4. Zur Geschichte der Vertreibung der Juden aus Regensburg (1519) und Anton Margaritha.

[508] Zwei Zeitgenossen, ihrem Charakter nach grundverschieden, bemerken übereinstimmend, daß Zwistigkeit und Hader in der sonst friedlichen Regensburger Gemeinde in den letzten Jahren vor ihrer Vertreibung mit Ursache derselben gewesen sei. Diese beiden Zeugen sind der verworfene Täufling Anton Margaritha und der biedere, für das Wohl seiner Glaubensgenossen in der Nähe und Ferne unermüdlich und unerschrocken eifrige Joselin (Josselmann von Roßheim). Der letztere bemerkt in seinem Sammelwerke רפס הנקמה (Ms. Bodl. 2240, abgedruckt Letterbode, driemaandelijksch Tijdschrift, Jahrg. X, 1880-81, p. 137): תביסב אלא הניא הלחתהה קדופשניגער ןברוחה לע האר םירסומ ינש Der erstere bemerkt (Der ganz jüdische Glaub, ed. 1530, K. 3): »Das ein solche Uneinigkeit zu Regensspurk unter ihnen (den Juden) entsprungen ist, dardurch sie vertrieben worden seind; denn wenn sie eins gewesen wären, wären sie solcher Vertreibung wohl fürgekommen«. Die Zwistigkeiten entstanden, wie Joselin angibt, durch zwei Verräter (םירסומ), die er nicht nannte. Aber den Namen des einen nennt Margaritha, und der andere war – nach Joselins von demselben geschilderten Untaten – Margaritha selbst, der Sohn des Rabbiners Jakob Margoles von Regensburg.

Der von diesem genannte Angeber war Moses aus einer Familie Wolf. Er war reich und zugleich ehrgeizig. Er und seine Familie waren von auswärts emigriert und er strebte nach einer angesehenen Stellung in der Gemeinde, die ihm aber, als Fremden, die Eingesessenen nicht einräumen wollten. Ich lasse jetzt Margaritha sprechen: »In derselben Zeit ist ein Rorbek Hauptmann zu Regensspurk gewest. Ist der reiche Moses zu dem Hauptmann gegangen und gesagt. ... »ich will euer Vst. anzeigen, worzu euch die hier altgesessenen Juden verglichen haben, nämlich zum Haman. ... dem es gehen wird wie dem Haman, den man gehenkt hat«. ... wo sie es nicht bekennen, will ich euer Strenge so viel wie 1000 Gulden verfallen sein.« Darauf ließ Rorbek drei Juden, welche diese Äußerung getan, gefänglich einziehen. ... Darnach hat sich mein Vater, welcher oberster Rabi zum selbenmal in Regensspurk war, mit sampt anderen in die Handlung getan, den reichen Moses wollen in den Bann tun. ... Darnach hat der Kläger (Moses) ein wenig hinter sich gezogen.« Das will soviel sagen, Moses Wolf hatte einen Anhang, mit dem es der Rabbiner nicht hat verderben wollen. Dieser brachte indes einen Vergleich zustande. Der Hauptmann erhielt 3000 Gulden Sühnegeld für die Beleidigung und steckte den Haman ein. Er begünstigte selbstverständlich den Angeber »und dieser wurde der Oberst zu Regensspurk (in der Gemeinde) und hat alle Ämter nach seinem Willen besetzt. Seine (unterlegenen) Gegner nannten ihn nicht Moses, sondern »Moßer« (רסומ), und verbreiteten Schriften, darin vieles Übles von ihm und seinem Geschlecht zu lesen war.« Dadurch entstanden leidenschaftliche und häßliche Reibungen. So weit Margaritha.

Diese Einzelnheiten geben das Verständnis für die Andeutung bei Joselin: תיבב אצרוק לוכאל אב (רסומה) םג אוה םג להקה סנרפ ... רמאל (ןמטפוה l.) ןמפיה ריעה לשומ דירוהל ידכ בלצנה ןמה ךתארקל ... יאנג םש ךילע וארק ותעיס הלעמל הלעמל ףצקהו ןשעה האלהו אוהה םויב הלעו ... ךדובכ. Damit sind Moses Wolfs Angeberei und [508] unheilvolle Folgen gezeichnet. Dieser war also der eine der beiden Angeber, von denen Joselin im Eingange spricht.

Den anderen werden wir noch besser erkennen, da Joselin noch mehr Tatsächliches über ihn mitteilt. Von dem andern sagt er: (רחאה l.) דחאה שיאה ותואו איצוהל תונימ ירפס ןקתו קימעה סופדב הלוגה ינב לכ רעיצ םיללקמ םידוהיה :םהל רמאל םירבד השלשב םירבד תולילע המיחבש דע .םירג םילמו חבשל ונילעב ושי םילזלזמו תומואה היהש ילב ףכת הבושת ובישהל (יב l.) יכ רסקה חלש הכופש. Joselin gibt auch das Datum für diese Angelegenheit an: בא ח"ב העש ותואב םידומל ןושל יל ןתנ .... ה'ב םוקמה .ץ'ר תנש

Dieses alles führt darauf, daß unter dem anderen Denunzianten Anton Margaritha zu verstehen ist. Derselbe hat nämlich ein giftiges Buch »Der ganz jüdisch Glaub« geschrieben, das im April 1530 in Augsburg gedruckt wurde. In diesem Buche, das die Gebetweise und Gebräuche der Juden lächerlich macht, kommt der Verfasser öfter auf drei Anklagepunkte gegen die Juden zurück, daß sie Jesus und die Christenheit schmähten, und daß sie Christen zu ihrem Glauben verführten und die Beschneidung an ihnen vornähmen. Bei der Verdolmetschung des Alenu-Gebetes gibt Margaritha an, daß die Juden bei den Worten: קירו לבהל ... םיערוכ םהש dreimal ausspeien, wider Christum und seine Gläubigen (Vl. T.). Auf Bl. G. heißt es: »In Summa all der Juden Hoffnung und Beten ist dahin gerichtet, daß den Christen Scepter hinweggenommen und zunichte gemacht werden soll, wie sie denn jetzt an des Türken Krieg ein überflüssige Freud gehabt.« Auf Bl. K.: »Ob aber die Juden sprechen wollen, sie machten jetztmal aus keinem Christen ein Juden, sage ich in göttlicher Wahrheit, daß es oft geschieht, wie in diesem Büchlein mehr angezeigt.«

Es ist also nicht zweifelhaft, daß Joselin unter dem andern der Angeber, welcher Mitveranlassung zum Hader in Regensburg war, Margaritha gekennzeichnet hat. Dieser muß aber, noch ehe er die Taufe genommen, Angebereien in Regensburg getrieben haben. Dieses deutet Joselin mit den Worten an: םע ןברחל ךומס ושענש ... תוריסמ רתוי, d.h. außer der Angeberei durch Moses Wolf von früher (als Margaritha, wie er angibt, 13 bis 14 Jahre alt war, und während Rorbeks Hauptmannschaft, vor 1512), waren auch solche kurz vor der Vertreibung vorgekommen. Diese sind gewiß von Margaritha ausgegangen, noch ehe er getauft war. Gelegenheit genug war dazu in der Erbitterung der Bürgerschaft gegen die glückliche Konkurrenz der jüdischen Geschäftsleute und bei der fanatischen Wut der Dominikaner in der Stadt gegen die Juden, wovon der ungestüme Domprediger Balthasar Hubmaier (welcher später Führer im Bauernkrieg war) die Kanzel erdröhnen ließ. Margaritha scheint in seiner Schrift selbst zu verraten, daß er sich der Angeberei schuldig gemacht hatte. Er bemerkt (Bl. K 2): »Wenn ein Jude den andern vor einer christlichen Obrigkeit verklagt, auch vor einer christlichen Obrigkeit angezeigt ihre Büberei und Händel und dergleichen, wird er רסומ bei ihnen genannt.« Von der Giftigkeit, die er in seinem Buche gegen die Judenheit bekundet, muß eine Dosis bei seinem verworfenen Charakter in seinem Innern noch vor seiner Taufe gesteckt haben. Man kann sich wohl vorstellen, welch eine Aufregung es in der Gemeinde gemacht haben muß, daß der Rabbinersohn als heimlicher Angeber entlarvt worden war. Der Strafe von seiten der Gemeindevertretung entzog er sich wohl durch die Taufe. Margaritha muß noch vor der Taufe verlobt gewesen sein, also im Mannesalter gestanden haben. Joselin bemerkt darüber: הריבעב וליחתהש םירסומ ינש ותוא ףאו ותסורא םע רחאהו וערז לכ םע דחאה הער תוברתל ואצי .ןהיבא תוכז ןהל ליעוה אל .... םהיבא ויה םילודג ינבמש

[509] Die von Joselin nicht genannten zwei Angeber waren demnach Moses Wolf und Anton Margaritha, und diese haben die Wirrnisse in der Gemeinde und als Folge davon die Vertreibung derselben veranlaßt. Nebenher sei beleuchtet, welch ein Wicht der letztere gewesen sein muß, weil Luther seine giftige Anklageschrift benutzt hat und auch persönlich von ihm gegen die Juden aufgestachelt worden sein muß. Joselin erzählt, daß der Kaiser Karl V. infolge der in Margarithas Schrift enthaltenen Anklagen gegen die Judenheit erbittert gewesen und Joselin habe vorladen lassen, um ihn darüber zu vernehmen. Was hat den Kaiser so sehr in Harnisch gebracht? Joselins Tagebuch gibt darüber Aufschluß. Im Jahre 1529 hatte Sultan Suleiman glückliche Eroberungen in christlichen Ländern gemacht, hatte Ofen genommen und stand mit seinen Heeresmassen vor Wien. Nun ging das Gerücht, die Juden stünden in geheimer Verbindung mit den Türken. Darüber war der Kaiser und König Ferdinand von Österreich so aufgebracht, daß sie die Juden aus ihren Reichen vollständig zu verjagen gedachten (Revue d. Et. XVI, 90, Nr. 14): לודג לוק אצי ץ"ר תנשב ושיגה דע רגתל םה ןירוטליד םידוהיה הנה תומואה לכמ קזחו ונב ודיקפהו ךלמו רסיקה ונינודא ינזאב הזכ םירבד תולילע ירבד תוצרא המכב לגר ףכ תסירד ונל תתל אלש. Nun hatte Margaritha in seinem Buche dieselbe Anklage erhoben, daß die Juden den Türken in dem Kriege Vorschub geleistet hätten, und diese Anklage schien glaubwürdiger als die Gerüchte, da sie doch von einem Juden herrührte. Im Tagebuch, wie in seiner Schrift הנקמה 'ס erzählt Joselin, daß es ihm gelungen war, diese Anschuldigung gegen die Juden auf Landesverrat vollständig zu widerlegen und die beiden Fürsten von dem Ungrunde derselben zu überzeugen und zu beschwichtigen. Im Tagebuch: יתנקת תולהקה תמכסה יפ לעו ריעב אימשד אתעייסב רתויבו וניתולצנתה ירבדב יתרדסו ירבד ולבקש ןח אצמ ףסויו .םיכלמ ינשה ינפל קורפשיא זאמכ ונימויק לכ ומייקו ..... וניתולצנתה. In der Erzählung von der Angeberei: תנש העש התואב םידומל ןושל יל ןתנ תילארשיה המואב לצנתהלו תוחצנ תובושת ןימל בישהל ץ"ר קיפסמכ

Joselins Apologie, welche er bezüglich der Anklage des Landesverrats mit reinem Gewissen geben konnte, hat den Kaiser so sehr überzeugt, daß er Margaritha zuerst in Haft nehmen ließ und dann aus dem Reiche verwies. Joselin erzählt nämlich zum Schlusse, daß Margaritha, der katholisch getauft wäre, zum Luthertum übertrat und für seine Glaubensgenossen Dornenstacheln war: וסנוכל אוהה ןימה לש וניד ץרחנ דע תאצל העובשב לבקל ךרצוהו ושפנ דעב (? הפיכל) הפוקל (םינינצל) םינינצב היהו תירבל רטולה לא ךלהו זנכשא ירודכמ ונדיצב. Luthers leidenschaftlich verbissene Anklagen gegen die Juden in der Schrift »Von den Juden und ihren Lügen«, vor seinem Tode verfaßt, sind größtenteils aus Margarithas Buch »Der ganz jüdisch Glaub« entnommen.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 508-510.
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