6. Kapitel. Der Reuchlinsche Streit und die lutherische Reformation.

[157] Größere Verwickelung des Streites; Spruch der Konzilskommission. Zweideutige Entscheidung des Papstes Leo. Der Kampf wird immer leidenschaftlicher. Fortsetzung der Dunkelmännerbriefe. Klagen der Dominikaner über Verachtung beim Volke. Schwärmerei christlicher Gelehrten für die Kabbala. Paulus Ricio: kabbalistische Fälscher. Reuchlin über die kabbalistische Theorie, eine Empfehlungsschrift für den Papst Leo. Galatinus' kabbalistische Abgeschmacktheiten. Mischehe zwischen Kabbala und Christentum. Luthers Auftreten, begünstigt durch die Reuchlinsche Bewegung. Wirren durch Maximilians Tod. Reuchlin und Luther, Talmudfrage und Reformation zusammengeworfen. Die Dominikaner verleugnen Hochstraten und der Papst wünscht den Talmud gedruckt zu sehen. Erste Ausgabe des babylonischen und jerusalemischen Talmud von Bomberg. Fortschritt der Reformation. Pfefferkorns letzte Schmähschrift gegen Reuchlin und die Juden. Quälerei der Juden von Regensburg. Der fanatische Prediger Hubmaier. Schmähliche Ausweisung der Juden von Regensburg. Vollendung der Reformation. Luther anfangs für die Juden. Der Eifer für Bibel und hebräische grammatische Studien. Elia Levita, Lehrer christlicher Meister. Die hebräische Literatur in Frankreich; Justinianis More Nebochim. Die Bibelübersetzungen: Biblia Rabbinica.


(1516 bis 1525.)


Der Anfang zu einer durchgreifenden Umwälzung war eben der Reuchlinsche Streit mit den Dominikanern wegen des Talmud, und diese sollte die versteinerte und entsittlichte Welt bessern. In Rom hatte nämlich der Prozeß einen, zwar wegen des Hin- und Herziehens zweier Parteien, durch Minen und Gegenminen sehr langsamen, aber doch merklichen Fortschritt gemacht. Hochstraten, einsehend, daß die Kommission aus den zwei Kardinälen Grimani und Anconitani zugunsten Reuchlins entscheiden würde, verlangte mit Ungestüm die Entscheidung durch ein Konzil, weil es sich nicht um einen Rechtsstreit, sondern um eine Glaubenssache handle, Papst Leo, der es mit keiner Partei verderben wollte, mußte im Widerspruche mit seinen eigenen wiederholten Befehlen zum Teil darauf eingehen. [157] Auf der einen Seite drängte nämlich der Kaiser Maximilian mit vielen deutschen Fürsten darauf, Reuchlin freizusprechen und den Dominikanern den Mund zu schließen, und ließ einen Prozeß wegen Majestätsbeleidigung gegen Pfefferkorn einleiten,1 gegen den Wicht, den er ans Kopflosigkeit solange begünstigt hatte. Von der andern Seite führten der König von Frankreich und der junge Karl (damals Herzog von Burgund), künftiger Kaiser von Deutschland, König von Spanien und Amerika, eine fast drohende Sprache gegen den Papst, daß die Sache mit mehr Ernst betrieben und das judenfreundliche Buch endlich verurteilt werden solle.2 Leo hielt es für geraten, die bedenklich werdende Angelegenheit von seinen Schultern abzuwälzen. Er übertrug die Entscheidung einer Prüfungskommission bestehend aus den Mitgliedern des damals tagenden großen Laterankonzils. So wurde die Talmudfrage zur wichtigen Sache einer ökumenischen Synode, gewissermaßen zu einer europäischen Frage erhoben und damit an die große Glocke gehängt.

Reuchlin, der sich anfangs der Hoffnung hingegeben hatte, seine Sache werde in Rom schnell erledigt werden, überließ sich, nachdem sie sich zwei Jahre hingezogen hatte, einer kleinmütigen Verzweiflung. Er fürchtete, daß der Eifer seiner Freunde erkalten, sein Vermögen im Betrieb des Prozesses erschöpft werden, er dem herannahenden Alter erliegen und nach seinem Tode dann doch von der offiziellen katholischen Welt als Ketzer gebrandmarkt werden würde. Seine Freunde mußten ihm wiederholt Mut zusprechen. Keiner derselben tat es mit mehr Nachdruck als der jugendlich feurige Ulrich von Hutten, der sich damals in Italien aufhielt. Er allein erkannte am tiefsten die ganze Tragweite dieses weltgeschichtlich gewordenen Prozesses. Er wollte die Sache so betrieben wissen, daß dadurch der Sturz des Dominikanerordens, der Sturz des Papsttums und womöglich der Untergang des mittelalterlichen Spukes herbeigeführt werde.

Endlich wurde der Spruch gefällt (2. Juli 1516). Die erste Stimme, die des Bischofs Georgius Benignus von Nazareth, welche sich in der synodalen Kommission darüber vernehmen ließ, lautete, daß der Reuchlinsche Augenspiegel keine Ketzereien enthalte, daß vielmehr das Urteil der Pariser Universität und der übrigen Hochschulen als ungerechte Schmähungen zu verdammen sei. Er war ebenfalls für die hebräische und chaldäische Literatur eingenommen3 und konnte dem Verdammungsurteil der Dominikaner nicht das Wort reden. Ebenso lautete das zweite Votum des Bischofs von Malfi, nur noch [158] mit dem Zusatze, daß Hochstraten, der Ketzerrichter, der sich für eine Säule der Kirche halte, wegen seiner Unbotmäßigkeit mit Strafe zu belegen sei. In demselben Sinne sprachen sich sämtliche Mitglieder der Kommission aus, bis auf den fanatisch-finstern Kardinal Sylvester Prierias, freilich ein Dominikaner, welcher ebenfalls für Scheiterhaufen schwärmte; er allein redete Hochstraten das Wort. Der Ketzermeister war über dieses Verdammungsurteil wider ihn betroffen, aber nicht entmutigt. Er suchte noch durch allerhand Winkelzüge seinen Willen durchzusetzen und schlug gar seinen verketzernden Artikel gegen Reuchlin, Juden und Talmud an verschiedenen Stellen in Rom öffentlich an. Sie wurden aber von den Reuchlinisten, deren es auch in Rom immer mehr gab, in dem Maße, als Hochstratens Säckel immer leerer geworden war, herabgerissen und in den Straßenkot getreten. Indessen, erfindungsreich im Bösen wie er war, und mit den regierenden Persönlichkeiten an der päpstlichen Kurie bekannt, gab er seine Sache noch nicht verloren. Noch hatte der Papst nicht das Wort gesprochen. Hochstraten und seine Freunde bestimmten daher Leo X. ein Mandat zu erlassen, daß der Prozeß vor der Hand niedergeschlagen werde (mandatum de supersedendo).

Dieser Ausweg entsprach vollständig Leos Charakter und Stellung zu den leidenschaftlich erregten Parteien. Er liebte die Aufregung nicht, und er würde sie sich zugezogen haben, wenn er sich für die eine oder die andere Seite entschieden ausgesprochen hätte. Er wollte es auch weder mit den Humanisten, noch mit den Dunkelmännern, weder mit dem deutschen Kaiser, noch mit dem König von Frankreich und dem Regenten von Spanien verderben; so blieb der Prozeß in der Schwebe und konnte jeden Augenblick bei günstigerer Zeitlage von den Dominikanern wieder aufgenommen werden. Hochstraten mußte zwar Rom mit Schimpf und Schmach verlassen; aber er gab die Hoffnung nicht auf, sein Ziel doch endlich zu erreichen. Er war ein willensstarker Mann, der sich durch Demütigungen nicht niederbeugen ließ; er war auch so gewissenlos, daß ihm Lügen und Verdrehungen leicht wurden.

Wenn Papst Leo geglaubt hat, durch seinen Machtspruch die Händel niederschlagen zu können, so hat er das Ansehen des Papsttums überschätzt und die Parteien, sowie den innersten Kern der Entzweiung verkannt. Die Gemüter waren zu sehr erhitzt, als daß sie durch ein Wort von oben herab sich hätten beruhigen sollen. Beide Parteien wollten nicht den Frieden, sondern den Krieg, den erbittertsten Krieg auf Tod und Leben. Als Hochstraten aus Rom zurückkehrte, war er seines Lebens nicht sicher. Wütende Reuchlinisten machten öfter Anschläge auf ihn, und es bedurfte der nachdrücklichsten Warnung von seiten Reuchlins, daß ihm weiter nichts Leides widerfahren ist, [159] als daß ihn Hutten – später – verächtlich mit dem Degenrücken schlug. Beide Parteien steigerten die Aufregung noch mehr. Die Dominikanerpartei, von der päpstlichen Kurie halb und halb im Stich gelassen und in der öffentlichen Meinung gebrandmarkt, wollte ihre Sache ertrotzen. Die Prediger in Deutschland, welche größtenteils aus dem Dominikanerorden hervorgegangen waren, bekamen die Parole, von der Kanzel gegen Reuchlin und die Reuchlinisten zu donnern, und Prediger vom Schlage des Peter Mayer ließen es sich nicht umsonst gesagt sein. Andere, die weniger Mut hatten, stichelten wenigstens auf den und jenen der Reuchlinisten, deren es in jeder Stadt gab. Durch Schriften und Abbildungen beschmutzten die Dunkelmänner ihre Gegner und spekulierten auf den Beifall der rohen Menge.4 Gegen die Dunkelmännerbriefe, welche sie und ihre Sache so sehr an den Pranger gestellt hatten, knirschten sie natürlich am meisten, und hätten sie gern aus der Welt geschafft. Sie machten daher die größten Anstrengungen und ließen es sich schönes Geld kosten, um vom Papste eine Verbotsbulle dagegen zu erwirken. Leo X. hat seine Klugheit nicht bewährt, als er sie erteilte (15. März 1517),5 und noch weniger in der Art und Weise, wie er das Verbot verschärfte, weil diese Briefe soviel Schmähungen und Verspottungen der Professoren der Theologie in Cöln und der Pariser Universität, und weil sie soviel Gift enthielten, darum solle jeder, der sie läse, mit dem höchsten Banne belegt sein; jedermann solle gehalten sein, sie den Dominikanern auszuliefern oder zu verbrennen. Alle Prediger wurden angewiesen, in der Landessprache darüber zu sprechen und die Bulle dem Volke zu verkünden. – Nun, diese werden es nicht an Eifer haben fehlen lassen, schwerlich jedoch haben sie oder die Bulle irgend eine Wirkung gehabt. Es war in kurzer Zeit ein neuer Geist über die europäischen Menschen gekommen, der sich nicht mehr durch Bullen bannen ließ. Die Dunkelmännerbriefe konnten umso weniger unterdrückt werden, als sich Domherren und Genossen anderer Orden daran ergötzten und, voll Schadenfreude gegen die Dominikaner, sie nicht missen mochten.

Die Humanisten und Reuchlinisten ließen es auch nicht an Eifer fehlen, die Entzweiung fortdauern zu lassen. Durch Briefe ermunterten sie einander, durch Veröffentlichung von Aktenstücken – wie das Votum des Bischofs Benignus gegen Hochstraten – und durch polemische Flugblätter suchten sie die öffentliche Meinung immer mehr [160] gegen die Dominikaner einzunehmen und zu erbittern. Hutten war, seitdem er das Treiben in Rom mit geschärftem Blick kennen gelernt hatte, am eifrigsten, den Sturz der Geistlichenherrschaft in Deutschland herbeizuführen. Indem er Reuchlin wegen seines Kleinmutes tadelt, bemerkt er in seiner kurzen, schneidenden Weise: »Einen großen Teil Deiner Bürde nehmen wir auf uns. Ich blase jetzt einen Brand zusammen, der zur Zeit auffliegen wird. Ich werbe Genossen, welche nach Alter und Lebensstellung der Kampfesart gewachsen sind. Ich sollte die Sache der Wahrheit verlassen? Wie wenig kennst du Hutten! Vielmehr, wenn du sie heute verließest, würde ich nach meinen Kräften den Kampf aufnehmen, und meine Begleiter werden nicht träge sein.« Hutten hielt auch Wort. Seitdem Reuchlin durch Alter und zunehmende Schwäche sich nur noch in Klagen ergoß, stellte sich Hutten in die erste Reihe und sprach Dolche und Flammen.

Der zweite Teil der Dunkelmännerbriefe, die wohl größtenteils von ihm verfaßt sind (Sommer 1517), hat das Lachen der Reuchlinisten und das Grinsen ihrer Gegner womöglich nur noch mehr gesteigert. Ein Magister klagt seinem Genossen Ortuin Gratius, was er Lästerliches aus dem Munde des Franziskaners Thomas Murner habe hören müssen, der ein warmer Freund Reuchlins sei. Er habe unter andern geäußert: »Wenn die Cölner eine gerechte Sache haben, warum lassen sie ihre Geschäfte durch den getauften Juden betreiben? Wenn es noch einen schlimmeren und nichtswürdigeren Menschen in Deutschland gäbe, würden sie sich mit ihm verbinden. Gleich und gleich gesellt sich.6 Da konnte ich nicht dazu schweigen und sagte: ›Johannes Pfefferkorn ist ein ehrlicher Mann und ist aus dem Stamme Naphtali geboren, aus altem Adel; er rühmt sich dessen nur nicht, weil er bescheiden ist.‹ Darauf Thomas Murner: »Von Pfefferkorns Ehrlichkeit hab' ich nicht viel gehört, was ich gehört habe, ist, daß, wenn die Juden ihn wegen seiner Missetaten nicht hätten töten wollen, er nicht Christ geworden wäre. Ein Jude habe gesagt: ›Sehet, was bei den Juden nichts taugt, ist für die Christen immer noch gut genug.‹ Darauf nimmt der Magister Pfefferkorn in Schutz und Thomas Murner sagt zum Schluß: »Pfefferkorn ist würdig, einen solchen Verteidiger zu haben«.

Über die Unfehlbarkeit des Papsttums, die sich in der Talmud-Pfefferkorn-Reuchlin-Hochstratenschen Streitsache, ebenso wie die Festigkeit des Kaisers bloßgestellt hatte, verhandelte einer der Dunkelmännerbriefe in einem so wegwerfend burschikosen Tone, daß man daraus den baldigen Niedergang desselben ahnen konnte. »Der Papst soll den ›Augenspiegel‹ freigesprochen haben, er kann ihn aber wieder [161] verdammen. Der Papst steht nicht unter dem Gesetz, ist vielmehr das lebendige Gesetz auf Erden; darum kann er alles tun und braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Und wenn er auch einmal Ja gesagt hat, kann er darum doch Nein sagen!«7

Ein Brief eines Dominikanermönches berichtet an Ortuin – über das Gerede der Leute von den Händeln. Man sagt unter anderem, daß der Pfefferkorn, welcher die ganze schmutzige Geschichte eingebrockt hab, nicht besser sei, als jener, welcher in Halle mit glühenden Zangen vom Leben zum Tode gebracht wurde (o. S. 145), und wenn man ihn ins Verhör nehmen wollte, würde er eben so viele Verbrechen einzugestehen haben. Die Leute sprechen weiter: »Pfefferkorn hat die Cölner Theologen und sie ihn aufgestachelt, die Schriften der Juden zu verbrennen, und das haben sie nur getan, damit die Juden mit vielem Gelde zu ihnen kommen und sprechen sollten: ›Erlaubet uns unsere Bücher, da habt ihr vierzig Goldgulden.‹ Einige Juden würden dafür gern hundert geben, andere gar tausend. Da kam Reuchlin und hinderte diesen Plan; daher sind sie über ihn aufgebracht und nennen ihn einen Ketzer. Auch schreiben sie einige Bücher in lateinischer Sprache unter Pfefferkorns Namen, obwohl er nicht einmal das Alphabet kennt. Sie tun es aber, weil sie wissen, daß niemand ihm antworten wird, weil sich niemand mit diesem Wicht beschmutzen mag.« Dann folgen Ausfälle gegen Arnold von Tongern, daß er als Fälscher befunden worden, gegen Ortuin, der beim Ehebruch ertappt worden, gegen Wigand Wirth (den Verf. der Sturmglocke), der die unbefleckte Geburt Marias geleugnet und dann zu widerrufen gezwungen worden. Darauf ein einfältiger Dunkelmann: »Ihr dürftet solches dem Volke nicht sagen, auch wenn es wahr wäre, weil der ganze Dominikanerorden dadurch verlästert wird, und die Menschen sich ein böses Beispiel daran nehmen.« Zum Schluß klagt der Mönch: Ich wollte, o Ortuin, die Sache hätte ein Ende, weil sie uns fast nachteilig ist; die Menschen wollen uns keine Almosen mehr geben. Ich ging die vergangene Woche Käse zu sammeln und habe in zehn Tagen nicht mehr als 15 zusammengebracht, weil alle sagen: Gehe zu Johannes Reuchlin und sage, daß er dir Käse geben möge.«8

Außerordentlich belustigend ist ein Brief, worin von der einen Seite nachgewiesen wird, daß in Pfefferkorns Verteidigung gegen die erste Reihe der Dunkelmännerbriefe Ketzereien und Schmähungen gegen den Kaiser und Papst enthalten seien, und wie diese Ausstellung von der anderen gerechtfertigt wird. Angriff: Pfefferkorn nannte seine Heiligkeit eine Dienerin des Herrn auf Erden, sagte somit, der [162] Papst sei ein Weib, spielte darauf an, daß einst eine Päpstin auf Petri Stuhl gesessen, und deutet auch damit an, daß der Papst wie ein Weib irren kann, also auch die Kirche, und das ist Ketzerei. Verteidigung: Pfefferkorn ist ein schlechter Grammatiker und versteht nicht lateinisch; er glaubt nämlich, das Wort Papa (Papst) sei weiblichen Geschlechts. Er schrieb in diesem Punkte wie die Gottesgelehrten, und diese brauchen sich nicht um die richtige Sprache zu kümmern; das ist nicht von ihrer Fakultät.9 Ein anderer Bericht: Pfefferkorn reist in Glaubensgeschäften in ganz Deutschland herum, was ihm sehr unangenehm ist, weil er Frau und Kinder in Cöln zurücklassen muß, obwohl die Theologen in seiner Abwesenheit seiner Frau viel Gutes erweisen und sie trösten. Auch kommen zuweilen die Mönche aus dem Kloster zu ihr und sagen ihr: »Wir bedauern euch, daß ihr so allein seid.« Und sie antwortet: »Besuchet mich zuweilen, denn ich bin beinahe eine Witwe, und gebet mir euren Trost«.10

Ein Dominikaner schreibt an Ortuin, er habe noch nicht die Überzeugung, ob Pfefferkorn im Glauben bleiben werde. Neulich sei ein Dekan der Andreaskirche, ein getaufter Jude (Viktor von Karben?) gestorben, und er habe vor seinem Tode an einem Beispiel gezeigt, daß ein Jude seine Natur nicht lassen könne; er habe geäußert, »auch er wolle als guter Jude sterben.« Ein anderer Konvertit habe vor seinem Ableben einen Stein in einem Topfe ans Feuer setzen lassen und habe öfter gefragt, ob er noch nicht weich gekocht sei. Und als ihm geantwortet wurde, ein Stein könne nicht weich gekocht werden, habe er bemerkt: »So kann auch kein Jude ein guter Christ werden; sie taufen sich nur aus Gewinn oder Furcht, oder um ihre Glaubensgenossen zu verachten«.11

Die Dunkelmännerbriefe, sowohl die erste Reihe (wahrscheinlich von Crotus Rubianus), als auch die zweite (von Ulrich von Hutten) taten ihre volle Wirkung. Die Dominikaner mochten sich noch so sehr auf Leugnen und Lügen verlegen, mochten Reuchlin und seine Anhänger mit Kot bewerfen, mochten »trübselige Klagen der Dunkelmänner, nicht vom Papste verboten«12 schreiben, worin sie in schaler Prosa und noch schlechterer Poesie Feuer und Schwefel auf ihre Gegner herabschwuren, und ihnen »abgehauene Hände, ausgeschnittene Zungen und zugeschnürte Kehlen« anwünschten –, das verschlug alles nicht mehr; ihr Ansehen war dahin. Mit ihren erdichteten »Klagen der Dunkelmänner« haben sie nur den ätzenden Spott ihrer Gegner [163] über ihren schalen Witz, ihre Geschmacklosigkeit und Rechthaberei besiegelt. Der Dominikanerwitz schreibt in einem der Gegen-Dunkelmännerbriefe: »Ich höre, die Juden freuen sich über den Fortgang ihrer Angelegenheit. Sie lesen ein gewisses Buch bei Tische und in ihren Teufelssynagogen, verhöhnen täglich die Christen und behalten ihre gotteslästerlichen Schriften. Daher, wenn die nichtswürdigen Feinde des Kreuzes aus angeborener und eingewurzelter Bosheit sich freuen, müssen wir, wollen wir anders selig werden, trauern. Diese Ehre haben wir, daß die Juden zum Skandal der Kirche die Dunkelmännerbriefe ins Deutsche übersetzen«.13

Das Geheimnis konnte nicht mehr gewahrt werden, es wurde von den Dächern laut verkündet, daß die Kirche einen klaffenden Riß erhalten hatte. Nicht ihre Gegner, sondern der Provinzial des Dominikanerordens, Eberhard von Cleve, und das ganze Kapitel gestanden in einem offiziellen Schreiben an den Papst ein, daß der Streit ihnen, den Predigermönchen, Haß und Verachtung eingetragen, daß sie für alle zur Fabel geworden, daß sie – jawohl, unverdient! – als Feinde der brüderlichen Liebe, des Friedens und der Eintracht in Rede und Schrift verschrieen würden, daß ihre Predigten verachtet, ihre Beichtstühle gemieden, daß alles, was sie unternähmen, verlacht und als Hochmut und Überhebung ausgelegt werde.14 Die Jünger Domingos, welche ihren Aufschwung dem zunehmenden Fanatismus gegen die Albigenser verdankten, weil sie anfangs sittenstrenger als Welt- und Ordensgeistliche waren, hatten damals, wenigstens in Deutschland, beinah ausgespielt, da sie tief unter diese gesunken waren.

Inzwischen pflanzte sich der Streit zwischen Reuchlin und den Dominikanern und namentlich Hochstraten auf einem andern Gebiete fort und berührte das Judentum an einer andern Fläche. Die Kabbala bildete eigentlich den dunklen Hintergrund dieser Bewegung. Aus Schwärmerei für diese Geheimlehre, welche den Schlüssel zum tiefern Verständnis der Philosophie und des Christentums bieten sollte, hatte Reuchlin auch den Talmud geschont wissen wollen, weil darin nach seiner Meinung mystische Elemente enthalten seien. Die junge Kabbala war die Schutzpatronin des grauen Talmuds geworden. Reuchlin verstand aber noch wenig von dieser Afterwissenschaft, selbst zur Zeit, als er das Werk von »dem wundertätigen Wort« (o. S. 79) geschrieben. Seine Wißbegierde und sein Eifer ließen ihm keine Ruhe, sich darin zu orientieren. Es war für ihn bei den Angriffen seiner Gegner auf seine Rechtgläubigkeit, Redlichkeit und Gelehrsamkeit nun gar zu einer Ehrensache geworden, die Übereinstimmung der Kabbala mit dem [164] Christentum gründlich nachweisen zu können. Allein er hatte das Unglück, in seinen hebräischen Studien in schlechte Hände zu geraten. Seine Lehrer in der hebräischen Grammatik, Jakob Loans und Obadja Sforno, waren keine Meister darin. Als er gegen Pfefferkorns Verleumdungen des jüdischen Schrifttums dieses zu verherrlichen sich angelegen sein ließ, und sich auch nach einem jüdischen Dichterwerk umsah, um dartun zu können, daß die hebräische Sprache auch von den Musen begünstigt wäre, fiel ihm gerade ein mittelmäßiges Gedicht in die Hände, »die silberne Schale des Joseph Ezobi« (B. VII, S. 80), für das er so sehr schwärmte, daß er es ins Lateinische übersetzte.15 Wie hätte er erst für die neuhebräische Poesie geschwärmt, wenn ihm der Zufall die süßen und gedankenreichen Verse der Dichter Gebirol oder Jehuda Halevi zugeführt hätte! Ebenso erging es Reuchlin mit der Kabbala. Nachdem er lange nach einem Leitfaden gesucht, machte ihn das Ungefähr mit der trübsten Quelle derselben bekannt, mit einigen sinnlosen Schriften des Kabbalisten Joseph Gicatilla aus Kastilien, welche der Täufling Paul Ricio jüngsthin ins Lateinische übersetzt hatte. Dieser Ricio, ein deutscher Jude, erst Professor in Pavia, dann Leibarzt des Kaisers Maximilian, brachte aus dem Judentume einige nicht allzu bedeutende Kenntnisse des Hebräischen mit hinüber und verwertete sie unter den Christen. Viel Geist hatte er nicht; wenigstens verraten ihn seine Schriften nicht. In der Talmudfrage hatte ihm der Kaiser, der sich nachgerade selbst von dem Wert oder Unwert des Talmuds, worüber so viel hin und her gestritten wurde, überzeugen wollte, den Auftrag gegeben, ihn ins Lateinische zu übersetzen.16 Sein ganzes Leben beschäftigte sich Ricio damit, ohne jedoch etwas Vollständiges zu liefern, und dem Außenstehenden auch nur einen ahnenden Begriff davon zu geben. Er machte aus diesem und jenem talmudischen Traktat und aus diesem und jenem rabbinischen Buch Auszüge und verfiel oft dabei auf sein Steckenpferd, Jesu Messianität daraus beweisen zu wollen.17

[165] Von dem Wahne des Grafen Pico de Mirandola befangen, daß die Kabbala das Christentum lehre und bestätige, machte sich Paul Ricio auch daran und übersetzte etwas aus einem Werke des Joseph Gicatilla (Lichtpforte), oder vielmehr machte er in seiner nachlässigen Art Auszüge daraus und widmete sie dem Kaiser Maximilian.18 Überhaupt haben sich damals getaufte Juden förmlich darauf geworfen, aus kabbalistischen Schriften das Christentum zu verherrlichen, und wenn sie solche nicht nach Wunsch fanden, so erfanden sie sie. Wie Paulus de Heredia (Bd. VIII, S. 224) schrieben in dieser Zeit getaufte spanische Juden – man sagt ein ganzer Verein von zwölf Mitgliedern, darunter Vidal de Saragossa de Aragon und ein Davila – eine ganze Sammlung erlogener Schriften [166] im Stile der Agada oder des Sohar, worin die Dogmen des Christentums in jüdische Gewandung gekleidet wurden. Unter anderem wurde der herrliche jesaianische Schriftvers: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaot« von solchen Lügenschmieden in agadischer Manier auf die Dreifaltigkeit umgedeutet: »Heilig der Vater, heilig der Sohn, heilig der heilige Geist«.19 Mit Recht bemerkte ein christlicher Kenner des Hebräischen und der Kabbala, daß damals sehr viele wunderliche Lehren aus der Kabbala, wie aus dem trojanischen Pferde, in die Kirche eingedrungen seien.20

Sobald Reuchlin von der Fundgrube des sinnverwirrten Joseph Gicatilla erfuhr, hatte er keine Ruhe, bis er sie erhielt, und er machte sich darüber her, die Kabbala von neuem für die Dogmen des Christentums auszubeuten und seine Behauptung, die Kabbala sei gut christkatholisch, zu belegen. Von seinen Freunden und Verehrern war er öfter angegangen worden, ihren Durst nach den aus schauerlichen Tiefen fließenden Gewässern zu stillen.21 Mittels der Spielereien des Gicatilla glaubte Reuchlin das Rätsel der Welt lösen zu können – ein Lächeln erregender Irrtum des sonst so besonnenen Mannes. Daß die Kabbala nicht uralt, sondern nachweisbar jüngeren Ursprunges sei, [167] hätte sich Reuchlin nicht einreden lassen. Er und viele seiner Zeitgenossen aus dem Humanistenkreise waren fest überzeugt, daß sie eigentlich nur eine ins Chaldäische übertragene pythagoräische Weisheit enthalte, oder auch umgekehrt, Pythagoras habe seine Weisheit aus dem Judentum geschöpft.

Infolge der ihm aufgegangenen Wahrheit, daß die Kabbala die höchste Erkenntnis, die Mysterien des Christentums offenbare und bestätige, arbeitete Reuchlin ein Werk aus, von der kabbalistischen Wissenschaft22 und widmete es dem Papste Leo X., um seiner Streitsache, daß die jüdischen Schriften, statt verbrannt, gehegt zu werden verdienten, neues Gewicht zu geben. Diese Schrift ist in Dialogform, der beliebten Stilweise jener Zeit, gehalten, zwischen einem Griechen Philolaus, einem Mohammedaner Marranus und einem Juden Simon, den die beiden anderen Weisen in Frankfurt aufgesucht hätten, um sich von ihm in die kabbalistischen Geheimnisse einweihen zu lassen. Beide machten dem Juden, d.h. dem Judentume überschwängliche Komplimente. Seitdem so viele hunderttausend Juden aus Spanien vertrieben und Trümmer derselben bis in die entferntesten Gegenden der Erde zersprengt worden, hätten diese ihn, Simon, als den Besitzer vieler Kenntnisse, einer unglaublichen Geistesschärfe, philosophischer Klarheit und besonders Eingeweihtheit in die kabbalistische Spekulation gerühmt, so daß aller Augen bis jenseits des Landes der Sarmaten und bis zum Eismeere auf ihn gerichtet seien. Simon kann der liebenswürdigen Zudringlichkeit der beiden Philosophen Philolaus und Marranus nicht widerstehen, und entwickelt ihnen die Grundlehre der Kabbala, zunächst die Seite, daß Schrift und talmudische Agada nicht nach dem Buchstaben, sondern allegorisch und symbolisch auszulegen seien.23 Der jüdische Kabbalist von Frankfurt oder vielmehr Reuchlin stoppelt nun einen schwindelerregenden Wust zusammen von [168] klassischen, kirchenväterlichen, talmudischen, kabbalistischen Sätzen und Auslegungen von heidnischer Mythologie, Bibelversen, Agadasprüchen – um zum Ergebnisse zu gelangen, daß die kabbalistische Spielerei des halbverrückten Abraham Abulafia24 und seines Jüngers Joseph Gicatilla mittels Buchstabenversetzung und Zahlenkombination25 ihre volle Berechtigung hätte und den Schlüssel zur höchsten Weisheit böte. Was war die Ausbeute davon? Uns erscheint allerdings der Gewinn lächerlich gegen den Aufwand von Gelehrsamkeit. Aber für Reuchlin war es voller Ernst, daß die im Talmud nur flüchtig hingeworfene Andeutung der Gottesnamen von zwölf und von zweiundvierzig Buchstaben die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und heiligem Geist mystisch lehre. Die Spielerei der Kabbalisten aus der Abulafianischen Schule wendete Reuchlin auf die christliche Symbolik von Holz, Kreuz und Bild an,26 indem beide Wörter im Hebräischen den Zahlenwert 160 haben. Daher die Wundertätigkeit des Kreuzes und des Kreuzeszeichens, in dem der erste christliche Kaiser Constantin gesiegt habe. Der aufgesuchte jüdische Kabbalist in Frankfurt führt, je mehr sich das Gespräch dem Ende zuneigt, desto mehr eine christliche Sprache, als hätte sich das Judentum mit dem Christentum in der Kabbala versöhnt, und der so lang dauernde Widerstreit wäre ausgeglichen.

Reuchlin muß auf den Beifall des Papstes, dem er das Werk gewidmet hatte, gerechnet haben, daß er dem schwankenden Glauben von einer andern Seite neue Stütze zu verleihen imstande sei. Er knüpfte daran die Hoffnung, daß Leo X. den Urteilsspruch in dem Streit zwischen ihm und den Dominikanern, der zwar niedergeschlagen, aber von den letzteren doch noch mit Eifer betrieben wurde, endgültig fällen und ihm Frieden und Ruhe gewähren würde. Er verfehlte nicht, dabei aufmerksam zu machen, wie seine Gegner dem päpstlichen Stuhle Gesetze vorzuschreiben wagten. Die christlich gefärbte Kabbala sollte seine Fürsprecherin am päpstlichen Hofe sein. In der Tat stand er damals nicht vereinzelt mit seiner Affenliebe für die Geheimlehre. Nicht nur Kardinäle, sondern der Papst selbst versprachen sich viel von [169] einer Ausbeute der Kabbala für das Christentum. Daher drängten sie den Franziskaner Petrus Galatinus aus Rom, der einige Kenntnis davon hatte, zugunsten Reuchlins ein Werk darüber auszuarbeiten, ehe sie noch wußten, daß Reuchlin sich selbst daran gemacht hatte. Galatinus, der als Franziskaner ein Gegner der Dominikaner war, stoppelte infolgedessen ein umfangreiches Machwerk zusammen, »von den Geheimnissen der katholischen Wahrheit.«27 Es ist ein Dreigespräch zwischen Reuchlin, Hochstraten und dem Verfasser über die Mysterien des Christentums, welche durch Beweise aus Talmud und Kabbala bestätigt sein sollten, Beweise, welche nur von den blinden Juden übersehen würden. Es scheint, daß der damals in Rom weilende hebräische Grammatiker Elia Levita,28 der Hausfreund des zum Kardinal erhobenen Egidio von Viterbo, dem zum christlichen Kabbalistenkreise gehörigen Galatinus bei Abfassung dieses Werkes behilflich war. Denn dieser Franziskaner benutzte für sein Werk auch Stellen aus dem mystischen Buche Sohar, das kein Christ ohne Hilfe eines gelehrten Juden verstehen konnte. Dieses Werk ist ein anekelndes Zusammenkehricht aus jüdischen und christlichen Schriften ohne Zusammenhang und Gedankenfäden, namentlich aus de Heredias Machwerk und der Lügenschmiede getaufter spanischer Juden, und sollte beweisen, wie nützlich und förderlich es für die christliche Welt sei, wenn ein christlicher Gottesgelehrter die jüdischen Schriften kenne, aus denen soviel Geheimnisse für die katholische Wahrheit gezogen werden können. Dadurch werde nicht bloß der Unglaube der gegenwärtigen Juden (die Juden des Altertums sollen im Innern christgläubig gewesen sein) so sehr widerlegt werden, daß sie nicht einmal den Mund dagegen auftun könnten, sondern auch die katholische Wahrheit bestätigt werden. So nichtig und geschmacklos diese christelnde Kabbala war, so kam sie dennoch durch Reuchlins Patronat in Mode. Die nicht allzu geistesfesten Humanisten ließen sich [170] in diesen Strudel hineinziehen. Selbst der steife Geheimrat und Patrizier Pirkheimer in Nürnberg, ein Kenner und Verehrer der klassischen Literatur, der Gewissensrat der Humanisten, schwärmte für die Kabbala und kaute an deren unverdaulichen Formeln. »Um wieviel löblicher wäre es für die Dominikaner und Theologisten«, sagte er, »anstatt ihre geschwätzige Zunge gleich einem Schwert zu spitzen, in trägem Geiste und mit frechem Munde Dummes und Geschmackloses auszustoßen, um wieviel löblicher wäre es für sie, die Lehren, welche in Kabbala und Talmud noch verborgen liegen, zu erforschen, wie es Reuchlin und Paul Ricio getan. Sie könnten sprechen über die zweiunddreißig Bahnen der Weisheit und die Geheimnisse der göttlichen Namen, der Worte des Gesetzes und der Synagoge, der großen zehn Siegel Gottes, der Buchstabenversetzung, was die Kabbalisten über die Geburt der Jungfrau, die Fleischwerdung des Gottessohnes, über dessen Tod, Auferstehung, Wandlung seines Leibes in Brot und Wein gedacht haben«.29 Nur Hochstraten blieb von diesem kabbalistischen Wirbel unberührt. War es Einsicht oder Eingebung seiner Verbissenheit gegen Reuchlin? – der Haß macht scharfsichtig – genug, er behauptete in einer Schrift, die Kabbala sei eine Feindin des Christentums und lehre Unglauben.30

Als das Interesse an dem Reuchlinschen Streit lauer zu werden anfing, tauchte eine andere Bewegung in Deutschland auf, welche das fortsetzte, was jener angebahnt hatte, die festen Säulen des Papsttums und der katholischen Kirche bis ins Innerste zu erschüttern und eine Neugestaltung Europas vorzubereiten. Die so weittragende, von Luther ausgegangene Reformation, hatte durch den ursprünglich sich um den Talmud drehenden Streit einen günstigen Luftzug vorgefunden, ohne welchen sie weder hätte entstehen, noch wachsen können. Aber die reformatorische Bewegung, welche in kurzer Zeit eine weltgeschichtlich wirkende Macht wurde, entstand aus winzigen Anfängen und bedurfte eines kräftigen Rückhaltes, wenn sie nicht im Keim erstickt werden sollte. Martin Luther (geb. 1483, gest. 1546) war eine kräftige, derbe, eigensinnige und leidenschaftlich erregte Natur, die mit Zähigkeit an ihren Überzeugungen und Irrtümern festhielt. Diese Natur war beherrscht von religiöser Durchdrungenheit, von einer zu dieser Zeit beispiellosen Hingebung an Gott und die Anforderung des Glaubens, der ihm nicht bloß Anflug, sondern tiefer Ernst, einzige Lebensaufgabe war, gegen die ihm alles unwichtig und bedeutungslos erschien. Luther war unstreitig der Frömmste und [171] Gläubigste seiner Zeit innerhalb des Christentums, auch von einem fleckenlosen Wandel und wahrhafter Demut. Sein Feuereifer für die Religion hatte die entschiedenste Ähnlichkeit mit dem des Apostels Paulus; darum fühlte er sich auch von dessen apostolischen Briefen am meisten angezogen. Paulus' Rechtfertigungslehre, die er dem damaligen Judentume entgegensetzte, daß der Mensch seine Seligkeit weder durch religiöse Werktätigkeit, noch durch Sittlichkeit und Tugend, sondern einzig und allein durch den unbedingten Glauben an Jesu messianische Erlösung erlangen könne, diese Lehre hatte sich Luther zu eigen gemacht, hegte sie in stiller Brust, und sein Inneres stand bereits, ohne daß er es ahnte, in grellem Widerspruch zur ganzen kirchlichen Einrichtung von der Seligkeit durch Sakramente, Ablaß, Messen, päpstlichen Gnadenschatz. Die ganze Einseitigkeit des Apostels von Tarsus gegen das jüdische Religionsgesetz wendete der Mönch von Eisleben auf die Kirchensatzungen an. In Rom hatte er die ganze Fäulnis der Kirche, den Unglauben der Geistlichkeit, mit eigenen Augen gesehen; aber so sehr es ihm auch wehe tat, erschütterte diese Wahrnehmung nicht einen Augenblick seine blinde, mönchische Gläubigkeit von der Göttlichkeit der katholischen Kirche und von der Unfehlbarkeit des Papsttums. Wie der Apostel Paulus anfangs ein strenger Gesetzesgläubiger war, und die erste Christengemeinde mit seinem leidenschaftlichen Feuereifer verfolgte, so war auch Luther anfangs ein verfolgungssüchtiger Anbeter des Papsttums. »Ich war einstmals«, bemerkte er, »ein Mönch und rasender Papist, so trunken, so ganz voll von den Dogmen des Papstes, daß ich bereit war, wenn ich es vermocht, alle diejenigen zu töten, welche an dem Gehorsam gegen den Papst auch nur mit einer Silbe mäkeln«. Und diesen eigensinnigen Mönch hatte die Vorsehung erkoren, die Befreiung von dem Papsttum und dem ganzen mittelalterlichen Wust zu vollbringen. Es gehörte aber viel dazu, bis diesem Hartkopfe die Schuppen von den Augen fielen.

Die erste Veranlassung dazu war der Ablaßschacher. Im Mainzer Erzbistum waren in kurzer Zeit drei Erzbischöfe gewählt worden, von denen jeder beim Antritt dem päpstlichen Hofe 20000 Goldgulden Palliengelder zahlen mußte. Der dritte derselben, Kurfürst Albrecht, war nicht mehr imstande, die Gelder aus seinem Stifte zu erschwingen, weil die Bewohner durch die Habgier der Kirche völlig ausgesogen und reiche Juden infolge der Vertreibung nicht vorhanden waren. Er mußte sie also aus eigenen Mitteln hergeben, oder vielmehr eine Anleihe bei den Fuggers in Augsburg dafür machen. Um ihn schadlos zu halten, versprach ihm der Papst Leo einen Anteil an dem Erlös von dem Ablaß, den er in lügenhafter Schwindelei zum Ausbau der Peterskirche ausschrieb. Die wichtigste Angelegenheit der Kirchenfürsten [172] war die Erschwingung von Geld. Der Erzbischof Albrecht erlaubte also das Feilbieten von Ablaßzetteln in seinem Sprengel, während der Kurfürst von Sachsen es in seinem Gebiete verbot. – Warum? Um das Geld nicht außer Landes bringen zu lassen. Die Franziskaner mochten sich mit dem Ablaßkram nicht befassen, und so blieb dieses Geschäft dem Dominikanerorden, dessen meiste Glieder die Unverschämtheit nicht scheuten.

Der Dominikanermönch Johann Tetzel, der Frechste unter diesen Frechen, den der Kaiser Maximilian einst wegen Übeltaten in der Inn zu ertränken befohlen hatte, und der das Ausbieten der Ablaßzettel für Kurmainz übernommen hatte, erging sich in Übertreibung und Marktschreierei, um nur viel Geld herauszuschlagen. Im Namen des Papstes, der mehr Macht hätte, als alle Heiligen, Apostel, Engel, ja mehr als Maria, bot er Sündenvergebung. Jesus habe sich nämlich seiner Macht bis zum jüngsten Tage begeben und auf seinen Statthalter übertragen, daher vermöge dieser in der Zeitlichkeit alles im Himmel und auf Erden. Wer Geld für einen Ablaßzettel gäbe, könne alle seine Sünden los werden und sogar Seelen aus dem Feuer erlösen, brauche auch gar nicht Reue und Zerknirschung zu empfinden. Sobald das Geld in dem Kasten klinge, fahre die erlöste Seele hinauf gen Himmel. Selbst wenn jemand die Gottesmutter geschändet hätte, könne er durch den Kauf eines Ablaßzettels Vergebung erhalten. Wer in Blutsverwandtschaft geheiratet, könne dadurch Dispens erlangen. Ja, selbst für eine zukünftige Sünde könne man durch Beisteuer zum Bau Vergebung erkaufen. Kurz, es war ein Aufruf an die häßlichsten Leidenschaften durch Geldspenden alle Sünden und Verbrechen zu begehen. Die Prediger waren angewiesen, von der Kanzel die Vortrefflichkeit des Ablaßkrams zu loben. Der Verkäufer wurde beim Eintritt in eine Stadt – mit der päpstlichen Bulle auf einem Kissen von Samt oder Goldbrokat – unter hellem Glockengeläute, mit Gesängen und Fahnen, von sämtlichen Priestern, Mönchen, dem Rate, der Schuljugend und der ganzen Bevölkerung in bunter Mischung eingeholt.

Es nahmen manche Ärgernis an der frechen, von der Religion selbst gutgeheißenen Umkehrung aller Ordnung, an dieser Anreizung zu sündhaften Taten und Freveln, aber keiner fühlte sich so sehr davon verletzt, als Martin Luther – freilich weniger in sittlicher Entrüstung, als vielmehr aus seiner Auffassung des Christentumes heraus, daß kein Mensch vor Gott gerecht befunden werde, nicht einmal ein Heiliger, geschweige denn ein Papst, um aus dem Überschusse seiner Verdienste die Last der Sünden anderer erleichtern zu können. Als nun seine Beichtkinder nach den benachbarten Städten zu Tetzels Kloster strömten – nach Wittenberg durfte er wegen Konkurrenz nicht kommen – und [173] sich infolge erhaltenen Ablasses einem sündhaften Leben überließen, faßte Luther Mut dagegen einzuschreiten, predigte dagegen und schlug an der Schloßkirche seine 95 Thesen gegen den Ablaßhandel an, worin er sich anheischig machte, die Verkehrtheit und Unchristlichkeit dieses Ablaßschachers zu beweisen (31. Oktober 1517). In kaum vierzehn Tagen war sein Widerspruch gegen Tetzels Frechheit in ganz Deutschland bekannt. Es kam daher, weil die Aufregung wegen des Talmud und der Reuchlin-Hochstratenschen Händel bereits eine öffentliche Meinung ausgebildet und die Dominikaner so sehr verhaßt gemacht hatte, daß nicht bloß die Vornehmen, sondern auch der Kern des Volkes Partei gegen den Aberglauben und den pfäffischen Betrug nahm. Reuchlin mit seiner Verteidigung des Talmud war wider Willen Luthers Elias geworden, ohne dessen Vorläuferschaft des letztern Widerspruch gegen Tetzels empörende Frechheit verhallt oder erstickt worden wäre. Luther selbst erkannte an, daß Reuchlin durch seine Verteidigung des Talmud und Fehde mit den Dominikanern, ohne es zu wissen, ein Organ des göttlichen Ratschlusses gewesen sei.31 Auch so fand Luthers Aufschrei anfangs nur stillen Beifall. Die Deutschen waren damals nicht besonders rasch zum mannhaften Eintreten für gewonnene Überzeugungen, und wenn die Dominikaner nicht ein Verfolgungssystem gegen ihn eingeleitet hätten, wie gegen Reuchlin, wäre die Reformation in ihrem Keime totgeschwiegen worden. Aber nicht bloß der angegriffene Mönch Tetzel und ein anderer Streithahn, Doktor Johann Eck in Ingolstadt, der eine Zeitlang mit den Humanisten geheult hatte, sondern auch der Kardinal Prierias, der Gegner Reuchlins, ferner der unermüdliche Hochstraten, endlich die Fugger, die ihre Kapitalien auf den Sündensold der Geistlichen ausgeliehen hatten, sie stachelten die päpstliche Kurie gegen Luther auf. Leo X., der die neuen Händel in Deutschland anfangs als Mönchsgezänk mit derselben vornehmen Gleichgültigkeit wie früher den Reuchlin-Hochstratenschen Prozeß behandelte, wurde gedrängt, die Ablaßlehre in ihrer ganzen seelenverderbenden Kraßheit im Sinne der Dominikaner durch eine Bulle gut zu heißen. Eben dadurch wurde die Reformation erst recht gefördert. Der willensstarke Luther wurde durch den Widerspruch allmählich zu der Überzeugung geführt, daß der jedesmalige Papst, und dann noch weiter, daß das Papsttum überhaupt nicht unfehlbar sei, und daß der Glaubensgrund nicht der päpstliche Wille, sondern das Schriftwort sei. Es dauerte noch lange Zeit, bis sein Kopf die Vorstellung faßte, der Papst sei der Antichrist, und die römische [174] Kirche mit ihren Satzungen und ihrer Sittenlosigkeit sei die Feindin des Christentums. Luther war einmal nahe daran, seine Sache wieder aufzugeben und die Gläubigen zu ermahnen, der heiligen römischen Kirche treu zu folgen (Januar 1519). Aber die Tatsachen waren stärker als der Wille des Urhebers selbst. Die Heftigkeit der Finsterlinge von der einen und die Rührigkeit der Humanisten, namentlich des Feuergeistes Hutten, von der andern Seite, drängten in gleicher Weise zum entschiedenen Bruche.

Der Tod des greisen Kaisers Maximilian, dem die theologischen Wirren, die er hervorgerufen, über den Kopf gewachsen waren, und die Wahl des neuen Kaisers, die sich ein halbes Jahr hinschleppte, zogen das Spiel der Politik hinein, und es entstand dadurch ein Wirrwarr, in welchem Freunde und Feinde der freien religiösen Richtung oder der wüsten Stockgläubigkeit nicht mehr zu unterscheiden waren. Hutten und die Humanisten waren für die Wahl Karls V., in dessen Hauptland Spanien doch die Dominikaner die Oberhand hatten und die Flammen der Scheiterhaufen nicht erlöschen ließen, und der päpstliche Hof war gegen ihn. Immerhin wurde die Reuchlinsche und Luthersche Sache, gewissermaßen der Talmud und die Reformation untereinander gemischt. Soweit war es gekommen, daß die Kurfürsten zur Zeit ihrer Versammlung zur Königswahl sich entschieden für Reuchlin gegen die verfolgungssüchtigen Cölner aussprachen.32 Hutten, der keine unternommene Sache fallen ließ, schonungslos den Purpurlappen von den Eiterbeulen des römischen Hofes riß und dessen Scheußlichkeit an den Tag legte, nahm den geächteten Ritter Franz von Sickingen für Reuchlin und Luther so sehr ein, daß dieser beide auf seine feste Burg einlud und ihnen Schutz gegen ihre Feinde versprach. Was weder der Kaiser, noch der Papst gegen die Dominikaner durchzusetzen vermochten, das erledigte Sickingen. Er, im Verein mit den Dalbergs und anderen Rittern, sagte dem Provinzial und dem Konvente des Dominikanerordens Fehde an (26. Juli 1519), wenn Hochstraten nicht nach dem Beschluß des Speyerschen Urteils ihm die 111 Goldgulden Kosten zahlen und Bürgschaft gegen fernere Verfolgungen gegen ihn leisten würde. Die klugen Prädikanten wußten, daß dieser Ritter nicht Spaß mit sich treiben ließ, und daß von seinem Worte nicht wie von dem des Kaisers oder des Papstes Umgang genommen werden könnte. Sie versuchten zwar noch allerhand Ausflüchte und Winkelzüge, wandten sich an Reuchlins mildes Herz; aber dieser war diesmal fest genug, sie wieder an Sickingen zu [175] weisen, und dieser bestand auf seinem Worte. So waren denn die Dominikaner gezwungen, klein beizugeben. Der halsstarrige Hochstraten wurde seiner Befugnisse als Prior und Ketzermeister entsetzt; und der Provinzial Eberhard von Cleve und der ganze Konvent des Ordens mußte den Papst unter vollständiger Verleugnung Hochstratens anflehen (10. Mai 1520), die Streitsache für alle Zeiten niederzuschlagen und zu begraben, da Reuchlins Gelehrsamkeit, reiner Charakter und Glaubensaufrichtigkeit alle Berücksichtigung verdienten.33 Anstatt den Talmud zu verdammen, ermunterte der Papst Leo einige Unternehmer, denselben zu drucken.34 So war durch die allen Zeitgenossen unbegreifliche Bewegung das Unerwartete eingetroffen: Reuchlin gerechtfertigt, der Talmud gerechtfertigt und gewissermaßen vom Papsttum begünstigt. In der Tat unternahm Daniel Bomberg, der reiche und edle christliche Druckereibesitzer aus Antwerpen, in demselben Jahre eine vollständige Ausgabe des babylonischen Talmuds in zwölf Foliobänden mit Kommentarien zu drucken, das Muster sämtlicher späteren Ausgaben, während früher von Gerson Soncin nur einzelne Traktate gedruckt waren.35 Leo versah die Talmudausgabe mit schützenden Privilegien. Einige Jahre vorher hatte Bomberg den unangefochtenen, weil unbekannten jerusalemischen Talmud (um 1523 bis 1524) verlegt.36 Er beschäftigte dabei gelehrte Juden und soll mehr als 400000 Dukaten auf jüdische Druckerei verwendet haben. Die Dominikaner erlitten auf der ganzen Linie eine vollständige Niederlage. Hochstraten war gezwungen, Reuchlin die Strafgelder von 111 Goldgulden zu zahlen, welche der arm gewordene kaiserliche Rat sehr brauchte; denn er hatte seinen Acker, wovon er sich und die Seinigen ernährt hatte, verkaufen und noch dazu eine Anleihe machen müssen. Er war ein Märtyrer seines aufrichtigen Herzens und des Wahnes geworden, daß der Talmud mystische Elemente enthalte, welche für die Wahrheit des Christentums[176] Zeugnis ablegten. Das Alter des armen Reuchlin war indessen getrübt. Er hatte bis an sein Lebensende keine Freude mehr. Er mußte, wenn auch von Freunden und Fürsten geschätzt, seine Vaterstadt verlassen, um in der Fremde zu leben. Die Wut der Päpstlichen gegen Luthers immer kühneres Auftreten traf auch Reuchlin, obwohl er keineswegs mit jenem sympathisierte und seinem Großneffen und Liebling Melanchthon wegen dessen Beteiligung an der Reformation das ihm zugedachte Erbe entzogen hat.

Der Augustinermönch von Wittenberg hatte nämlich endlich, durch den Widerspruch gereizt, dem kirchlichen Unfuge den Krieg erklärt in seiner Schrift: »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« (Juni 1520). Er hatte darin die Widerlichkeiten der Kirche, welche das damalige junge Deutschland und namentlich Hutten in Pamphleten aufgedeckt hatten, zusammengefaßt, aber den Beschwerden eine religiöse Unterlage gegeben und nachgewiesen, daß sie durchweg im schreiendsten Widerspruche zum Bibelwort ständen. Den Papst ließ er zwar noch bestehen, aber er degradierte ihn zu einem Oberbischof. Und da Luther in diesem kühnen, reformatorischen Sendschreiben den Fürsten die Obergewalt über Kirche und Geistlichkeit zusprach, so fanden seine Worte bei diesen, wie beim Volke Beifall. Die Finsterlinge in Rom, die Dominikanerpartei, der fanatische Kardinal Sylvester Prierias, auch die Fugger, die Goldkönige damaliger Zeit, welche durch die Unzufriedenheit mit dem Ablaßgeschäfte Geldverlust erlitten hatten, bearbeiteten indes den Papst Leo, der ein Feind von Gewalttätigkeiten war, eine Verdammungsbulle gegen Luther und seine Anhänger zu erlassen (15. Juni), worin auch der Humanist Willibald Pirkheimer eingeschlossen war. Zugleich wurde Reuchlins »Augenspiegel« im Widerspruch mit einer früheren Erklärung in Rom verurteilt. Die Finsterlinge und Gewissenlosen, welche von der kirchlichen Knechtung und Verdummung lebten, hatten dem Papste in den Ohren gelegen und seine Nachsicht hart getadelt. Wenn er früher Reuchlins Kühnheit mit Strenge entgegengetreten wäre, hätte Luther nicht soviel gegen die katholische Kirche gewagt. Sie gingen soweit, zu behaupten, der Papst habe Unrecht getan, Reuchlin nicht einfach als Ketzer verbrennen zu lassen.37 Aber die Bannbulle gegen Luthers und Reuchlins Schrift war ein kalter Schlag, sie zündete nicht mehr, weil der Glaube daran geschwunden war; sie wurde nur wenig in deutschen Städten angeschlagen, in den meisten nicht zugelassen. [177] in vielen heruntergerissen, und der Überbringer derselben, der Trunkenbold Dr. Eck aus Ingolstadt, eine gleich dem Legaten Cajetan besonders verhaßte Kreatur, entging kaum der Todesgefahr. Die Folge davon war, daß Luther durch öffentliches Verbrennen der Bulle (10. Dezember 1520) sich vollständig vom Papsttum lossagte. Der förmliche Bruch zwischen dem Katholizismus und der in Gärung begriffenen neuen Kirche, welche noch keinen festen Namen hatte, datiert von diesem Tage an. So erschüttert war bereits das Ansehen des Papsttums in der öffentlichen Meinung, daß die zum Reichstag von Worms versammelten Fürsten den bereits vom Papste als Ketzer verurteilten, und dem Feuertode verfallenen Reformator von Wittenberg einluden, seine Gründe geltend zu machen. In allen Städten, die er durchzog, wurde er wie ein Triumphator gefeiert. An Demonstrationen und Adressen fehlte es ihm nicht. Es war aber ein Werk der Vorsehung, daß der junge Kaiser Karl V., der Beschützer der die Scheiterhaufen unterhaltenden Dominikaner in Spanien, der die Neuerungen gern mit Stumpf und Stiel ausgerottet hätte, sich ihrer bedienen mußte, um dem Papste auf politischem Brette Schach zu bieten; sonst hätte Luther damals schwerlich außer Hutten und einigen Rittern Arme gefunden, ihn zu verteidigen. Es war eine außerordentlich günstige Lage, daß die Reformation nach dem Herzen der Deutschen anfangs mit dem Worte durchgekämpft werden konnte.38 Aber daß das Wort damals wie eine Waffe oder wie ein Mauerbrecher wirken konnte, das hat Pfefferkorns und der Dominikaner erbitterter Krieg gegen den Talmud veranlaßt.

Dieser Wicht war in dem Weltbrande, den er mit einem Zündhölzchen angesteckt hatte, vollständig verschollen. Das behagte ihm aber nicht, er wollte sich daher durch eine neue Frechheit in Erinnerung bringen. Er war noch immer ein Schützling der Cölner Dominikaner – deren Prior Hochstraten wieder in seine Würde eingesetzt war – und hatte noch immer eine Spitalmeisterstelle; ein bereits erwachsener Sohn, der sich dem geistlichen Stand gewidmet hatte, stand ihm zur Seite. Entweder auf Anreizung seiner Gönner oder aus eignem Antriebe, um von seinen Kindern die durch ihn auch auf sie gefallene Brandmarkung abzuwenden, schleuderte er nach fünfjähriger Pause eine neue Schmähschrift gegen Reuchlin in die Welt39 unter dem Titel »Eine mitleidige Klage über alle Klagen« und [178] widmete sie dem jungen Kaiser Karl. Obwohl man bei ihm auf Gemeinheiten aller Art gefaßt ist, so überrascht doch die zügellose Unverschämtheit dieses Pamphlets in Wort und Bild. Reuchlin erscheint darin auf einem beigegebenen Bilde gevierteilt und gehängt mit einigen scheußlichen Versen:


»Du henkst allda mit Fuß und Hand«;


der Kehrvers lautet:


»Da liegt der Hase im Kote.«


Reuchlin hätte verdient, heißt es darin, wie ein Gottesverächter in vier Teile zerstückelt und an alle kaiserliche Straßen gehenkt zu werden.40 Man erkennt daraus, was Reuchlin, den Humanisten und ihren Schützlingen, den Juden, widerfahren wäre, hätte diese Rotte gesiegt. Pfefferkorns Schmähschrift behandelt den würdigen Greis, der bereits an den Pforten des Grabes stand, wie einen verworfenen Menschen, wie einen Buben. Er nennt ihn einen »Münzmeister der Bosheit«, einen »Schulmeister der Lügen«, einen »Lästerer der heiligen Kirche«, einen »Fälscher der heiligen Schriften«, einen »Betrüger und Verführer des christlichen Volks«, einen »Patron der treulosen Juden«, auch »Doktor Holzlöffel, Saulöffel«. In Sodom und Gomorrha sei nicht ein solcher Übeltäter wie Reuchlin gewesen. Der junge Kaiser sollte dadurch gegen Reuchlin und die Juden gehetzt werden. Die Schmähschrift hebt ferner hervor, welche Irrungen und Ketzereien durch Reuchlin überhand genommen, und daß die falschen treulosen Juden und andere Ungläubige dadurch in ihrem Übel bestärkt worden seien. Einige Proben genügen, die Frechheit dieser Schrift zu charakterisieren. »Du meinst, man habe jetzt mit Martinus Luther zu schaffen und zu schicken, daß man Deiner soll vergessen. Reuchlin, ich sage Dir, und glaub mir das, Deiner wird nicht vergessen.« – Die ganze Schrift ist voll von den niedrigsten Beschimpfungen und Lügen. Sie wiederholt alle früheren Anklagen und den Widerspruch, den sich Reuchlin in betreff der Juden hat zu schulden kommen lassen, streicht ihm abermals an, daß er gar kein Hebräisch verstände, sondern sich von einem gelehrten Juden helfen ließe,41 und daß er sich von den Juden für deren Verteidigung habe 1000 Dukaten zahlen lassen.42 Nur einmal spricht sie ein wahres Wort: »Hätte es Dir (Reuchlin) der Papst vor acht Jahren getan (den Augenspiegel zu verdammen), so hätte Martin Luther und Deine jüngeren obscurorum virorum nicht dürfen wünschen, noch gedenken, was sie jetzt zum Nachteil des christlichen Glaubens öffentlich treiben. Und alles dessen bist Du ein Funken und Aufrührer, die heilige Kirche in [179] Irrungen und Aberglauben zu führen«.43 Pfefferkorn wünschte, auf dem Wormser Reichstage eine öffentliche Disputation mit Reuchlin zu halten, Mund gegen Mund, Schrift gegen Schrift.44

Er hätte nicht Pfefferkorn sein müssen, wenn er nicht bei dieser Gelegenheit auch den Juden etwas angeflickt hätte. Auch gegen sie wiederholte er die alten Verleumdungen, daß sie Jesus und die Kirche in ihren Schriften und Gebeten schmähten, und daß sie junge Christen gemartert und getötet, sowie Hostien mißhandelt hätten.45 Er sei gar nicht ungerecht gegen die Juden, er verlange ja nur, daß man ihnen nicht gestatte, auf Zins zu leihen, daß man ihnen ihre Schriften wegnähme, und daß man sie zwinge, in den Kirchen Predigten anzuhören und schwere Arbeiten zu verrichten, als da sei Straßenkehren, Kaminfegen, heimliche Gemächer reinigen, Steine tragen, Lehm treten, Kalk und Kohlen brennen, Lumpen und Hundekot aufsammeln.46 Sein sehnlichster Wunsch und heißes Gebet sei stets gewesen, daß die Juden aus den drei größten Gemeinden Frankfurt, Worms und Regensburg, verjagt würden, und er habe zu seiner Freude erlebt, daß sein Gebet in betreff der letzten Stadt erhört worden sei.

In der Tat waren die Juden aus Regensburg zwei Jahre vorher auf eine schmähliche Weise ausgewiesen worden. Diese Stadt, welche ihre Blütezeit bereits hinter sich hatte und durch schlechtes Regiment und Dummheit von Augsburg und Nürnberg weit überflügelt worden war, aber gern noch ferner im Schleppengewande einer Großstadt einhergehen wollte, ohne die Mittel dazu zu besitzen, schob ihren Verfall auf die Juden und kam aus den Reibungen mit ihnen nicht heraus. Sämtliche Handwerker beklagten sich, daß die Juden ihnen die Bissen vom Munde nähmen. Wenn es damit seine Richtigkeit hatte, wie sich die christlichen Ärzte und Bader beklagten, daß Geistliche wie Weltliche, Arme und Reiche, Städtische und Auswärtige nur von den Juden Arznei nehmen wollten,47 so hätten sie die Schuld nur in ihrer eigenen Unfähigkeit suchen sollen. Die Juden hatten sich ihrerseits über Druck, Verfolgung und Quälerei zu beklagen. Der Kaiser Maximilian war daher von beiden Seiten so sehr überlaufen, daß er seiner Regierung in Innsbruck den Auftrag gegeben hatte auf einer Tagsatzung beide Parteien zu vernehmen und die Mißhelligkeit zu schlichten. Als die Parteien – von der Bürgerschaft zwei, von den Juden drei Abgeordnete mit ihrem Sachwalter, Dr. Zasius in Innsbruck – erschienen, trugen die ersteren geradezu auf Ausweisung der Juden an. Der Kaiser, der als Erzherzog von Österreich doppelte Steuern von den Juden bezog, gab das nicht zu. Es [180] kam also, wie es damals bei Prozessen üblich war, zu Verschleppungen.48 Inzwischen schürten die Dominikaner und Franziskaner, namentlich ein wütender Domprediger Balthasar Hubmaier, ein ungestümer Jünger Ecks, der später als Wiedertäufer verbrannt wurde, das Feuer zu einem Judenbrande in Regensburg an. Der Klerus gab vor, eine Bulle vom Papst Leo X. erhalten zu haben – man sagte mittels der Fugger in Augsburg für 300 Dukaten – welche den Wucher verböte. Der Bischof Johann ließ darauf an alle Kirchtüren anschlagen, Klagen der Juden wegen Zahlung der Schulden, wenn Zinsen dabei wären, abzuweisen.49 Nun kam noch dazu, daß zwei jüdische Jünglinge aus einem reichen Hause eines Tages unbedachte Äußerungen gegen Hubmaier getan und, durch eine verächtliche Miene von zwei christlichen Knaben verhöhnt, Steine nach dem Fenster im Kanonikushofe werfen wollten. – Das wurde nun als Kapitalverbrechen angesehen. Die Jünglinge wurden mit Stricken gebunden und sechs Tage in Haft gehalten. Neue Klagen der Juden gegen die Geistlichkeit und den Rat, neues ohnmächtiges Einschreiten vom Innsbrucker Regiment. Der Bischof, zur Rede gestellt, leugnete die aufreizenden Predigten gegen sie.50

Die Juden hatten aber einen Christen gewonnen, welcher ihnen den Inhalt der gegen sie gerichteten Aufreizungen von den Kanzeln treu hinterbrachte, damit die allen kundige Tatsache nicht mehr offiziell geleugnet werden könnte. Darauf stellten sie neue Klagen an, namentlich gegen Balthasar Hubmaier. Der Kaiser Maximilian war so aufgebracht darüber, daß er einen eigenen Sendboten nach Regensburg an den Rat sandte mit dem Ausdruck seines Unwillens: daß die Juden unter Österreichs Schutz noch viel härter behandelt würden als früher, und mit dem Befehle, den Domprediger aus der Stadt zu weisen.51 Die Mönche behaupteten, die deutschen Juden seien aus allen Gegenden nach Augsburg zum Kaiser zusammengeströmt, um das Unglück von der alten und geachteten Gemeinde abzuwenden, sie hätten das Oberhaupt des deutsch-römischen Reichs mit mehr als 12000 Goldgulden bestochen, für sie Partei zu nehmen.52 Es war in der Tat viel, daß der Kaiser von der Geistlichkeit verlangt hatte, ihm die angebliche Bulle, welche die Zinsnahme verboten haben sollte, auszuliefern. Darauf befahl er, an den Kirchtüren anzuschlagen, daß jeder Schuldner, der sich darauf zur Tilgung seiner Schuld beriefe, dem Kaiser verantwortlich [181] gemacht und wegen Ungehorsams bestraft werden sollte. Der Bischof war feige genug, der kaiserlichen Regierung gegenüber alles gegen die Juden Gesprochene und Getane zu widerrufen und die Bulle auszuliefern.53 Hubmaier selbst erhielt nur die Freiheit, nach Regensburg zurückzukehren, unter der Bedingung, nicht gegen die Juden zu predigen.54 Desto verbissener wurde die Geistlichkeit und namentlich Hubmaier gegen sie, und auch die Bürgerschaft wandte allerhand Quälereien gegen sie an, um sie mürbe zu machen. Die unschuldigsten Dinge wurden ihnen als schwere Verbrechen angedichtet. Unter anderem wurde ihnen vorgeworfen, daß sie sich im ganzen ungebührlich betragen, in geteilten Kleidern, wie die Landsknechte, mit schönen Baretten, samtenen Wämsern, nicht selten auf hohen Pferden, mit Armbrüsten, Spießen und Hellebarden ein- und auszögen, welche Verbrechen die Prediger von der Kanzel öfter gerügt hatten.55 Das konnte höchstens in der Judengasse geschehen sein; denn sowie ein Jude in dem christlichen Stadtteil ohne Abzeichen an seiner Kleidung betroffen wurde, verfiel er sofort in schwere Strafe. So schleppten sich Klagen und Gegenklagen eine Zeitlang hin, bis der Tod des Kaisers Maximilian eine allerdings für die Juden unglückliche Entscheidung herbeiführte.

Zur Beschleunigung des Unglücks kamen noch Entzweiung innerhalb der bisher einigen Gemeinde und Verräterei hinzu. Von auswärts war nämlich eine reiche Familie namens Wolf eingezogen, deren Haupt namens Moses von Ehrgeiz besessen war, eine Rolle zu spielen, d.h. in den Vorstand gewählt zu werden. Da aber die erbeingesessenen Gemeindeglieder fremde Zuzügler von den Ämtern auszuschließen pflegten, so suchte Moses Rache an den Vorstehern zu nehmen und verleumdete sie beim kaiserlichen Hauptmann Korbek, sie hätten ihn mit dem Erzjudenfeinde Haman auf eine Linie gestellt. Dieser ließ die Vorsteher in Haft bringen, und dadurch entstanden häßliche Reibungen und gegenseitige Angebereien in der Gemeinde. Zu den Angebern gehörte auch der Sohn des Rabbiners Jakob Margoles, der, wegen seiner Schlechtigkeit geächtet, zum Katholizismus unter dem Namen Anton Margaritha übertrat und ein krauses, lügenhaftes Buch drucken ließ, um Juden und Judentum zu verlästern.

Sobald der Kaiser Maximilian die Augen geschlossen hatte (12. Januar 1519), eilten die Regensburger Abgeordneten, welche in Innsbruck an der Ausweisung der Juden gearbeitet hatten, sofort nach der Heimat, [182] mit dem freudigen Gefühl, daß der Tod den Prozeß zu ihren Gunsten entschieden hatte. In der Ratsstube, in den Zunftversammlungen, in den Wein- und Bierhäusern war man einig darüber, die günstige Gelegenheit während der Kaiservakanz schnell zur Vertreibung der Juden zu benutzen. Die Dominikaner-und Franziskanerprediger, namentlich Hubmaier, hatten bereits gut vorgearbeitet. Der Rat nahm die Sache in die Hand, wollte aber, nach echt deutscher Peinlichkeit, die empörende Ungerechtigkeit auf gesetzlichem Wege vollstrecken. Es wurde daher beschlossen, daß die Geistlichkeit, die erste Anregerin, die Sache ausführen sollte. Aber der Bischof und das Domkapitel, obwohl damit einverstanden, hatten doch Bedenken. Man zauderte; da äußerte einer der Beisassen, der mehr Mut hatte: »Wer viel fragt, begegnet viel Antwort, man solle nicht soviel über die Verbannung der Juden verhandeln, sondern nur zufahren. Wer Gott, Maria, Ehr und Recht liebt, wird die Notwendigkeit einsehen!« Infolgedessen wurde von dem engern und weitern Rat und den Zunftmeistern, der Beschluß gefaßt (Februar 1519), an die Ausweisung der Juden herzhaft zu gehen, ihn aber bis zum Tage der Ausweisung geheim zu halten. Die Juden hatten zwar Wind davon bekommen und sich beeilt, bei dem kaiserlichen Regiment in Innsbruck Anzeige davon zu machen und um Schutz zu flehen. Aber dieser traf zu spät ein. Die ganze Bürgerschaft hatte bereits den Plan verabredet und die Ausführung in Szene gesetzt. Die Handwerker erschienen in Masse vor dem Rathause (21. Februar 1519) und verlangten ungestüm Gehör. Ihr Wortführer setzte mit lauter Stimme auseinander, wie die Stadt einzig und allein durch die Juden heruntergekommen und verarmt wäre. Aller Handel sei in deren Hände geraten. Sie hätten Getreide fürs Ausland aufgekauft, den Weinhandel von Schwaben und das Eisengeschäft von den Hammermeistern an sich gerissen. Die Stadt habe durch sie in den letzten vier Jahrzehnten 132000 Gulden Schaden erlitten. Nun sei die Stunde gekommen, sich diese verfluchten Leute vom Halse zu schaffen und auszurotten. Wenn der Rat nicht auf ihr Gesuch eingehen wollte, so würden sie selbst Hand an die Juden legen. Das war alles abgekartetes Spiel. Die Ratsherren brauchten einen Vorwand, daß die Handwerker einen Druck auf sie ausgeübt hätten, und daß das Leben der Juden bedroht gewesen wäre, so daß deren Ausweisung zu ihrer eigenen Sicherheit geschähe. Der Rat zog sich scheinbar zur Beratung zurück und in der kürzesten Zeit eröffnete er den Handwerkern, was sie gebeten, sollte ihnen gewährt werden. Sofort begaben sich die Mitglieder des Rates in das Judenviertel und verkündeten den Bewohnern, daß sie nicht länger geschützt werden könnten, und daß sie in fünf Tagen die Stadt verlassen müßten. Sie könnten allerdings ihre Habe mitnehmen, doch müßten sie ihre Pfänder zur Bürgschaft für [183] Schuldforderungen an sie zurücklassen. Die »Synagoge des Teufels«, in der sinnverwirrten Sprache jener Zeit genannt, sollten sie binnen zwei Stunden räumen, weil sie sofort niedergerissen und in eine Kirche verwandelt werden sollte. Der Jammer der an 500 Seelen zählenden Judenschaft war groß, rührte aber die Steinherzen der Regensburger Christen wenig. Alles, was sie den Unglücklichen gewährten, war eine Galgenfrist von drei Tagen (bis Ende Februar). Ihre ausstehenden Schulden wurden ihnen für eine Pauschsumme von 6000 Gulden abgekauft; aber ihre Habseligkeiten konnten sie nicht losschlagen, weil die Wachen an den Toren des Judenviertels den Christen den Zugang zu ihnen verwehrten. So mußten sich denn die Juden in das Unabänderliche fügen und die Stadt verlassen, die sie seit deren erster Entstehung bewohnt und mit deren Bürgern sie ehemals auf dem besten Fuße gestanden hatten, von denen sie während des allgemeinen Gemetzels zur Zeit des schwarzen Todes geschützt worden waren. Groß war das Elend der Verbannten; die Schwachen und Kranken starben schon auf dem Wege zu den Schiffen; die meisten von ihnen ließen sich in der jenseits der Donau liegenden Stadt am Hof unter dem Schutze der Herzöge von Bayern nieder.

Die Bürgerschaft hatte noch vor dem Abzuge der Juden nichts Eiligeres zu tun, als die aus festen Quadern gebaute, auf Säulen ruhende Synagoge niederzureißen und an deren Stelle eine Kirche zu erbauen. Es lag ihr daran, das Besitzergreifen zu einer vollendeten Tatsache zu machen, damit nicht einmal der neu zu wählende Kaiser imstande sei, sie ungeschehen zu machen. Nachdem die Juden unter Trauergesängen ihre beweglichen Heiligtümer geräumt hatten, gingen die Maurer und Steinmetzen sofort daran, den »Tempel im Kleinen« zu zerstören. Beim Niederreißen desselben und beim Aufbau der Kirche zeigte sich der kirchliche Wahn in seiner ganzen Erbärmlichkeit und war umso widriger, als er nicht einmal ganz ehrlich und nur künstlich angefacht worden war, um die Ausweisung der Juden unwiderruflich zu machen. Nicht nur Männer, Frauen und Jungfrauen, nicht nur das Geschlecht der heiligen Einfalt, das eigens dazu vom Lande herbeigeströmt war, und nicht nur Mönche aller Orden legten Hand daran, sondern auch die Vornehmsten der Stadt, der Weihbischof und Bischof, als Administrator, arbeiteten mit eigenen Händen daran.

Mit Wetteifer sollen 4000 Menschen sich an dem »heiligen« Werke beteiligt haben, und jeder war glücklich, auch nur einen Stein dazu beizutragen. In aller Eile wurde eine Kapelle auf dem Platze der Synagoge erbaut, ein Altar errichtet und kurz nach der Ausweisung der Juden (25. März) zum ersten Male Gottesdienst gehalten. Später wurde die dort erbaute Kirche für »Maria die schöne« eine der [184] besuchtesten und einträglichsten,56 dadurch aber ein Zankapfel zwischen den Geistlichen und Bürgern.

Die Regensburger Bürgerschaft schwebte aber eine lange Zeit von seiten der bayrischen Herzöge und des österreichischen Kaiserhauses in Sorge wegen des Gewaltstreiches an den Juden. Den Zorn der ersteren wußte die bigotte Herzogin-Witwe und Äbtissin Kunigunde, welche Pfefferkorn und die Dominikaner so eifrig unterstützt hatte, zu beschwichtigen.57 Aber die österreichische Regierung zu Innsbruck bestand zäh auf vollständiger Wiederaufnahme der Juden in Regensburg und ihrer Schadloshaltung, freilich nicht um ihrer selbst willen, sondern der Einnahmen wegen, welche dadurch dem Hause Österreich entzogen worden waren. Joselin von Roßheim war auch vom Kaiser Karl V. als Vertreter und Anwalt der deutschen Judenheit anerkannt und setzte bei ihm die Bestätigung ihrer Privilegien im allgemeinen durch (1520).58 Er hat wohl auch ein Wort zugunsten der ausgewiesenen Juden von Regensburg gesprochen. Aber entschieden wurde die Streitsache nicht. Sie blieb noch lange auf der Tagesordnung; sie kam auch auf dem Wormser Reichstag vor dem jungen Kaiser Karl V. zur Sprache (1521). Jüdische Vertreter hatten sich daselbst mit gefüllten Beuteln eingefunden und die begründetste Hoffnung gehegt, daß die Ausgewiesenen den Judenfeinden zum Trotze, wieder aufgenommen werden würden;59 sie erwies sich aber hinterher als eitel. Der Kaiser als Oberhaupt des österreichischen Kaiserhauses verständigte sich endlich mit den Regensburgern, allerdings zu ihrem eigenen Schaden, indem sie dadurch den letzten Rest ihrer Freiheit einbüßten und in ein straffes Abhängigkeitsverhältnis gerieten. Dafür hatten sie aber die Genugtuung, daß ihnen das Privilegium verbrieft wurde, daß sie für ewige Zeiten keinen Juden aufzunehmen gezwungen werden sollten. Den ausgewiesenen Juden wurde für den Verlust ihrer Häuser eine geringe Entschädigung – in Raten zahlbar – geboten und auch zugesichert, daß die Gräber ihrer Väter verschont und deren Gebeine nicht entweiht werden sollten.60 Aber über 4000 Grabdenkmäler des sehr alten jüdischen Friedhofes hatten bereits schwielige Hände des Landvolkes und zarte fanatisierter Jungfrauen in der ersten Aufwallung zerstört.61

[185] Mit teuflisch boshafter Schadenfreude weidete sich Pfefferkorn an dem Elend der Regensburger Juden und zählte mit innerer Befriedigung auf, aus welchen deutschen Städten seine ehemaligen Glaubensgenossen bereits ausgewiesen waren, nämlich aus Cöln, Augsburg, Straßburg, Nürnberg, Nördlingen, Speyer, Eßlingen, Reutlingen und Colmar. Er legte noch in seiner letzten Schmähschrift Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft von Frankfurt und Worms ans Herz, den letzten großen deutschen Gemeinden – in Worms gab es noch ein Lehrhaus mit achtzig Talmudjüngern62 – dem guten Beispiele zu folgen und von dem Nutzen, den die Juden ihnen brächten, um Christi willen abzustehen. Der junge Kaiser, meinte er, werde nichts dagegen haben, da er den Juden nicht sehr gewogen sei. Sie möchten es aber ebenso rasch wie die Regensburger machen, die Synagogen zu schleifen, abzubrechen und umzuwerfen und auf deren Plätzen Kapellen und Klöster zu bauen. Ihr Vermögen dürften sie ihnen mit Fug und Recht sogar mit Gottes Bewilligung abnehmen.63

Pfefferkorns giftige letzte Schrift hatte indes für den Augenblick nicht die Wirkung, weder zum Nachteil der Juden, noch zu dem Reuchlins. Die Frankfurter und Wormser Gemeinden wurden damals nicht ausgewiesen, und Reuchlin wurde in seinen letzten Lebensjahren noch mehr geehrt. Die Universität Tübingen bat ihn eindringlich, einen Lehrstuhl in ihrer Mitte einzunehmen. Er durfte nun frei über hebräische Sprache Vorträge halten, wozu sich viele Zuhörer, selbst Studenten von der Heidelberger Universität, drängten, während er es früher, vor dem Streite mit den Dominikanern, nur heimlich vor wenigen Zuhörern tun konnte. So hatten sich die Ansichten der Menschen während des kurzen Zeitraumes verändert. Wenn Pfefferkorn ein scharfes Auge für diese Veränderung gehabt hätte, hätte er sich wie ein Mordbrenner vorkommen müssen, der aus Rache oder angeborener Bosheit eine baufällige Stadt in Brand gesteckt und dafür eine neue, schönere, geräumigere aus der Asche entstehen sieht. Sein Bileamsfluch hatte sich in Segen verwandelt. Pfefferkorns Name ist seit dem Erscheinen seiner letzten Schrift vollständig in Vergessenheit geraten. Das Andenken Reuchlins dagegen wurde im Laufe der Zeit immermehr gesegnet. Er starb zwar als Katholik (30. Juni 1522), aber er war doch durch seine Inschutznahme der talmudischen Schriften der erste Hauptanreger der Reformation und galt auch in seiner Zeit dafür. Die geistvolle stumme Komödie, welche kaum zwei Jahre nach seinem Tode in französischer oder lateinischer Sprache erschien (und bald ins [186] Deutsche übersetzt wurde), stellt ihn bereits recht anschaulich als Urheber der großen immer mehr um sich greifenden Bewegung dar. Sie läßt einen Doktor, dessen Name Capnion (Reuchlin) auf dem Rücken zu lesen, auftreten, ein Bündel krummer und gerader Reiser auf die Bühne hinwerfen und sich entfernen. Eine andere Figur (Erasmus) bemüht sich vergebens, die Stäbe zu ordnen und die krummen gerade zu biegen, schüttelt den Kopf über das Chaos und verschwindet. Auch Hutten kommt darin vor. Luther erscheint im Mönchsgewande, bringt einen Feuerbrand und zündet die krummen Reiser an. Eine andere Figur in kaiserlicher Tracht schlägt mit dem Schwerte auf das um sich greifende Feuer und gibt ihm dadurch noch mehr Spielraum. Endlich erscheint der Papst, will löschen, greift nach einem Eimer, der aber voll Öl ist, gießt es ins Feuer und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen wegen der hell auflodernden Flammen, die nicht mehr zu ersticken gehen.64 Pfefferkorn und der Talmud hätten in dieser stummen Komödie nicht fehlen sollen; denn diese haben den Zunder zu dem Brande geliefert.

Schon lagen die Verhältnisse derart, daß jeder Luftzug den Brand nur noch mehr begünstigte. Luther hatte auf dem Reichstage zu Worms Standhaftigkeit und Mut erlangt und durch sein: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« oder durch ein anderes Festigkeit verratendes Wort den Bruch mit dem Papsttum vollendet. Obwohl der Kaiser Karl durch eigenen bigotten Sinn, von Finsterlingen belagert, und von Fürsten, auch vom König Manoel von Portugal und Heinrich VIII. von England ermahnt, geneigt war, den Reformator als Ketzer dem Scheiterhaufen zu überliefern, so ließ er ihn doch, teils aus Rücksicht auf den Kurfürsten Friedrich von Sachsen, teils aus politischer Berechnung, den Papst dadurch in Händen zu haben, ungefährdet abziehen und erklärte ihn erst einen Monat später in die Reichsacht. Indessen war Luther bereits auf seinem Patmos, auf der Wartburg, verborgen und geborgen. Während er hier in der Stille an einer deutschen Übersetzung der Bibel arbeitete, wurde im Wittenbergischen von den reformatorischen Ultras, Karlstadt und anderen, alle kirchliche Ordnung umgestoßen, der Gottesdienst in den Kirchen verändert, Messe und Priesterornamente abgeschafft, die Mönchsgelübde aufgehoben und Priesterehen eingeführt – d.h. die Priester erklärten ihre bisherigen heimlichen Konkubinen öffentlich als ihre Gattinen, wozu Luther – wenn anwesend – vielleicht nicht die Hand geboten hätte. Günstig für den Fortgang der Reformation war auch der Tod des Papstes Leo X. und die Wahl [187] Hadrians IV., jenes beschränkten Parteigängers von Hochstraten, der durch seine guten Eigenschaften und strenge Sittlichkeit noch mehr verdarb, indem er durch den Versuch, Zucht, Keuschheit und Einfachheit in die römische Kurie einzuführen, sich im Kardinalskollegium und unter den Höflingen erbitterte Feinde machte und daher in seinen Unternehmungen gelähmt wurde. Die Gemüter waren für die Reformation vorbereitet; sie faßte daher in Norddeutschland, Dänemark und Schweden feste Wurzel, drang in Preußen, Polen und anderseits in Frankreich und sogar in Spanien ein, in das Land düsterer, dumpfer Kirchlichkeit und blutdürstiger Verfolgungssucht. Zwingli, der Reformator der Schweiz, sagte sich nach vielem Schwanken ebenfalls vom Papsttum los, und so wurden auch da – wo mehr Freiheit der Bewegung als in dem geknechteten Deutschland herrschte – der neue Gottesdienst eingeführt, Priesterehen eingesegnet, Bilder und Kruzifixe zerstört und Klöster aufgehoben. Eine neue Ordnung der Dinge war eingeführt, das allmächtige Rom war gegenüber dem neuen Geiste ohnmächtig Schwärmereien der Wiedertäufer begannen die Gemüter zu erhitzen und alle Lebensverhältnisse umzugestalten.

Für die Juden hatte Luthers Reformation anfangs nur eine geringe Wirkung. Sie bestand darin, daß, da sich Katholiken und Neuerer namentlich in Deutschland in jeder Stadt in den Haaren lagen, sie keine Muße zu Judenverfolgungen hatten; es trat daher hier eine kleine Pause ein. Luther selbst, dessen Stimme bereits mächtiger als die der Fürsten klang, nahm sich ihrer anfangs an und strafte die vielfachen Beschuldigungen gegen sie Lügen. In seiner derben Weise äußerte er sich gleich anfangs darüber: »Diese Wut (gegen die Juden) verteidigen noch einige sehr abgeschmackte Theologen und reden ihr das Wort, indem sie aus großem Hochmut daher plaudert, die Juden wären den Christen Knechte und dem Kaiser unterworfen. Ich bitte euch darum, sagt mir, wer wird zu unserer Religion übertreten, wenn es auch der allersanftmütigste und geduldigste Mensch wäre, wenn er sieht, daß sie so grausam und feindselig und nicht allein nicht christlich, sandern mehr als viehisch von uns traktiert werden? – Die meisten Passionsprediger (in der Osterwoche) tun nichts anderes, als daß sie der Juden Mutwillen, den sie an Christo verübt, sehr schwer und groß machen und die Herzen der Gläubigen wider sie erbittern.«65 In einer eigenen Schrift, deren Titel schon die verbissenen Judenfeinde stutzig zu machen geeignet war: »Daß Jesus ein geborener Jude gewesen« (1523), sprach sich Luther noch derber gegen den unvertilgbaren Judenhaß aus: »Unsere Narren, die Papisten, Bischöfe, Sophisten und Mönche, haben bisher also mit den Juden verfahren. [188] daß, wer ein guter Christ gewesen, hätte wohl mögen ein Jude werden. Und wenn ich ein Jude gewesen wäre, und hätte solche Tölpel und Knebel den Christenglauben regieren und lehren gesehen, so wäre ich eher eine Sau geworden als ein Christ. Denn sie haben mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde und nicht Menschen, haben nichts mehr tun können, als sie schelten. Sie aber sind Blutsfreunde, Vettern und Brüder unseres Herrn; darum, wenn man sich des Blutes und Fleisches rühmen soll, so gehören die Juden Christo mehr an denn wir. Ich bitte daher meine lieben Papisten, wenn sie müde geworden, mich Ketzer zu schimpfen, daß sie nun anfangen, mich einen Juden zu schelten.«

»Darum wäre mein Rat,« so fährt Luther fort, »daß man säuberlich mit ihnen (den Juden) umgehe; aber nun wir mit Gewalt sie treiben und gehen mit Lügenteiding um und geben ihnen schuld, sie müßten Christenblut haben, daß sie nicht stinken und weiß nicht, was des Narrenkrams mehr ist, – auch daß man ihnen verbietet, unter uns zu arbeiten, hantieren und andere menschliche Gemeinschaft zu haben, damit man sie zu wuchern treibt, wie sollen sie zu uns kommen? Will man ihnen helfen, so muß man nicht des Papstes, sondern der christlichen Liebe Gesetz an ihnen üben und sie freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit sie Ursache und Raum gewinnen, bei uns und um uns zu sein.«66 Das war ein Wort, wie es die Juden seit einem Jahrtausend nicht gehört hatten. Man kann darin Reuchlins milde Verwendung für sie nicht verkennen. Luther hatte zwar dabei den Zweck im Auge, die Juden durch freundliche Behandlung für das Christentum zu gewinnen, aber diese Neben- oder Hauptabsicht war ihm, der so ganz in seinem Christusideal lebte, nicht zu verdenken. Manche heißblütige Juden sahen dagegen in der Auflehnung der Lutheraner gegen das Papsttum den Untergang der Jesuslehre überhaupt und den Triumph des Judentums. Drei gelehrte Juden kamen zu Luther, um ihn für das Judentum zu gewinnen.67 Es galt überhaupt nicht mehr für zeitgemäß, auch in katholischen Kreisen nicht, nach dem göttlichen Strafgerichte die Juden totzuschlagen oder zu verfolgen. Was auch Sophisten dagegen höhnend einwenden mögen, so bleibt es doch wahr, es bildet sich in jeder ausgeprägten Geschichtsepoche ein Zeitgeist, den jeder widerwillig respektieren muß. Das Menschliche hatte sich in der Zeit der humanistischen Bewegung und im Anfang der Reformation ehe sie durch allzu theologische Konsequenzmacherei verwilderte eine Macht errungen und die Anforderungen des Kirchlichen zum Schweigen gebracht. Diesem Zeitgeist mußten selbst die Stockkirchlichen ihren Tribut zollen. Mit Bedauern sah ein Kirchenfürst (Bischof [189] Sadolet von Carpentras) die veränderte Zeitströmung, deren Wandlung er selbst erlebte, und sprach es mit Unmut aus: »Ich behaupte nicht, daß alles nach der alten Strenge und Herbigkeit eingerichtet werden müßte (die Juden zu verfolgen). Ich sehe nämlich wohl ein, daß das den Zeiten entgegen ist. Unsere Sitten können nicht das dulden, was mehr Göttliches als Menschliches zeigt.«68 – Schwärmerische Gemüter unter den Juden knüpften daher an diesen unerwarteten Umschwung und namentlich an die Erschütterungen, welche das Papsttum und der abgöttische Reliquien- und Bilderdienst erfuhren, die kühnsten Hoffnungen von dem baldigen Untergange Roms und dem Herannahen der messianischen Zeit der Erlösung.69

Aber viel mehr als der jüdische Stamm gewann die jüdische Lehre durch die Reformation. Bis dahin wenig beachtet, kam sie in der ersten Zeit der Reformation gewissermaßen in Mode. Reuchlin hatte nur den bescheidenen frommen Wunsch ausgesprochen, daß an den wenigen deutschen Universitäten auf einige Zeit Lehrer der hebräischen Sprache angestellt werden sollten (o. S. 96). Durch seinen Eifer für diese Sprache (er hatte auch eine Schrift über die hebräischen Akzente und Prosodie veröffentlicht)70 und durch die zunehmende Einsicht, daß die Bibel ohne diese Kenntnis ein verschlossenes Buch bleibt, suchten Fürsten und Universitäten förmlich nach Lehrern derselben und errichteten Lehrstühle für die hebräische Sprache nicht nur in Deutschland und Italien, sondern auch in Frankreich und Polen. Die leichte, lachende klassische Muse, welche die Herzen von den kirchlichen Formen abgezogen hatte, wurde immer mehr vernachlässigt und dafür die ernste hebräische Matrone hervorgesucht. Jünglinge und Männer scheuten es nicht, sich um Juden zu scharen, von denen sie die hebräische Sprache erlernen konnten. Es entstand dadurch ein gemütliches Verhältnis zwischen jüdischen Meistern und christlichen Jüngern – allerdings zum gräulichen Ärger der Stockfrommen auf beiden Seiten; manches Vorurteil wurde dadurch beseitigt. Der Hauptlehrer der Christen war der Grammatiker von deutscher Abkunft Elia Levita (geb. in [190] Neustadt bei Nürnberg um 1469, gest. 1549).71 Dieser arme Mann, der um das tägliche Brot zu kämpfen hatte, hat den Grund zur Kenntnis der hebräischen Sprache gelegt. Die Plünderung Paduas führte ihn über Venedig nach Rom, wo ihn, wie schon erzählt, der Kardinal Egidio de Viterbo zum Behufe grammatischer und kabbalistischer Studien ins Haus genommen und ihm mit seiner Familie mehr als zehn Jahre den Lebensunterhalt gewährt hatte. Aber nicht bloß dieser Kirchenfürst, sondern auch andere hochgestellte Christen saßen zu Levitas Füßen: George de Selve, Bischof von Lavaure, französischer Gesandter, ebenso gelehrt wie staatsklug,72 und andere. Gegen den Vorwurf, den ihm überfromme Rabbiner deswegen machten, verteidigte sich Levita mit der Bemerkung, daß seine christlichen Jünger durchweg Freunde der Juden wären und deren Wohl zu befördern suchten. Auch lehre er sie doch nur harmlose hebräische Sprachkunde, ohne sie in das tiefere Verständnis der hebräischen und jüdischen Literatur einzuweihen – eine Entschuldigung, die nicht ganz auf Wahrheit beruhte. Auf Veranlassung seines Gönners Egidio bearbeitete er Teile der hebräischen Grammatik in hebräischer Sprache, die meistens von Reuchlins Jünger Sebastian Münster ins Lateinische übersetzt wurden. Elia Levita hatte keinen besonders tiefen Geist, hat auch im hebräischen Sprachbau keine wichtige Entdeckung gemacht, er folgte fast sklavisch dem grammatischen System der Kimchiden, weil er die bessern Vorgänger nicht kannte. Die Brauchbarkeit seiner Lehrbücher bestand lediglich darin, daß ihm das ganze biblische Sprachgut zu Gebote stand und er Lehrgeschicklichkeit und faßliche Darstellungsgabe besaß. Über die Elemente ging er zwar nicht hinaus, aber diese genügten vollkommen dem damaligen Bedürfnisse. Nur mit einer einzigen Bemerkung hat Levita Bahn gebrochen. Gegen den festen Glauben der damaligen Zeit, daß die hebräischen Vokalzeichen uralt, womöglich vom Sinai zugleich mit dem Gesetzbuche geoffenbart oder mindestens [191] von Esra eingeführt worden seien, stellte er die Behauptung auf, diese Zeichen seien jung und nicht einmal in der talmudischen Zeit bekannt gewesen, weil sie bei dem vollen Leben der Sprache entbehrlich waren.73 Man kann sich denken, welchen Sturm diese Meinung gegen ihn erhoben hat. Sie warf mit einem Schlage die festgewurzelte Ansicht um. Die Stockfrommen erhoben ein Zetergeschrei gegen ihn, als hätte er mit seiner Behauptung das ganze Judentum geleugnet. Elia Levita war daher bei seinen Glaubensgenossen wenig beliebt und hielt sich mehr zum christlichen Gelehrtenkreise, was ihm nicht weniger Tadel von den Stockfrommen zuzog und auch Folgen für seine Nachkommen hatte.

Übrigens war er nicht der einzige Lehrer der hebräischen Sprache und Literatur für Christen.74 Wie vor ihm Obadja Sforno Reuchlin im Hebräischen Unterricht erteilt hatte, so tat es gleichzeitig mit Levita Jakob Mantin und auch Abraham de Balmes, Arzt und Sprachkundiger. Dieser behandelte die Erscheinungen der hebräischen Sprache philosophisch, ging tiefer auf die Bildungen und Formen ein, um in der scheinbaren Willkür und Zufälligkeit das Gesetz des Notwendigen zu finden. Balmes' Werk hatte aber weniger Gunst als die Elia Levitaschen Schriften gefunden, weil es tiefer und daher schwerfälliger gehalten ist und sich in Widerlegungen des Kimchischen Systems einläßt.

Es entstand überhaupt eine förmliche Schwärmerei für die hebräische Sprache in der Christenheit. Die Drucker rechneten so sehr auf guten Absatz, daß in mehreren Städten Italiens und Deutschlands ältere oder jüngere hebräische grammatische Schriften verlegt wurden, auch da, wo keine Juden wohnten. Alle Welt wollte Hebräisch lernen, das hebräische Sprachgut und Schrifttum verstehen. Wenige Jahre vorher galt den Vertretern der Kirche die Kenntnis des Hebräischen als Luxus oder gar als ein verderbliches Übel, an Ketzerei streifend, durch die Reformatian dagegen wurde es unter die notwendigen Fächer der Gottesgelehrtheit eingereiht. Luther selbst lernte Hebräisch, um gründlicher in den Sinn der Bibel eindringen zu können.

Am auffallendsten zeigte sich dieser Umschwung der Gesinnung in Frankreich. Die tonangebende Pariser Universität hatte in der Mehrzahl ihrer Mitglieder Reuchlins Augenspiegel zugunsten des Talmud und der hebräischen Studien zum Feuer verurteilt (o. S. 144). Kaum sechs Jahre später entstanden daselbst ein Lehrstuhl und eine [192] Druckerei für das Hebräische, und gerade jener Beichtvater des Königs Ludwig, Guillaume Haquinet Petit, dessen Ohrenbläserei die Verdammung der Reuchlinschen Schrift durchgesetzt hatte (o. S. 143), dieser Dominikaner selbst trat als Förderer der hebräischen Literatur auf.

Auf seinen Antrag ließ der König Franz I. den in hebräische Literatur eingelesenen Bischof von Korsika, Augustin Justiniani, nach Frankreich kommen. Dieser junge König, der zuerst den ritterlichen Charakter der französischen Fürsten hervorkehrte und aus Feindseligkeit gegen das Haus Österreich mit den ungläubigen Türken liebäugelte, hatte oder zeigte wenigstens seinem Vorgänger unähnlich Interesse für die Hebung der Studien und auch des Hebräischen. Er ließ Elia Levita einladen, nach Frankreich zu kommen, um dort den Lehrstuhl der hebräischen Sprache einzunehmen,75 wahrscheinlich auf Antrag seines Verehrers de Selve. Man muß erwägen, was das damals bedeutet hat. Im eigentlichen Frankreich durfte seit mehr als einem Jahrhundert kein Jude wohnen oder auch nur weilen, und nun wurde ein Jude berufen, nicht bloß dort seinen Aufenthalt zu nehmen, sondern eine Ehrenstellung einzunehmen und Christen Unterricht zu erteilen. Welcher Umschwung! Elia Levita schlug jedoch diesen zuvorkommenden Antrag aus; er hätte sich als einziger Jude dort nicht behaglich fühlen und die Zulassung der Juden in Frankreich nebenbei zu betreiben, dazu war er nicht der Mann. Justiniani übernahm dafür die Aufgabe, die Kenntnis des Hebräischen in Frankreich anzubahnen. Er hatte sich diese wahrscheinlich unter Anleitung des vielseitigen jüdischen Arztes Jakob Mantin angeeignet. Auf der Universität zu Rheims fingen unter ihm die französischen Studenten an, Hebräisch zu radebrechen. Da es aber an Exemplaren mangelte, so ließ Justiniani die schlechte hebräische Grammatik von Mose Kimchi drucken.76 Was noch merkwürdiger ist, in Paris, wo 300 Jahre vorher die jüdischen Stockorthodoxen mit Hilfe der Dominikaner Maimunis religionsphilosophisches Werk, »Führer der Irrenden«, verbrannt hatten, ließ der Dominikaner Justiniani eine lateinische Übersetzung desselben drucken (1520) und wälzte die Schuld der ehemaligen Verketzerung auf die Juden. Bei dieser gedruckten Übersetzung, welche nach einer älteren bearbeitet ist, hat entschieden Jakob Mantin geholfen; der Bischof von Korsika gab sie aber stillschweigend als seine eigene Arbeit her aus.77 Auch Levitas umfangreiches Werk über die biblische Orthographie (Masora), welches sein Jünger, der Bischof von Lavaure, auf seine Kosten druckfertig machen ließ, sollte in Paris gedruckt werden, wahrscheinlich auf desselben Betrieb, ist aber [193] aus unbekannten Hindernissen unterblieben.78 Natürlich blieben die christlichen Lehrer der hebräischen Sprache von den jüdischen Meistern abhängig; sie konnten keinen Schritt ohne diese tun. Als Paulus Fagius, reformatorischer Priester und Jünger Reuchlins, eine hebräische Druckerei in Isny anlegen wollte, berief er Elia Levita dahin; diese Einladung nahm er an, weil er in Not war und für seine chaldäischen und rabbinischen Wörterbücher keinen Verleger fand. Paul Fagius waren diese Werke gerade sehr lieb, weil sie ihm den Schlüssel zu der von christlichen Gelehrten so sehr gesuchten Kabbala zu bieten schienen.79

Durch die Reuchlinsche und Luthersche Bewegung kam auch die so lange vernachlässigte Bibelkenntnis einigermaßen in Schwung. Judentum und Christentum beruhen auf der heiligen Schrift, und doch war diese gerade den Bekennern beider Religionen durchweg fremd geworden. Dieses herrliche Denkmal einer gnadenreichen Zeit war von so vielen Hüllen verschleiert, von dem Spinngewebe zumeist sinnloser Auslegungen so sehr eingeschlossen und überhaupt durch das Beiwerk so sehr verunstaltet, daß es seinem wahren Werte nach vollständig unkenntlich geworden war. Weil man alles in der heiligen Schrift suchte und hineindeutelte, fand man gerade den wahren Sinn nicht. Dem christlichen Laienvolke war die Bibel seit langer Zeit unzugänglich geworden, weil das Papsttum deren Übertragung in die Volkssprache aus instinktmäßiger Furcht untersagt hatte. So kannten die Gläubigen nur Bruchstücke daraus, nur abgerissene Texte, und auch diese nicht einmal recht, weil sie durch die verkehrte Auslegung entstellt waren. Selbst Geistliche fanden sich nicht heimisch darin, weil sie sie nur aus der lateinischen Sprache der Vulgata kannten, und diese den Grundgedanken der biblischen Wahrheiten öfter durch Unverstand und Verkehrtheit verwischt hatte. Es war daher eine wichtige Tat, als Luther in seiner Einsamkeit auf der Wartburg die Bibel, das alte und neue Testament, in die deutsche Sprache übersetzte.80 Luther mußte dazu, wie schon angegeben, etwas Hebräisch lernen und Juden um Auskunft fragen. Es war den damals Lebenden, als wenn das Gottesbuch erst neu geoffenbart worden wäre; diese reine Stimme hatten sie noch nicht vernommen. Ein frischer Hauch strömte den Menschen daraus entgegen, als die Wälle entfernt waren, welche diese Lebensluft des Geistes so lange abgesperrt hatten. Das klassische Altertum hatte den Geschmack eines kleinen Kreises gebessert, das hebräische Altertum dagegen hat das ganze Geschlecht verjüngt, ihm wieder Sinn für Einfachheit[194] und ungekünstelte Lebensverhältnisse beigebracht. Bald wurde die Bibel in andere europäische Sprachen übertragen, und die Katholiken selbst waren genötigt, von dem päpstlichen Verbote abzugehen, sie dem Volke in verständlicher Sprache zu übergeben, bedienten sich aber aus Unkenntnis und Unehrlichkeit dabei der Lutherischen Übersetzung.81 Auch die Juden fühlten das Bedürfnis nach der heiligen Schrift in der Landessprache. Diesem half der unermüdliche Elia Levita teilweise ab, der eine deutsche Übersetzung der Psalmen in Konstanz auf seiner Rückreise von Isny nach Venedig anfertigte.82 Eine spanische Übersetzung besorgte ein aus Portugal entkommener Marrane Duarte de Pinel in Ferrara, der sich als Jude Abraham Usque nannte.83

Die Nachfrage nach hebräischen Bibeln war so bedeutend, daß Daniel Bomberg das großartige Werk unternahm, das alte Testament mit den Kommentarien von Raschi, Ibn Esra, Kimchi, Gersonides und anderen zu drucken, zugleich mit einer ausführlichen Masora,84 dessen korrekte Herstellung einem Kenner, Jakob ben Chajim, anvertraut wurde, der in seiner Vorrede sich sehr jüdisch-rechtgläubig geberdete und später doch zum Christentum überging.85 Der Absatz der umfangreichen rabbinischen Bibel war so groß, daß immer neue Auflagen davon erschienen.


Fußnoten

1 Chronicon Spalatini bei Mencken, scrr. rerr. Germ. II, 592, auch bei Pfefferkorn defensio contra famosas.


2 Pfefferkorn, das. T. 2 b ff.


3 Vergl. Briefsammlung II, Pitkas Brief an Reuchlin.


4 Vergl. Reuchlins Brief an den Kardinal Anconitani vom Novbr. 1518 bei Friedländer, Beiträge, Nr. 82, und Huttens Brief an Nuenaar im April dess. Jahres in Huttens Werken.


5 Mitgeteilt in den Lamentationes obscurorum virorum p. 3.


6 Epistolae obscuror. virr. II, No. 3, quia Schlem schlem, quaerit sibi similem.


7 Epistolae obscuror. virr. II. Nr. 5.


8 Das. Nr. 7.


9 Epistolae obscuror. virr. II. Nr. 28. Sed Theologi non curant Grammaticam, quia non est de sua facultate.


10 Das. Nr. 37.


11 Das. Nr. 47.

12 Lamentationes obscurr. virr. non prohibitae ab sede apostolica, 1518.


13 Lamentationes obscurr. virr. non prohibitae ab sede apostolica Nr. 44.


14 Sendschreiben an den Papst v. 10. Mai 1518 bei Friedländer a.a.O. S. 113 ff.


15 Gedruckt zuerst Tübingen 1517 unter dem Titel: Rabi Joseph Hyssopaeus Perpinianensis, Judaeorum poeta dulcissimus ex hebraica lingua in latinam traductus a.J. Reuchlino. Der Titel des Gedichtes Lanx argentea, oder acceptabulum für ףסכ תרעק. Text und Übersetzung, auch bei Wolf, Bibliotheca hebraea IV. Ende.


16 Pauli Ricii opuscula varia in talmudicae traditionis farraginem. In der Einl. heißt es: Monuerat quondam divus Maximilianus Caesar, uti vetusta illa et obsoleta Moseorum (quae Talmud appellari libuit) volumina de Hebraicis latebris in latinum mutarem eloquium.


17 P. Ricios Übersetzungen sind: 1) de sexcentis et tredecim mosaicae legis mandatis; 2) Farrago ex talmudico; 3) Aegyptii R. Mosis in librum Misnaios prooemium; 4) Compendium sive Mischna in codicem Senatorum, dictum Sanhedrin. Ricio soll auch Auszüge aus Traktat Berachot gemacht haben.


18 Die Übersetzung der portae lucis Rabi Josephi Castiliensis erstreckt sich nur auf die Einleitung und einen Teil der הרוא ירעש, wie Wolf bemerkt hat III, p. 392. Sie ist wohl zuerst Augsburg 1516 erschienen. Reuchlin erhielt diese Übersetzung erst auf besonderes Verlangen im August dieses Jahres von dessen Sohn Hieronymus Ricius zugeschickt, wie aus dessen Brief II, Nr. 58 hervorgeht: Ceterum, quam tantopere exoptas, Portam lucis libellum, tibi ... mitto et munere trado. Im dritten Buche de arte Cabbalistica, wo Reuchlin lange Auszüge daraus machte, sagt er deutlich an mehreren Stellen, daß dieses die einzige Quelle für seine Arbeit gewesen ist (vergl. ed. Frankfurt a.M. p. 735): quae facile nunc ... de libro Cabbalistico compendii portae Lucis, quem P. Ricius ... ex Rabbi quondam Castiliensi collegit et de Isagogis, quas scripsit in Cabbalam discere potestis. (Diese Stelle ist merkwürdigerweise in Picos Apologia III, p. 735 hinein interpoliert worden, und daraus haben einige, auch der Bibliograph Wolf, fälschlich angenommen, Pico habe aus Ricius geschöpft, während Reuchlin und Galatinus öfter den Grafen Mirandola als ersten Kabbalisten unter den Christen aufstellen). Eigen ist es, daß Reuchlin den Joseph Castiliensis, Verf. von הרוא ירעש, durchweg unterscheidet von Joseph filius Karnitolus (d.h. איליטקיג, öfter verschrieben als לוטינרק), dem Verf. von זוגא תנג oder hortus nucis (a.a.O. 631). Was noch auffallender ist: Imanuel Aboab läßt den Joseph, Verfasser der הרוא 'ש, zur Zeit der Vertreibung der Juden aus Spanien leben, also fast zwei Jahrhunderte später, als J. Gicatilla, Verf. des זוגא 'ג (Nomologia p. 301): Salió de Aragon ... el Rab Joseph Chequitilla famosissimo Cabalista, hizo tres libros muy excellentes, que Ilamó puertas de luz, puerta de los cielos y comento de quadriga de Jechazquiel. Ebenso der Verfasser der םלוע תוערואמ (p. 7): רשא םירחא םינבר שי (הלוגה ךיתב םיאבה) ולא דבלמ ףסוי 'רה םתומש הלאו םתבש ןוכמ ונלצא עדונ אל חורה םתרזפ תבכרמ שורפו םימשה רעשו הרוא ירעש 'ס רבח רשא אייליטיקג לאקזחי. Sollte dieser Joseph Gicatilla, Verfasser der portae lucis, nach Italien gewandert und mit jenem Dattilus identisch sein, von dem Pico Kabbalistisches vernommen hat? (Apologia gegen Ende): cujus res testem habeo An. Granicum, qui suis auribus audivit Dattilum Hebraeum, peritum hujus scientiae (Cabbalae). Dattilus kann wohl eine Korruptel für Gicatillus sein.


19 Diese Nachricht gibt Abraham Farissol in seinem handschriftl. םהרבא ןגמ (Codex der Breslauer Seminarbibliothek, Nr. 59, Bl. 106 v.): ורבחי יכ יתעמשו וא ילבב ןושלמ רמאמ רובח לארשי יעשר ידי לע םתעדמ רשא המ האצמה ורכזי וב רשא רהוזה תונושל תומדב ימלשורי יפמ הרריפ יבשומ ריעב םויהו ... םחישמ ינינע לע םבלמ ודב ודיעהו ודיגה רשא םירקיה ןויצ ינבמ םידרפסו יתעמש םיבושח רפסמב כ"יב םירוחב לארשי ינב יעשרמ טק טעמ דרפסב ךיא (?) ןוצלומיד ואיצניטלא םהמ 'ג תומש הלאו .םהל דחא שארו (?) ןושרומ יד וקיקיצליא 'גהו ןוגאראד אצוגאראם יד לאדיו ודב יפוד לש תושרדממ ןוטק דחא ץבוק ורבחו * ... אליוד ועידוה רשא תושרדמהו הבר תישארבו רהוזה ןושל ךרד םבלמ םישורדו הייחתהו תוראבתההו הדלוההו םיהלאה תומשג םהב .ןינעה םירומ םיקוספ תארוה םע םחישמ ינינעמ םיבר םירהא םוקיתעה םשמו ואצי םשמש ורמאו תושרדמה ימכח םשב ובתכו יתעדי אל שרדמב זלה רבדה הויה יל רגוהו יתעמש הנדכ .. :שרדמב ןכ רמא םימעפ 'ג שודק שודק שודק רואיב לע ומוקמ ארבד אשידק אבאד אשידק רמוא 'וד פ"ג 'ק'ק'ק ןירמאד ןאמ ירה אשידק אחורד אשידק. Diesen lächerlichen pseudepigraph. Passus zitiert auch Galatinus (de arcanis L. II. Anf.) Quod Esaias quoque aperte monstravit, cum dixit ... 'ק'ק'ק ... quod per R. Simeonem Jochaï filium et per R. Jonathan Uzielis filium super textum hunc aperte probatur. Nam R. quidem Simeon sic hebraice ait: שודקה חור הז שודק ןב הז שודק בא הז שודק, et Jonathan: אשידק אחור שידק ארב שידק אבא שידק. Merkwürdig ist es, daß Farissol auf diese plumpe Interpolation halb und halb eingeht und sie im Sinne des Judentums auf die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, abgeschmackt genug, deutet.


* Ein unleserliches Wort.


20 Widmannstadt bei Perles, Beiträge 186: Ex hac Judaeorum Cabbala infinita opinionum portenta, veluti ex equo Trojano educta, impetum in Christi ecclesiam fecisse.


21 Vergl. Briefsammlung II, Nr. 29.


22 De arte cabbalistica, gedruckt März 1517.


23 Es ist interessant, zu bemerken, wie sehr sich Reuchlin angelegen sein ließ, anstößigen Agada-Sentenzen, welche Pfefferkorn Gelegenheit gaben, den Talmud zu denunzieren, eine Umdeutung zu geben und ihnen eine berechtigte Unterlage zu vindizieren. Er zitiert die Agadastelle (I, p. 626 b): לע םדא אבש השאה לע אבש דע ותעד הררקתנ אלו היחו המהב, und fährt fort: quibus e verbis obtortum scelus malignitate perversorum hominum (nämlich Pfefferkorn und die Cölner) contigit, si modo sint homines, ac non magis diaboli incarnati ... qui seditionem Christianitatis adversum nos, quamvis secundum leges imperatorum innocenter et pacifice viventes, tamen quolibet genere injuriarum excitare parati, cum saepe alias, tum nuper in ista urbe (Francofurti) dicta magistrorum nostrorum falso interpretati, sic exposuerunt, quo Adam etc. Darauf erklärt der Sprecher, der Jude, eigentlich Reuchlin, die Stelle allegorisierend, während Pfefferkorn, sie nach dem Buchstaben auslegend, dem Talmud mit Unrecht Zynismus aufgebürdet habe.


24 Reuchlin zitiert ihn in seinem anachronistisch angelegten Kabbalistenkatalog sunt et quos (libros) edidit in Cabbala Abraham Alafia.


25 Gematria d.h. Grammatia. Notaricon, Temura.


26 De arte cabbalistica, vorletzte Seite: Certe hanc figuram crucis sapientiores Cabbalistae ad lignum aenei serpentis ... referre volunt, idque per אירטמג i.e. per aequalitatem numeri. Horum namque םלצ i.e. crucis et ץע i.e. ligni characteres utrinque centum et quinquaginta (leg. sexaginta) symbolissant. םלצ bedeutet zwar nur Bild; aber da die Juden es auch für Götzenbild, Kruzifix und andere Ikonen gebrauchten, hielt sich Reuchlin für berechtigt, es mit ץע durch die Spielerei des Buchstabenzahlenwertes zu allegorisieren.


27 De arcanis catholicae veritatis libri VII., beendet September 1516, gedruckt 1518. Vergl. dazu die Einleit. und Reuchlins Briefs. II, Nr. 74. Es gilt jetzt als ausgemacht, daß Galatinus ein geborener Christ, und nicht ein getaufter Jude war.


28 Elia Levita verteidigt sich in der Einleitung zu תרוסמה תרוסמ, er habe Christen nur hebräische Grammatik gelehrt. Dem ist aber nicht so. Er hat wenigstens seinen Gönner Egidio de Viterbo in die Kabbala eingeführt; er kopierte für ihn: a) הריצי 'ס שוריפ; b) רוס לאיזר; c) שפנה תמכח 'ס. Er bemerkt dabei: רפסה יתבחכו ןודא ומש וניטסוגא תומב ינהכו םלועה תומוא ידוסהמ דחאל הזה ראשבו וב בוחכש המ ןבהלו וב תוגהל והכזי םשה ... וידיז םירפס. (Orient Literbl. Jahrgang 1849, c. 78), also noch zur Zeit, ehe Egidio Kardinal geworden war, vor 1516. In Almanzis Katalog findet sich aufgeführt: רזעילא 'רל שפנה תמכח רפסו הריצי רפס 'יפו איזר ירוס אזימרגמ übersetzt von Elia Levita für den Kardinal Egidio 1515.


29 Pirkheimers Brief an Lorenz Beheim vom 28. August 1517.


30 Destructio Cabbalae sen Cabbalistae perfidiae a Reuchlino in lucem editae 1519.


31 Luthers Schreiben an Reuchlin vom Dez. 1518, Briefs. II, Nr. 73: ... fuisti tu sane organum consilii divini, sicut tibi ipsi incognitum, ita omnibus purae theologiae studiosis exspectatissimus.


32 Reuchlins Brief an Galatin vom 12. Febr. 1519 bei Friedländer a.a.O. Nr. 23: Omnes imperii electores mirifice me amant et incredibili clementia prosequuntur.


33 Das interessante Schreiben an den Papst das. Nr. 29.


34 Hac occasione Sententiam contra libellum Capnionis extorserunt (Cardinalis Prierias et tota Praedicatorum factio), quamvis paulo ante Pontifex quosdam exhortatus fuisset, ut Talmut imprimerent ac adeo privilegiis exornasset. Sendschreiben aus Rom v. 1521 in Riederers zur Kirchen-Gelehrten- und Büchergeschichten I. S. 180.


35 Vergl. darüber Wolf, Bibliotheca II. p. 890 f., 895 f. De Rossi, Annales Typographici von 1501-1540. Ersch. und Gruber Enzyklop. Sekt. II B. 28 Art. jüd. Typographie p. 35 ff. Von Soncin waren zuerst 1483-89 nur die Traktate Berachot, Chulin und Nidda gedruckt Übrigens gab es eine portugiesische Ausgabe vom Talmud, die Lampronti zitiert in קחצי דחפ Artikel הבנג.


36 Geht aus dem Vorwort hervor. Vergl. Frankel, Einl. in den jerus. Talmud, p. 139 a.


37 Sehr gut gibt diese Stimmung der Ultrakatholiken wider jenes trockenwitzige Pamphlet: Modus inquirendi Haereticos ad usum Romanae Curiae, gedr. 1519. In quo maximam gloriam inquisitores fuissent consecuti, quum talem virum, tam doctum (Reuchlinium) combussissent. Quia semper combustores sunt doctiores combustis etc.


38 Bezeichnend für den deutschen Geist ist Luthers Äußerung in einem Schreiben an Spalatin vom 10. Jan. 1521 in seinen Briefen ed. de Wette I. S. 543. Quid Huttenus petat, vides. Nollem vi et caede pro evangelio certari. Ita scripsi ad hominem: Verbo victus est mundus, verbo servata est ecclesia, etiam verbo reparabitur.


39 Gedruckt 21. März 1521. Vergl. Note 2.


40 Mitleidig Klag, Bl. E.


41 Das. Bl. F. 4.


42 Das. Bl. F. 2 b.


43 Mitleidig Klag Bl. G. 2.


44 Das. Ende.


45 Das. D. 3.


46 Das. G. 2.


47 Gemeiner, Regensburgsche Chronik IV. S. 271.


48 Gemeiner, 289.


49 Das. S. 310.


50 Das. S. 314. Vergl. dazu die zynische Darstellung des Mönches Christophorus Ostrofrancus, de Ratisbonae metropoli, Cap. 3.


51 Gemeiner, das. S. 333 ff.


52 Ostrofrancus a.a.O.


53 Vom Sept. 1518. Bei Gemeiner a.a.O. S. 337.

54 Das. S. 348.


55 Dass. a. a O. S. 337 ff.


56 Quellen über die Vertreibung der Juden aus Regensburg, Christophorus Ostrofrancus de Ratisbonae Metropoli etc ... subita ibidem Judaeorum proscriptione, Augsburg, Juni 1519; Gemeiner, Regensburgsche Chronik IV, S. 351 ff.; Aretin, Geschichte der Juden in Bayern, S. 93 ff. Joselins Tagebuch Revue XVI, Nr. 8. Vergl. auch Note 4.


57 Gemeiner, das. S. 367.


58 Joselins Tagebuch. Das. Nr. 9.


59 Gemeiner, S. 380 ff., 408 ff.


60 Das. S. 412-415.


61 Das. S. 366.


62 Gemeiner, das. S. 360.


63 Pfefferkorn, Mitleidig Klag zum Schluß.


64 Forstemann, Jahrbücher für wissenschaftl. Kritik, S. 229. Vergl. Revue de deux mondes, Jahrg. 1868, p. 104 fg. In München wurde 1524 die Komödie gedruckt, und gespielt wurde sie in Paris im Saale des Königs. Es traten darin die Figuren Reuchlin, Erasmus, Hutten, Luther und der Papst auf.

65 Luthers Auslegung des 22. Psalmes vom Jahre 1519.


66 In Luthers gesammelten Schriften, Ausgabe von 1841, polemische Schriften, B. III.


67 Luthers Schrift, von den Juden und ihren Lügen, Anfang.


68 Sadoleti epistolae XVI, Nr. 17 vom Juli 1540. Quid est, quod isti (fautores Judaeorum) tam diligenter exquirunt mala jura Judaeis, qui in Christianis optima (jura) perdita et profligata patiuntur? Neque tamen is ego sum, qui ad antiquam illam continentiam severissimam redigi omnia contendam opportere; plane enim intelligo hoc contrarium esse temporibus, nec facile mores nostros posse pati id quod plus divini quam humani contineat ... Sed tamen est modus omnibus in rebus ... Si sit dandum aliquid Judaeis, semper ita detur, ut ne aperte Christianorum commoda oppugnemus.


69 S. Note 5. Das Anagramm des Joseph von Arli.


70 De accentibus et orthographia linguae Hebraicae, Hagenau 1518.


71 Vergl. außer den Angaben bei den Bibliographen Bartolocci, Wolf und de Rossi, die Biographie Levitas von Wunderbar, Orient. Litbl. 1848 Nr. 4 bis 6 und S. Buber, eine hebr. geschriebene Biographie, Leipzig 1856. Dr. J. Levi, Elia Levita 1888. Der Widerspruch in Levitas Angaben, einmal, daß er in Egidios Haus 10 Jahre geweilt (Einl. zu Massoret): ותיבב דימת םינש רשעכו ידימלת היה רשא (הידיגיא) לאנידרק יתדמע und ein andermal von dreizehn Jahren: ןמ הלא לכ יתלבק הנש הרשע שלש ומע יתדמע רשא לאנידרקה (Einl. zu יבשת), dieser Widerspruch, der seine Biographen stutzig machte, läßt sich dahin lösen, daß Egidio mehrere Jahre von Rom abwesend war, wie aus Reuchlins Briefen in Friedländers »Beiträge zur Reformationsgeschichte« S. 79, 89 hervorgeht. Levita war in Egidios Haus in Rom 10 Jahre und in seiner Nähe außerhalb Roms noch 3 Jahre.


72 Vergl. darüber die Notizen von Frensdorf in Frankels Monatsschrift 1863, S. 97 ff.


73 Ausführlich in Levitas Einleitung zu Massoret.


74 Elia Levita bemerkt zu seiner Verteidigung in der reimprosaischen Einl. das.: םיוג ודמל ... ינפל ויהש םישנא םהמ םינברו םידמול םהמ .. ןדע םייח םהש םהמ ינממ רתוי םיאפודו םימכח. Unter den Ärzten ist wohl Jakob Mantin zu verstehen, welcher mit Justiniani in Verbindung stand.


75 Einleit. zu Levitas Tischbi.


76 Vergl. darüber Wolf, Bibliotheca II p. 449 ff.

77 Das. III p. 680, vergl. Perles' Monatsschr. 1875 S. 10.


78 Frensdorf a.a.O.


79 Levita wurde berufen und weilte daselbst 1540-1544.


80 Der von Luther ins Deutsche verdolmetschte Pentateuch erschien 1523, die historischen Schriften, Hiob, Psalter, Salomonische Schriften 1524.


81 Der Katholik Emser in Dresden edierte ein Plagiat der lutherischen Übersetzung 1527; der Dominikaner Dietenberger in Mainz 1534; der Streithahn Dr. Eck selbst mit heuchlerischem Bedauern, daß das kanonische Gesetz vom Ausschluß der Bibel für die Laien nicht aufrecht erhalten werden könne, übersetzte die Bibel 1537. In englische Sprache wurde die Bibel übersetzt 1535 von Tyndal und Coverdal, und in französische Sprache in demselben Jahre von Pierre Robert Olivetau. Über die polnische Verdolmetschung der Bibel vergl. weiter unten.


82 Er übersetzte die Psalmen in deutsche Sprache. Die Übersetzung des Pentateuch stammt nicht von ihm.


83 Vergl. Note 7 II.


84 Biblia Rabbinica תולודג תוארקמ, Bombergiana zu erst 1517, dann 1526, 1548, vergl. Wolf II S. 366 ff.


85 Vergl. darüber Luzzatto in Ozar Nechmad III p. 112 f. Jakob. b. Chajim muß also schon vor 1538 zum Christentum übergetreten sein, da Levita das Faktum schon in Massoret, in diesem Jahre erschienen, andeutet.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 196.
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