8. Kapitel. Günstige Lage der Juden im fränkischen Kaiserreiche. 814-840.

[230] Kaiser Ludwigs Gunstbezeugung für die Juden; die Kaiserin Judith und die Gönner derselben. Ihr Erzfeind Agobard; sein Sendschreiben gegen die Juden. Der Proselyte Bodo-Eleasar. Ludwig behandelt die Juden als besondere Schutzgenossen des Kaisers.


Von der Zerklüftung des Judentums im Morgenlande, von den Reibungen zwischen dem Exilarchat und dem Gaonat und den Schulhäuptern untereinander hatten die europäischen Juden keine Ahnung. Ihnen erschien Babylonien, der Sitz der gaonäischen Hochschulen, in einem idealen Glanze, als ein Heiligtum, als eine Art Vorhimmel, als Stätte ewigen Friedens und göttlicher Erkenntnis. Ein gutachtlicher Bescheid von Sura oder Pumbadita, so oft er bei den europäischen Gemeinden eintraf, galt als ein wichtiges Ereignis und wurde, eben weil er ohne Anspruch, Ehrgeiz und Hintergedanken erteilt wurde, mit viel größerer Verehrung gelesen und befolgt als eine päpstliche Bulle in katholischen Kreisen. Die abendländischen Völker, an Kultur und Schrifttum noch in der Kindheit begriffen, standen auch in religiöser Beziehung unter Vormundschaft, die Christen unter dem päpstlichen Stuhle, die Juden unter den gaonäischen Hochschulen. Einige hervorragende Juden beschäftigten sich zwar mit Agada und Geheimlehre in Frankreich und wohl auch in Italien, aber sie betrachteten sich selbst nur als unmündige Jünger morgenländischer Autoritäten. Die günstige Lage der Juden im fränkischen Reiche, welche von Karl dem Großen begründet und von seinem Sohne Ludwig (814-40) erhöht wurde, spornte sie zu einer Art Geistestätigkeit an, und sie legten soviel Eifer für das Judentum an den Tag, daß sie auch Christen dafür zu begeistern vermochten.

Karls des Großen Nachfolger, der gutmütige, aber willenlose Kaiser Ludwig, überhäufte trotz seiner Kirchlichkeit, die ihm den Namen »der Fromme« eintrug, die Juden mit außerordentlichen [230] Gunstbezeugungen. Er nahm sie unter seinen besonderen Schutz1, und litt nicht, daß ihnen von seiten der Barone oder der Geistlichkeit Unbill zugefügt würde2. Sie genossen Freizügigkeit durch das ganze Reich3. Sie durften – trotz der vielfach erlassenen kanonischen Gesetze – nicht nur christliche Arbeiter bei ihren industriellen Unternehmungen gebrauchen, sondern auch ganz frei Sklavenhandel treiben, Leibeigene im Auslande kaufen und im Inlande verkaufen. Es war den Geistlichen untersagt, die Sklaven der Juden zur Taufe und dadurch zur Emanzipation zuzulassen4. Den Juden zuliebe wurden die Wochenmärkte vom Sabbat auf den Sonntag verlegt5. Von der Geißelstrafe waren sie befreit, es sei denn, daß ihre eigenen Gerichtsbehörden sie über die Schuldigen verhängten. Auch den barbarischen Ordalienproben durch Feuer und siedendes Wasser, die statt des Zeugenbeweises eingeführt waren, unterlagen die Juden nicht6. Sie durften unbeschränkt Handel treiben, nur mußten sie an den Fiskus eine Steuer davon zahlen und jedes Jahr oder jedes zweite Jahr Rechenschaft über die Einnahmen ablegen7. Juden waren auch Steuerpächter und hatten dadurch gegen ausdrückliche Bestimmungen des kanonischen Rechtes eine gewisse Gewalt über die Christen8. Ein eigener Beamter, mit dem Titel Judenmeister (magister Judaeorum), war dazu ernannt, über die Privilegien der Juden zu wachen, damit sie von keiner Seite verletzt würden. Dieser Beamte hieß zu Ludwigs Zeit Eberard9.

[231] Man könnte versucht sein, zu glauben, diese auffallende Begünstigung der Juden von seiten eines kirchlich-frommen Kaisers sei aus Handelsrücksichten geschehen. Der Welthandel, den Karl der Große angebahnt hatte, und den die Räte Ludwigs zur Blüte bringen wollten, war größtenteils in den Händen der Juden, weil sie leichter mit ihren Glaubensgenossen anderer Länder in Verbindung treten konnten, und weil sie weder durch die Fessel des Ritterdienstes und Wehrstandes, noch durch die Gebundenheit der Leibeigenschaft daran verhindert waren und gewissermaßen den Bürgerstand bildeten. Allein die Gunst hatte einen tieferen Grund. Sie galt nicht bloß den jüdischen Kaufleuten und Handelstreibenden, sondern den Juden als solchen, den Trägern einer geläuterten Gotteserkenntnis. Die Kaiserin Judith, Ludwigs zweite Gemahlin und die allmächtige Beherrscherin seines Herzens, hatte eine besondere Vorliebe für das Judentum. Diese mit Schönheit und Geist begabte Kaiserin, welche ihre Freunde nicht genug bewundern, ihre Feinde nicht genug schmähen konnten, hatte eine tiefe Verehrung für die Helden der israelitischen Vorzeit. Als der gelehrte Abt von Fulda, Rhabanus Maurus, ihre Gunst gewinnen wollte, kannte er kein wirksameres Mittel, als ihr seine Ausarbeitung der Bücher Esther und Judith zu widmen und sie mit diesen beiden jüdischen Heldinnen zu vergleichen10. Die Kaiserin und ihre Freunde, wahrscheinlich auch der Kämmerer Bernhard, der eigentliche Regent des Reiches, waren wegen der Abstammung der Juden von den großen Patriarchen und Propheten ihre Gönner Um derentwillen seien sie zu ehren, sprach diese judenfreundliche Partei bei Hofe, und der Kaiser sah sie ebenfalls in demselben Lichte11. Gebildete Christen erfrischten ihren Geist an den Schriften des jüdischen Philosophen Philo und des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus und lasen sie lieber als die Evangelien12. Gebildete Edeldamen und Edelleute bei Hofe sprachen es daher offen [232] aus, sie wollten lieber einen Gesetzgeber haben wie die Juden, d.h. daß ihnen Mose und das Judentum erhabener erschienen, als Jesus und das Christentum. Sie ließen sich daher von Juden den Segen erteilen und für sich beten13. Die Juden hatten infolgedessen freien Zutritt bei Hofe und verkehrten unmittelbar mit dem Kaiser und den ihm nahen Personen. Verwandte des Kaisers beschenkten jüdische Frauen mit kostbaren Gewändern14, um ihre Verehrung und Anhänglichkeit zu bekunden.

Bei solcher außerordentlicher Gunst von seiten des Hofes war es ganz natürlich, daß die Juden des fränkischen Reiches – welches auch Deutschland und Italien umfaßte – eine ausgedehnte Religionsfreiheit genossen, wie kaum in unseren Tagen. Die gehässigen kanonischen Gesetze gegen sie waren stillschweigend außer Kraft gesetzt. Die Juden durften ungestört neue Synagogen bauen und frei über die Bedeutung des Judentums in Gegenwart christlicher Zuhörer sprechen, daß sie »die Nachkommen der Patriarchen«, »das Geschlecht der Gerechten«, »die Kinder der Propheten« sind15. Ohne Scheu durften sie ihre aufrichtige Meinung über das Christentum, über die Wundertätigkeit der Heiligen und Reliquien und über die Bilderverehrung äußern16. Christen besuchten die Synagogen, erbauten sich an dem jüdischen Gottesdienst und, merkwürdig genug, fanden mehr Geschmack an den Vorträgen der jüdischen Kanzelredner (Darschanim) als an den Predigten der Geistlichen17, obwohl jene schwerlich den [233] tiefen Inhalt des Judentums auseinanderzusetzen imstande waren. Jedenfalls müssen wohl damals die jüdischen Kanzelredner in der Landessprache vorgetragen haben. Hochgestellte Geistliche trugen keine Scheu, von den Juden die Auslegung der heiligen Schrift zu lernen. Wenigstens gesteht es der Abt Rhabanus Maurus von Fulda ein, daß er von den Juden manches gelernt und in seine Kommentarien zur heiligen Schrift, die er dem nachmaligen Kaiser Ludwig dem Deutschen gewidmet, verwebt habe18. Infolge der Begünstigung der Juden vom Hofe wurden einige Christen aus dem Volke für das Judentum eingenommen, sahen es als die wahre Religion an, fanden es überzeugender als die Christuslehre, beobachteten den Sabbat und arbeiteten am Sonntag19. Mit einem Worte, die Regierungszeit des Kaisers Ludwig des Frommen war für die Juden seines Reiches ein goldenes Zeitalter, wie sie es in Europa weder vorher noch später bis in die neuere Zeit erlebt haben.

Aber wenn der jüdische Stamm zu allen Zeiten Feinde hatte, so konnten sie in dieser Zeit den französischen Juden, eben weil diese sich in der Gunst des Hofes sonnten und auch beim Volke beliebt waren, und weil sie mit ihren Religionsansichten frei auftreten durften, gewiß nicht fehlen. Die Anhänger strenger Kirchlichkeit sahen in der Verletzung der kanonischen Gesetze zugunsten der Juden und in der ihnen gewährten Freiheit den Untergang des Christentums. Neid und Gehässigkeit versteckten sich hinter die Orthodoxie. Die Gönner der Juden bei Hofe, die Kaiserin an der Spitze, wurden ohnehin von der klerikalen Partei, die den Kaiser zu beherrschen trachtete, bitter gehaßt. Sie übertrug den Ingrimm gegen die freisinnige Partei am Hofe auf die Juden. Der Vertreter der kirchlichen Rechtgläubigkeit und des Judenhasses in dieser Zeit war Agobard, Bischof von Lyon, den die Kirche zum Heiligen gestempelt hat. Agobard war ein unruhiger, gallerfüllter Mann, dessen Leidenschaftlichkeit ihn bis zur Verleumdung der Kaiserin [234] Judith, bis zur Auflehnung gegen den Kaiser und bis zur Verführung der Prinzen hinriß. Er unterstützte die pflichtvergessenen Söhne des Kaisers, namentlich Lothar, die sich gegen den Vater auflehnten. Man nannte ihn daher den Achitophel, der den Absalom-Lothar gegen David-Ludwig aufstachelte. Dieser Bischof sann darauf, die Freiheit der Juden zu beschränken und sie wieder in die niedrige Stellung zurückzuweisen, die sie unter den entarteten merowingischen Königen eingenommen hatten. Ein geringfügiger Vorfall bot ihm eine Handhabe dazu20.

Die Sklavin eines angesehenen Juden von Lyon war ihrem Herrn entflohen und, um ihre Freiheit zu erlangen, hatte sie sich von Agobard taufen lassen (um 827)21. Die Juden sahen in diesem [235] Akte einen Eingriff in ihr verbrieftes Recht, und der Eigentümer verlangte die Auslieferung der ihm entlaufenen Sklavin. Da Agobard sich aber dessen weigerte, wandten sich die Juden an Eberard, den Meister der Juden, und er war sofort bereit ihnen kräftig zur Seite zu stehen. Er drohte dem Bischof, falls er die Sklavin nicht ihrem Herrn zurückerstattete, würde er vom Kaiser eine außerordentliche Kommission (Missi) mit Machtbefugnis versehen kommen lassen, die ihn durch Strafen zur Auslieferung zwingen werde. Das war der Anfang eines Streites zwischen Agobard und den Juden, welcher sich mehrere Jahre hinzog, zu vielen Verdrießlichkeiten Anlaß gab und zur Folge hatte, daß Agobard zuletzt seines Amtes entsetzt wurde. Es handelte sich für Agobard nicht um diese Sklavin, sondern um Aufrechterhaltung und Behauptung der die Juden beschränkenden kanonischen Gesetze.

In der Verlegenheit zwischen den Eingebungen seines Judenhasses und der Furcht vor Strafe, wandte sich Agobard an die Vertreter der kirchlichen Partei bei Hofe, an Wala, Abt von Corvey, und Hilduin, Abt von St. Denis und Erzkanzler, von denen er wußte, daß sie die Kaiserin und ihre Günstlinge, die Juden, gründlich haßten. Er bestürmte sie, daß sie es beim Kaiser durchsetzen möchten, die Freiheiten der Juden aufzuheben. In diesem Schreiben stellt er es so dar, als ob er von dem Privilegium der Juden nichts wüßte. »Die Juden verbreiteten ein Edikt, das sie vom Kaiser haben wollten, kraft dessen niemand einen Sklaven von ihnen ohne Einwilligung taufen dürfe. Ich aber kann durchaus nicht glauben, daß aus dem Munde des allerchristlichsten und frommen Kaisers ein der Kirchenregel so entgegengesetzter Spruch hervorgegangen sei.« Agobard klagt darin die Juden an, daß ihr verstockter Unglaube nicht nur verhindere, daß einer der Ihrigen zu Christi Glauben übergehe, sondern auch nicht aufhöre, die Gläubigen öffentlich und insgeheim zu schmähen und zu lästern. Er beruft sich auf das Beispiel der Apostel und Aposteljünger, welche Sklaven in den neuen Bund aufgenommen haben. Er möchte diesen Autoritäten [236] folgen, trage aber Bedenken, den Befehl, welcher im Namen des Kaisers gezeigt werde, zu übertreten. Er flehe daher Wala und Hilduin an, da sie die vorzüglichsten Gewissensräte des Kaisers seien, bei ihm Fürsprache für seine Unduldsamkeit einzulegen22.

Diese Männer scheinen sein Vorhaben beim Kaiser befürwortet zu haben; aber auch die judenfreundliche Partei war nicht untätig, die Umtriebe der Klerikalen zu durchkreuzen. Der Kaiser scheint hierauf den Bischof und die Vertreter des Judentums zur Austragung des Streitpunktes vorgeladen zu haben. Drei Personen wurden ernannt, die Parteien zu vernehmen: der schon genannte Wala, ein gewisser Adalhard (nicht des ersteren Bruder) und der Kanzler Helisachar, Abt von Trier. Agobard war bei diesem Verhör so voller Wut, daß er, wie er sich selbst ausdrückt, »mehr gebrummt als gesprochen hat«23. Darauf wurde Agobard zur Audienz beim Kaiser eingeführt. Als der Bischof vor Ludwig erschien, blickte ihn der Kaiser so finster an, daß er kein Wort hervorzubringen imstande war und weiter nichts vernahm, als den Befehl, sich zu entfernen. Beschämt und verwirrt kehrte der Bischof nach seinem Sprengel zurück. Bald erholte er sich aber von seiner Verwirrung und zettelte neue Umtriebe gegen die Juden an. Er schrieb in scheinbarer Demut an die drei Schiedsmänner und verlangte ihren Rat, was er zu tun oder zu lassen habe. »Wenn ich,« schreibt er, »den Juden oder ihren Sklaven die Taufe verweigerte, so fürchte ich die göttliche Verdammnis; wenn ich sie ihnen aber erteile, fürchte ich Anstoß zu erregen und kann feindseliger Angriffe auf mein Haus gewärtig sein«24. Das war aber nichts als Heuchelei, denn er ließ die Kanzeln des Lyoner Bistums von judenfeindlichen Predigten widerhallen. Den Pfarrkindern schärfte er ein, den Umgang mit Juden abzubrechen, von ihnen nichts zu kaufen und ihnen nichts zu verkaufen, an ihren Mahlen nicht Teil zu nehmen und nicht in ihren Dienst zu treten. Agobards Beweisführung und Redefigur war folgendermaßen: »Wenn jemand seinem Herrn in Liebe und Treue zugetan ist, so wird er nicht dulden, daß ihn ein anderer schmähe, und noch weniger würde er mit ihm freundlich verkehren oder gar sein Tischgenosse werden.« Nun verfluchten die Juden (wie Agobard lügenhaft sprach und schrieb) Christi Namen in ihren Gebeten, folglich dürften die Christen, wenn [237] sie ihren Herrn und Erlöser lieten, das nicht zugeben und noch weniger mit dessen Feinden Gemeinschaft machen25.

Wären die Juden nicht imstande gewesen, dieser alles Maß überschreitenden Gehässigkeit Schranken zu setzen, so hätten sie sich auf eine blutige Verfolgung gefaßt machen müssen, so sehr hatte Agobard böse Leidenschaften gegen sie aufgestachelt. Glücklicherweise waren die jüdischen Gönner bei Hofe für sie tätig, dem fanatischen Priester das Handwerk zu legen. Sobald sie Kunde von dessen Treiben erhielten, erwirkten sie vom Kaiser Schutzbriefe (Indiculi) mit dem kaiserlichen Insiegel versehen und sandten sie den Juden von Lyon zu. Ein Handschreiben war an den Bischof gerichtet, daß er seine geifernden Predigten bei Strafe einstellen, und ein anderes an den Statthalter des Lyoner Bezirkes, daß er den Juden Beistand leisten solle (826-27). Agobard kehrte sich aber nicht an diese Schreiben und schützte aus Böswilligkeit vor, die kaiserlichen Handschreiben seien nicht echt und könnten es auch nicht sein. Darauf begab sich der Judenmeister Eberard zu ihm, um ihm den Zorn des Kaisers gegen seine Auflehnung zu verkünden. Aber er blieb so hartnäckig, daß der Kaiser zwei Kommissarien, Gerrik und Friedrich, hochgestellte Edelleute des Hofes, mit Vollmachten versehen, absenden mußte, um den tobenden und aufrührerischen Bischof zur Vernunft zu bringen. Agobard war aber bei der Ankunft der Kommissarien abwesend und also für den Augenblick vor Demütigung geschützt. Welche Machtmittel die Kommissarien gegen ihn anzuwenden angewiesen waren, ist nicht recht klar. Aber sie müssen sehr strenge gewesen sein; denn die wenigen Geistlichen, die an Agobards Treiben beteiligt waren, wagten nicht, sich zu zeigen26. Bezeichnend ist es aber, daß die Bevölkerung von Lyon keineswegs für ihren Bischof Partei gegen die Juden genommen hat.

Haman-Agobard ruhte aber nicht in seinen judenfeindlichen Bestrebungen. Er wollte den Gönnern der Juden bei Hofe entgegenarbeiten, dem Kaiser ins Gewissen reden und ihn gegen die Juden einnehmen. Vielleicht war er schon damals von den Plänen der Verschworenen Wala, Helisachar und Hilduin unterrichtet, welche die Söhne des Kaisers aus erster Ehe gegen die Kaiserin und den Erzkanzler Bernhard aufreizen wollten, weil diese den Kaiser bewogen hatten, eine neue Teilung des Reiches zugunsten des Sohnes von der Judith zu entwerfen. Denn Agobard setzte von jetzt an jede [238] Scheu bei Seite und trat ganz entschieden auf, als ahnte er, daß die judenfreundliche Partei ihrem Sturze nahe sei. Er wandte sich an die Bischöfe des Reiches, daß sie dem Kaiser sein Unrecht vorhalten und ihn bestimmen möchten, die Scheidewand zwischen Juden und Christen, wie sie zur Zeit der Merowinger bestanden, wieder aufzurichten. Von Agobards Sendschreiben an die Prälaten ist nur ein einziges vorhanden, das an den Bischof Nibridius von Narbonne27. Es ist voller Galle gegen die Juden und interessant sowohl wegen des finsteren Geistes seines Absenders, als auch wegen der Geständnisse, die er darin macht. Er erzählt Nibridius, daß er auf einer Rundreise in seinem Sprengel seinen Pfarrkindern eingeschärft habe, den vertrauten Umgang mit Juden abzubrechen. Denn es sei unwürdig, daß die Söhne des Lichtes sich mit den Söhnen der Finsternis beflecken sollten, und daß »die makel- und runzellose Kirche, die sich für die Umarmungen des himmlischen Bräutigams vorbereiten müsse, sich durch die Verbindung mit der befleckten, runzligen und verstoßenen Synagoge« entehren sollte. Es sei sündhaft, daß die jungfräuliche Braut Christi die Mahle der Buhlerin genießen und durch die Gemeinschaftlichkeit von Speise und Trank nicht bloß in mannigfaltige Laster verfallen, sondern auch Gefahr laufen sollte, den Glauben einzubüßen. »Denn aus allzugroßer Vertraulichkeit und fleißigem Zusammenleben beobachten einige von Christi Herde mit den Juden den Sabbat und verletzen den Sonntag durch Arbeit und vernachlässigen die Fasten.« Im Verlaufe des Sendschreibens berichtet Agobard, daß er wahrgenommen, wie einige Christen dem Judentum zugetan waren, und er dem täglich sich mehrenden Übel mit vieler Anstrengung habe steuern wollen, deshalb habe er seinen Beichtkindern befohlen, sich des Umgangs mit Juden und freundlicher Nachbarschaft mit ihnen zu enthalten, wie Mose ehemals den Juden befohlen, den Umgang mit Heiden zu meiden. Denn der Einfluß der Juden auf die einfachen Gemüter sei bedeutend. Während es den Christen nicht gelingen wolle, bei allem Entgegenkommen auch nur eine einzige jüdische Seele für das Christentum zu gewinnen, habe sich ein Teil der Christen bei den gemeinschaftlichen Mahlen auch an der geistigen Speise der Juden gesättigt. Wiewohl ihn der Magister der Juden, Eberard, und die Kommissarien im Namen des Kaisers an dem guten Werke zu [239] hindern suchten, so habe er sich bisher nicht daran gekehrt. Endlich forderte er den Bischof von Narbonne auf, seinerseits die Gemeinschaft der Christen mit Juden zu hindern und seine Mitbi schöfe und Geistlichen zu demselben Verhalten zu bewegen; denn die Juden, die unter dem Gesetze stehen, stehen zugleich unter dem Fluche, der sie umgibt wie ein Gewand, in sie eindringt wie Wasser. Diejenigen, welche die apostolische Heilsverkündigung verwerfen, müssen nicht bloß gemieden werden, sondern sind auch dem Strafgericht verfallen, gegen welches der Untergang Sodoms und Gomorrhas noch milde zu nennen ist28.

So sehr auch Agobards giftiger Judenhaß als ein Ausfluß seines Gemütes zu betrachten ist, so kann man nicht leugnen, daß er sich damit vollständig auf dem Boden der Kirchenlehre befunden hat. Er beruft sich mit Recht auf die apostolischen Aussprüche und kanonischen Gesetze; die geheiligten Konzilienbeschlüsse waren allerdings auf seiner Seite. Agobard mit seinem glühenden Hasse befand sich auf dem Standpunkte der Rechtgläubigkeit, während Kaiser Ludwig mit seiner Milde auf dem Wege der Ketzerei war. Agobard wagte aber nicht, diesen Gedanken laut werden zu lassen; er äußert sich vielmehr in dem Sinne, daß er unmöglich glauben könne, der Kaiser habe die Kirche an die Juden verraten. Daher fand auch seine Klage Widerhall in den Herzen der Kirchenfürsten. Es versammelten sich eine Reihe von Bischöfen in Lyon, welche Beratung hielten, wie die Juden zu demütigen wären, wie man ihr friedliches Leben stören, wie man den Kaiser selbst zur Annahme der Beschlüsse bewegen könnte. Es beteiligten sich an diesem judenfeindlichen Konzil unter andern Bernhard, Bischof von Brienne, und Eaof, Bischof von Châlons. Die Mitglieder beschlossen, dem Kaiser ein Schreiben einzureichen, ihm das Sündhafte und Gefährliche der Judenbegünstigung auseinanderzusetzen und die Punkte zu formulieren, welche abgestellt werden sollten (829). Das Synodalschreiben, wie es uns vorliegt, ist nur von drei Bischöfen unterzeichnet, von Agobard, Bernhard und Eaof unter dem Titel: »vom Aberglauben der Juden« (de judaïcis superstitionibus)29. Voran ging eine Einleitung von Agobard, worin er sein Verhalten in diesem Streite auseinandersetzt. Daß der Bischof sein Verfahren zu rechtfertigen [240] versucht hat, ist ganz in Ordnung. Von kirchlichem Standpunkte aus hatte er, wie gesagt, so ganz Unrecht nicht. Aber es ist interessant, daß er manche Tat und manches Wort zu beschönigen und zu mildern gezwungen ist, um nicht als Feind der Juden, sondern als Eiferer für den Glauben zu erscheinen. Nur hin und wieder vermag er seinen Ingrimm nicht zurückzuhalten und verrät seine wahre Gesinnung. Freilich greift er öfter zu lügenhaften Erfindungen und Übertreibungen, um den frommen Kaiser aufzustacheln. Nächst den Juden galt Agobards Anklage den Judenfreunden bei Hofe, die an allem schuld seien.

Er behauptete in diesem Einleitungsschreiben, die Kommissarien Gerrik und Friedrich samt Eberard, die zwar im Namen des Kaisers auftraten, aber sicherlich nur im Namen eines andern (des Satans) handelten, hätten sich den Christen fürchterlich und den Juden sehr zutunlich gezeigt. Wenn er auch verschweige, wie sehr sie ihn selbst verfolgten, so dürfe er doch die Leiden, die sie der Kirche zugefügt, der sie Seufzer und Tränen ausgepreßt, nicht mit Stillschweigen übergehen. Durch die Vorschubleistung der Kommissarien aufgebläht, hätten sich die Juden in deren Gegenwart nicht gescheut, Jesus zu schmähen. Der Kamm sei den Juden dadurch gewachsen, weil die Kommissarien einigen ins Ohr flüsterten, die Juden seien nicht so verabscheuungswürdig, wie viele glaubten, sondern dem Kaiser suhr teuer. Er und die Eiferer für den Glauben seien von den Gönnern der Juden übel behandelt worden, obgleich er weiter nichts getan, als seinen Pfarrkindern einzuschärfen, daß sie den Juden nicht christliche Sklaven verkaufen, noch zugeben, daß sie solche nach Spanien verkauften, daß Christen nicht bei Juden dienen, nicht mit ihnen den Sabbat feiern, nicht mit ihnen an den Fasten Fleischspeisen genießen, auch nicht Fleisch von den Juden kaufen sollten, weil sie nur das verkauften, was ihnen zum Genusse verboten ist, das sie sogar beleidigend christliches Vieh (christiana pecora) nennen. Auch verkauften die Juden nur solchen Wein, den sie nicht trinken mögen, weil ihn die Christen berührt hätten. Wie gemildert und geschwächt erscheint diese Darstellung gegen das Geständnis, das Agobard vor Nibridius abgelegt, er habe den Christen seines Sprengels gepredigt, sich von den Juden fern zu halten und nicht an deren Tafel teilzunehmen! Im weiteren Verlaufe hebt der Ankläger die schon von Hieronymus geltend gemachte Unwahrheit hervor, daß die Juden Jesus täglich in ihren Gebeten schmähten. Trotzdem habe er, der Bischof, das [241] von der Kirche gegen sie vorgeschriebene Verhalten beobachtet, habe ihnen nichts Böses zugefügt, ihr Leben, Gesundheit und Vermögen unverletzt gelassen. Denn man müsse die Juden vorsichtig behandeln. Allein sie mißbrauchten diese Nachsicht, weil sie sich der Gunst und Zuvorkommenheit von seiten des Hofes und der Großen erfreuen. Durch die Verfolgung, die er erfahren, werden die einfältigen Christen verleitet, in den Juden etwas Besseres zu erblicken.

Er wolle daher auseinandersetzen, wie die Leiter der gallischen Kirche, Könige wie Bischöfe, auf den Konzilien sich angelegen sein ließen, die Christen von der Gemeinschaft der Juden fern zu halten; dies stimme mit den Aussprüchen der Apostel vollkommen überein und könne sogar aus dem alten Testamente belegt werden. Zugleich wollte er beweisen, wie niedrig und unwürdig die Juden von Gott denken. Dieses alles haben er und seine Mitbischöfe in einem Schreiben zusammengestellt. Zuletzt erzählt Agobard dem Könige ein haarsträubendes Märchen, das, wenn es wirklich auf Tatsachen beruhte, auf die Christen damaliger Zeit nicht minder ein grelles Licht würfe als auf die Juden. Christen hätten freie Männer, ihre eigenen Glaubensgenossen, den Juden als Sklaven verkauft, und diese hätten sie nach Spanien spediert, oder auch die Juden hätten Christenknaben gestohlen und als Sklaven verkauft. Das habe ihm ein Flüchtling aus Cordova erzählt, der vor mehr als zwanzig Jahren von einem Juden aus Lyon dahin verhandelt worden wäre30. Agobard verstand es schon, sämtliche Juden für das Verbrechen eines einzelnen verantwortlich zu machen. Indessen verfiel weder er, noch seine Zeit auf die schamlose Anklage, daß die Juden Christenkinder schlachteten und ihr Blut tränken. Aber vorbereitet hat er sie jedenfalls.

In der Hauptschrift, welche Agobard mit den zwei genannten Bischöfen überreichte, suchten sie den Kaiser Ludwig noch mehr gegen die Juden einzunehmen. Die dringende Notwendigkeit, sagten sie, gebiete ihnen, dem Kaiser vorzustellen, welche Vorsicht man gegen den Unglauben, Aberglauben und die Irrtümer der Juden gebrauchen müsse, und die Leiter der gallischen Kirche seien darin mit dem besten Beispiele vorangegangen. Es sei ihre Pflicht, aufmerksam zu machen, welcher Schaden den gläubigen Seelen durch das Gefäß des [242] Teufels, die Juden nämlich, drohe; an dem Kaiser sei es, vermöge seiner Frömmigkeit Mittel dagegen anzuwenden. Dann lassen sie die Beispiele des Menschenhasses folgen. Der heilige Hilarius habe Juden und Ketzer nicht einmal eines Grußes gewürdigt. Der heilige Ambrosius habe einem Kaiser der Juden wegen getrotzt. Die Heiligen Cyprianus und Athanasius, die Vorbilder der gallischen Kirche, haben den Gläubigen eingeschärft, den befleckenden Umgang mit Juden zu meiden. Das Konzil von Epaon, von vierundzwanzig Bischöfen gehalten, habe den kanonischen Beschluß geheiligt, daß kein christlicher Laie Tischgenosse eines Juden werden solle, und kein Bischof bei Verlust seiner Seligkeit in alle Ewigkeit diesen Beschluß rückgängig machen dürfe. Dasselbe habe die Synode von Agde bekräftigt, und das Konzil von Maçon habe noch hinzugefügt, daß Juden keine Richter über Christen, nicht einmal Steuerpächter werden dürfen, um keine Gewalt über Christenmenschen auszuüben, daß Juden in der Osterwoche sich auch nicht auf Straßen und Plätzen blicken lassen sollten, daß sie den Geistlichen demütige Ehrfurcht zu erweisen hätten, und daß sie keine christlichen Leibeigene halten dürften.

Die Bischöfe, die Vertreter der kirchlichen Rechtgläubigkeit jener Zeit, führten dann dem Kaiser das Beispiel des Evangelisten Johannes und dessen Jüngers Polykarpus an, wie sie die Nähe der Ketzer Cerinth und Marcion geflohen seien. »Nun sind«, so folgerten sie weiter, »die Juden noch viel schlimmer als Ketzer, die doch das Christentum zum Teil haben und an Jesus glauben.« Die Juden seien daher mehr noch als Ketzer zu fliehen und zu meiden. Dann erzählten sie in der Denkschrift, die Juden hätten unwürdige Vorstellungen von Gott, indem sie sich ihn körperlich mit Gliedmaßen versehen dächten (d.h. nur die Mystiker o. S. 211). Sie behaupteten, die Buchstaben der Thora hätten vor der Weltschöpfung existiert, und daß es mehrere Erden, Himmel und Höllen gäbe. Kein Blatt des alten Testaments wäre frei von Fabeleien, welche die Juden hinzugedichtet hätten und noch immer hinzudichteten. Agobard und seine Mitbischöfe sahen, wenn sie den Aberglauben der damaligen Juden in Frankreich anklagten, recht gut den Splitter in den Augen anderer, aber nicht den Balken in den eigenen. Indem sie ferner hervorhoben, daß die Juden sich blasphemierende Geschichtchen von Jesus erzählten, kamen sie auf die Schlußfolgerungen. Da die Juden den Sohn verleugnen, verdienen sie auch den Vater [243] nicht, und da sie noch dazu Jesu jungfräuliche Geburt nicht anerkennen, so seien sie die wahren Antichristen. Wenn die Gönner der Juden meinen, man müsse sie wegen ihrer großen Ahnen, der Patriarchen, ehren, und daß sie wegen dieser edlen Abstammung vorzüglicher seien als die Christen, so müßte man die Sarazenen (Araber) ebenfalls hochhalten. Denn auch sie stammen von Abraham ab. Die Juden seien aber, weit entfernt, edler als die Christen zu sein, noch schlimmer als Sarazenen und Agarener, die doch Gottes Sohn mindestens nicht getötet haben31.

Vom Standpunkte des Glaubens und der kanonischen Gesetze war die Beweisführung Agobards und der anderen Bischöfe unwiderleglich, und, wenn der Kaiser Ludwig der Fromme auf diese Logik etwas gegeben hätte, so hätte er die Juden seines Reiches mit Stumpf und Stiel vertilgen müssen. Er gab aber glücklicherweise gar nichts darauf, entweder, weil er Agobards Gesinnung kannte, oder, weil ihm vielleicht die Anklageschriften gegen die Juden gar nicht zu Gesichte kamen, indem – wie Agobard fürchtete – die Freunde der Juden bei Hofe sie gar nicht vorlegen ließen. Der judenfeindliche Bischof von Lyon rächte sich aber dafür, indem er sich ein Jahr darauf (830) an der Verschwörung gegen die Kaiserin Judith und ihre Freunde beteiligte, und sogar sich den entarteten Söhnen anschloß, welche den Vater entthronen und demütigen wollten und ihr Vorhaben zum Teil auch ausgeführt haben. Agobard wurde daher seiner Bischofswürde entkleidet und mußte nach Italien entfliehen. Später gab ihm Ludwigs Langmut seine Würde zurück; aber er unternahm nichts mehr gegen die Juden.

Bis an sein Lebensende blieb Ludwig den Juden gewogen, obwohl sein frommes Gemüt durch den Übertritt eines seiner Lieblinge zum Judentume tief verwundet wurde, und diese Tatsache ihn gegen sie hätte erbittern können. Die Bekehrung des Edelmanns und hohen Geistlichen Bodo zum Judentume hat zu ihrer Zeit viel Aufsehen gemacht. Die Chroniken berichten darüber, wie über Kalamitäten von Heuschreckenschwärmen, Kometenerscheinungen, Überschwemmungen und Erdbeben. Der Fall war in der Tat von außergewöhnlichen Umständen begleitet und geeignet, fromme Christenseelen stutzig zu machen. Bodo oder Puoto, aus einem alten [244] alemannischen Geschlechte, weltlich und geistlich unterrichtet, war Geistlicher geworden und nahm den Rang eines Diakonus ein. Der Kaiser war ihm sehr gewogen und ernannte ihn zu seinem Seelsorger, um ihn stets bei sich zu haben. In fromm-katholischer Gesinnung hatte sich Bodo die Erlaubnis erbeten, nach Rom ziehen zu dürfen, dort den Segen des Papstes zu empfangen, und an den Gräbern der Apostel und Märtyrer zu beten. Der Kaiser gewährte ihm diesen Wunsch, entließ ihn und gab ihm reiche Geschenke mit. Aber anstatt in der Hauptstadt der Christenheit in seinem Glauben gestärkt zu werden, faßte Bodo gerade dort eine tiefe Vorliebe für das Judentum. Die Veranlassung dazu ist unbekannt geblieben. Sollte vielleicht die an Ludwigs Hofe günstige Stimmung für Juden und Judentum ihn angeregt haben, darüber nachzudenken, beide Religionsformen miteinander zu vergleichen und die Vorzüge des Judentums herauszufinden? Das unsittliche Treiben der Geistlichen in der christlichen Hauptstadt – welches Veranlassung gab zur Satire von der Päpstin Johanna, die Petri Stuhl besudelt hat – und ihre Unflätigkeit überall, selbst in den Kirchen, hat ihn mit Ekel erfüllt und ihn dem sittenreinen Judentume näher gebracht. Er schrieb selbst später, daß er und andere Geistliche in den Kirchen mit verschiedenen Frauen Unzucht getrieben habe. Die christliche Rechtgläubigkeit, ohne nach dem wahren Grunde von Bodos Gesinnungsänderung zu forschen und in sich zu gehen, war mit der Antwort bei der Hand: Satan, der Feind des Menschengeschlechts und der Kirche, habe ihn dazu verleitet. Oder man sagte sich, die Juden hätten ihn dazu beredet.

Bodo reiste also stracks von Rom nach Spanien, ohne Frankreich und den Hof zu berühren, um dort förmlich zum Judentum überzutreten, riß sich von Vaterland, Ehrenstellen und freundschaftlichen Kreisen los, ließ sich in Saragossa beschneiden, nahm den Namen Eleasar an und ließ sich den Bart wachsen (August 839). Von seinem Gefolge, das er zur Annahme des Judentums bewegen wollte, blieb nur sein Neffe bei ihm. Liebe war keineswegs der Beweggrund von Bodo-Eleasars Religionswechsel. Denn er heiratete erst in Saragossa eine Jüdin, scheint in den Militärstand bei einem arabischen Fürsten getreten zu sein und empfand einen so grimmigen Haß gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen, daß er dem mohammedanischen Herrscher von Spanien zugeredet hat, keinen Christen in seinem Lande zu dulden, sondern sie zu zwingen, entweder den [245] Islam oder das Judentum anzunehmen. Darauf sollen sich die spanischen Christen hilfeflehend an den Kaiser von Frankreich und an die Bischöfe gewandt haben, alles aufzubieten, um sich diesen gefährlichen Apostaten ausliefern zu lassen32.

Kaiser Ludwig war allerdings, wie schon erwähnt, über Bodos Übertritt zum Judentum im ganzen tief betroffen und trauerte darüber. Allein er ließ die Juden seinen Schmerz nicht empfinden und machte sich keinen Vorwurf daraus, sie begünstigt und Bodos Abfall vielleicht auf dem Gewissen zu haben. Er fuhr fort, die Juden gegen Ungerechtigkeiten zu schützen und bewies es bei einem Rechtsfalle, der einige Monate nach Bodos Bekehrung zu seiner Kenntnis gelangte33. Eine jüdische Familie, ein Vater, mit Namen Gaudiocus und zwei Söhne, Jacob und Viva tius, besaß nämlich Landgüter in Septimanien (im Süden Frankreichs) mit Äckern, Weinbergen, Wiesen, Mühlen, Gewässern und anderen Zugehörigkeiten. Einige übelwollende Personen machten sie den Juden streitig, man weiß nicht unter welchem Vorwande. Sobald der Kaiser Ludwig Kunde davon erhielt, bestätigte er nicht nur den Juden ihre Besitzungen und Rechte, sondern sprach auch den Grundsatz aus, daß, wenngleich die apostolischen Gesetze ihn nur verpflichteten, für die Wohlfahrt der Christen Sorge zu tragen, sie ihn doch nicht hinderten, seine Gerechtigkeit und sein Wohlwollen allen Untertanen zuteil werden zu lassen, zu welchem Bekenntnis sie auch gehören mochten (Februar 939). Wahrlich, dieser ebenso menschliche wie [246] fromme Fürst hat weit eher den Namen »der Große« verdient, als mancher Despot und Glückzerstörer in der Geschichte, da er in einer barbarischen, bigotten, unmenschlichen Zeit edle, menschliche Gesinnung zu wahren gewußt hat! Von Ludwig dem Frommen rührt wohl der anfangs gutgemeinte Gedanke her, der sich durch das ganze Mittelalter hindurchzieht, daß der Kaiser der natürliche Schutzherr der Juden sei, und, daß sie gewissermaßen als seine Klienten unantastbar seien34.


Fußnoten

1 [Vgl. hierüber Regesten Nr. 81-83.]


2 Quia inter nos vivunt (Judaei) et maligni eis esse non debemus, nec vitae, nec sanitati, vel divitiis corum contrarii. Agobard, de insolentia Judaeorum in dessen opera, ed. Baluze, T. I, p. 63.


3 Bouquet, recueil des historiens des Gaules II, p. 649, 50.


4 Agobard a.a.O. p. 61; Rhabani Mauri (richtiger Amolonis) epistola sive liber contra Judaeos (in der Sammlung von Chifflet scriptorum veterum quinque opuscula, Dijon 1656), c. 41; Bouquet das. IV, chartae Ludovici Pii No. 33-34.


5 Agobard das. 65. Mercata, quae in sabbatis solebant fieri, transmutari praeceperunt (missi regis) – dicentes hoc Christianorum utilitati propter diei dominici vacationem congruere – ne sabbatismus eorum (Judaeorum) impediretur.


6 Bouquet das.


7 Das.


8 Rhabani (Amolonis) epistola: quod quidam ipsorum (Judaeorum) in nonnullis civitatibus telonarii in licite consistuntur.


9 Agobard p. 105. Everardus, qui Judaeorum nunc magister est.


10 Rhabanus' Widmungsschreiben bei Bouquet, recueil IV, p. 355.


11 Agobard de insolentia Judaeorum p. 64: Fautores Judaeorum – illos – laetificantes patriarcharum causa honorandos esse putant. – Quod cari sint (Judaei) vobis (imperatori) propter patriarchas. [Über Rhabanus' Verkehr mit schriftkundigen Juden vgl. Regesten Nr. 101.]


12 Rhabani epistola c. 24: Breviter amonendum putamus, ut etiam libri Josephus et Philo, homines quidem docti, sed Judaei impii exsiterunt, quia eos nonnuli nostrum nimis ammirari soleant et plus etiam quam divinas litteras legere dilectant.


13 Agobard de insolentia Judaeorum. Quod excellentissimae personae capiant eorum (Judaeorum) orationes et benedictiones et fateantur, talem se legis auctorem habere velle, qualem ipsi habent. Agobard verschweigt geflissentlich die Namen der jüdischen Gönner, er will dem Kaiser gegenüber die Kaiserin nicht anklagen.


14 Das. Quod honorabiliter ingrediantur (Judaei) in conspectu vestro et egrediantur; dum ostendunt vestes muliebres, quasi a consanguineis vestris et matronis Palatinorum uxoribus eorum directas.


15 Agobard das. 103: Dum se patriarcharum progeniem, justorum genus, Prophetarum sobolem superbo ore perloquuntur (Judaei), ignorantibus (Christianis), qui haec audient.


16 Das. S. 77.


17 Das. 64: Ad hoc pervenitur, ut dicant imperiti Christiani, melius eis praedicari Judaeos quam presbyteros nostros. Ebenso Amolo a.a.O. c. 41. Et cum eis servos Christianos habere non liceat, habent servientes sibi liberos Christianos, in quibus tantum proficiat eorum impietas – ut dicant, melius eos sibi praedicari quam presbyteros nostros.


18 Rhabanus Maurus, praefatio in reges: Praeterea Hebraei cujusdam modernis temporibus in legis scientia capitulis traditionem Hebraeorum non paucis locis simul cum nota nominis ejus inserui. Ebenso in der praefatio in Paralipomena.


19 Agobard de insolentia Judaeorum 107: Unde et in tantum grave pelagus nonnulli ex vulgaribus ac rusticis abducuntur, ut hunc solum Dei esse populum, apud hos (Judaeos) piae religionis observantiam, ac multo certiorem quam nostra sit fidem – et ore impio inter pares et consimiles fateantur. Vgl. Amolo a.a.O. c. 61.


20 [Das Auftreten Agobards gegen die Juden ist jedenfalls noch vor 825 anzusetzen.]


21 Um die chronologische Aufeinanderfolge der judenfeindlichen Schriften Agobards, die in mancher Beziehung merkwürdig sind, festzustellen, muß Folgendes erwogen werden. Bouquet setzt die »Consultatio ad Adalhardem, Walam et Helisachar« vor das Jahr 826, als das Todesjahr des Abtes Adalhard von Corvey (Recueil IV. p. 385. Note), und das Sendschreiben an den Abt Wala und Hilduin (epistola ad proceres Palatii) ins Jahr 828. Allein gerade die letzte Schrift scheint Agobards erste Streitschrift gewesen zu sein. Denn in derselben setzt er die Geschichte von der getauften Sklavin als etwas Unbekanntes auseinander; nunc autem causam hujus persecutionis – me vobis significante – cognoscere dignamini (ed. Baluz, p. 192.) In dem erstgenannten Schreiben, der consultatio, dagegen setzt Agobard das Faktum als bekannt voraus: praefata de causa (das. p. 191). Der Adalhard in diesem Schreiben braucht nicht gerade der Abt von Corvey gewesen zu sein, da es mehrere hochgestellte Personen dieses Namens unter Ludwig gegeben hat. Hingegen da Wala in dem Sendschreiben ad proceres »Abt« tituliert wird, so folgt daraus, daß es nach 826 geschrieben wurde, da Wala diesen Titel erst nach dem Tode seines Bruders Adalhard von Corvey erhielt. Die Schriften de judaïcis superstitionibus und de insolentia Judaeorum, beide gleichzeitig, die letzte von Agobard allein, und die erste von ihm und den Bischöfen Bernhard und Eaof verfaßt, setzt Baluz mit Recht in das Jahr 829, weil darin die Kirchenversammlung zu Lyon über diesen Gegenstand erwähnt wird, und diese 829 stattfand. Hingegen scheint die Schrift ad Nibridium dem Konzil vorangegangen zu sein, da sie das Zustandekommen eines solchen veranlassen will. Die Reihenfolge der Agobardschen judenfeindlichen Schriften ist demnach: 1) Epistola ad proceres Palatii Walam et Hilduin; 2) Consultatio ad proceres; 3) Ad Nibridium; 4) und 5) De judaïcis superstitionibus und de insolentia Judaeorum. Diese Schriften sind ins Deutsche übersetzt worden von Dr. Emanuel Samostz, Leipzig, bei Hunger 1852. [Über Agobards Auftreten gegen die Juden vgl. Simson, Ludwig der Fromme, Teil I S. 393, Foß im Archiv zur Förderung christlicher Literatur Jahrg. 1897, Abschnitt 8, Eichner in Hilgenfelds ZwTh Bd. 41, S. 514-552, Regesten Nr. 84 ff. Theodor Reinach in Actes et conférences de la Société des Études juives, (Beilage zur RÉJ, Jahrg. 1905.) Über die Chronologie der judenfeindlichen Schriften Agobards, abweichend von des Verfassers Anordnung, vgl. Simson a.a.O. S. 393 ff., Regesten Nr. 84, Reinach a.a.O. S. XCV.]


22 Agobards Sendschreiben Nr. 1.


23 Sendschreiben Nr. 2. Dilectio vestra audivit me mussitantem potius quam loquentem.


24 Ders. bei Baluze, p. 99 f.


25 Sendschreiben Nr. 3 und 5.


26 Sendschreiben Nr. 5.


27 [Über dieses vgl. jetzt Régné a.a.O. S. 30 ff.]


28 Sendschreiben Nr. 3.


29 [Gemeint sind vielleicht Schriften, wie Schiur Komah u. dgl., die Agobard, wenn auch nur aus zweiter Quelle, gekannt hat.]


30 Sendschreiben Nr. 4.


31 Sendschreiben Nr. 5.


32 Hauptquelle für diese Nachricht ist Rhabani Mauri (richtiger Amolonis) epistola contra Judaeos c. 42. Quod enim nunquam antea gestum meminimus, seductus est ab eis (Judaeis) Diaconus palatinus, nobiliter nutritus, et in ecclesiae officiis exercitatus et apud principem bene habitus, ita ut deseruit penitus Christianorum regnum et nunc apud Hispaniam inter saracenos Judaeis sociatus persuasus est, circumcisionem carnalem accipere, nomen sibi mutare, ut qui antea Bodo nunc Eleazar appellatur. Vgl. annales Bertiniani oder Prudentii Trecensis bei Bouquet, recueil des historiens, VI, p. 200 f. Duchesne, T. III, p. 156. Pertz, monumenta Germaniae I, 49, 65 und 442. Der Chronikstil für dieses Faktum lautet: Puoto diaconus de palatio humani generis hoste pellectus, lapsus est in Judaismum. Interessant sind epistolae Alvari et Eleazari bei Florez, España sagrada, XVII, p. 178 ff., XVIII, Anf. [Vgl. Regesten Nr. 103 Ende.]


33 [Der hier angeführte Fall trug sich im Februar 839 zu, also noch vor Bodos Übertritt. Vgl. Regesten Nr. 102 und 103 Ende betresf des Datums von Bodos Übertritt.]


34 Bouquet, recueil, pag. 624. CCXXXII. Die Formel für den den Juden gewährten kaiserlichen Schutz lautete: Domatum Rabbi et Samuelem nepotem ejus sub nostra defensione oder sub nostro mundeburdo suscepimus. Bouquet das. 624, Nr. 32-34.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1909, Band 5, S. 248.
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