eine entgegengesetzte Richtung nehmen, die Tiefebene der Hände (Bikat-Jadaim) genannt worden zu sein; der Kison fließt ins Mittelmeer und der andere Fluß in den Jordan. In dieser Ebene, in dem Quellgebiet beider Flüsse scheint eine mörderische Schlacht vorgefallen zu sein, welche der Sage den Stoff zu ihrer beliebten Übertreibung geboten hat. Sie erzählt vergrößernd: Diese zwei Flüsse schwollen von dem Blute der gefallenen Juden derart an, daß sie gegen zwei Teile Wasser einen Teil Blut enthalten haben.37

Der nächste Kriegszug der Römer ging ohne Zweifel nach den Städten des Königsgebirges. Auch hier, wo uns die Geschichte im Stiche läßt, sind wir auf die Sage angewiesen, aus deren übertreibenden Zügen ein Körnchen Tatsächliches gewonnen werden kann. Die Sage läßt 100 000 Römer mit gezückten Schwertern in die Hauptfestung Tur-Simon einrücken, wo sie drei Tage und Nächte hindurch die Einwohner niedergemetzelt haben sollen. Der Umfang der Stadt sei so groß gewesen, daß man in dem einen Stadtteil noch das Geräusch fröhlicher Tänze hörte, während in dem andern bereits das Todesröcheln der Erschlagenen vernommen wurde.38 Von den fünfzig festen Plätzen, welche die Juden inne hatten, waren nach und nach alle bis auf den letzten in die Hände der Römer gefallen; zweiundfünfzig, nach andern vierundfünfzig[146] Schlachten hatten die römischen Feldherren den Juden geliefert.39 Immer enger und enger wurde Betar eingeschlossen, wohin sich Bar-Kochba mit der Blüte seines Heeres geworfen, und wo die Flüchtigen des ganzen Landes, welche dem Vertilgungsschwerte entronnen waren, eine Zufluchtsstätte gesucht hatten. Hier, wo die größten Feldherren ihrer Zeit, Bar-Kochba und Julius Severus, gegeneinander kämpften, sollte die letzte Entscheidung herbeigeführt werden. Dieses großartige Schauspiel, in welchem die religiöse Begeisterung gegen die militärische Disziplin, die unterdrückte Nationalität gegen die kettenschmiedende Herrschsucht, die Sehnsucht nach dem, was man verloren, gegen den Trotz, das zu behaupten, was man einmal besessen, mit erbitterter Wut und leidenschaftlicher Kampfeslust einander gegenüber standen, hat noch nicht das ganze Interesse erweckt, welches ihm unstreitig gebührt40

Betar muß durch den Zufluß, der von allen Seiten herbeigeströmt war, eine erstaunlich zahlreiche Bevölkerung erhalten haben. Die Quellen können nicht genug Hyperbeln aufbringen, um die große Zahl der Einwohner dieses letzten Verteidigungspunktes anschaulich zu machen; sie erzählen unter anderem, es habe mehrere Hundert Jugendschulen in Betar gegeben, welche eine so große Zahl von Schülern enthielten, daß diese ruhmredig sagten, sie könnten die eindringenden Feinde mit ihren Schreibröhrchen niedermachen.

Die Belagerung Betars hat wohl ein Jahr gedauert und bildete den Schlußakt des ganzen Krieges, welcher sich drei und ein halbes Jahr hinzog. Über die Wechselfälle der Belagerung, sowie über die Ursachen, die den Fall dieser Festung herbeigeführt haben, sind wir völlig im Dunkeln gelassen. Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser, die steten Begleiter langwieriger Belagerungen, haben auch hier den Ausschlag gegeben. Eine jüdische Quelle erzählt, der Fluß Joredet-ha-Zalmon habe zur Zeit des Krieges treulos sein Wasser versagt, was so viel sagen will, er sei durch die Sommerhitze versiegt. Eine sehr getrübte samaritanische Quelle berichtet, die Lebensmittel, die auf geheimen Wegen der belagerten Stadt zugeflossen waren, seien plötzlich abgeschnitten worden.41 Diese stimmt indessen mit jüdischen Nachrichten darin überein, daß Betar durch eine verräterische List der Samaritaner gefallen sei. Jüdischerseits erzählte man sich nämlich folgendes darüber: R. Eleasar aus Modin habe in Sack und Asche gefastet und gebetet, daß Betar nicht eingenommen werde; [147] vielleicht hat er durch seine Frömmigkeit den Belagerten Vertrauen zum Widerstande, die Seele des Krieges, eingeflößt. Hadrian (oder sein Feldherr), von dem hartnäckigen Kampf ermüdet, sei im Begriff gewesen, die Belagerung aufzuheben. Da habe ihm ein Samaritaner versprochen, ihm zur Einnahme behilflich zu sein, indem er R. Eleasar, den Schutzgeist der Festung, verdächtig machen wolle; »denn so lange dieses Huhn in der Asche gackert,« habe er hinzugefügt, »ist Betar uneinnehmbar.« Darauf habe sich derselbe Samaritaner durch einen unterirdischen Gang42 in die Stadt eingeschlichen und sei an R. Eleasar während seines Gebetes herangetreten, um ihm etwas geheimnisvoll ins Ohr zu flüstern. Die Anwesenden, die aus der geheimtuenden Art Verdacht schöpften, haben ihn dann vor Bar-Kochba geführt und ihm den Vorfall erzählt. Von Bar-Kochba ins Verhör genommen, habe derselbe eine den Spionen eigene Jammerrolle gespielt und die Worte gesprochen: »Wenn ich dir die Wahrheit sage, tötet mich mein Herr, verheimliche ich sie dir, so tötest du mich; indessen lieber will ich durch deine Hand sterben, ehe ich die Geheimnisse meines Herrn verrate.« Bar-Kochba, ein verräterisches Einverständnis zwischen R. Eleasar und dem Feinde argwöhnend, habe jenen vor sich geladen und über den Gegenstand seiner Unterredung mit dem Samaritaner befragt. R. Eleasar, welcher in seiner tiefen Andacht kaum die Anwesenheit eines Samaritaners gewahr geworden, konnte nicht anders antworten als, er wisse von gar nichts. Bar-Kochba, hinter diesem allen eine um so größere Verstellung vermutend, sei in einen so heftigen Zorn geraten, daß er R. Eleasar mit dem Fuße gestoßen, wodurch der vom Fasten geschwächte Fromme tot niedergefallen sei. Eine Stimme habe sich dann vernehmen lassen: »Du hast den Arm Israels gelähmt und sein Auge geblendet, darum soll dein Arm gelähmt und dein Auge geblendet werden.« Darauf sei Betar gefallen und Bar-Kochba getötet worden. Das Ende dieses gewaltigen, auf seine Kraft allzusehr vertrauenden Helden ist nicht bekannt. Man erzählte sich später, ein Römer habe seinen Kopf gebracht und sich gerühmt, ihn erschlagen zu haben; aber man fand seinen Körper von den Windungen einer Schlange umschlungen, worauf der Sieger geäußert habe: »Wenn Gott ihn nicht getötet, Menschenkraft hätte ihm mit nichten beikommen können.« – Die samaritanische, durchaus sagenhafte Quelle erzählt die Einnahme Betars in der Art, daß sie Züge von der Einnahme Jerusalems durch Titus auf diese Festung überträgt. Hadrian, der die Stadt belagerte, habe sie schon verlassen wollen, denn die Belagerten hätten durch unterirdische [148] Gänge, die einerseits nach Lydda, anderseits nach Jericho einen geheimen Ausgang boten, Lebensmittel herbeigeschafft, die sie dem Feinde zur Schau ausstellten. Da hätten zwei samaritanische Brüder, Manasse und Efraim, die wegen eines bösen Streiches bei den Juden als Gefangene zurückgehalten wurden, einen in Lehm gehüllten Brief für Hadrian über die Mauer geschleudert, in welchem angegeben war, daß sicherlich eine Hungersnot entstehen müßte, wenn die zwei Ausgänge bewacht wür den. Hadrian habe den Rat der Samaritaner befolgt und die Stadt sei während eines Sabbats überrumpelt worden.43 So viel scheint aus beiden Berichten gewiß, daß die Römer, denen ein Verräter den Weg in die unterirdischen Gänge gezeigt hatte, durch diese in Betar eingedrungen sind und ein Blutbad angerichtet haben, welches mit den grellsten Farben ausgemalt wird. Die Pferde seien bis an die Nase im Blut gewatet, das Blut habe sich in Gestalt eines Flusses in das fast eine Meile entfernte Meer ergossen und schwere Felsen mit fortgewälzt. 300 Kindergehirne habe man an einem Felsen zerschmettert gefunden, und von der ganzen Jugend Betars soll nur der Sohn des Patriarchen dem Tode entgangen sein. Die Frauen der Erschlagenen haben keinen lebendigen Zeugen auftreiben können, der über den Tod ihrer Männer vor Gericht hätte Zeugnis ablegen können. Man kann kaum den ungeheuren Zahlen Glauben schenken, die über die in dem Bar-Kochbaschen Kriege Gefallenen angegeben werden, und doch werden sie von jüdischen und griechischen Geschichtsschreibern übereinstimmend bestätigt. Der gut unterrichtete griechische Geschichtsschreiber Dio Cassius erzählt, es seien außer den durch Hunger und Brand Umgekommenen über eine halbe Million gefallen.44 Die jüdische Tradition überliefert, aus den in aufrechter Stellung aneinander gereihten Leichnamen der Gefallenen sei ein Zaun gezogen worden; der Feind gönnte ihnen nicht einmal die Ruhe des Begräbnisses. Doch der Verlust der Römer war nicht minder groß, wenn auch die römische Politik ihre Zahl verschwieg. Hadrian, froh, einen solchen fast unerwarteten Sieg errungen zu haben, wagte nicht, als er dem Senate die Anzeige davon machte, die übliche Form zu gebrauchen: »Ich und das Heer befinden uns wohl.«45 Der Senat dekretierte übrigens für den Kaiser keinen Triumph über den jüdischen Krieg, was ohne Zweifel darin den Grund hat, daß er ihn nicht selbst geführt hatte.46 Nur eine Denkmünze wurde geprägt, um dem Heere außer den üblichen Belohnungen für Mannschaften und Offiziere noch besondere Anerkennung [149] für die geleisteten Dienste zu zollen. Diese Münze hat die Inschrift: »exercitus judaïcus«, »Dank dem über die Juden siegreichen Heere.«47 Betar fiel, der Tradition zufolge, am neunten Ab48 (135), an demselben Tage, an welchem der Tempel zweimal nacheinander eingeäschert wurde. – Nach Beendigung des Hauptkrieges gab es noch einige zersprengte Scharen zu besiegen, die von den Gebirgsschluchten und Höhlen aus noch einen verzweifelten Guerillakrieg führten. In Kephar-Charuba, in der Nähe des Tiberiassees, führten zwei Brüder solche Banden an, und kämpften mit vielem Glück gegen die Römer. Schon sollten sie als Könige anerkannt werden, um an Bar-Kochbas Stelle den Krieg fortzusetzen, man wollte nur noch ein glückliches Treffen abwarten, als sie das ungetreue Glück verließ, und beide Brüder erschlagen wurden. Hadrian ließ an drei Punkten Militärwachen aufstellen, um auf die Flüchtlinge zu fahnden, in Chamat (Ammaus unweit Tiberias), in Kephar Lekitaja und in Betel. Wer dem einen Wachtposten entginge, sollte von dem andern gefangen werden.49 So waren alle Krieger vernichtet, alle aufgestandenen Städte und Dörfer zerstört, und das Land im buchstäblichen Sinne in eine Wüste verwandelt.50 Einige Jahre später war in dem ölreichen Galiläa ein Ölbaum eine Seltenheit geworden. Die Gefangenen, wahrscheinlich nur Frauen und Unmündige, schleppte man zu vielen Tausenden auf die Sklavenmärkte Hebrons und Gazas, und der Sklaven waren so viel, daß man sie um einen geringen Preis verkaufte. Der Rest wurde nach Ägypten geschleppt, wo er durch Hunger und Schiffbruch ein elendes Ende fand.51 Es gab aber noch immer Flüchtlinge, die sich in den Höhlen versteckt hielten, um der Treibjagd der Feinde zu entgehen. Eines Tages erlitten eine Menge solcher an einem Sabbat durch blinden Schrecken den Tod in den engen Gängen einer Höhle. Als sie ein Geräusch, verursacht [150] von den mit Nägeln besetzten Sandalen neuer Ankömmlinge, vernahmen und es für den Sturmschritt anrückender Feinde hielten, drängten sie in wilder Verzweiflung so ungestüm aufeinander, daß viele von ihnen von ihren Leidensgefährten zerquetscht wurden. Dieser Vorfall hinterließ einen so betrübenden Eindruck, daß man später verbot, am Sabbat benagelte Sandalen zu tragen.52 Andere Unglückliche, denen die Lebensmittel fehlten, erhielten sich in den Höhlen vom Fleische der Leichname, die haufenweise auf den Feldern lagen. Der Genuß von Menschenfleisch war für diese Gehetzten eine Lebensgewohnheit geworden, und jedem wurde der Reihe nach die Aufgabe zugeteilt, einen Leichnam aufzusuchen und in die Höhle zu schaffen. Eines Tages schlich ein unglücklicher Flüchtling aus dem Versteck, um der Ordnung gemäß einen Leichnam zu holen. Er fand aber in der Nähe nur den Körper seines Vaters; trotz der Abgestumpftheit, die ein solches Leben zu erzeugen pflegt, schauderte er doch vor dem Gedanken zurück, seinen Vater für sich und seine Genossen mitzubringen, er entzog ihn den Blicken und kehrte leer zurück. Ein anderer wurde nach ihm ausgeschickt, der glücklicher war, einen Leichnam zu finden. Nachdem sie ihn verzehrt hatten, erfuhr der unglückliche Sohn aus den nähern Umständen, daß es der Leichnam seines Vaters war, mit dem er seinen Hunger unnatürlich gestillt hatte.53 Aber nicht einmal dieses elende Leben gönnte man den Flüchtlingen; man suchte sie aus ihren Verstecken zu locken; Herolde machten bekannt, daß man denen, die sich freiwillig stellen würden, Gnade werde widerfahren lassen. Viele ließen sich von diesen Verlockungen betören, aber man schleppte sie in die Rimmonebene, den Platz, wo der Aufstand seinen Anfang genommen. Mit einem die Grausamkeit noch steigernden Hohne erteilte der Sieger den Befehl, sämtliche Gefangene niederzumetzeln, ehe er noch einen Hühnerschenkel verzehrt haben würde.54 Dennoch haben viele Flüchtlinge sich nach dem jüdischen Babylonien und dem glücklichen Arabien gerettet, das von jener Zeit seine jüdische Bevölkerung erhalten hat, die später eine wichtige Rolle spielen sollte. Auch die auswärtigen Juden des römischen Reiches ließ Hadrian seinen Zorn empfinden. Er legte sämtlichen Juden einen Leibzoll auf, welcher noch viel drückender war als die Judensteuer, die Vespasian eingeführt hatte.55 Die Juden dagegen führten zum Andenken an den trübseligen Ausgang des letzten Aufstandes (Polemos acharón) ein Trauerzeichen mehr ein: die Bräute sollten nicht mehr, wie bisher, in Prachtsänften in das Haus des Bräutigams getragen werden.56


Fußnoten

1 Dio Cassius 69, 13.


2 Ders.


3 Rosch ha-Schanah 26 a. Jebamot 121 a, 122 a. Baba Kama 113 a. Sifri zu Numeri 5, 8.


4 Eusebius, Chronicon zum elften Jahre Hadrians, auch bei Syncellus.


5 Megilla 6 a.


6 Josephus, jüdischer Krieg VII, 6.


7 Midrasch zu Threni 2, 2. Jerus. Taanit IV, 7, p. 68 d.


8 Synhedrin 97 b.


9 Midrasch und Jerus. das.


10 Hieronymus, Apologia II adversus Rufinum.


11 Midrasch Threni das.


12 Dio Cassius 69, 13.


13 Liber Josuae Samaritanorum edit. Jynboll, c. 48.


14 Dio Cassius das.


15 Note 16.


16 oder Ticinius, oder Titus Annius. [Nach S. Borghesi ouvres III, 62-64; IV, 167; VIII, 186 ff. ist die richtige Form Tinejus Rufus. Ihm folgen auch Gregorovius, Renan, Mommsen und Schürer].


17 Dio Cassius 69, 14.


18 [Vergl. Volksausgabe II, 69. S. Dio Cassius 69, 13. Darmesteter Revue, das. p. 42].


19 S. oben, S. 72.


20 [Über die dieser Zeit zugehörigen Münzen s. Bd. III, 5. Aufl. die eingehende Note 30. Nach der von Graetz dort entwickelten Ansicht würden von den vielen Simon-Münzen nur diejenigen dieser Zeit angehören, welche auf der einen Seite diesen vollen Namen oder עמש ohne das Epitheton לארשי אישנ und auf der anderen Seite die Prägung םילשורי תורחל oder תורחל לארשי ganz oder abgekürzt tragen. Unter Simon oder עמש versteht Graetz nicht den Bar-Kochba. Leider hat Gr. uns darüber im Dunkeln gelassen, welche Münzen er unter den im Tosephta Maaser-scheni, c. 1 und Jerus. das., p. 52 d erwähnten תויבזכ תועמ oder עבטמ אביזוכ ןב ןוגכ דרמש verstanden wissen wollte. Das Wort ןוגכ im Jerus. beweist, daß die Ben-Kosiba-Münze nicht die einzige Aufstandsmünze (דרמש עכטמ) gewesen, daß sie vielmehr nur eine unter anderen war. In der Tosephta werden auch zwei Arten von Münzen als דורמ עבטמ bezeichnet, und zwar תועמו תויבזכ תועמ תוימלשורי. Doch dürfte man unter den jerusalemischen Münzen diejenigen verstehen, welche auf der einen Seite anstatt des Namens einer Person das Wort םילשורי als Prägung haben. Vergl. Schürer I, 640 ff.].


21 Siehe Note 15.


22 Siehe Note 15.


23 Markusevangelium 13, 6-13. Siehe dieselbe Note.


24 S. Note 15.


25 Gittin 57 a, verglichen mit Jer. Taanit 69 a. Das. muß es heißen 4 Mill. statt 40, wie Schwarz, Palästina, emendiert hat.


26 Relands Palästina 416, 419 f.


27 Eusebius historia eccl. IV, 6. So auch Schürer I, 693, A. 131.


28 Synhedrin 17 b.


29 Josephus Leben 43.


30 Sabbat 121 a. Baba Mezia 74 a.


31 Jerus. Erubin V, 7, 22 d. Robinson, Palaestina III.


32 Jerus. Pesachim IV, 1, 30 d.

33 Gittin 57 a.


34 Das.


35 Dio Cassius 69, 13.


36 Minutius Felix, Octavius 35, 5 und Eusebius, K.-G., IV, 6.


37 Siehe Note 16.


38 Gittin 57 a.


39 Midrasch Threni zu c. 2, 2, p. 72 c.


40 Die Stimmung ist künstlerisch unvergleichlich dargestellt in P. Möbius' Trauerspiel Bar-Kochba.


41 Samaritanisches Buch Josua ed. Jynboll, c. 47.


42 Siehe Note 16.


43 Samaritanisches Buch Josua das.


44 Dio Cassius 69, 14.


45 Das.


46 [Vergl. dagegen Darmesteter Revue des ét. juives t. I, 49 ff., welcher nachweist, daß Hadrian an dem Kriege wenigstens bis zu einer Hauptentscheidung wohl persönlich teilgenommen habe und daß er auch aus Anlaß der glücklichen Beendigung des jüdischen Krieges vom Senate zum zweitenmale als imperator begrüßt wurde, und ferner, daß auch Julius Severus die ornamenta triumphalia zuerkannt wurden. Vergl. Volksausg. II, 74].


47 Eckhel doctrina nummorum VI, 496. [Eckhel hat diese Münze nach ältern Autoritäten gegeben. Sie war also vorhanden, wenn sie sich auch nach Renan, L'église chr., p. 209, Note 6 authentisch nicht wiederfindet. Über die Bedeutung dieser Münze s. Schürer das., p. 583, Anmerkung 119].


48 Taanit 26 b. Hieronymus in Zachariam, c. 8.


49 Midrasch Threni zu V. 1, 15.


50 Dio Cassius das. und Jerus. Peah VII, 1, 20 a. Justin., Dialog cum Tryphone, c. 52.


51 Hieronymus Comment. in Zachariam zu 11, 5 und in Jeremias, c. 31, 15. Chronicon Alexandrinum zur 224. Olympiade


52 Sabbat 60 a. Jerus. das. VI, p. 8 a.


53 Midrasch Threni zu 1, 15.


54 Das.


55 Appianus, Bellum syriacum I, 191.


56 Note 14.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 152.
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