2. Kapitel. Rundblick. (Fortsetzung).

[22] Hebung und Sittenverbesserung Jerusalems. Obadja di Bertinoro und Isaak Schalal. Safet und Joseph Saragossi. Die Juden in der Türkei, Suleimann I. und Mose Hamon. Die Gemeinde von Konstantinopel. Elia Misrachi; die Karäer. Der Kehaja Schaltiel. Die Gemeinde von Salonichi und Adrianopel. Die griechischen Gemeinden. Elia Kapsali, Rabbiner und Geschichtserzähler. Die Juden in Italien und die Päpste; Bonet de Lates. Das erste Ghetto in Venedig. Samuel Abrabanel und Benvenida Abrabanela. Abraham Farissol und sein Verkehr am Hofe von Ferrara. Die deutschen Juden und ihre Plagen. Jakob Loans und Joseph Joselin von Rosheim. Vertreibung der Juden aus Steiermark, Kärnten, Krain, Nürnberg und andern Städten. Die Juden in Böhmen. Jakob Polak und seine Schule. Die Juden in Polen und die deutschen Einwanderer.


(1496 bis 1525.)

Durch die Einwanderung der Spanier und Portugiesen erhielt auch Jerusalem und mehrere palästinensische Städte einen großen Zuwachs an Gemeindemitgliedern und eine hohe Bedeutung, und auch hier wurden diese binnen kurzer Zeit ganz besonders Stimmführer und Tonangeber. In der allerkürzesten Zeit von sieben Jahren (1488 bis 1495) war die Zahl der Juden in der heiligen Stadt von kaum siebzig auf zweihundert Familien angewachsen, und wiederum in einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten (1495 bis 1521) war sie von zweihundert auf fünfzehnhundert gestiegen.1 Der Wohlstand der jüdischen Bewohner Jerusalems hatte sich durch den Zufluß neuer Ansiedler außerordentlich gehoben. Während früher fast sämtliche Gemeindemitglieder beinah bettelarm waren, gab es drei Jahrzehnte später nur noch zweihundert Almosenempfänger. Was noch höher [22] anzuschlagen ist, auch die Sittlichkeit hatte sich durch die Einwanderer bedeutend gehoben. Jerusalem war nicht mehr die Räuberhöhle, welche Obadja di Bertinoro angetroffen hatte. Die Gemeindemitglieder wurden nicht mehr von einem habsüchtigen, gewalttätigen, verräterischen Vorstand bis aufs Blut gequält und zur Verzweiflung oder zur Auswanderung getrieben;2 Eintracht, Verträglichkeit, Gerechtigkeitsgefühl und Ruhe waren in ihrer Mitte eingekehrt. Es herrschte zwar darin eine übertriebene äußerliche Frömmigkeit vor; aber diese stand nicht mehr in grellem Widerspruche zu einem empörend unsittlichen Lebenswandel. Viel, sehr viel hatte zu dieser Hebung der Sittlichkeit und der Gesinnung in Jerusalem der sanfte und liebenswürdige italienische Prediger Obadjadi Bertinoro beigetragen, der mehr als zwei Jahrzehnte der anwachsenden Gemeinde mit Wort und Beispiel innige Religiosität, Gesinnungsadel und Entwöhnung von barbarischer Roheit lehrte. Als er in Jerusalem eingetroffen war, schrieb er an seine Verwandten: »Wenn es in diesem Lande einen einsichtsvollen Juden gäbe, der die Leitung einer größeren Körperschaft mit Billigkeit und Sanftmut verstände, so würden sich ihm nicht bloß die Juden, sondern auch die Mohammedaner gern fügen, denn die letzteren sind gar nicht judenfeindlich gesinnt, vielmehr voller Rücksicht gegen Fremde. Allein es gibt keinen einzigen Juden von Einsicht und geselligen Tugenden in diesem Lande, sondern alle sind sie roh, menschenfeindlich und gewinnsüchtig«.3 Damals ahnte di Bertinoro nicht, daß ihm selbst diese schöne Rolle zufallen würde, die Roheit zu sänftigen, die Unsittlichkeit zu verbessern, die Niedrigkeit zu veredeln. Mit seinem milden, herzgewinnenden Wesen entwaffnete er die Bosheit und heilte die Schäden, welche er in der Jerusalemer Gemeinde angetroffen, beklagt und schonungslos aufgedeckt hatte. Obadja di Bertinoro war ein Segenspender für die heilige Stadt, entfernte den Schmutz von ihr und umgab sie mit einem sauberen Feierkleide. »Wollte ich sein Lob verkünden,« so berichtete von ihm ein italienischer Jerusalempilger, »würde ich nicht fertig werden. Er ist der angesehenste Mann im Lande, und nach seinem Befehl wird alles geleitet, seinen Worten wagt niemand zu widersprechen. Von allen Seiten wird er aufgesucht und um Rat gefragt, auch in Ägypten und Babylonien ist er anerkannt, und selbst die Mohammedaner erweisen ihm Ehre. Dabei ist er bescheiden und demütig, seine Worte sind sanft, er ist für jedermann zugänglich. Alles preist ihn und sagt er gleiche keinem Erdensohne. Predigt er, so lauscht jedes Ohr auf sein Wort, und man vernimmt dabei nicht das leiseste Geräusch, so still andächtig sind seine Zuhörer.«4 – Verbannte aus der pyrenäischen Halbinsel, die dahin [23] versprengt waren, unterstützten ihn in seinem edlen Wirken, darunter ein spanischer Arzt, David Ibn-Schoschan, gelehrt und von edler Gesinnung, der nach seiner Einwanderung in hohem Ansehen bei der Jerusalemer Gemeinde stand.

Wahrscheinlich kamen durch die Vermittlung des Obadja di Bertinoro und seiner Gesinnungsgenossen die trefflichen Beschlüsse zustande, welche sich die Gemeinde selbst als unverbrüchliche Gesetze auferlegt und in eine Tafel in der Synagoge zur Erinnerung eingegraben hatte;5 sie waren gegen früher eingeschlichene Mißbräuche gerichtet. Solche Bestimmungen waren: Die mohammedanische Behörde sollte in Streitsachen zwischen Juden nur im äußersten Falle angerufen werden. Der jüdische Richter oder Rabbiner dürfe nicht wohlhabende Mitglieder zwingen, Vorschüsse für die Gemeindebedürfnisse zu machen. Talmudbeflissene und Witwen sollten von Gemeindebeiträgen befreit sein. Juden sollten keine falsche Münze kaufen, und wenn zufällig dazu gelangt, sie nicht ausgeben. Ferner: Dem Spender eines Weihgeschenkes für Synagogen in Jerusalem sollte nach geschehener Übergabe kein Verfügungsrecht darüber mehr zustehen. Endlich, daß die Wallfahrer zum Grabe des Propheten Samuel keinen Wein trinken dürften. Denn an diesem Tage pflegten Männer und Frauen gemischt dahin zu wallen und zwar die letzteren unverschleiert, so daß, wenn der Weinrausch die Sinne benebelt hatte, großer Unfug entstand. – Eine noch größere Bedeutung erhielt die heilige Stadt durch die Einwanderung des Isaak Schalal (o. S. 18) mit seinen Reichtümern, seiner Erfahrung und seinem Ansehen; sie fing dadurch an, wieder mitzuzählen.

Nächst Jerusalem hatte die verhältnismäßig jüngste Stadt Palästinas, Safet in Galiläa, eine starke jüdische Einwohnerzahl und Gewicht erlangt, die allmählich so sehr zunahmen, daß sie mit der Mutterstadt nicht bloß rivalisieren, sondern ihr auch den Rang ablaufen konnte. Sie beherbergte zwar am Ende des fünfzehnten und im Anfang des nächsten Jahrhunderts nur etwas über dreihundert jüdische Familien, Urbewohner (Moriscos), Berber und Sefardim.6 Auch hatte sie anfangs noch keinen bedeutenden einheimischen [24] Talmudkundigen, dem die Führerschaft zugefallen wäre. Sie erhielt ihre Bedeutung und ihren weitreichenden Einfluß erst durch die Einwanderung eines spanischen Flüchtlings, der ihrer Gemeinde Halt und Richtung gab. Joseph Saragossi wurde für Safet ungefähr dasselbe, was Obadja di Bertinoro für Jerusalem geworden war. Aus Spanien (Saragossa) vertrieben, war er über Sizilien, Beirut und Sidon, wo er sich längere Zeit aufgehalten, endlich nach Safet gekommen und hatte dort einen Ruhepunkt gefunden. Joseph Saragossi war ebenfalls eine sanfte, herzgewinnende Persönlichkeit und betrachtete es als seine Lebensaufgabe, Friedfertigkeit zu predigen und die gestörte Eintracht in den Familien und im Gemeindeleben wieder herzustellen. Selbst unter den Mohammedanern wirkte er in diesem Sinne versöhnend und beschwichtigend, und sie liebten und verehrten ihn deswegen wie einen Friedensengel. Als er einst Safet wieder verlassen wollte, klammerte sich die Gemeinde förmlich an ihn und setzte ihm, um ihn zu behalten, einen Jahrgehalt von 50 Dukaten aus, wozu der mohammedanische Stadthauptmann zwei Drittel aus seiner Kasse beisteuerte.7 Joseph Saragossi verpflanzte das Talmudstudium nach Safet, aber auch die Kabbala. Durch ihn wurde die bis dahin jungfräuliche Gemeinde ein kabbalistisches Nest.

Auch in der halbpalästinensischen Hauptstadt Syriens, in Damaskus, bildete sich neben einer uralten mostarabischen Gemeinde durch den Zuwachs von Flüchtlingen eine sefardische, und sie zählte in dieser Zeit fünfhundert jüdische Familien. Die Spanier bauten in kurzer Zeit nach ihrer Ankunft eine Prachtsynagoge in Damaskus, Khathaib genannt; bald vermehrten sie sich so sehr, daß sie sich in mehrere Gruppen nach der Landsmannschaft aus ihrer Heimat spalteten.8

Die Hauptströmung der jüdisch-spanischen Verbannten floß nach der europäischen Türkei;9 der größte Teil der Überbleibsel von dreihunderttausend Geächteten fand in dem Lande ein Asyl, dessen Einwohner nicht die Liebe zu ihrem Aushängeschilde hatten. Die Sultane Bajazet, Selim I. und Suleiman II. haben nacheinander die eingewanderten Juden nicht bloß geduldet, sondern sie auch mit außergewöhnlicher Zuvorkommenheit aufgenommen und ihnen dieselbe Freiheit eingeräumt, welche andere Völkerschaften, Armenier und Griechen, dort genossen. Der Dichter Salomo Usque schilderte mit Begeisterung die freie Stellung, welche seine Glaubensgenossen dort einnahmen. [25] »Die große Türkei, ein weites und ausgedehntes Meer, welches unser Herr mit dem Stabe seiner Barmherzigkeit öffnete (wie beim Auszuge aus Ägypten), damit darin die Hochflut deines gegenwärtigen Mißgeschickes (Jakob), wie die Menge der Ägypter einst sich darin verliere und untergehe. Dort hast du die Pforten der Freiheit und die Stellung auf gleich und gleich zur ungehemmten Befolgung des Judentums stets offen; sie verschließen sich dir nie. Dort kannst du dein Inneres erneuern, deinen Stand ändern, die Gebräuche abstreifen, verlassen die falschen und irrtümlichen Lehren, deine alte Wahrheit wieder in dich aufnehmen, die dem göttlichen Willen zuwiderlaufenden Gewohnheiten hinter dir lassen, die du durch die Gewalttat der Völker, unter denen du als Pilger gewandert, nachzuahmen gezwungen warst. In diesem Reiche empfängst du hohe Gnade vom Herrn, da er dir darin die ausgedehnte Freiheit gewährt, mit deiner späten Reue den Anfang zu machen«.10

Die eingewanderten Juden hatten in der Türkei in der ersten Zeit außerordentlich glückliche Tage, weil sie dem verhältnismäßig jungen Staate wie gerufen gekommen waren. Die Türken waren gute Krieger, aber schlechte Bürger. Den Griechen, Armeniern und Christen anderer Bekenntnisse konnten die Sultane bei ihrem oft gespannten Verhältnisse zu den christlichen Staaten wenig trauen; sie galten ihnen als geborene Spione und Verräter. Auf die Treue, Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit der Juden dagegen konnten sie rechnen. Sie bildeten daher einerseits die Geschäftsführer und anderseits den Bürgerstand in der Türkei. Nicht bloß der Handel im großen und kleinen zu Wasser und zu Lande war in ihren Händen, sondern auch die Handwerke und Künste. Sie, namentlich die aus Spanien und Portugal geflohenen Marranen, verfertigten für die Kriegslust der Türken neue Rüstungen und Feuerwaffen, gossen Kanonen, fabrizierten Pulver und lehrten den Türken die Kunst, damit umzugehen.11 So hatte die verfolgungssüchtige Christenheit ihren Hauptfeinden, den Türken, gewissermaßen selbst die Waffen geliefert, mit denen diese in den Stand gesetzt waren, ihr Niederlage auf Niederlage und Demütigung auf Demütigung zu bereiten. Besonders beliebt waren jüdische Ärzte in der Türkei, geschickte [26] Jünger aus der Schule Salamancas, und sie wurden wegen ihrer Gewandtheit, ihrer höhern Bildung, ihrer Verschwiegenheit und Klugheit den christlichen, ja sogar den mohammedanischen Ärzten vorgezogen. Diese jüdischen Ärzte, meistens spanischer Abkunft, erlangten an dem Hofe der Großsultane und bei Wesiren und Paschas weitreichenden Ein fluß.12

Sultan Selim I. hatte zum Leibarzte den aus Spanien, wahrscheinlich aus Granada eingewanderten Joseph Hamon,13 und dessen Sohn und Enkel nahmen nach einander dieselbe Stellung ein. Sein Sohn Mose Hamon (geb. um 1490, gest. vor 1565),14 Leibarzt des klugen Sultans Suleiman, war noch viel angesehener und einflußreicher als der Vater, wegen seiner Geschicklichkeit und seines männlichen, festen Charakters. Er pflegte den Sultan auf seinen Kriegszügen zu begleiten; aus Persien, wohin er Suleiman auf einem Siegeszuge gefolgt war, brachte Mose Hamon einen gelehrten Mann, Jakob Tus oder Taws, mit (um 1535), der den Pentateuch ins Persische übersetzt hat. Diese Übersetzung ließ Hamon später auf eigene Kosten nebst einer chaldäischen und arabischen Übersetzung drucken.15 Mose Hamon galt als Beschützer seiner Stammgenossen und Beförderer des Judentums.

Auch als Sprachkundige und Dolmetscher wurden die Juden im türkischen Reiche gebraucht und gesucht, da sie wegen ihrer Wanderungen durch so viele Völker und Zungen die Sprachen ihrer Peiniger lernen mußten und dadurch eine besondere Fertigkeit erlangt hatten, in Zungen zu sprechen.

Die Hauptstadt Konstantinopel hatte eine sehr zahlreiche jüdische Gemeinde, welche täglich durch neue Flüchtlinge aus der pyrenäischen Halbinsel an wuchs, die größte in Europa wurde und wohl dreißigtausend Seelen zählte. Sie hatte vierundvierzig Synagogen [27] d.h. eben so viele Gemeindegruppen. Denn die jüdische Körperschaft in der türkischen Hauptstadt und in den übrigen Städten bildete nicht eine geschlossene Einheit, sondern zerfiel in verschiedene Gruppen und Bruchteile, je nach dem Lande oder dem Orte ihrer Heimat, von denen jede ihre Eigenart bewahren, ihre Erinnerungen erhalten, ihre Liturgie und ihren Ritus beibehalten und sogar ihre eigene Synagoge und ein eigenes Rabbinatskollegium haben wollte. Die Gesamtgemeinde teilte sich daher in lauter Landsmannschaften, die sich gegeneinander abschlossen und nicht zu einem großen Ganzen verschmelzen mochten. Es gab also nicht bloß kastilianische, aragonische und portugiesische Gemeinden, sondern noch engere Verbände, Corduanische, Toledanische, Barcelonensische, Lissaboner Kahals (Gruppen), neben deutschen, apulischen, messinischen, zeitunensischen oder griechischen.16 Jede Kleingemeinde verteilte die Steuern unter ihre Mitglieder selbstständig [28] nicht bloß für ihren Kultus, ihre Gemeindebeamten, ihr Armenwesen, ihre Hospitäler und Schulen, sondern auch für ihre Abgaben an den Staat. Die Staatssteuern, welche die Juden zu leisten hatten, waren anfangs geringe, eine Kopfsteuer für jeden Steuerfähigen (charag) und eine Art Rabbinersteuer, welche die Gemeinde unter sich verteilte in drei Sätze für drei verschiedene Vermögensklassen von 200, 100 und 20 Aspern (4, 2 und 2/5 Dukaten).17 Nur die Familie des Arztes Hamon war von Abgaben frei. – Auch in der europäischen Türkei erlangten bald die sefardischen Juden die Führerschaft, und ihre Riten wurden maßgebend.18

In der ersten Zeit hatten allerdings die angesessenen Juden, welche die Mehrzahl bildeten, das Übergewicht über die eingewanderten. Das Großrabbinat bekleidete nach dem Tode des verdienstvollen, aber verkannten Mose Kapsali (VIII, 206), der wahrscheinlich aus einer eingewanderten griechischen Familie stammende Elia Misrachi, welcher unter den Sultanen Bajazet, Selim I. und vielleicht auch unter Suleiman Sitz im Divan hatte, wie sein Vorgänger, und der offiziell-religiöse Vertreter der türkischen Gesamtjudenheit war. Diesen hohen Posten verdiente er auch wegen seiner rabbinischen und anderweitigen Gelehrsamkeit und seines biedern, unparteiisch gerechten Charakters. Elia Misrachi (geb. um 1455, starb zwischen 1525 bis 152719 war als ein Zögling der deutschen Schule und als ein Jünger [29] des Rabbiners Juda Menz von Padua ein tiefer Talmudkundiger und ein strengfrommer Mann; aber er war darum doch nicht der Wissenschaft abgeneigt. Er verstand und lehrte Mathematik und Astronomie, hielt öffentliche Vorträge darüber, wie über den Talmud und verfaßte Handbücher über diese Fächer,20 die zum Teil so beliebt waren, daß sie ins Lateinische übersetzt wurden. In der Jugend war er ein Heißsporn und führte eine Fehde mit den Karäern in der Türkei. Im Alter dagegen war Elia Misrachi milder gegen sie gestimmt und legte sein gewichtiges Wort ein, um eine Ungerechtigkeit der Stockfrommen gegen sie abzuwenden. Einige Finsterlinge, namentlich von der apulischen Gemeinde in Konstantinopel, wollten den freundnachbarlichen Verkehr, welcher seit einem halben Jahrhundert und darüber zwischen Rabbaniten und Karäern bestanden hatte, auf eine gewaltsame Weise stören. Sie versammelten ihre Gemeindemitglieder und sprachen mit der Thorarolle im Arme den Bann über diejenigen aus, welche noch ferner Karäern, Erwachsenen wie Unmündigen, in Bibel oder Talmud Unterricht erteilen oder ihnen auch nur profane Fächer, Mathematik, Naturkunde, Logik oder Musik lehren, ja auch über diejenigen, welche ihnen auch nur das Alphabet beibringen sollten. Auch sollten rabbanitische Dienstboten nicht mehr bei karäischen Familien in Dienst treten. Diese Überfrommen beabsichtigten eine dichte Scheidewand zwischen den Talmudgläubigen und Bibelgläubigen zu ziehen. Der größte Teil der Konstantinopolitaner Gemeinde war aber mit dieser unduldsamen Maßregel sehr unzufrieden. Namentlich klagten die rabbanitischen Lehrer, welche bis dahin vom Unterrichtgeben bei den Karäern gelebt und in ihren Schulen zugleich rabbanitische und karäische Zöglinge hatten, über Verminderung und Verkümmerung ihres Broterwerbs. Infolgedessen versammelten sich die duldsamen Rabbaniten von Konstantinopel ihrerseits, um den ungerechten Bann der Finsterlinge zu vereiteln. Aber diese verfuhren so ungestüm und so gewalttätig und brachten ein rohes, mit Knitteln versehenes Gesindel in die Synagoge, wo die Beratung stattfinden sollte, daß jene gar nicht zu Worte kommen konnten. So wurde der Bannbeschluß in feierlicher Form von einer trotzigen Minderheit gegen den Widerspruch und die guten Gründe der Mehrheit durchgesetzt. Da trat der Rabbiner Elia Misrachi mit Entschiedenheit gegen dieses ebenso unbegründete und gesetzlose, wie gewaltsame Treiben auf und entwickelte in einer gelehrten Abhandlung, wie ungerecht und selbst talmudwidrig das Abstoßen der Karäer sei. Er berief sich dabei auf die Autoritäten Haï Gaon und Maimuni, daß man rabbanitischerseits nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, die Karäer als Juden zu behandeln. Er führte den Finsterlingen [30] zu Herzen, wie sie durch ihre unduldsame Strenge den Verfall des Jugendunterrichtes herbeiführen würden, indem bisher der Wetteifer, die karäischen Mitschüler zu übertreffen, den rabbanitischen Schülern zum Sporn gedient habe. Zum Schluß machte Elia Misrachi noch auf den Umstand aufmerksam, wie der Bann gegen das Unterrichten der Karäer vergeblich sei, indem die später eingewanderten und noch in Zukunft einwandernden spanischen und portugiesischen Rabbaniten nicht daran gebunden wären, sich nicht daran zu kehren brauchten und also mit ihnen wie früher verkehren dürften.21

Die türkischen Juden hatten zu dieser Zeit auch eine Art politischen Vertreter, Anwalt (Kahya22) oder Kämmerling, welcher Zutritt zu dem Sultan und zu den Großwürdenträgern hatte und mit seinem Amt vom Hofe belehnt war. Schaltiel, ein sonst unbekannter, aber als edel geschilderter Mann, hatte diese Würde unter Suleiman inne. Bei jeder Ungerechtigkeit und jedem gewalttätigen Verfahren gegen die Juden im türkischen Reiche, die bei dem Hochmute der türkischen Bevölkerung gegen Andersgläubige, Juden wie Christen, bei dem Willkürregimente des Provinzialpaschas und bei dem Fanatismus der christlichen Griechen und Bulgaren niemals fehlten, trat der Kahija Schaltiel für seine Glaubensgenossen ein und erlangte bei Hofe für Summen die Abstellung derselben. Indessen muß er sich einmal irgend ein Vergehen gegen sie durch parteiische Einmischung in ihre Angelegenheiten oder sonst wie haben zuschulden kommen lassen, denn sämtliche Konstantinopolitanische Gemeinden (Kahals) faßten den feierlichen Beschluß, unter Androhung des Bannes ihn seines Amtes zu entsetzen. Schaltiel ließ sich aber diese Entsetzung nicht nur gefallen, sondern verpflichtete sich noch dazu, für sich und seine Kinder, ohne Zustimmung der Gemeinden, die Würde der Kahijalik nicht zu übernehmen, selbst wenn der Sultan ihn dazu zwingen sollte (Oktober 1518), was jedenfalls von seinem edlen Sinne zeugt. Nach einiger Zeit sahen aber die Juden der türkischen Hauptstadt selbst ein, wie notwendig ihnen ein solcher tatkräftiger Vertreter sei, daß der Nutzen, den seine Verwendung für sie hatte, bei weitem den Nachteil aufwog, den etwaige Übergriffe [31] für sie herbeiführen könnten. Außerdem bestand der Sultan darauf, Schaltiel, der bei Hofe beliebt gewesen zu sein scheint, wieder in sein Amt einzusetzen. So traten denn die Vertreter und Rabbiner sämtlicher Gemeinden Konstantinopels abermals zusammen und beschlossen, den Bann aufzuheben, und ihn als ihren politischen Anwalt wieder anzuerkennen (Mai 1520). Sie schrieben ihm aber einige Bedingungen vor, denen er sich unterwarf, daß er wichtige, die Juden betreffende Angelegenheiten nie ohne Zustimmung der Gemeindevertreter vor den Sultan oder die Wesire bringen, und daß er überhaupt sein Amt nur zum Besten der Judenheit verwalten solle. Einige hämische Überfromme, »welche nichts Ordentliches gelernt und sich von der unwissenden Menge als Heilige anstaunen lassen wollten, kleine Füchse, die den Weinberg des Herrn zerstören und nur Zwietracht zu säen bestrebt waren« (wie sie geschildert werden), erhoben Widerspruch gegen die Aufhebung des Bannes und des ersten Beschlusses. Infolgedessen mußten die Rabbiner der verschiedenen Gemeindegruppen ihr Wort zugunsten Schaltiels und seiner Wiedereinsetzung erheben. Nächst Elia Misrachi sprachen sich für ihn aus: Jakob Tam Ibn-Jachja, Abraham Ibn-Jaisch, Juda Ben-Bulat und andere spanische wie deutsche Rabbinatsverweser.

Die zweitgrößte Gemeinde des türkischen Reiches war Salonichi (das alte Thessalonica), eine ungesunde Stadt, die aber nichtsdestoweniger die sefardischen Auswanderer anzog. Die Hauptströmung derselben ging nach diesem Küstenplatze, weil diese ehemals griechische Stadt mehr Muße für friedliche Beschäftigung bot als die geräuschvolle türkische Hauptstadt. Es entstanden hier daher bald mindestens zehn Gemeinden, und die meisten davon waren sefardischen Ursprungs. Später vergrößerten sie sich zu sechsunddreißig Gemeindegruppen. Salonichi wurde eine förmliche Judenstadt, in welcher mehr Juden als Nichtjuden wohnten.23 Der Dichter Samuel Usque nannte diese Stadt hyperbolisch »eine Mutter des Judentums, gefestigt auf dem Grunde des Gesetzes, voll von vorzüglichen Pflanzen und fruchtbaren Bäumen, wie man sie gegenwärtig auf dem ganzen Erdenrunde nicht wieder findet. Herrlich sind ihre Früchte, weil sie ein Überfluß von Mildtätigkeit bewässert. In ihr hat sich der größte Teil der verfolgten und verbannten Söhne aus Europa und anderen Teilen der Erde gesammelt, und sie nimmt sie mit Liebe und Herzlichkeit auf, als wenn sie unsere allerehrwürdige Mutter Jerusalem wäre.«24 In [32] kurzer Zeit erlangten hier die sefardischen Einwanderer das volle Übergewicht über ihre Stammgenossen anderer Sprachen und selbst über die Urgemeinde, so daß die spanische Sprache die herrschende in Salonichi wurde, welche sich deutsche wie italienische Juden aneignen mußten, wollten sie im Verkehr mit ihren spanischen Religionsgenossen bleiben. Hier hatte sich der Enkel eines der letzten jüdisch-spanischen Finanzmeister, des Abraham Benveniste, welcher in so hohem Ansehen bei Juan II. und dem Connetabel Alvaro de Luna gestanden (VIII, 141 f.), niedergelassen, Jehuda Benveniste, der so viel von seinem väterlichen Vermögen gerettet hatte, daß er eine großartige Büchersammlung besaß. Er war die Fahne, um die sich die Schwergeprüften sammeln konnten.25 Vertreter des Talmudstudiums waren hier lediglich Söhne der pyrenäischen Halbinsel; eine Gelehrtenfamilie Taytasak, Elieser Schimeoni (gest. 1530)26 und Jakob Ibn-Chabib; alle diese waren keineswegs Fachmänner erster Größe. Nur der letztere hat ein literarisches Werk hinterlassen, aber nicht über die strenge Halacha, sondern eine Sammlung sämtlicher agadischer Sentenzen aus dem Talmud mit Erläuterungen eigener und fremder Arbeit.27 Auch die Philosophie und Astronomie wurde in Salonichi von spanischen Einwanderern einigermaßen gepflegt, von den Ärzten Perachja Kohen, seinem Sohn Daniel Ahron Afia (Affius) und Mose Almosnino.28 Aber am meisten fand hier die Kabbala Pflege und zwar ebenfalls von spanischen Einwanderern, von Joseph Taytasak, Samuel Franco und anderen.29 Salonichi in der europäischen Türkei und Safet in Palästina wurden mit der Zeit die Hauptnester für kabbalistisches Brüten. – Weniger Bedeutung hatte die ehemalige Residenzstadt der türkischen Sultane, Adrianopel, obwohl sich auch hier, wie in Nikopolis eine bedeutende Gemeinde mit sefardischem Hauptelement bildete.

Auch in Kleinasien bevölkerten die spanischen Flüchtlinge die Städte Amasia, Brussa, Tria und Tokat. Smyrna [33] indessen, welches später eine zahlreiche Judenschaft hatte, war in dieser Zeit unbedeutend. Dagegen bestanden in Griechenland mehrere reich bevölkerte Gemeinden. In Arta oder Larta setzten sich neben dem Urstock der Romaniolen und Corfioten, auch kalabrische, apulische, spanische und portugiesische Ankömmlinge. Es scheint ihnen auch hier nicht schlecht ergangen zu sein; denn die jüdische Jugend beiderlei Geschlechts war noch zur Heiterkeit und zum Tanz aufgelegt gewesen, allerdings zum großen Verdruß der Strengfrommen. Als einmal bei einer solchen Lustbarkeit ein geschlechtlicher Unfug vorgekommen war – allerdings eine große Seltenheit bei der Züchtigkeit der jüdischen Mädchen und Frauen – untersagten das Rabbinatskollegium und der Gemeindevorstand von Arta das Tanzen überhaupt. Sie gingen später noch weiter und verboten den Verlobten, in das Haus ihrer Bräute zu gehen, weil hin und wieder einmal die Liebe der Hochzeitsfrist vorausgeeilt war. Dadurch entstanden Zwistigkeiten in den artensischen Gemeinden zwischen den Apuliern, welche gegen diese Strenge protestierten, und den übrigen, welche sie aufrecht erhalten wollten.30 – In Patras, Negroponte und Theben gab es nicht unbedeutende Gemeinden, bei denen die Thebaner als sehr gelehrt, d.h. talmudkundig galten.31 Die Gemeinde von Patras besaß einen sehr gelehrten Rabbiner, David Kohen aus Korfu,32 dessen Autorität sehr weit reichte, einerseits nach Italien und anderseits nach dem Orient. Er war aber zu rechthaberisch und auffahrend in seinen Behauptungen und zu weitschweifig in seinen rabbinischen Auseinandersetzungen. Korfu wurde durch die Seekriege zwischen den Türken und dem christlichen Europa hart mitgenommen, dadurch wurde dieser David öfter zum Auswandern genötigt. – Die Riten der Gemeinde von Korfu waren maßgebend für die übrigen griechischen Juden. Eine ansehnliche Gemeinde war in Canea auf der Insel Candia (Kreta), welche zu Venedig gehörte. Hier standen zwei berühmt gewordene Familien an der Spitze, die Delmedigo, Söhne und Verwandte des Philosophen Elia Delmedigo (VIII3, 244), und die Kapsali, Verwandte des ehemaligen Großrabbiners der Türkei. Hervorragend waren Juda Delmedigo (Sohn des Lehrers von Pico di Mirandola) und Elia ben Elkana Kapsali, ein Neffe des genannten Großrabbiners, auch Neffe und Nachfolger des philosophisch gebildeten Rabbiners Menahem Delmedigo. Beide haben sich unter einem und demselben Rabbiner, Juda Menz in Padua, ausgebildet und waren nichtsdestoweniger einander abgeneigt. Da nun beide die [34] Rabbinatswürde in Canea bekleideten, so gab es fortwährend Reibungen zwischen ihnen.33 Hatte der eine etwas für erlaubt erklärt, so konnte man darauf gefaßt sein, daß der andere alle Gelehrsamkeit und allen Scharfsinn aufbieten würde, um das Gegenteil zu beweisen, und doch waren beide würdige, charaktervolle Männer, beide auch in außerrabbinischer Literatur gebildet.

Elia Kapsali (geb. um 1490, gest. um 1555)34, dessen Vater Elkana, Gemeindevorsteher (Condesta ble) von Canea gewesen war, besaß auch gute Geschichtskenntnis. Als einst die Pest Candia verheerte und die Bevölkerung in Trübsinn versetzte, verfaßte er (1523) eine Geschichte des türkischen Reiches, um die Leser von der Todesfurcht abzuziehen, in einem sehr anmutigen hebräischen Stile, in durchsichtiger und gehobener Sprache, fern von Überladungen und mit Vermeidung des Kauderwelsches von Barbarismen. Kapsali bestrebte sich, nur die Wahrheit zu erzählen. Er flocht darin die Geschichte der Juden ein und schilderte in düstern Farben das tragische Geschick der aus Spanien und Portugal Vertriebenen, wie er es aus dem Munde der Flüchtlinge vernommen hatte.35 Obwohl er eine Nebenabsicht bei der Abfassung der Geschichte erzielen wollte, die Erheiterung der wegen der Pest Traurigen, so hat er sich dabei doch nicht von der Phantasie leiten lassen, sondern hat die Begebenheiten wahrheitsgetreu wiedergegeben und die Verknüpfung von Ursache und Wirkung verdeutlicht. Auch auf die angemessene Form hat er Wert gelegt, und seine Darstellung kann zum Muster eines schönen hebräischen Geschichtsstils dienen und hat auch als solches gedient und Nachahmung gefunden. Kapsali verließ die trockene Chronikerzählung und war als [35] Geschichtsschreiber seinem Vorgänger, Abraham Zacuto, weit, weit überlegen. Für einen Rabbiner von Fach, der genötigt war, bei gutachtlichen Auseinandersetzungen sich einer verdorbenen Mischsprache zu bedienen, die weder hebräisch noch chaldäisch klingt, ist die reine Sprachform besonders bemerkenswert, und sein Geschichtswerk zeigt von großer Gewandtheit und von Talent.

In Italien wimmelte es damals von flüchtigen Juden. Fast die meisten derer, welche aus Spanien, Portugal oder Deutschland ausgewiesen waren, berührten zuerst den italienischen Boden, um, je nachdem, sich unter dem Schutze eines der duldsamen Machthaber dort niederzulassen oder weiter nach Griechenland, der Türkei oder Palästina zu wandern. Merkwürdigerweise zeigte sich das damalige Papsttum am judenfreundlichsten unter den italienischen Fürsten. Alexander VI., Julius II., Leo X. und Clemens VII. hatten andere Interessen zu verfolgen und anderen Liebhabereien nachzuhängen, als ihr Augenmerk auf Quälerei der Juden zu richten. Sie und ihr Kardinalkollegium beachteten die kanonischen Gesetze nur in so weit, als sie dieselben zur Erhöhung ihrer Macht und zur Füllung ihrer Säckel brauchten. Mit vollständiger Vergessenheit des Beschlusses auf dem Baseler Konzil, daß jüdische Ärzte nicht von Christen zu Rate gezogen werden sollten, wählten diese Päpste und ihre Kardinäle vorzugsweise jüdische Leibärzte. Es scheint, daß bei dem geheimen Kriege, dem Ränkeschmieden und der Giftmischerei, welche seit Alexander VI. in der Kurie im Schwange waren, wo einer in dem andern einen geheimen Feind argwöhnte, jüdische Ärzte deswegen beliebter waren, weil von ihnen nicht zu befürchten war, daß sie statt des Heilmittels einem Papst oder Kardinal den Giftbecher reichen würden. Alexander VI. hatte einen jüdischen Arzt um sich, Bonet de Lates, aus der Provence eingewandert, der auch Sternkunde verstand, einen astronomischen Ring anfertigte und die Beschreibung desselben in lateinischer Sprache dem Papste in überschwänglicher Lobhudelei widmete.36 Bonet de Lates war später auch ein sehr beliebter Leibarzt bei Papst Leo X. und hatte auf dessen Entschlüsse Einfluß. Julius II. hatte einen solchen an Simeon Zarfati, der auch sonst in hohen Ehren bei ihm stand;37 vielleicht war es derselbe, welcher nach dessen Inthronisierung eine lange lateinische Anrede an denselben hielt. Kardinäle [36] und andere hohe Kirchenfürsten folgten diesem von oben gegebenen Beispiele und vertrauten ihren heiligen Leib meistens jüdischen Ärzten an.38 So waren denn überhaupt jüdische Heilkünstler am meisten damals in Italien gesucht. Nach dem Vorgange dieser Päpste, welche fast alle zugleich Gönner der Juden waren, wurden jüdische Flüchtlinge aus der Pyrenäischen Halbinsel und Deutschland und sogar Scheinchristen, welche in den Schoß des Judentums wieder zurückgekehrt waren, in vielen norditalienischen Städten auf genommen und zur Verkehrsfreiheit zugelassen.39 Die bedeutendsten Gemeinden in Italien bildeten sich nach Aufreibung der Juden von Neapel (o. S. 3) durch Zuwachs aus der Fremde im Römischen und Venetianischen. Hier neben der Stadt Venedig in der blühenden Stadt Padua und dort neben Rom die Hafenstadt Ancona. Im Rate der egoistischen venetianischen Republik herrschten in betreff der Juden zwei entgegengesetzte Ansichten. Einerseits mochte der Handelsstaat die von den Juden zu erwartenden Vorteile nicht entbehren und überhaupt nicht mit ihnen anbinden, um es nicht mit deren Glaubensgenossen in der Türkei (den levantinischen Juden) zu verderben. Anderseits empfanden die venetianischen Handelshäuser Brotneid gegen die jüdische Kaufmannschaft. Daher wurden die Juden im Venezianischen, je nachdem die eine oder die andere Stimmung im hohen Rate der Signoria überwog, bald gehegt, bald gedrückt. In Venedig wurde zuerst unter allen italienischen Städten, wo Juden wohnten, ein besonderes Judenquartier, Ghetto, für sie eingeführt (März 1516),40 eine Nachahmung der deutschen Gehässigkeit gegen sie.

Durchschnittlich erhielten die eingewanderten Juden, Spanier oder Deutsche, in Italien das Übergewicht über die Einheimischen; in rabbinischer Gelehrsamkeit oder in gemeindlichen oder anderen Verhältnissen immer waren jene die Tonangeber. Eine bedeutende Rolle spielten die Abrabanel in Italien. Das Familienhaupt zwar, Isaak Abrabanel, war durch Leiden und Alter zu sehr gebrochen, als daß er nach irgend einer Seite hin hätte eingreifend wirken können. Er starb, noch ehe die schwankenden Verhältnisse Festigkeit annahmen, [37] (Sommer 1509)41 Auch sein ältester Sohn Leon Medigo übte wenig Einwirkung auf seinen Kreis. Er war dazu zu sehr philosophischer Träumer und Idealist, eine Dichternatur, die sich nicht gern mit den Dingen dieser Welt befaßte. Es ist daher gar nichts von ihm bekannt, seitdem er die Stelle als Leibarzt des Großkapitäns in Neapel verloren hatte (S. 6). Einflußreich auf seine Zeit war nur der jüngste der drei Brüder, Samuel Abrabanel (geb. 1473, starb um 1550).42 Er galt zu seiner Zeit als der angesehenste Jude in Italien und wurde von seinen Stammgenossen wie ein Fürst verehrt. Er allein unter seinen Brüdern erbte von seinem Vater die Finanzwissenschaft und scheint nach seiner Rückkehr aus dem talmudischen Lehrhause von Salonichi (o. S. 7) sich darauf verlegt zu haben und bei dem Vizekönig von Neapel Don Pedro de Toledo im Finanzfache verwendet worden zu sein. Er erwarb in Neapel ein sehr bedeutendes Vermögen, das man auf mehr als 200000 Zechinen schätzte. Den Reichtum verwendete er, um dem in seiner Familie erblich gewordenen Zuge, gewissermaßen Bedürfnisse, Wohltaten zu üben, seiner seits zu genügen. Der jüdische Dichter Samuel Usque entwirft eine schwärmerische Schilderung von dessen Charakter und Herzen. »Samuel Abrabanel verdient Trismegistos (Dreimal Groß) genannt zu werden; er ist groß und weise im Gesetz, groß im Adel und groß im Reichtum. Mit seinen Glücksgütern ist er stets großherzig, eine Hilfe für die Trübsale seines Volkes. Er verheiratet Waisen in Unzahl, unterstützt Bedürftige, bemüht sich, Gefangene auszulösen, so daß er alle die großen Eigenschaften vereinigt, welche zur Prophetie befähigen.43

Zur Erhöhung seines Glückes hatte ihm der Himmel eine Lebensgefährtin zugeführt, die eine Ergänzung zu seinen hohen Tugenden war und deren Name Benvenida Abravanela von den Zeitgenossen nur mit andächtiger Verehrung ausgesprochen wurde. Zartfühlend, tiefreligiös, zugleich klug und mutig, war sie auch ein Muster des gebildeten Tones und des feinen Umganges, worauf in Italien mehr Gewicht als in den übrigen europäischen Staaten gelegt wurde. Der mächtige spanische Vizekönig von Neapel, Don Pedro, ließ seine zweite Tochter Leonora mit Benvenida vertraulich verkehren, um sich an ihr zu bilden. Als diese Tochter später Gemahlin Cosimos II. von Medici und Herzogin von Toskana geworden war, hielt sie sich immer noch zu der jüdischen Donna und gab ihr den Ehrennamen Mutter.44 Dieses edle Paar, Samuel Abrabanel und Benvenida, [38] in dem sich Zartheit und Weltklugheit, warme Anhänglichkeit an das Judentum mit geselligem Anschluß an nichtjüdische Kreise vereinigten, war zugleich der Stolz und Notanker der italienischen Juden und aller derer, welche in deren wohltuende Nähe kamen. Samuel Abrabanel war, wenn auch nicht so talmudisch gelehrt, wie ihn sein dichterischer Verehrer schilderte, doch ein Freund und Förderer der jüdischen Wissenschaft. Er berief mit seiner jungen mutigen Frau den aus Portugal geflüchteten David Ibn-Jachja als Rabbiner nach Neapel (1518), da die Gemeinde zu klein war, um einen solchen auf eigene Kosten zu besolden. In Samuel Abrabanels Hause hielt der gebildete Ibn-Jachja Vorträge45 über Talmud und wahrscheinlich auch über hebräische Grammatik. So bildete er einen kleinen Mittelpunkt für die jüdische Wissenschaft in Süditalien. Aber auch der verderblichen Kabbala räumte Samuel eine Stätte ein, ein Beweis, daß er den klaren Blick seines Vaters nicht besaß. In seinem Hause hielt ein Kabbalist. Baruch von Benevent, wahrscheinlich ein spanischer Flüchtling, Vorträge über Kabbala und Sohar, und er trug dazu bei, sie auf Anregung des in die kabbalistische Mystik närrisch verliebten Kardinals Egidio von Viterbo christlichen Gelehrten zugänglich zu machen. Auch christliche Männer der Wissenschaft verkehrten in Abrabanels Kreise. Ein Jünger Reuchlins, Johann Albert Widmannstadt, ein Mann von umfassender Gelehrsamkeit und freiem Blicke, der zuerst in Europa auf den Nutzen der syrischen Sprache aufmerksam gemacht hat, vervollkommnete in diesem Kreise seine Kenntnisse der hebräischen Literatur.

Das Hauptlehrhaus für talmudische oder rabbinische Studien in Italien war damals in Padua, und zwar geleitet nicht von Italienern, [39] sondern von eingewanderten Deutschen. Juda Menz46 übte bis in sein hohes Alter von mehr denn hundert Jahren eine Anziehungskraft für lernbegierige Jünglinge aus Italien, Deutschland und sogar der Türkei aus, als wenn sie aus seinem Munde die alte Weisheit aus einer untergehenden Zeit vernehmen wollten. Ein Jünger des Juda Menz zu sein, galt für eine besondere Ehre und Auszeichnung. Nach seinem Tode stand seinem Lehrhause in Padua sein Sohn Abraham Menz (1504 bis 1526) vor, dessen Autorität aber nicht ungeteilt war.47 Die eingeborenen Juden dagegen haben nach keiner Seite einen klangvollen Namen hinterlassen.

Ungleich den deutschen Juden, welche nicht einmal ihre Landessprache rein zu sprechen verstanden, gab es in Italien nicht wenige Juden, welche der lateinischen Sprache kundig waren.48 Es war die Zeit der Renaissance, in welcher die Gelehrten auf einen eleganten lateinischen Stil Wert legten. Besonders haben jüdische Ärzte, welche an der Universität von Padua ihre Bildung erlangten, sich diese damalige Weltsprache angeeignet. Die Gelehrtengeschichte nennt aus dieser Zeit Abraham de Balmes (geb. um 1450, gest. um 1503) aus Lecce, Leibarzt und Freund des Kardinals Domenico Grimani, welcher auch mit dem jüdischen Philosophen Elia Delmedigo befreundet war. Dieser Kardinal war ebenso in die jüdische Kabbala, wie in die Philosophie verliebt, und für ihn übersetzte de Balmes mehrere Schriften der arabischen Philosophie aus dem Hebräischen ins Lateinische. Für die jüdische Literatur hat er aber weiter nichts geliefert als die Ausarbeitung einer hebräischen Grammatik, welche der reiche Druckereibesitzer Daniel Bomberg ins Lateinische übersetzt und nach Balmes' Tode veröffentlicht hat (1523). Sein jüngerer Zeitgenosse Calo Kalonymos aus Neapel, Arzt in Venedig, hat noch weniger geliefert. Er hat nur einzelne Schriften des arabischen Philosophen Averroes ins Lateinische übersetzt und weniges zu Balmes' Grammatik hinzugefügt. – Juda de Blanis oder Laudadeus in Perugia (gest. nach 1553)49[40] jüdische Ärzte liebten es damals, wie die christlichen Gelehrten, ihren Namen einen lateinischen Klang zu geben – huldigte neben der Medizin auch der wüsten Kabbala und war befreundet mit dem Mystiker Baruch von Benevent. Obadja oder Servadeus de Sforno (Sfurno, geb. um 1470, gest. 1550), war Arzt in Rom und Bologna, der neben medizinischen Studien auch biblische und philosophische trieb und einige seiner hebräischen Schriften mit lateinischer Übersetzung dem König Heinrich II. von Frankreich widmete. Aber so weit seine Schriften der Beurteilung vorliegen, erweisen sie sich als sehr mittelmäßig. Alle diese jüdischen Ärzte und Gelehrten standen weit hinter einem spanischen Fachgenossen zurück, hinter Jakob Mantin, der aus Tortosa nach Italien geschleudert, dort als Arzt und Philosoph viel geleistet und einen klangvolleren Namen hinterlassen hat. Mantin (geb. um 1490, starb um 1549),50 war sehr sprachkundig; er verstand außer der Sprache seines Geburtslandes und seines Volksstammes noch das Lateinische, Italienische und Arabische. Er war zugleich ein gelehrter Arzt und Philosoph und übersetzte medizinische und metaphysische Schriften aus dem Hebräischen oder Arabischen ins Lateinische. Er [41] machte die lateinischlesende Welt mit der lichtvollen Einleitung Maimunis zu der Sittenspruchsammlung der Väter (Pirke Abot) bekannt, welche das sittliche Ideal des Judentums beleuchtet. Er stand als Leibarzt in hohem Ansehen bei dem Papst Paul III. und bei dem Gesandten des Kaisers Karl V., Diego Mendoso in Venedig. Aber seine Gelehrsamkeit wurde durch sein schlechtes Herz verdunkelt. Neid und Ehrgeiz verleiteten ihn zu schlechten Handlungen, zu Angebereien und Verfolgung Unschuldiger.

Ein Mann lebte damals in Italien, der sich zwar nicht durch glänzende Leistungen hervorgetan hat, aber doch fast allen seinen Glaubensgenossen überlegen war durch etwas, was literarische Leistungen überwiegt und nicht jedermanns Sache ist, durch gesunden Sinn und geraden Verstand, der die Dinge nicht nach dem Scheine und nicht von einem beschränkten Gesichtspunkte aus beurteilt, und dieser Mann, Abraham Farissol, war nicht Italiener von Geburt. Farissol (geb. 1541, gest. um 1525)51 stammte aus dem französischen Kirchenstaate, aus Avignon, und war aus einer unbekannten Veranlassung, vielleicht aus Not, nach Ferrara ausgewandert. Er fristete seine Existenz durch Abschreiben von gesuchten Büchern und, wie es scheint, auch durch ein Sängeramt in der Synagoge. Obwohl in einem engen Gehäuse lebend, war sein Blick doch geschärft, sein Gesichtskreis weit, sein Urteil gereift. Farissol beschäftigte sich wie die meisten seiner gelehrten Zeitgenossen in Italien, mit Auslegung der heiligen Schrift, aber nach dieser Seite liegt seine Bedeutung nicht. Seine Überlegenheit beruht auf seiner Kleingläubigkeit inmitten der dickköpfigsten Glaubensseligkeit der Zeit. Er selbst sagte von sich: »Ich gehöre in betreff der Wunder zu den Kleingläubigen.«52 Farissol war der erste jüdische Schriftsteller, der statt sich mit dem gestirnten Himmel, mit Astronomie und Astrologie zu beschäftigen (wozu jüdische Denker im Mittelalter eine allzu große Neigung hatten), sich auf Länderkunde, auf Erforschung des Erdkreises und was auf ihm webt, eingehend verlegte, wozu die wunderbaren Entdeckungen der Südküste Afrikas und Indiens durch die Portugiesen und die Auffindung Amerikas durch die Spanier ihm Anregung gegeben hatten. Durch den mittelalterlichen Nebeldunst und die täuschende Luftspiegelung der Phantasiegebilde hindurch sah Farissol die Wirklichkeit und Tatsächlichkeit der Dinge, wie sie sind und liegen, hielt es für nötig, darauf hinzuweisen und verspottete die Geistesarmen, welche in ihrem gelehrten Dünkel [42] die Länderkunde als ein geringfügiges Wissen verachteten. Er mußte zu seiner Zeit noch eingehend beweisen, daß auch das Buch der Bücher, die heilige Urkunde der Thora, Wert auf Raum und Ländergrenzen lege, und daß mithin ein solches Wissen nicht so ganz unwichtig sei. Aber daraus ergaben sich ihm Folgerungen, welche den Wahn des Mittelalters zerstörten. Für das Paradies, das die Gläubigkeit in den Himme versetzte und mit phantastischem Schmuck ausstattete, suchte Farissol einen Platz auf Erden. Damit deutete er einen neuen Gesichtspunkt für Auffassung der Bibel an; sie sei nicht durch Allegorien und metaphysische oder kabbalistische Überschwenglichkeiten zu erklären, sondern durch tatsächliche Verhältnisse nach dem schlichten Wortsinne.

Farissol hatte Zutritt zum Hofe des Herzogs von Ferrara, Ercole (Hercules) d'Este I, eines der besten Fürsten Italiens, welcher mit den Medici in der Förderung der Wissenschaft wetteiferte. Der Herzog fand Vergnügen an dessen Gesprächen und lud ihn öfter ein, über religiöse Fragen mit zwei gelehrten Mönchen, einem Dominikaner und einem Franziskaner, zu disputieren.53 Es schien, als sollten sich die häufigen Religionsgespräche und geistigen Turniere in Spanien auf italienischem Boden wiederholen. Farissol tat es mit philosophischer Ruhe, mit nötiger Vorsicht und Schonung der Empfindlichkeit der Gegner, wo er schwache Seiten berühren mußte. Er löste die Dogmen des Christentums durch Vernunftgründe und Bibelverse auf; Erbsünde, Menschwerdung, Dreieinigkeit, Hostienwandlung, Taufe, alles das behandelte er mit einem gesammelten Ernst, ohne den Mund zum Lächeln zu verziehen. Es versteht sich von selbst, daß er die Schriftverse, welche für die Begründung der Jesuslehre oder des Katholizismus angeführt zu werden pflegten, ins rechte Licht setzte und ihre Beweiskraft in nichts auflöste. Auch das Judentum gegen Angriffe zu verteidigen, wurde Farissol in Gegenwart des Herzogs Ercole öfter veranlaßt, und hier fiel seine Beweisführung keineswegs so schlagend und überzeugend aus; sie erscheint vielmehr öfter matt und nichtssagend. Unter anderem wurde ihm auch der häßliche Fleck des Wuchers entgegengehalten, dem die reichen Juden in Italien ergeben waren, wodurch sie nach der Ansicht jener Zeit zugleich gegen die Menschlichkeit und die Bibel sündigten. Farissol rechtfertigte die Zinsnahme von Nichtjuden. Er führte an, daß in einem geordneten, auf Rechten und Pflichten begründeten Staatswesen sich nicht mehr wie etwa im Naturzustande [43] die allgemeine Brüderlichkeit durchführen lasse, in welchem jeder gehalten sei, dem Mangel seines Nächsten ohne Gegenleistung abzuhelfen. So wie die Gesetze zulassen, daß für das Überlassen von Besitztümern zur Benutzung ein Mietpreis gezahlt werde, so sei jeder auch berechtigt, sein Geld für Miete, d.h. für Zins auszuleihen. Auch verpflichte sich ja jeder, der von einem Juden eine Anleihe nehmen wolle, von vornherein zu einer bestimmten Mehrzahlung, es beruhe also auf freiwilligem Verzichtleisten. Die Päpste haben deswegen auch den Juden den Wucher gestattet, und die Juden müßten dafür hohe Steuern zahlen, wodurch auch dem Staate Nutzen erwachse. Auch sei der Zins an sich nicht so verderblich, da er im Gegenteile öfter den Geldbedürftigen Vorteil gewähre, Geschäfte zu betreiben, um sich vor größerm Schaden zu schützen. Nur von Juden Zins zu nehmen, verbiete das jüdische Gesetz, als von Brüdern im wahren Sinne. Die Christen aber seien nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht als Brüder zu betrachten, wollten es auch gar nicht sein, indem sie sichtlich genug die Juden sehr unbrüderlich behandelten. Diese Rechtfertigung Farissols befriedigt allerdings nur halb. Besser klingt der Schluß seiner Abhandlung: Wer sich von bösem Leumund fernhält, nur würdige, nicht gehässige Geschäfte betreibt und eingedenk ist, gegen alle Dürftige ohne Unterschied Erbarmen zu üben, habe von Gott Segen zu erwarten.54

Farissol hatte auf Veranlassung des Herzogs von Ferrara den Inhalt seiner Unterredungen mit den Mönchen hebräisch niedergeschrieben und dann in italienischer Sprache wiedergegeben, damit seine Gegenkämpfer sich auf eine Widerlegung vorbereiten könnten.55 Dieses polemische und apologetische Werk hat aber weit weniger Wert als sein geographisches, das er im hohen Alter an der Schwelle des Grabes ausgearbeitet hat. Darin zeigen sich Farissols Geistesklarheit, gesunder Sinn, wie umfassende Gelehrsamkeit.

In Italien hatten die Juden damals wenigstens noch die Freiheit und die Fähigkeit, mit den Christen ein Wort zu wechseln. Stiegen sie aber über die Alpen nach Deutschland, so wehte für sie zugleich eine atmosphärisch und politisch rauhe Luft; schwerlich haben sefardische Flüchtlinge in dieses ungastliche Land ihren Fuß gesetzt.56 Die deutsche Bevölkerung war damals nicht weniger feindselig gegen die Juden als die spanische. Sie hatte sie zwar nicht wie in Spanien um hohe Stellungen und den Einfluß einiger jüdischer Großen an den Höfen zu beneiden; aber sie gönnte ihnen nicht einmal das elende Leben in den Judengassen, worin sie zusammengepfercht wohnten. Aus einigen Gegenden Deutschlands waren sie bereits verjagt, aus dem Cölnischen, Mainzischen, [44] aus Augsburg; in ganz Schwaben gab es damals keine Juden.57 Aus anderen Gegenden wurden sie fast gleichzeitig mit denen aus der pyrenäischen Halbinsel vertrieben. Der Kaiser Friedrich III. nahm sich zwar bis in seine letzte Stunde der von aller Welt Geächteten an. Er hatte einen jüdischen Leibarzt – gewiß eine Seltenheit in Deutschland – den gelehrten Jakob ben Jechiel Loans, dem er viele Gunst zugewendet und den er zum Ritter ernannt hat.58 Dieser pflegte den greisen Kaiser in seiner Hofhaltung zu Linz bis zur Sterbestunde. Auf seinem Totenbette soll Friedrich seinem Sohne die Juden warm empfohlen haben, sie zu beschützen und den verleumderischen Anklagen gegen sie, deren Grundlosigkeit er sattsam erfahren hatte, kein Ohr zu leihen.59 Ihm imponierte gewaltig der Fortbestand der Judenheit unter den tausendfachen Verfolgungen seit der Herrschaft des Christentums, und daß diese wunderbare Erhaltung in Moses Gesetzbuch vorausverkündet worden sei: »Und selbst (u – aph) im Lande ihrer Feinde verwerfe ich sie nicht, werde vielmehr des Bündnisses mit den Vorfahren eingedenk sein.« Kaiser Friedrich pflegte davon scherzweise zu sagen: »Die Juden haben einen Affen (u – aph) in ihrer Schrift, den sollten sie billig mit goldenen Buchstaben schreiben.60 Wie es scheint, stand Jakob Loans auch beim Kaiser Maximilian in Gunst, dem es zugefallen war, Deutschland in den allerschwierigsten Lagen zu regieren. Diese Gunst hat der Kaiser auf dessen Verwandten übertragen.

Dieser Verwandte, war eine außerordentliche Erscheinung, eine tatkräftige Persönlichkeit, wie sie die deutsche Judenheit bis dahin noch nicht besessen hat. Es war Joseph Loans oder, wie er öfter genannt wurde Joselin (Josselmann) von Rosheim (geb. [45] um 1478, gest. 1554.61) Zu der Zeit, in welcher neue gehäufte Leiden über die jüdischen Gemeinden in Deutschland hereinbrachen, war er ein Schutzgeist für sie und war imstande, lebensgefährdende Anschuldigungen gegen sie verstummen zu machen und Verfolgungen, wenn nicht abzuwenden, so doch zu mildern.

Joselins Jugenderinnerungen waren erfüllt von märtyrerischen Grausamkeiten. Seine Familie, welche von den aus Frankreich im Anfang des XV. Jahrhunderts Vertriebenen aus Louhans (Loons) in der Franche- Comte stammte, hatte sich in der Nordschweiz in Endigen niedergelassen. Einige Jahre vor seiner Geburt wurden mehrere Juden kleiner Gemeinden beschuldigt, einige Christen ermordet, das Blut von gemordeten Kindern gesammelt und nach Frankfurt, Pforzheim und anderen Orten versandt zu haben, wodurch drei Verwandte seines Vaters verbrannt wurden, sein Vater aber hatte sich durch die Flucht gerettet. In Elsaß, wo seine Eltern sich darauf niedergelassen hatten, waren sie zwei Jahre vor seiner Geburt gezwungen, in einer Festung Zuflucht zu suchen, als die wilden Schweizerbanden im Dienste des Herzogs René von Lothringen gegen Karl den Kühnen von Burgund ein fürchterliches Gemetzel unter den Juden von Elsaß und Lothringen angerichtet hatten, um sie zur Taufe zu zwingen, wobei vierundsiebzig Männer, Frauen und Kinder, den Märtyrertod erlitten. In Mühlhausen war nur ein einziger Jude namens Bames geduldet; die übrigen aber mußten im strengen Winter in Höhlen einen Schlupfwinkel suchen. Als auch über achtzig dieser elenden Flüchtlinge der Märtyrertod verhängt [46] war, traf in der letzten Stunde Hilfe ein, indem Bames von Mühlhausen 800 Gulden durch den Verkauf aller seiner Habseligkeiten als Lösegeld dem Führer der Schweizer einhändigte, um welchen Preis der Unmensch sie verschonen wollte. Das waren die Wiegenlieder, welche der junge Joselin von seinen Eltern in Erinnerung hatte, die sich in Roßheim bei Colmar ansiedelten.

Diesen Joselin, welcher von diesem Aufenthalt seiner Eltern Roßheim (Roschheim) genannt wurde, ernannte Kaiser Maximilian auf Eingebung des Leibarztes Jakob Loans zum Großrabbiner (obersten Rabbi) der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Er sollte gewiß für die Leistung der Judensteuer an den Kaisersorgen und die Säumigen mit dem rabbinischen Bann belegen, der damals unter den Juden dieselbe Wirkung hatte, wie der katholische. Dazu mußte er einen schweren Eid leisten62 und dazu erhielt er auch die Befugnis, den Bann zu verhängen.63 Sein Amtstitel war Versorger und Leiter der Judenheit (Parnes-Manhig), sogar auch in der Kanzleisprache »Regierer der Juden«. Da Joselin aber, wenn auch talmudisch geschult, doch nicht den hohen Grad der rabbinischen Kenntnisse besaß, welche in Deutschland zur Würde eines Rabbiners und noch dazu eines Großrabbiners berechtigten, und er außerdem von den Juden nur als kaiserlicher Fiskal angesehen wurde, so haben ihn die Gemeinden zuerst nicht als solchen anerkannt. Erst als sie wahrnahmen, wie er sich ihrer mutig und unverdrossen angenommen hat, erkannten sie ihn als ihren Vertreter und Beschützer (Stadlan) an, wandten sich an ihn, wo ihnen Unbill widerfuhr oder Verfolgung drohte. Einen solchen treuen, hingebenden und klugen Annehmer haben die deutschen Juden bis dahin noch nicht besessen. Er durfte von sich rühmen, daß er weite Reisen im Interesse der Gemeinden gemacht und daß er vor Königen und Kaisern, in Ratsversammlungen und bei den kaiserlichen Kammern sie verteidigt hat.64 Er hat in der Tat bei Fürsten und Magistraten vieles durchgesetzt. So oft er nur zur Audienz beim Kaiser Maximilian und seinem Nachfolger gelangen konnte, fand er bei ihnen Gehör. Joselin war eine allgemein beliebte Persönlichkeit, obwohl er nicht über große Geldmittel verfügen konnte. Nicht selten ist sein Haus von wilden Banden ausgeplündert worden, während Fürsten leutselig mit ihm verkehrten.

Die innige Religiosität und das unerschütterliche Gottvertrauen, die ihn in gleicher Stärke, wie die Psalmensänger beseelten, sowie sein Feuereifer, die Sache der zum Tode Gehetzten zu führen, müssen seinen Zügen einen so verklärenden Widerschein gegeben und ihm so warme Sympathie erweckt haben, daß finstere Machthaber ihn freundlich [47] empfingen und ihn zu Worte kommen ließen. Er wurde mit Recht von seinen Stammesgenossen als ihr großer Verteidiger gepriesen und gesegnet. Ohne diesen ihren Schutzgeist hätten sich vielleicht die Juden in Deutschland nicht behaupten können. Denn die Vertreibung derselben aus Spanien wirkte ansteckend. Fürsten und Städte planten seitdem, sie auch aus den deutschen Gauen zu weisen. Um aber diese Grausamkeit zu rechtfertigen, wofür nicht wie auf der pyrenäischen Halbinsel der Vorwand geltend gemacht werden konnte, daß ihre Anwesenheit zum Schaden für die Neuchristen gereiche, daß diese zum Abfall von der Kirche verführt würden, wurde die Lügenmäre von Christenkindermord und Hostienschändung durch Juden noch häufiger verbreitet. Um recht viele Juden in die Beschuldigung hineinzuziehen, wurde immer hinzugefügt, von dem Kinderblut sei nach solchen Orten versandt worden, wo viele und reiche Juden wohnten.65

Die Dominikaner, welche in Spanien die Ausweisung der Juden durchgesetzt hatten, betrieben mit der ihnen eigenen Schlauheit und Beharrlichkeit denselben Plan für Deutschland. Sie stellten die Juden als Schreckensgespenst dar, das nach dem Blute von Christenkindern lechze. Und Kaiser Maximilian, welcher von seinem Vater die Mahnung erhalten hatte, die Juden vor verläumderischen Anschuldigungen zu schützen, war kein fester Charakter, vielmehr allen Einflüssen und Einflüsterungen zugänglich, und hat den Rat seines Vaters nicht immer befolgt. Sein Verhalten gegen die Juden war daher stets schwankend; bald erteilte er ihnen Schutz oder sagte ihn ihnen wenigstens zu, bald bot er die Hand, wenn auch nicht zu ihrer blutigen Verfolgung, so doch zu ihrer Ausweisung und Demütigung. Den lügenhaften Anschuldigungen gegen sie von Hostienschändung und Kindermord schenkte auch Kaiser Maximilian hin und wieder Gehör. Daher kamen während seiner Zeit nicht bloß Judenvertreibungen in Deutschland und seinen Nebenländern vor, sondern auch Judenhetzen und Marter. Des Todes durch die Folter, des Märtyrertodes, waren sie so sehr täglich gewärtig, daß eigens ein Sündenbekenntnis für solche Fälle formuliert wurde, damit die unschuldig Angeklagten, wenn zum Abfall aufgefordert, ihr Bekenntnis mit dem Tode besiegeln und sich freudig für den einzigen Gott hingeben sollten. Wurden Juden irgendwo mit Bewilligung oder durch passives Verhalten des Kaisers ausgewiesen, so hatte dieser kein Bedenken, ihre zurückgelassenen liegenden Gründe für sich einziehen und zu Geld schlagen zu lassen.

Gleich in den ersten Jahren seiner Regierung vertrieb er die Juden von Steiermark, Kärnthen und Krain. Die Landstände [48] und Prälaten dieser Striche hatten Klagen erhoben, daß die Juden die Sakramente geschmäht, daß sie junge Christen jämmerlich gemartert und umgebracht, Blut von ihnen gezapft, es zu ihrem verdammlichen Wesen gebraucht, daß sie durch gefälschte Briefe und Insiegel Christen betrogen und in Armut versetzt hätten. Sie hatten ferner dem Kaiser 40000 Gulden als Schadenersatz für den Ausfall der Judensteuer geboten, wenn er deren Vertreibung bewilligen wolle. Maximilian, obwohl einsichtsvoller und gebildeter als sein Vater, hatte alle diese Anschuldigungen für wahr angenommen oder sich gestellt, als glaube er alles, und demzufolge ein Dekret erlassen (4. März 1496),66 daß die Juden bis zum Januar des folgenden Jahres bei schweren Strafen diese Länder zu verlassen hätten. Auch den zeitweiligen Aufenthalt oder die Durchreise von Juden daselbst erschwerte er ungemein. Indessen hatte Maximilian doch so viel Menschlichkeit, den Ausgewiesenen neue Wohnplätze in Marchek und Eisenstadt anzuweisen und den Bürgern dieser Städte zu befehlen, sie um billigen Mietzins so lange zu beherbergen, bis sie sich Wohnhäuser erbaut haben würden. Auch gestattete er ihnen kurz vor dem Ausweisungstermin wegen des strengen Winters und anderer Hindernisse noch etwas länger im Lande bleiben zu dürfen. Aber endlich mußten sie doch auswandern. Ihre Häuser, Synagogen und Friedhöfe, welche die Bürgerschaft nicht ankaufen wollte, um sie umsonst zu haben, wurden vom Kaiser veräußert und verschenkt.

Die Nürnberger Gemeinde verjagte der Kaiser zwar nicht geradezu, aber er erteilte den Bürgern die Erlaubnis dazu – um schnödes Geld. Und da machte noch die Christenheit den Juden ungerechten Geldgewinn zum Vorwurfe, während sie – eigentlich doch nur die Reichen – allenfalls solches Unrecht nur im kleinen begingen! Der Hintergrund zur Vertreibung der Juden aus Nürnberg um diese Zeit ist dunkel.67 Mißhelligkeiten bestanden zwischen ihnen und dem ehrsamen Rat seit langer Zeit wegen Einführung einer neuen Ordnung oder Reformation des Gemeinwesens mit beschränkenden Punkten gegen sie, deren Ungesetzlichkeit sie behauptet hatten. Gleich nach [49] Maximilians Regierungsantritt ging ihn die Bürgerschaft an, die Ausweisung der Judenschaft »wegen loser Aufführung« zu gestatten. Diese »lose Aufführung« formulierte sie in den Anklagen, daß die Juden durch Aufnahme fremder Glaubensgenossen ihre Zahl über die Norm vermehrt, daß sie übermäßigen Wucher getrieben und mit Schuldforderung Betrug geübt, dadurch die Verarmung von Handwerksleuten herbeigeführt, und endlich daß sie schlechtem Gesindel Herberge gegeben hätten. Um den Haß gegen sie rege zu machen, ließ der reiche Bürger Antonius Koberger die giftgeschwollene judenfeindliche Schrift des spanischen Franziskaners Alfonso de Spina auf eigene68 Kosten drucken, welche die Lateinischkundigen, d.h. die gebildeten Klassen, in dem Wahne bestärken sollte, daß die Juden Gotteslästerer, Hostienschänder und Kindesmörder wären. Nach langem Petitionieren gewährte endlich Kaiser Maximilian die Bitte des Rates »wegen der Treue, welche die Stadt Nürnberg von jeher dem kaiserlichen Hause erwiesen«, hob die Schutzprivilegien der Juden auf, erlaubte dem Rate, eine Frist zur Vertreibung festzusetzen, verlangte aber, daß die Häuser, Liegenschaften, Synagogen und selbst der Friedhof dem kaiserlichen Fiskus zufallen sollten. Er räumte noch dazu der Stadt Nürnberg das Privilegium ein, niemals mehr Juden aufnehmen zu müssen (5. Juli 1498). Nur vier Monate bewilligte der Rat anfangs zur Vorbereitung für die Verbannung – und im Rate saß damals schon der gebildete, mit Tugend und Humanität um sich werfende Patrizier Willibald Pirkheimer, später eine Säule des Humanistenkreises. Auf das Flehen der Unglücklichen wurde ihnen die Galgenfrist um noch drei Monate verlängert. Aber die Juden, von den Schöppen in die Synagoge zusammengerufen, mußten einen Eid leisten, daß sie bis dahin bestimmt auswandern würden. Endlich verließ (10. März 1499) die ohnehin sehr heruntergekommene und geschwächte Gemeinde Nürnbergs die Stadt, wo sie sich nach dem Ende des schwarzen Todes wieder angesiedelt hatte. Der Rat war noch menschlich genug, den Abziehenden einige handfeste Männer zum Geleite mitzugeben, um sie vor Mißhandlungen zu schützen. Die Liegenschaft der ausgewiesenen Juden fiel dem Kaiser zu, der sie für 8000 Gulden der Stadt überließ. Die Verbannten wollten sich anfangs in Windheim niederlassen, und sie hatten eine Fürsprecherin an der Markgräfin Anna von Brandenburg, welche für sie diese geringe Gunst erwirken wollte. Aber der Rat versagte ihnen [50] auch diese geringe Erleichterung. So wanderten die meisten der ausgewiesenen Nürnberger Juden nach Frankfurt a.M., und wurden dort unter leidlichen Bedingungen aufgenommen. Man erzählte sich, daß zwei Schöppen von Frankfurt sie geradezu eingeladen hätten, sich in ihrer Mitte niederzulassen, weil sich die Stadt bedeutende Vorteile davon versprach. Dafür wurden diese Ratsherren von einem Geistlichen abgekanzelt, weil sie Unglücklichen ein Obdach gewährt hatten.69

Um dieselbe Zeit wurden auch die Juden anderer deutscher Städte ausgewiesen, aus Ulm, Nördlingen, Kolmar und Magdeburg.70

Der Regensburger Gemeinde, damals der ältesten in Deutschland, erging es noch schlimmer, und sie vernahm bereits die Warnungsstimme, sich auf Verbannung gefaßt zu machen. Seitdem die Bürger dieser Reichsstadt durch die Händel mit den Juden wegen falscher Blutanklage von seiten des Kaisers Friedrich Demütigungen und Geldverlust erfahren hatten, war die ehemalige Verträglichkeit zwischen Juden und Christen daselbst geschwunden und hatte Verbitterung und Gehässigkeit Platz gemacht. Der Ingrimm gegen den Kaiser, daß er den Juden Schutz gegen verläumderische Anklagen gewährt, hatte den Leitern der Stadt den unglücklichen Gedanken eingegeben, sich der kaiserlichen Oberherrlichkeit zu entziehen und sich unter die unmittelbare Herrschaft des ländersüchtigen Herzogs Albert von Bayern-München zu begeben. Diese Lossagung vom Kaiser hatte aber zu unangenehmen Verwicklungen geführt, der Stadt Regensburg die Unabhängigkeit gekostet und ihr bedeutende Verluste sowie Verarmung eingebracht. Der Kaiser Maximilian hatte ihr gar einen Reichshauptmann aufgezwungen, welcher Rat und Bürgerschaft als seine Leibeigene behandelte und sie im Zaum hielt. Anstatt alle diese aufeinanderfolgenden Unfälle ihrem eigenen Unverstande beizumessen, beschuldigte die Bürgerschaft die Juden als Urheber ihres Verfalls und ließ ihren Unmut an denselben aus. Die Pfaffen, verbittert, daß ihr Anschlag gegen die Juden mißlungen war, fanatisierten die Volksmasse täglich mit bitterer Galle gegen sie und predigten geradezu, »die Juden müßten ausgeschafft werden«.71 Infolgedessen wollten ihnen die Müller kein Mehl, die Bäcker kein Brot verkaufen (1499); die Geistlichkeit hatte die Handwerker mit Entziehung der Kommunion bedroht, falls sie den Juden Lebensmittel zukommen ließen. Auch der Rat sann engherzig darauf, Plackereien gegen sie zu dekretieren. An manchen Tagen durften die Juden auf dem Markte gar nicht, an [51] anderen nicht vor einer bestimmten Tagesstunde und erst nach den Christen ihre Einkäufe an Lebensmitteln machen. Den Christen wurde »bei des Rates ernsthafter Strafe« untersagt, für Juden Einkäufe zu machen, und daß ein jeder die Ehre Gottes und seine Seligkeit zu Herzen nehmen möge«, herzlos gegen die Juden zu sein.72 Die Gequälten klagten bei ihrem nächsten Schutzherrn, dem Herzog von Bayern-Landshut, daß keine Stunde des Tages vergehe, in der sie vor Mißhandlungen sicher wären, wenn einer von ihnen mit Christen zusammenträfe.73 Aber dieser konnte oder mochte ihnen nicht helfen. Einen Augenblick glaubten sie, besseren Tagen entgegensehen zu können, als sie durch den Tod des Herzogs Georg von Landshut aus diesem scheinbaren Schutzverhältnisse in das des Kaisers, und zwar als Erzherzogs von Österreich, übergingen und ihm ihre Steuern zu zahlen hatten (seit 1504). Aber dadurch, daß sie sich an die verhaßte Fremdherrschaft anlehnten, wurden sie von der Bürgerschaft nur noch scheeler angesehen und von der Geistlichkeit nur noch mehr geächtet.74 Der Rat beschäftigte sich bereits ernstlich mit der Beratung, den Kaiser Maximilian anzugehen, seine Zustimmung dazu zu erteilen, die Juden aus Regensburg zu vertreiben und allenfalls etwa vierundzwanzig Familien zu behalten.75 Nur noch wenige Jahre waren ihnen vergönnt, ein elendes Leben daselbst zu führen. Wetterwendische Willkür bewährte Kaiser Maximilian recht oft in seinen Erlassen bezüglich der Juden. Er hatte den Bürgern der Elsässischen Stadt Obernai, deren Roheit die jüdischen Einwohner ihrer Stadt und die Umherreisenden bis aufs Blut verfolgte, bei seiner Ungnade befohlen, die ausgewiesenen Juden wieder aufzunehmen und ihnen kein Leid zuzufügen. Kaum zehn Jahre später (1507) erlaubte er dem Magistrat von Obernai, die neu Angesiedelten wieder zu vertreiben und Juden überhaupt die Berührung des Staatsgebietes zu verbieten.76 Im ganzen gab es mit Regensburg nur noch drei große Gemeinden in Deutschland, nämlich in Frankfurt a.M. und Worms,77 und auch diese wurden öfter mit Verbannung bedroht.

In Prag wohnten zwar sehr viele Juden,78 aber diese Stadt wurde damals nicht zum eigentlichen Deutschland gezählt, sondern als Hauptstadt [52] eines eigenen Kronlandes, über welches Ladislaus, zugleich König von Ungarn, sozusagen regierte. Dieser König war, obwohl ein Sohn des judenfreundlichen Polenkönigs Kasimir IV.,79 keineswegs den Juden wohlwollend gesinnt. In Ungarn sah er mit Gemütsruhe an, wie die Juden der Freistadt Tyrnau zuerst gefoltert und dann verjagt wurden, weil sie – die erste Anschuldigung gegen sie in Ungarn – sich des Blutes von Christenkindern zu allerhand Mitteln, zur Stillung des Blutflusses, zu Liebestränken bedien hätten.80 Die böhmischen Juden hatten es unter Ladislaus nicht besser; das Judenquartier in Prag wurde öfter von Pöbelhaufen geplündert. Die Vertreibung der Juden war ein Herzenswunsch der Bürger. Doch hatten die Juden auch ihre Gönner, namentlich unter dem Adel. Als auf einem Landtage die Frage wegen Ausweisens oder Verbleibens der Juden zur Sprache gekommen war, ging der Beschluß durch (7. August 1501), daß sie von der Krone Böhmen in ewigen Zeiten geduldet werden sollten. Wenn der eine oder der andere unter ihnen sich gegen die Gesetze verginge, sollten die Schuldigen allein bestraft und deren Verbrechen nicht an der Judenheit insgesamt geahndet werden. Der König Ladislaus bestätigte diesen Landtagsbeschluß, um ihn nur zu bald zu brechen, denn die Prager Bürgerschaft war dagegen und gab sich alle erdenkliche Mühe, ihn zu vereiteln. Sie nahm den König so sehr gegen die Juden ein, daß er ihre Ausweisung bestätigte und diejenigen Christen mit Verbannung bedrohte, die sich unterfangen sollten, eine Fürbitte für die Juden einzulegen. Dennoch blieben sie im Lande,81 man weiß nicht, durch welche günstige Fügung. Die Unsicherheit der Zukunft bewog indes eine Anzahl jüdischer Familien nach Polen auszuwandern, von denen ein Teil sich in Krakau ansiedelte.82 Täglich der Ausweisung gewärtig, gewöhnten sie sich, sich an dem flammenzuckenden Krater anzubauen. Ein Abkömmling der italienischen Druckerfa milie Soncin, Gerson Kohen, legte eine hebräische[53] Druckerei in Prag an (um 1503),83 die erste in Deutschland, beinahe vier Jahrzehnte nach der Entstehung hebräischer Offizinen in Italien.

Viel Gelehrsamkeit scheint damals in der Prager Gemeinde nicht heimisch gewesen zu sein; denn die Gersonsche Druckerei lieferte in einer geraumen Zeit nicht ein einziges wissenschaftliches Werk, nicht einmal ein talmudisch-rabbinisches, sondern sorgte nur für den Synagogenbedarf, während die italienischen und türkischen Druckereien wichtige Schriften aus der ältern Zeit und der Gegenwart verbreiteten. Nur eine einzige rabbinische Autorität Prags wird aus dieser Zeit genannt, und diese, Jakob Polak (geb. um 1470, gest. um 1530),84 der eine neue Auslegungsweise des Talmud angebahnt hat, war ein Ausländer. Er war nächst seinem Namensverwandten im Morgenlande, Jakob Berab, der gründlichste und scharfsinnigste Talmudist dieser Zeit. Merkwürdigerweise sollte die staunenswerte Fertigkeit den Talmud zu behandeln, welche erst in Polen ihre höchste Ausbildung erhalten sollte, von einem geborenen Polen ausgehen. Ein Jünger des Jakob Margoles (Margolit) von Nürnberg, wurde Jakob Polak in den bayerischen Talmudschulen in jenes spitzfindige Spiel von Fragen und Antworten über talmudische Themata eingeführt, welches von den Städten, wo es im Gebrauche war, den Namen Nürnberger, Regensburger und Augsburger erhalten hatte.85 Aber er machte das Spiel zum Ernste. Obwohl diese Methode der Talmudauslegung einen eigenen Namen erhalten hat – Pilpul –, so läßt sich doch keine faßliche Vorstellung davon geben. Es ist ein Aufwand von Scharfsinn zu geringfügigem Erträgnisse, das Aufführen eines Riesenbaues auf Sandkörnern, eine Kombinationskunst, welche das Entfernteste in nahe Beziehung zu bringen versteht, eine Haarspalterei, welche zugleich Staunen und Lächeln erregt. Jene Sophisterei der Pumbaditaner, die von den Talmudisten selbst verspottet wurde, daß sie ein Seil durch ein Nadelöhr zu bringen wüßten, wurde von der Pilpul-Methode des Jakob Polak noch bei weitem überboten. Diese Disputierkunst, die ein Seitenstück an der Scholastik der mittelalterlichen Universitäten hatte, wurde zwar von manchen Talmudkundigen getadelt, brach sich aber dennoch Bahn, weil [54] sie dem Hange der Menschen, etwas Neues zu Tage zu fördern, entsprach und Handhaben bot. Zu Jakob Polaks Ehre muß es aber gesagt werden, daß er den Mißbrauch, welcher später damit getrieben wurde, nicht verschuldet hat. Er war so vorsichtig, seine durch diese Methode erzielten Entscheidungen nicht durch Schrift oder Druck zu veröffentlichen oder zu verewigen. Nicht einmal eine Abschrift von seinen erlassenen Gutachten hat er angefertigt, weil er es einerseits als Hochmut ansah und anderseits befürchtete, die Spätern könnten seinen Entscheidungen blindlings folgen und sich an den Buchstaben klammern.86

Als angehender Rabbiner hatte Jakob Polak sich etwas herausgenommen, wodurch er sich heftige Gegnerschaft und sogar den Bann zugezogen hatte. Er hat e eine Frau aus einer reichen Familie, und seine Schwiegermutter hatte Zutritt zum böhmischen Hofe. Diese verwitwete Schwiegermutter hatte ihre zweite Tochter vor deren Mündigkeit (vor dem zwölften Lebensjahre) an einen Talmudkundigen David Zedners verheiratet, welche Verbindung sie aber bald so sehr bereute, daß sie die Auflösung der Ehe durchsetzen wollte. Da der Gatte aber auf Scheidung nicht eingehen wollte, so wollte die Schwiegermutter, von Jakob Polak belehrt, die Ehe durch die einfache Erklärung des mündig gewordenen Weibchens: »ich mag ihn nicht«, aufgelöst wissen. Diese allzuleichte Ehescheidung unter solchen Umständen – nach talmudischem Gesetze allerdings halb zulässig – war aber seit einem halben Jahrhundert durch Menachem von Merseburg87 aufgehoben worden. Jakob Polak gab sich nichtsdestoweniger dazu her, entweder aus Gefälligkeit gegen seine Schwiegermutter, oder um den talmudischen Standpunkt festzuhalten, die Ehe seiner jungen Schwägerin ohne weiteres als aufgelöst zu erklären. Dagegen erhoben nun fast sämtliche Rabbiner Deutschlands nachdrücklichen Widerspruch, namentlich sein Lehrer Jakob Margoles kurz vor seinem Tod und Pinehas von Prag, und belegten ihn sogar mit dem Bann,88 bis er den ungesetzlichen Schritt aufgeben und [55] seine Schwägerin entweder in das Haus ihres Gatten zurückführen oder ihre Ehe durch einen vorschriftsmäßigen Scheidebrief auflösen lassen würde. Diese Sache hatte so viel von sich reden gemacht, daß auch die rabbinische Autorität von Padua, Juda Menz, darüber gefragt wurde. Als auch dieser sich gegen Jakob Polaks Verfahren ausgesprochen hatte, sah sich derselbe nach rabbinischen Bundesgenossen um, fand aber nur einen einzigen, den ein Familienunglück gezwungen hatte, sich wider seine Überzeugung für ihn auszusprechen. Meïr Pfefferkorn (in Prag?), ein Jünger des Joseph Kolon, sah nämlich seine Frau und Kinder im Kerker schmachten und konnte seine Hoffnung nur auf Jakob Polaks Schwiegermutter setzen, daß sie, vermöge ihres Reichtums und Einflusses, sich für deren Befreiung verwenden und sie durchsetzen würde. Aber diese war unedelmütig genug, ihre Verwendung nur unter der Bedingung zuzusagen, wenn Meïr Pfefferkorn die Auflösung der Ehe ihrer Tochter ohne Scheidung durch ein rabbinisches Gutachten gutheißen würde. Der unglückliche Gatte und Vater mußte darauf eingehen,89 und so konnte Jakob Polak sein Vorhaben trotz des Widerspruchs aller Rabbiner durchsetzen. Auf welche Weise er dem über ihn verhängten Bann entging, ist nicht bekannt geworden. Geschadet hat ihm dieser Vorfall keineswegs, denn es scharten sich nichtsdestoweniger zahlreiche Jünger um ihn, und sein Lehrhaus wurde tonangebend, sowie seine talmudische Auslegungskunst so sehr Mode wurde, daß fortan sich fast sämtliche rabbinischen Schulen damit befreundeten und denjenigen nicht für ebenbürtig oder für einen Schwachkopf hielten, der nicht imstande war, den Talmud auf dieselbe Weise zu behandeln. Polaks Schule verpflanzte einer seiner Jünger und Ebenbild nach Polen und gründete ihr dort erst die rechte Heimat.

Nächst Italien und der Türkei war Polen in dieser Zeit eine Zufluchtsstätte für die Gehetzten und Ausgewiesenen, namentlich aus Deutschland. Hier – wozu auch Litauen durch Personalunion gehörte – waren die Juden weit besser gestellt, als in den Nachbarländern jenseits der Weichsel und der Karpathen, obwohl der Mönch Capistrano das gute Verhältnis zwischen dem Königtum und den Juden auf einige Zeit gestört hatte.90

Die Könige und der Adel waren auf sie gewissermaßen angewiesen und räumten ihnen in der Regel, wenn nicht andere Interessen ins Spiel kamen, Rechte ein, weil sie mit ihren Kapitalien und ihrem Handel den Bodenreichtum des Landes in Fluß brachten und die für ein geldarmes Land so unentbehrliche Barschaft verschaffen konnten. Zollpacht [56] und Branntweinbrennereien waren größtenteils in den Händen der Juden. Es versteht sich von selbst, daß sie Äcker besaßen, und nicht bloß Handel,91 sondern auch Handwerke betrieben. Gegen 500 christliche [57] Großhändler gab es in Polen 320092 jüdische, aber dreimal so viel Handwerker, darunter Gold- und Silberarbeiter, Schmiede und Weber. Die Heilkunde war von jüdischen Ärzten vertreten. Zwar war den jüdischen Wissensdurstigen der Zutritt zu der von Kasimir dem Großen errichteten Universität in Krakau verschlossen. Sie hatte unter seinen Nachfolgern einen kirchlichen Charakter angenommen. Aber lernbegierige jüdische Jünglinge scheuten nicht die weite Reise nach Italien, um an der freien Universität von Padua die Arzneikunde zu erlernen.93 Das für die Juden so überaus günstige Statut Kasimirs IV. Jagiello war noch immer für sie in Kraft. Denn wiewohl derselbe es, gedrängt von dem fanatischen Mönche Capistrano, aufgehoben hatte, so hat er es doch um des Nutzens willen, den die polnische Krone von den Juden zog, einige Jahre später wieder eingeführt. So wurden sie im allgemeinen als Bürger im Staate angesehen, brauchten keine schändenden Abzeichen zu tragen und durften gar Waffen führen. Nach dem Tode dieses staatsklugen Königs erhoben zwar zwei Gegner ihre Waffen gegen sie; einerseits die Geistlichkeit, welche in der günstigen Stellung der Juden im Polenreiche eine Schmälerung des Christentums erblickte, und anderseits die deutsche Kaufmannschaft, welche seit langer Zeit in den Städten angesiedelt, ihr Zunft- und Zopfwesen aus Deutschland mitgebracht hatte und den jüdischen Handels- und Handwerkerstand aus Brotneid haßte. Beiden vereint gelang es die Nachfolger Kasimirs, seine Söhne Johann Albert und Alexander (1492 bis 1505), derart gegen die Juden einzunehmen, daß sie deren Privilegien aufhoben, sie in Judenquartiere einschränkten (in die Vorstadt Kasimierz [58] bei Krakau) oder sie hier und da aus Städten ganz auswiesen.94 Doch schon ihr nächster Nachfolger Sigismund I. (1506 bis 1548) war ihnen günstig und schützte sie öfters gegen Verfolgungen und Ausschließung. Diese dauernde Begünstigung empfanden sie indes nur solange, als der Bischof Tomizki und der Kanzler Szydlowiezki den Staat leiteten, welche einsichtsvoll den Wert der Juden für das geldarme Land zu schätzen wußten und Unbill gegen sie abwehrten, besonders so lange die Königin Bona, zweite Frau Sigismunds, ihren verderblichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte nicht geltend machen konnte. Diese Königin aus dem Hause Sforza in Mailand, eine Nichte Ferdinands des Katholischen von Spanien, war zwar nicht ähnlich ihrer Cousine, der Königin von Portugal, welche keinen Juden sehen mochte und Schuld hatte an den Grausamkeiten des Königs Manoel gegen die portugiesischen Juden (VIII3 S. 377 f). Die Königin Bona hatte doch wenigstens eine Art Vorliebe für zwei jüdische Frauen, Mutter und Frau des Rabbiners Mose Fischel, und ihretwegen befreite der König diesen und die beiden Frauen von der Judensteuer.95 Nichtsdestoweniger war ihre Einmischung in die Regierung verderblich für die polnische Judenheit, zumal als die lutherische Reformation sie zur verfolgungssüchtigen Katholikin umgewandelt hatte. Die kräftigste Stütze hatten aber die polnischen Juden an dem polnischen Adel, der die deutschen Städte aus nationaler und politischer Antipathie haßte und daher die Juden zum eigenen Nutzen und als Werkzeug gegen die anmaßenden Deutschen begünstigte. Und da die Adeligen zugleich die Palatine, Woywoden und hohen Beamte waren, so blieben die beschränkenden Gesetze gegen die Juden – zum Verdruß der Geistlichkeit und der deutschen Zünftler – öfter toter Buchstabe. Polen blieb daher ein gesuchtes Asyl für die irgendwo verfolgten Juden. Wollte sich ein zum Christentum übergetretener Jude, oder auch ein geborener Christ frei zum Judentum bekennen, so konnte er es eben so gut in Polen tun, wie in der Türkei. Günstiger noch als in Groß- und Kleinpolen waren die Juden in Litauen und den dazu gehörigen Landesteilen gestellt, die nur durch die Person des Königs mit Polen vereint waren.

Die Rabbiner waren für die Krone wichtige Mittelspersonen; sie hatten die Befugnis, die Kopfsteuer von den Gemeinden einzuziehen und an die Staatskasse abzuliefern. Daher wurden die Rabbiner großer Städte vom König gewählt oder bestätigt, galten als offizielle Obrigkeit zur Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten und vertraten sie bei der Krone. Sigismund I. ernannte gleich nach seinem Regierungsantritte [59] Michael von Brźecz zum Großrabbiner von Litauen; er hatte seinen Sitz in Ostrog.96 Die Rabbiner behielten, wie bisher, die bürgerliche Gerichtsbarkeit; aber auch die peinliche wurde ihnen hin und wieder eingeräumt, unwürdige Mitglieder zu verbannen und sogar mit dem Tode zu bestrafen.97 Michael von Brźecz machte von dieser Befugnis Gebrauch, als sich zwei Juden an der Insurrektion des Kronmarschalls Glinsky beteiligten. Er verhängte über sie, als Verräter an Gott und dem Könige, den Bann, den er durch Posaunen in Litauen bekannt machte.98 Er wollte aber seine Befugnis sogar über die in Litauen wohnenden Karäer ausdehnen, welche etwa ein Jahrhundert vorher aus der Krim oder Südrußland eingewandert waren und ihren Hauptsitz in Trok und Luck hatten99 und vom Herzog Witold berufen worden waren, der ihnen Privilegien eingeräumt haben soll. Diese Privilegien soll Kasimir IV. ihnen bestätigt haben. Es entstanden daher Streitigkeiten zwischen Rabbaniten und Karäern; denn diese behaupteten, da sie ein anderes Judentum bekennten, so unterlägen sie nicht der Gerichtsbarleit der Rabbiner. In der Tat war es ein Gewissenszwang, den ihnen Michael auflegen wollte. Der Kanzler Gasthold entschied daher auch zu ihren Gunsten, daß die Privilegien der Rabbaniten keine Anwendungen auf die Karäer haben sollten.100

[60] In dem Lande, welches mehrere Jahrhunderte die Hauptheimat für den Talmud und die Pflanzstätte für Talmudjünger und Rabbiner werden sollte, welches gewissermaßen eine Zeitlang eine talmudische Atmosphäre hatte, in Polen, gab es im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts noch keine rabbinische Größe. Erst die zahlreich dort eingewanderten deutschen Talmudkundigen haben dieses Studium dort heimisch gemacht. Von der Rhein- und Maingegend, von Baiern, Schwaben, Böhmen und Österreich hatten sich ganze Scharen jüdischer Familien an den Ufern der Weichsel und des Dniepr angesiedelt, und diese brachten nach dem Verlust ihrer Habe das Teuerste mit, was sie mit dem Leben verteidigten, und das ihnen nicht geraubt werden konnte, ihre religiöse Überzeugung, die Sitte der Väter und ihre Talmudkenntnisse. Die deutsche rabbinische Schule, der in der Heimat jeder Luftzug versperrt worden war, schlug ihr Zelt in Polen und Litauen, in Ruthenien (Reußen) und Volhynien auf, verbreitete sich nach allen Seiten und verwandelte sich unter der Hand, mit slawischen Elementen geschwängert, in eine eigenartige, in eine polnische Schule.

Aber nicht bloß deutsche Talmudkunde haben die jüdisch-deutschen Flüchtlinge nach Polen verpflanzt, sondern auch die deutsche Sprache – in ihrer damaligen Beschaffenheit; sie impften sie den eingeborenen Juden ein und verdrängten nach und nach aus deren Munde die polnische oder ruthenische Sprache. Wie die spanischen Juden einen Teil der europäischen oder asiatischen Türkei in ein neues Spanien verwandelt haben, so machten die deutschen Juden Polen, Litauen und die dazu gehörigen Landesteile gewissermaßen zu einem neuen Deutschland. Die Juden Litauens und überhaupt Ostpolens bedienten sich zwar der Landessprache, Litauisch oder Russinisch;101 aber sie wurden deswegen von ihren deutschredenden Stammgenossen als Halbbarbaren angesehen. Mehrere Jahrhunderte hindurch zerfielen daher die Juden in spanisch redende und deutsch sprechende, gegen welche die Italiens als eine wenig zählende Klasse verschwand, da auch hier die Juden Spanisch oder Deutsch verstehen mußten. Das [61] deutsche Wesen, die deutsche Unbeholfenheit und Biederkeit haben die in Polen angesiedelten Juden nach und nach abgelegt und überwunden, nur die Sprache nicht. Sie verehrten sie wie ein Palladium, wie eine heilige Erinnerung, und wenn sie sich auch im Verkehr mit Polen der Landessprache bedienten, im trauten Familienkreise, im Lehrhause und im Gebete behielten sie das Deutsche bei. Sie galt ihnen nächst dem Hebräischen als eine heilige Sprache. Es traf sich recht glücklich für die Juden, daß zur Zeit, als sich neue Leiden über ihren Häuptern in Deutschland sammelten, sie an der Grenze ein Land fanden, das ihnen gastliche Aufnahme und Schutz gewährte. Denn es brach damals ein Sturm in Deutschland aus, der sein erstes Wehen im beschränkten jüdischen Kreise hatte und nach und nach die Aufmerksamkeit der ganzen Christenheit auf die Juden mehr als ihnen lieb war, lenkte. Eine weitreichende, weltgeschichtliche Geburt, welche Europa umwandeln sollte, lag, sozusagen, in einer jüdischen Krippe.


Fußnoten

1 Obadja di Bertinoro berichtet in seinem Schreiben von 1488: םויה (םילשוריב) הב וראשנ אל םידוהיה ןמו םיתב ילעב םיעבש (Jahrbuch des Literaturvereins Jahrg. 1863, p. 213) Vom Jahre 1495 berichtet ein anonymer italienischer Pilger (das. p. 218): ריע םילשוריב םיתב ילעב םיתאמ ומכ םה שדקה, und vom Jahre 1551 referiert ein anderer anonymer italienischer Pilger (יחבש םילשורי p. 21): תואמ ו"ט שי םינימ לכמ (םילשוריב) להקה סוקסירומ םה םיברעתסמו .בורל םידרפסו םיזנכשא םיתב ילעב ומכ םלכ ןיב הירברבמ ואבש םה םיברעמו ,םדקמ ץראה יבשוה תואמ 'רמ רתוי םהש הינמלא דבלמ םיתב ילעב תואמ 'ג רהוי םה הקדצ ילבקמ ןיאו יפושב םילשוריב תוסנרפהמו .תושפנ םיתאממ


2 Vergl. Bd. VIII3 S. 278ff.


3 Sein Sendschreiben a. a O. S. 213.


4 Sendschreiben a.a.O. S. 280.


5 Diese Beschlüsse teilt der anonyme italienische Pilger mit (in םילשורי יחבש p. 24 b): שיש תומכסהו תונקת תסנכה תיבב חול לע םיבותכ םהו םילשורי ק"קל; sie scheinen nicht lange vor seiner Ankunft 1526 eingeführt worden zu sein. Wenigstens wissen wir von einem derselben, die Weihgeschenke betreffend, daß er 1514 ver einbart wurde; vergl. Note 1. In diesem Jahre hat Obadja di Bertinoro höchst wahrscheinlich noch gelebt, vergl. Respp. Elia Misrachi Nr. 45 und Respp. David Ibn-Abi-Simra I. Nr. 108. Dieses, im hohen Alter ausgestellte Responsum gibt an, derselbe sei noch nicht 40 Jahre tot.


6 Die Itinerarien der zwei genannten italienischen Pilger im Jahrbuch a.a.O. und in םילשורי יחבש.


7 Beide italienische Itinerarien das. Jahrbuch, a.a.O. 275, 277, םילשורי יחנש p. 16 b.


8 Itinerarium םילשורי יחבש p. 21 b, Respp. Jakob Berab Nr. 33.


9 Salomo Melech, Verfasser des Bibelkommentars יפוי ללכמ, ein Zeitgenosse, bemerkt in der Einleitung: דרפס תולהקה בור הב ואב רשא המרגות תוכלמ ,הזה תוכלמב.


10 Samuel Usque, Consolaçáo p. 233 a b.


11 Nikolaus de Nikolai, Schiffahrt in der Türkei (vom Jahre 1554), ursprünglich französisch, IV c. 16: vergl. die Rede des venetianischen Baile Jacopo Soranzo im Nachtrag zu Joseph Kohens Emek ha-Bacha p. 148, auch Paul Jovius Novocomensis, de legatione ad Clementem VII., in Straczewski historiae Ruthenicae scriptores I, No. II, p. 10: Sed ante alia Judaeorum genus vel memoria quidem horrent (Moscovitae), nec eos intra fines admittunt, qui etiam novissime Turcas aenea tormenta docuerint. Novissime ist hier vor etwa 1530.


12 Nikolaus de Nikolai das. III c. 12.


13 Gedalja Ibn-Jachja, Schalschelet p. 50 b; Imanuel Aboab, Nomologia p. 306. Joseph Hamon I. war wohl jedenfalls verwandt mit Isaak Hamon aus Granada in Schebet Jehuda Nr. 37.


14 Nikolaus de Nikolai sagt über ihn: Der türkische Kaiser hat zum Teil Juden als Ärzte mit großer Besoldung. Zu meiner Zeit (d.h. 1551-1554) war der vornehmste Arzt Ammon, seines Alters etliche und fünfzig Jahre, in großem Beruf und Ansehen nicht allein wegen seines Reichtums, sondern auch wegen seiner Geschicklichkeit und Tapferkeit (a.a.O.). Zur Zeit als Mose Almosnino in Konstantinopel petitionierte (1565), war Mose Hamon bereits tot; denn er zählt dessen Sohn Joseph Hamon zu den Beförderern seines Gesuches.


15 Über M. Hamons Verhältnis zu pentateuchischen Versionen ist manches Falsche geschrieben und nachgeschrieben worden; daher sei hier kurz das Richtige gegeben. Bekannt ist, daß 1546 in Konstantinopel auf Kosten Hamons der Pentateuch mit Onkelos, Saadias arabischer Version und einer persischen Version von Jakob םיואט gedruckt wurde. Daß aber Hamon selbst die letzte veranlaßt hat, ist nicht bekannt, weil die Bibliographen jene Edition nicht vor Augen hatten. Das Vorwort des Editors (Salomo Masal-Tob) sagt es aber deutlich. Es verdient überhaupt trotz seines schwärmerischen Stiles, mitgeteilt zu werden. Es lautet: תמגרותמו ... תשרופמ הביתכ הנה ... המומת 'ה תדוה יסרפו ןואג אידעס ברל יברעו סולקנוא םוגרת תונושל שלשב ע"נ סוואט ףסוי 'רמכ ןב בקעי 'רכ םכחו ןובנ שיא ונל ראב רשא אפורה םכחה 'ה םע ןומה בא אוח ... ונתולג רואמ וננודא ואיבה ... חבשל ונילע ... ןומה השמ 'רהמכ לארשיב לודגו רש קהבומה אוה בא ... םינפ אושנו ומש לודג לארשיב לאוג תיבשה אלש ו"ש אניטנטשיק ... הרעיס הינע םואל. Das Verbum ואיבה bezieht sich doch wohl auf den Übersetzer, daß ihn Hamon aus Persien mitgebracht hat. Über diese persische Übersetzung haben Walton in der Einl. zur Londoner Polygotte, Rosenmüller in einer Dissertation: de versione Pentateuchi persica commentatio, und noch andere nur Vages mitgeteilt; Munk hat, wie über viele Materien der jüdischen und arabischen Literatur, auch darüber Licht verbreitet in seinen Notices sur Saadia Gaon p. 62 ff. Dieser Übersetzung hat Alexander Kohut eine eingehende Schrift gewidmet: Kritische Beleuchtung d. pers. Pent. Übersetzung, Leipzig und Heidelberg 1871. – Da diese Übersetzung 1546 gedruckt wurde, so muß sie M. Hamon bei seiner Begleitung Suleiman's im ersten persischen Feldzuge (1534-35) mitgebracht haben.


16 Die Zahl der Juden Konstantinopels in dieser Zeit läßt sich nicht genau ermitteln. Nach Relatione de Constantinopoli zählten sie 11300 erwachsene Steuerpflichtige über 12 Jahren, ohne Frauen, was etwa 30000 ergeben würde. Stephan Gerlach bemerkt in seinem Tagebuche (p. 90), daß bis zum J. 1574 über 10000 Juden nach Konstantinopel eingewandert sein sollen, welche alle früher Christen gewesen, d.h. Marranen. Zinkeisen (Geschichte des osmannischen Reichs III, S. 309, Note) hat die Zahl mißverstanden und sie als die Gesamtgemeinde aufgefaßt; daher findet man bei ihm die Zahl zu gering angeschlagen Gerlach schreibt das. S. 174: Die Deutschen und Ungarischen haben Schule zu Hause, die Welschen, Spanier, Griechen ihre besonderen Schulen. Vor der großen Brunst (Sept. 1560 bei v. Hammer III 528; Charrière, Négotiations de la France dans le Levant III, p. 88 ff.) waren deren 44, jetzt (1575) sind hier etliche dreißig. Über die partiellen Gemeinden und Synagogen vergl. die zeitgenössischen Responsa.


17 Vergl. Respp. E. Misrachi Nr. 89: תעכ רורט ינא ןמ ונילע וכילשהש תמחמ ילע ולפנש תולהקה תוררט בורמ ק"תו ,םינבל 'ר סמ ערופש ימ לכמ םינבל ףלא תחקל תוכלמה 'כ ערופש ימ לכמ םינבל 'מו ,םינבל 'ק סמ ערופש ימ לכמ םינבל םיחרפ םיפלא 'ז בורק םדבל םידוהיה לע ונובשח הלועו םינבל. (Über den Wert der Asper = םינבל in dieser Zeit vergl. v. Hammer III, S. 18, Note c; 50 Asper = 1 Dukaten.) Vergl. noch über die Judensteuer in der Türkei Respp. Samuel de Medina (alte Ausgabe von Salonichi, Chosen Mischpat Nr. 64) und Zinckeisen, Geschichte des osmanischen Reichs III, S. 368, nach einer handschriftlichen Quelle.


18 Respp. Samuel di Medina das. I, Nr. 53.


19 Seine Geburtszeit und Lebensdauer läßt sich nur aus seinem Todesjahr ermitteln. Er lebte noch, als der Streit zwischen Benjamin Seeb und David aus Corfu (ך"דר) schwebte. Noch 28. Schebat 5285 = Januar 1525 hat der erstere an E. Misrachi ein Sendschreiben gerichtet (Respp. Benj. Seeb, Nr. 284). Dagegen war er 1527 bereits gestorben, als sein Sohn dessen Pentateuch-Superkommentar in Venedig ediert hat. Da Misrachi sehr alt geworden ist, wie aus einigen seiner Respp. hervorgeht, so ist damit seine Geburtszeit annähernd gegeben. Daß er ein Jünger des Juda Menz war, folgt aus der Quelle Bd. VIII.3 S. 448. Er polemisierte aber mit Elia Baschjazi, also noch vor 1490, vor dem Tode des letztern, wie aus der Beilage zu והילא תרדא ed. Goslow-Eupatoria (anfangs) hervorgeht. Über seine edierten Schriften: Superkommentar zu Raschis Pentateuch-Kommentar, Glossen zu de Couchs ג"מס, zwei Responsensammlungen, 100 תובושת in םיקומע םימ ת"וש, eine hebräische Arithmetik, die auch ins Lateinische übersetzt wurde (Basel 1546), vergl. die Bibliographen.


20 Vergl. dessen Respp. Nr. 58.


21 Respp. das. Nr. 67. Joseph Bagi in einem Codex der Leydener Bibliothek, Katalog S. 126.


22 אייהק, ein türkisches Wort 2. Kapitel. Rundblick (Fortsetzung) der praefectus aulae, ein Würdenträger des Hofes, oder wohl auch einfach ein Curtisanus, der Zutritt zum Hofe, zum Serail, hatte. Das Responsum E. Misrachis Nr. 14 Ende und Nr. 15, das Nachricht darüber enthält, ist sehr beachtenswert: 'רל שיש ... םויה דע אייהק היהש לאיתלאש 'ר לע רזגש רשה תריזג לטבל ךלמה לכיהב דומעל חכ לאיתלאש םהמע תיב ןבכ אוהש ךלמה ינפ יאור םירשה חכ םע םידוהיה. Aus dem Umstande, daß der Sultan selbst ihn dazu ernannt hat (das.): ובישהל ךלמה רזג רבכ רשא לאיתלאש 'ר ונב לע, und daß es von Kahija ein Abstraktum gegeben hat, קילייהק (das.) geht hervor, daß es eine beständige Würde war, die der Sultan zu verleihen pflegte.


23 Respp. Samuel de Medina (םדשר, erste Edition, Konstantinopel 1550, unter dem Namen םיקספ) I, Nr. 88: לארשי הבורש ריע איהש יקינולאש. Die große Zahl der Synagogengemeinden ist in der Gutachtenliteratur des XVI. saecul. angegeben, vergl. Immanuel Aboab: Nomologia p. 307.

24 Samuel Usque, Consolaçáo III, Nr. 34.


25 Einl. zu Chabibs En-Jakob.


26 Einleitung zu Athias Psalmenkommentar; Schimeonis Todesjahr bezeichnet eine Grabschrift bei Conforte, p. 32.


27 En-Jakob oder En-Jisrael. zuerst ediert Konstantinopel 1516 beim Leben des Kompilators, später von seinem Sohne Levi Ibn-Chabib vervollständigt.


28 Vergl. darüber Frankel-Graetz, Monatsschrift, Jahrg. 1864, S. 25 ff. Zu Ahron Afia ist noch zu ergänzen: Gedalja (Ibn) Jachja edierte 1568 in Venedig: Aron Afia philosopho y metafisico excellentissimo opiniones sacadas de los mas autenticos y antiguos Philosophos que sobre la alma escriveron. Katalog der Bodleiana, p. 1602. Amatus Lusitanus führt in seiner VII. Zenturie (Nr. 15) einen Dialog mit Affius philosophus peripateticus.


29 Athias Einleitung.


30 Respp. Benjamin Seeb Nr. 303-8; Respp. Tam Ibn-Jachja Nr. 168.


31 Respp. Elia Misrachi Nr. 70: תמסרופמה (ץבית) הוית המכחב.


32 Von David Korfu (Abbrev. ך"דר) sind Responsen vorhanden, die sein Schwiegersohn David Vital ediert hat.


33 Vergl. darüber Respp. Mose Alaschkar Nr. 70 ff., Nr. 111; Respp. Jacob Berab Nr. 54; Respp. Meïr von Padua Nr. 29. Mose Metz, Einl. zu Delmedigos Elim, p. 39 b.


34 Vergl. über ihn Bd. VIII3 S. 443 ff Seine biographischen Data ergeben sich aus folgenden Momenten. Um 1525-1528 während des Streites zwischen Benjamin Seeb und David Kohen aus Corfu war Elia Kapsali bereits 16 Jahre Rabbiner (das.); er ist also um 1512 Rabbiner geworden, muß doch aber mindestens damals ein Zwanziger gewesen sein. Damit stimmt überein, daß er das Lehrhaus des Juda Menz in dessen letztem Lebensjahre 1509 besucht hat, etwa als achtzehnjähriger Jüngling. Anderseits richtete er nach dem Ableben des Jakob Berab, d.h. nach 1541, eine Anfrage an dessen Nachfolger in Safet, an Joseph Karo und Joseph di Trani in betreff des Aufstellens eines Marmors mit einer Löwengestalt in der Synagoge (Respp. J. Karo לכור תקבא Nr. 63-65 und Respp. M. di Trani I, Nr. 30).


35 Aus Kapsalis Geschichtswerk םימיה ירבד oder רדם והילא teilte Luzzatto eine interessante Piece daraus mit in Wieners deutscher Übersetzung des Emek ha-Bacha Nr. XV ff. Mose Lattes aus Padua hat einen großen Teil desselben 1869 veröffentlicht unter dem Titel םינוש םיטוקל oder de vita et scriptis Eliae Kapsali.


36 Vergl. Note 2.


37 David de Pomis de medico Hebraeo p. 10. Quos inter (Pontifices medicos Hebraeos habentes) Julius II. fuit, qui celeberrimum Physicum Judaeum Simeonem Zarfati nuncupatum, non sine maximo decore, favore mercedeque ingenti apud se conduxit. Subsequentes etiam summi pontifices (maxima ex parte) Judaeum medicum in eorum curationem vocarunt.


38 Das. Taceo illustres Cardinales, innumerabiles pene alios antistites, qui maximo cum eorum gaudio propter Judaei medici diligentissimam curationem ad bonam valetudinem venere. Taceo et quam maximas civitates et provincias, quae Judaei medici laudem enarrant. Roma Bonetum commendat, comprobatque etc.


39 Samuel Usque, Consolaçao p. 229. E se os Espanhaes te desterram e queimam na Espanha, quer o Senhor, que aches quem te recolha e deixe viver livre na Italia; vergl. Note 5.


40 Wolf, Aktenstücke in Maskir I, S. 17, Gedalja Ibn-Jachja, Schalschelet gegen Ende.


41 Vergl. Bd. VIII.3 S. 429. Auch Ibn-Jachja in Schalschelet setzt Abrabanels Todesjahr 1509 und nicht wie Chaskitu 1508.


42 Vergl. Carmoly, Biographie der Abrabanel. Ozar Nechmad II, p. 60.


43 Samuel Usque Consolação Dialog III, Nr. 32. Über S. Abrabanel vergl. noch Athias Einleitung zum Psalmenkommentar.


44 Imanuel Aboab Nomologia p. 304.


45 S. Ibn-Jachja in Schalschelet p. 52 b gibt an, daß David J. J. von der Gemeinde nach Neapel berufen worden sei. Richtiger erzählt das Verhältnis der deutsche Gelehrte Widmannstadt, der sich in diesem Kreise bewegte. Seine interessante Relation möge hier einen Platz finden: Don Joseph Jechia (soll heißen David f. D. Jachiae) Hispanus (Lusitanus) venerandae sanctitudinis et traditionis intra Hebraeos excellentis Neapoli traditiones talmudicas docuit in aedibus Samuelis Abrabanel anno Ch. 1532, ubi eo etiam praeceptore sum usus. Eodem tempore audivi Baruch Beneventenum (e Benevente Hispaniae?) optimum Cabbalistam, qui primus libros Zoharis per Aegidium Viterbensem Cardinalem in Christianos vulgavit. ... Hujus (Aben Jachiae) memoria mihi refricavit veterem illorum (Doctorum) consuetudinem, quos non alia de causa conjunxi quam quod Neapoli tum omnes cognoverim. Die Stelle ist mitgeteilt aus einer Note Widmannstadts von Landauer, Orient Literaturbl. 1855, Nr. 21 und Perles, Beiträge zur Geschichte der hebräischen und aramäischen Literatur. Landauer hat daselbst den lapsus calami oder memoriae Widmannstadts berichtigt: Joseph Aben Jachiae statt David.


46 Vergl. über ihn Bd. VIII.3 S. 429.


47 Ghirondi Bibliographen Kerem Chemed III, p. 91.


48 Sebastian Münster: In Germania Judaeï Latine non discunt ut in Italia. Widmung zu seiner Grammatica Chaldaica.


49 David de Pomis, a.a.O.: Perugia Laudadeum blanis (Blanis) verbis extollit, Bononia tum Servadeum de Sfornis, tum Eliam Nolanum omni scientia praeditum recta ratione perlaudat.. Abram de Palmis.. reverendissimi Cardinalis Grimani Physicus ingenti virtute. De Balmes', des Ergänzers seiner Grammatik הנקמ םהרבא, und Sfornos Schriften sind in den bibliographischen Schriften verzeichnet. Des ersteren Lebenszeit hat Perles bestimmter eruiert. Er war in dem Jahre der Edition seiner Grammatik, 1523, bereits tot. In derselben bemerkt er, daß er in hohem Alter stehe. 1465 ist für ihn ein Aruch kopiert worden, und der Kopist nennt ihn: ורטשמ ידומלתה ןכוחה אפורה םכחה שמלבד םהרבא. Er muß demnach um 1440 geboren sein und ein sehr hohes Alter erreicht haben (Perles, Beiträge 104). Sein Verhältnis zum Kardinal Grimani bezeichnet ein Passus in der Widmung einer von ihm übersetzten philosophischen Schrift: tu tuum Abiamum ... non desinas amore (Revue des Etudes j. V. 116). De Blanis Verhalten zur Kabbala hat erwiesen Nehem. Brüll (Jahrbuch I, 237). Da er 1553 für sich das הנקה 'ס kopieren ließ, so hat er alle im Text Genannten überlebt. Laudadeus Blanis scheint identisch mit dem von Ibn-Jachja (Schalschelet p. 34 b) erwähnten שינלבד הדוהי 'י ארקנ ונימאהל יואר דחא שיא zu sein. Laudadeus wäre dann eine Übersetzung von הדודי, wie von הידבוע die Übersetzung Servadeus. Möglich, daß der in Athias Gelehrtenkatalog (Einl. zu Ps.) vorkommende: רשכ ידוהיו רשיו אפורו םכח דחא שיאו ואידיוריש ריסמ ומש identisch mit Servadeus oder Obadja Sforno ist.


50 Sein Todesjahr ist bei den Bibliographen falsch 1550 angegeben. Amatus Lusitanus deutet ein anderes Datum an, wo er von dessen Tode erzählt (Centuria I, Anfang): Amatus bedauert, daß nicht sämtliche Avicennische medizinische Schriften ins Lateinische übersetzt wurden, und fügt hinzu: Confecerat nam opus hoc Jacobus Mantinus Hebraeus, vir multarum linguarum peritissimus ac medicinae doctissimus ... nisi malus quidam genius eum a tam felici successu retraxisset. Convocaveram nam ego, quum Venetiis agerem ad hoc complendum opus ... nisi patricius quidam Venetus Damascum et Syriam petens, ... secum duxisset, a quo itinere divus Didacus Mendocius, Caroli V apud Venetos orator, illum nunquam retrahere potuit, ubi intra paucos dies vitam cum morte commutavit. Nun beendete Amatus seine erste Centurie 1. Dezember 1549, und in dieser Zeit war J Mantin bereits tot. Vergl. über ihn die Bibliographien von Hartwig, Derenbourg in Revue des Etudes j. VII, 283 ff.


51 Zunz setzte sein Geburtsjahr 1451 ohne Quellenangabe an im Exkurs zu Benjamins von Tudela Itinerarium, englische Ausgabe von Asher. Farissols Todesjahr folgt daraus, daß er sein geographisches Werk םלוע תוחרוא Okt. 1524 beendete. Vergl. über seine Schriftstellerei die Bibliographen u. B. VIII3 S. 457.


52 Geographisches Werk םהרבא ןגמ c. 24.


53 Farissols םהרבא ןגמ und תדה חוכיו ein apologetisches und polemisches Werk, die Resultate seiner Disputationen (noch Handschrift, verfaßt 1503-1504), Anfang: סוליקריא (רויניס) 'יס ונינודא תשקבל רקי ינפל אבל ינוצו ינובהרה םהש ויחאו ותגוזו הרריפ סוכוד םימכחה ינש םע חכותהלו רבדל תובר םימעפ םתראפת תבמ אצנילאומ סוקיוידול חא זלה םוקמבו ןמזב םהל םימסרופמה םיווצב יתחרכוה םינטקה תבמ אטיפלמא חאו יניגינימוד םינשרדה .החנו הבושב תובר םימעפ םהינפב רבדל .. םתושרבו

54 Magen Abraham c. 73.


55 Das. Einleitung.


56 Zurita berichtet: Y otros (Judios de España) passaron en Napoles ... y en Alemania y Francia. Anales de Aragon T. II. p. 9 b.


57 Reuchlin, de accentibus praefatio ad I. III: Quippe cum fuerint (Judaei) prope toto vitae meae tempore a mea patria exacti et extorres, nec in ullo ducis Suevorum territorio habitare audeant.


58 Reuchlin, Rudimenta linguae hebr. p. 3: Tum reperi ea in legatione (ad Fridericum imperatorem) Judaeum doctum simul atque literatum, nomine Jacobum Jehiel Loans imperiali munificentia et doctorem medicinae et equitem auratum. Jakob Loans lebte noch Oktober 1500, wie aus Reuchlins Schreiben an denselben hervorgeht, datiert vom Kislew 5261 – Okt. 1500 in epistolae Clarorum Virorum I Nr. 101. Er kann also noch 1503 gelebt haben.


59 Joseph Kohen, Emek ha-Bacha p. 92.


60 Anthonius Margaritha, der ganze jüdische Glaub gegen Ende. Die Juden haben mit diesem Schriftwort (ףא »wenn auch« Leviticus 26, 44) und falschem Trost den frommen christlichen Kaiser Friedrich ... überredet, daß er gesagt hat, die Juden haben einen »affen« usw. nämlich das bedeutungsvolle Wort aph = aff.


61 Für die Tätigkeit und die Bedeutung Joselin Rosheims sind gegenwärtig reiche Quellen veröffentlicht worden. 1) Sein Tagebuch in der Bodleiana Nr. 2206 aus der Sammlung David Oppenheims, welches von 1471 bis 1541 reichte, abgedruckt in Revue d. Et. j. XVI p. 85 ff. 2) Aktenstücke von ihm und über ihn, welche Mr. Scheid in den Archiven von Wetzlar, Kolmar und Obernai gefunden hat. Die biographischen Data sind ohne chronologische Ordnung zusammengetragen von Isidor Loeb, Revue II. 271 f. V. 93, ferner von Scheid das. XIII. 63 f. und Nachträge von J. Krakauer das. XV. 104 f. – Seine Lebenszeit hat Mr. Scheid annähernd berechnet, da er um 1503 zum »Regierer der Judenheit« ernannt worden ist und um 1553 von sich sagte, er habe bei 50 Jahren dieses Amtes gewaltet. Er muß also 1503 in einem gesetzten Alter gestanden haben. Der Widerspruch, daß einerseits aus Joselins Angaben hervorgeht, der Kaiser habe ihn 1503 zum Regierer ernannt, und er anderseits im Tagebuch bemerkt, er sei im Jahre 1510 ernannt worden, für das allgemeine Beste der Judenheit zu sorgen. (ןיע חוקפל ... קודצ 'ררה ףולאה ףוריצב יתינמתנ ר"ע תנשב םגיהנהל רובצה לע תיטרפ החגשהב), dieser Widerspruch ist wohl dahin auszugleichen, daß der Kaiser ihn um 1503 zum »Obersten Rabbi« ernannt – die Gemein den aber ihn erst um 1510, als neue Gefahren für sie drohten, anerkannt haben, ihr Verteidiger und Sachwalter zu sein. Daher nennt ihn Joseph Kohen Nordlingen in ץמוא ףסוי, ein Zeitgenosse, םייהשור ןמ ףסוי לודגה ןלדתשה


62 Aktenstück bei Scheid Revue XIII. 64 unten.


63 Aktenstück das. 76.


64 Aktenstück bei Scheid das. 257.


65 Aktenstück in Revue XVI, 237 N., ut dixerant Judaei urbis Frankfurt: Judaei transmiserunt sanguinem ad civitates et loca ubi divites morantur Judaei.


66 Urkunde darüber in (J. Wertheimers) Juden in Osterreich I. S. 107 f., vergl. dazu Wolf, Aktenstücke Maskir, Jahrg. 1860, S. 91 f.


67 Quellen dafür: Würfel, die Juden der Reichsstadt Nürnberg, S. 33, 83 f. und Beilagen Nr. 88-42. Wagenseil, de civitate Norimbergensi p. 69. Schudt: jüdische Merkwürdigkeiten I. S. 365. Briegleb, Ausweisung der Juden von Nürnberg, Leipzig 1868. Von jüdischen Quellen kenne ich nur eine einzige, welche diese Vertreibung gelegentlich erwähnt, in Naphtali Herz Trewes' kabbalistischem Gebetbuche (קודקיד הלפת, gedruckt Thingen 1560, Einl. dazu erst nach חבתשי Bl. 'ט 4): טקנ ל"ז ם"מרהמ יפולא ןואגד די כתכ יתיאר ותלפת ףוריצב וסינכהל ל"ז רלשרו ריאמ 'רהמ ודימלתל וטמ ןמז תבס לוגלגל וילע החיהנ ורנשו ונקמ דדנ רשא לע כ"י תליפת גרובנרונ להק שוריג.


68 Das Fortalitium fidei Alfonso de Spinas ist zuerst Nürnberg, Febr. 1494, »impensis Antonii Koberger« gedruckt worden. Über die Schrift vergl. B. VIII3 S. 228 f. Koberger war ein Patrizier und mit dem Angesehensten dieses Standes, mit Willibald Pirkheimer, befreundet, wie aus Huttens Briefwechsel mit dem letzteren hervorgeht.


69 Schudt a.a. II. S. 160.


70 Pfefferkorn im Brandspiegel D. b. Über die Vertreibung aus Magdeburg (eigentlich Judendorf) 1493, s. Güdemann, Gesch. d.J. in Magdeb. 1866.


71 Gemeiner, Regensburgische Chronik IV. S. 27 f.


72 Gemeiner, das. S. 33, 56


73 Das. S. 63.


74 Das. S. 85, 117 ff.


75 Das. S. 164.


76 Aktenstück Revue XVI. 102, Joselin Tagebuch das. 87 Nr. 4 und Revue XIII. 67 f.


77 Pfefferkorn in einigen seiner Schmähschriften, im folgenden Kapitel.


78 Epistolae obscurorum virorum (Dunkelmännerbriefe) II. Nr. 16. (Salutes vobis plures)

Quam sunt . . .

. . . . . . . . . .

Meretrices in Bamberga,

Artifices in Nuremberga,

In Praga Judaei,

Coloniae Pharisaei,

Clerici in Herbipoli.


79 B. VIII3 S. 200 fg.


80 Über die Verfolgung von 1494 in Tyrnau, Löw, nach Bonifacius Quelle in Zeit. des Judentums, Jahrg. 1839, S. 539.


81 Vergl. darüber v. Herrmann, Geschichte der Israeliten in Böhmen, S. 40 f. S. 53; Wolf, Aktenstücke Maskir, Jahrg. 1861, S. 149.


82 Lateinisches Aktenstück bei Czacki von den Juden p. 44, wo von adventus Bohemorum die Rede ist. Die Einwanderung muß lange vor 1519, dem Jahre der Entscheidung des Königs Sigismund I. in dem Streit um eine Synagoge in Krakau stattgefunden haben.


83 Zunz, zur Geschichte, S. 261 f. S 270; dessen Analekten in Geigers Zeitschrift V. S. 39; Ersch und Gruber sect. II, B. 28. Artikel: jüdische Typographie, S. 52.


84 Vgl. über ihn Note 2 und R. Brüll Jahrbücher VIII 31 f.


85 Jesaia Horwitz, תירבה תוחול ינש (ה"לש) zu 'סמ הועובש p. 181 a: םיכרדב ץרתל וייהד דודח ןכ םג הידיו לכו רגרעב ןרינ לכו (רגרובש וא) רגנערבשיוא לכ .םייתמא םאי לכ רשקל תופסותב ןכו (רגרופשנגער) רוגרופש ריגער תרות ללכב םה הלאכ םירבד – תאז אלב אוהש אמית וא רמאת .דודח כ"ג םהו תמא


86 Israel b. Schachna in Respp. Mose Isserles Nr. 26: רשא ... ונכש הנוכמה םולש 'המ יבא ינודאמ הכלה יתלבק ןכו ןינמזד ישפנ יחו ... ופוס דעו םלועה ףוסמ הברה םידימלת דימעה ותבושתו , קספ השעיש ונממ םידמול הברה םע יתשקב ןיאיגס אל בושד ינא עדוי רמאו ... ותונתונעו ותודיסח בור תמהמ התיה ... .ילע םלועה וכמסיש ינוצר ןיאו ... בותכא רשאכ םא יכ וקספי רפם םוש קלופ בקעי 'רהמ ןואגה ובר ימנ השע אל אמעט יאהמו םינואגה ולא םתיבב וקיתעה אל קוחרמ וחלשש הבושת םוש םג ארהויכ םהיניענ בשחנ היה יכ ףא אמעט יאהמ. Eine rabbinische Klügelei von J. Polak inbetreff der Gebetzeit am ersten Abend des Wochenfestes s. bei Jesaia Horwitz Anf. תועובש 'סמ.


87 B. VIII.3 S. 137 fg.


88 Respp. Juda Menz Nr. 13; Salomo Lurja לש םי המלש zu Traktat Jebamot XIII. Nr. 7, ohne einen Namen zu nennen und die Notiz Nr. 2.


89 Vergl. Note 2.


90 B. VIII3 S. 203.


91 Für die Stellung der Juden in Polen im XVI. Jahrhundert führt man gewöhnlich einen Passus des päpstlichen Legaten Commendoni an, welcher zweimal sämtliche zu Polen gehörige Landesteile in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bereist hat. Derselbe, der von vielen zitiert und nur von wenigen gelesen wurde, nicht einmal von dem kundigen Czacki, lautet bei Gratian: vita Johannis Commendoni II. c. 15 in dem Bericht über Russia: Judaeorum quoque hae gentes admixtam multitudinem habent, non ut in plerisque locis inopem vitam foenore et servilibus operibus tolerantium – quamquam ne hoc quidem genere quaestus abstineant, sed qui et agros possideant et mercaturam faciant et litterarum quoque studiis, maxime astrorum et medicinae se excolant et fere vectigalibus publicis praesint, ac ad honestam fortunam perveniant, ut non aequentur modo ingenuis, sed interdum etiam imperent. Nec tegumento capitis ut apud alios aut ulla omnino insigni re a Christianis distinguuntur, quia arma ferunt, et cum telis incendunt et plane aequo cum aliis jure vivere videntur. Ferner kann dafür angeführt werden ein Passus aus einem Responsum des Mose Isserles (Nr. 95), daß der Judenhaß in Polen nicht so stark war, wie in Deutschland: תולש יעמשב יתחמש :החמש 'רל תויהל זנכשא ץראב ראשתש יתרמא יכ ףא םולשב ךתיבל ךתאיב וללה תונידמב הב הולשו הבירח תפ יפט ףידע ילואו ... ברל םהל הנידמב ומכ ונילע הרבג ןתאנש ןיא רשא ....(ןילופ תונידמ) זנכשא. Auch das. Nr. 63: תא תוארל םיצור םניא םימכחהו םכל קלהש וז רבדב רבג ביואהש םהיפ תנידמב רבעש דלונה ,הטלפ (ןילופ) תאזה ץראב ונל 'ד ריאשה יכ ילול ....םמישאד הרוא הטיע רועב ךאי הטיסכ העובשלו הלאל לארשי היה ו"ח ונב ץפחש הטונ ונירחא םירשהו ךלמה בל רשא,. Zwar gehören diese Zeugnisse von christlicher und jüdischer Seite der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts an, aber zwei Notizen aus dem Anfang des Jahrhunderts sagen dasselbe aus. Sie stammen von Judenfeinden und sind deshalb um so glaubwürdiger. Viktor von Karben berichtet in seinem judenfeindlichen Buche de vita et moribus Judaeorum vom Jahre 1504 (vergl. darüber weiter unten) c. 32: Siquid hinc (in Germania) plurimi inter Christianos deprehenduntur diffidentes sibi de fide catholica ac proinde adhaerere Judaeorum sectae cupientes, magis tamen atque magis apud Polonos Rutenos (se recipiunt), ubi plurimi Judaei reperiuntur atque existunt cultores illarum terrarum ... Quas terras ideo libentius incolunt Judaei, quod per eas ... brevis transitus sit ad terram sanctam ... vix per sexaginta aut septuaginta milliaria cruces duas vel tres ad summum conspicui (in Polonia et Rutenia). Propter hoc et alias causas ... libenter illic Judaei habitant et degunt. Igitur quamprimum apud nostros h.e. apud Germanos, sacculos suos atque marsupia impleverint satis, mox illuc proficiscuntur. – Pfefferkorn gibt in seinem Handspiegel gegen Reuchlin vom Jahre 1510 an (Bl. 22), daß in Polen Christen offen zum Judentum übertreten durften, wie in der Türkei und unangefochten blieben: Der zum Judentum übergetretene Pfarrer (weiter unten) »ist gewichen in das Land zu Behm in die Stadt Prag, da dann viele Juden wonen. Und ich sie alle, den Doktor (Thomas) mit seiner Hausfrauen, den Priester mit zwei Jünglingen unter den Juden gesehen hab, wo sie über eine Weilen in die Türkei oder Reußen gewichen sein ...« (Das. Bl. 16): »Danach schickten (den Barfüßermönch) die Juden mit dem Rabbi hinein in Reußen in eine Stadt heißt Rubischow, da ward er beschnitten.«


92 Nach der Darstellung in einer Verteidigungsschrift der Juden vom Jahre 1539, betitelt: ad quaerelam mercatorum Cracoviensium, responsum Judaeorum de mercatura bei Thadeus Czacki, Rosprawa o Źydach (Abhandlung über die Juden) p. 84. Czacki ist Hauptquelle über die politische Stellung der Juden im sechzehnten Jahrhundert. Er hat aus handschriftlichen Quellen und selten gewordenen Druckwerken die Tatsachen zusammengestellt. Daraus haben Lubliner (Les Juifs en Pologne 1839), Hollaenderski (Les Is raélites de Pologne 1846) ihre Nachricht größtenteils geschöpft. Einige interessante Aktenstücke hat Perles aufgefunden und abgedruckt in: Geschichte der Juden in Posen, Anhang.

Sekundäre Quellen sind hinzugekommen: Kraushaar, Geschichte der Juden in Polen 1866; Berson, Anhang zur Biographie des Arztes Tobias Rophe; J. M. Zünz קרצה ריע, Anhang zur Geschichte der Gemeinde von Krakau 1874, Hermann Sternberg, Geschichte der Juden in Polen 1878.


93 Bei Commendoni oben S. 57 bei Berson und Zünz. Czacki führt den Bericht des polnischen Gesandten in Rom an den König Alexander an, daß sechs polnische Juden die Universität von Padua besuchen.


94 Bei Czacki und anderen Quellen.


95 Bei Zünz p. 17. Note.


96 Czacki a.a.O. p. 86 aus Urkunden.


97 Dieses Verhältnis von der eigenen jüdischen Gerichtsbarkeit in Polen auch nach der Zeit der beiden Kasimire folgt aus einem Privilegium des Königs Sigismund August für die Posener Gemeinde, das Czacki nur abrupt zitiert (das. p. 90, Note), das Perles aber vollständig mitgeteilt hat (aus dem Archive der jüdischen Gemeinde in Posen, a.a.O. Seite 24): Denique si aliquos Judaeos discolos (δυσκόλους) et in legem Judaicam peccantes ipsi Judaei per Seniores suos juxta morem suum corrigere, castigare et punire in cunctibus excessibus vel criminibus vel etiam urbe depellere et exturbare aut vita privare perrexerint, ut in eo nullam illis difficultatem et impedimentum a Palatinis tunc et pro tempore existentibus imponatur. Aus dem Tenor juxta morem suum geht mit Entschiedenheit hervor, daß die Befugnis zu peinlicher Gerichtsbarkeit kein neues Gesetz, sondern nur die Erneuerung eines ältern war und aufgefrischt wurde, um die Behörden anzuweisen, dem jüdischen Gerichte kein Hindernis in den Weg zu legen. Auch aus einem Passus der Ressp. Moses Isserles folgt, daß die Juden überall in Polen dieselbe Befugnis hatten (Nr. 45): םג (קסירב) לוליחה לא םיבורקה ץראב םיטפוש לאל הלהת שי ללקלו תוכהל לושכמ םירהל העוצרהו לקמה םדיבו. Vergl. Ressp. Meir Lublin Nr. 138.


98 Bei Sternberg S. 112 f.


99 Nissen, in יכדרמ דוד p. 6a; s. Czacki das. p. 262. Ed. Neubauer, aus der Petersburger Bibliothek, S. 141 Nr. 58.


100 Czacki, das. p. 267. Die Karäer scheinen aus Rache diesem Rabbiner Michael einen Brief unterschoben zu haben, dessen Inhalt den Rabbinismus bloßstellt. Er soll geschrieben haben: Unsere Gesetzbücher sind mannigfaltig, befehlen Verschiedenes. Wir wissen oft nicht, wie es zu verstehen ist; wenn Gamaliel so befiehlt, ist Eleasar einer anderen Ansicht. In Babylonien und Jerusalem sind verschiedene Wahrheiten. Wir gehorchen dem zweiten Moses (Maimuni), und die neuen nennen ihn »Ketzer«. Czacki bei Kraushaar und Sternberg S. 112. So etwas kann kein Rabbiner geschrieben haben, es klingt wie Persiflage eines Karäers gegen den Talmudismus.


101 Vergl. Respp. םישנא תרובג zweite Abteilung von Meïr Kaz (Vater des Sabbataï Kohen, Schach) aus dem 17. Jahrh., Ressp. Nr. 1: ינבש טשפתנ גהנמה הז יכ איסור ןושלב םירבדמ םבור (אטילב) ונברקב םיבשויה ונתירב ןושל תחא הפש םלכ ורבדיו העד ץראה אלמתת םשה ןתי םא ... זנכשא. Mehrere Zeugenaussagen in diesen Responsen sind in slawischer Sprache gehalten; vergl. J. B. Levisohn, לארשיב הדועת p 34, Note.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 63.
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