3. Kapitel. Chmielnicki und die Verfolgung der Juden in Polen durch die Kosaken. (1648-1656.)

[49] Zustand der Juden in Polen vor der Verfolgung. Entstehung der Kosaken. Die Synoden. Das gesteigerte Talmudstudium in Polen. Die Autoritäten: Falk Kohen, Meïr Lublin, Samuel Edels, Joël Serkes. Sabbataï Kohen, Einfluß der rabbinischen Lehrweise auf den Charakter der polnischen Juden. Verbindung der Juden mit dem Adel und den Jesuiten zur Knechtung der Kosaken. Bogdan Chmielnicki. Erster Sieg der Kosaken, Mißhandlung der Juden. Gemetzel in Nemirow, Tulczyn, Homel, Polonnoie, Bar; Vertilgung der Karäergemeinden in Luck und Deraznia. Gemetzel in Narol. Der Friedensschluß. Die Synode von Lublin; neuer Fasttag für Polen eingesetzt. Gemetzel in Litauen, Kleinpolen und Großpolen. Flüchtige polnische Juden. Rückwirkung der polnischen Verfolgung auf die Judenheit.


Polen war zwar nicht mehr wie früher die große Freistätte für die Söhne Judas, seitdem die verblendeten Könige die Jesuiten ins Land gerufen, um ihnen die Abrichtung der Söhne des Adels und der jungen Geistlichkeit für die fanatische Kirchlichkeit in die Hände zu geben und den widersetzlichen Sinn der polnischen Dissidenten zu brechen. Die Väter der Zwietracht, auf welche die vielfache Teilung Polens als erste Urheber zurückgeführt werden muß, suchten auch die stille Macht, welche die Juden vermöge ihrer Geldmittel und ihrer Klugheit auf die adlige Bevölkerung ausübten, zu untergraben und gesellten sich zu deren anderweitigen Feinden, den deutschen Gewerk-und Handelszünftlern, um sie zu beschränken und zu unterdrücken. Öfter kamen seit dieser Zeit Judenhetzen in Polen vor; bald riefen die deutschen Zünftler, bald die Jesuitenschüler »hepp hepp« gegen sie. Indessen war ihr Zustand in Polen doch erträglicher, als in Deutschland und Italien. In den Drangsalen des dreißigjährigen Krieges suchten flüchtige Juden Polen auf1. Die kanonischen Gesetze wurden [49] hier doch nicht mit aller Strenge gegen sie angewendet. Der König Sigismund III. und sein Sohn bestätigten alle Privilegien, die noch von Kasimir I. datierten. Der letzte König aus dem Stamm der Jagellonen Wladislaw IV. (1632 bis 1648) war ihnen besonders gewogen2. Die Gunst der polnischen Könige hatte zwar nicht viel mehr zu bedeuten, als die der deutschen Kaiser, weil auch sie mehr herrschten als regierten. Allein es war doch immer so besser, als wenn die Könige durch ihren Judenhaß die Feinde der Juden zur Verfolgung gewissermaßen aufgemuntert hätten. Der hohe Adel blieb im allgemeinen auch in dieser Zeit in seiner Abhängigkeit von den Juden, weil sie ihm gewissermaßen die Ergänzung zu seinen Nationalfehlern boten. Der polnischen Flüchtigkeit, Leichtlebigkeit, Unbeständigkeit, Verschwendungssucht und Sorglosigkeit kam die jüdische Überlegtheit, Klugheit, das kleinliche Sparsystem und die Vorsorglichkeit recht gut zustatten. Der Jude war dem polnischen Edelmann mehr noch als sein Finanzmeister, er war sein Helfer in Verlegenheit, sein kluger Ratgeber, sein Alles in allem3. Besonders verwendeten die Adligen die Juden zur Verwertung neu angelegter Kolonien, wozu jene weder die nötige Ausdauer, noch die Fähigkeit hatten. Es hatten sich nämlich nach und nach am untern Dnjepr und am Nordrande des Schwarzen Meeres in der Nachbarschaft der Krimschen Tataren Kolonien aus entlaufenen polnischen Leibeigenen, Sträflingen, Abenteurern aller Provinzen, Bauern und Adligen gebildet, welche sich in der Heimat beengt und gefährdet fühlten. Die Auswürflinge bildeten den Grundstock zu dem Kosakenstamme an den Wasserfällen des Dnjepr (Za-Porogi), wovon die Kosaken den Namen Zaporoger erhielten. Um ihr Leben zu fristen, waren sie auf Beute und Raub bei den benachbarten Tataren [50] angewiesen. Sie wurden kriegerisch abgehärtet und mit jedem Erfolge wuchs ihr Mut und ihr unabhängiger Sinn. Die Könige Stephan Bathori und Sigismund III., welche die Kosaken zu kriegerischen Unternehmungen und zur Abwehr gegen Einfälle von Tataren und Türken brauchten, hatten ihnen in der Ukraine und Kleinrußland eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt, sie teils zu stehenden Kriegern und teils zu freien Bauern gemacht, welche der Leibeigenschaft enthoben bleiben sollten, und über sie einen Hauptmann aus ihrer eigenen Mitte ernannt, einen Attaman (Hetman), mit eigenen Abzeichen seiner Würde. Aber der bigotte Sinn des Königs Sigismund III. und die Jesuiten machten aus den Kosaken, welche ein Element der Stärke für Polen hätten werden können, ein Element ewiger Unzufriedenheit und Empörung. Die Zaporoger waren größtenteils Anhänger der griechische Kirche, nicht aus Überzeugung, sondern aus träger Gewohnheit, wie denn überhaupt im südlichen Polen das griechisch-katholische Bekenntnis vorherrschend war. Nachdem die Päpste vermittelst der Jesuiten die polnischen Dissidenten geschwächt und unterdrückt hatten, arbeiteten sie daran, auch die Griechisch-Katholischen entweder mit der römischen Kirche zu vereinigen oder zu vertilgen. Bei dem kriegerischen Sinn der Kosaken war aber diese Umwandlung nicht so leicht, daher wurde ein förmliches System der Knechtung gegen sie angewendet. Ein Aufstand der Kosaken, um diese Bedrückung abzuwehren, unter einem geistlichen Führer Nalewaiko, scheiterte, und diese Niederlage vermehrte noch den Druck. Drei adlige Häuser hatten vornehmlich die Kolonisation in der Ukraine und Kleinrußland: die Koniecpolski, die Wischniowiecki und die Potocki, und diese überließen die Pacht der auf die Kosaken fallenden drückenden Auflagen ihren jüdischen Geschäftsführern. So breiteten sich allmählich jüdische Gemeinden aus in der Ukraine und Kleinrußland und noch darüber hinaus. Die Kosaken mußten z.B. von jedem neugeborenen Kinde und von jedem neuvermählten Paare eine Abgabe zahlen. Damit kein Umgehen der Abgaben eintreten könnte, hatten die jüdischen Pächter die Schlüssel zu den griechischen Kirchen, und so oft der Geistliche taufen oder trauen wollte, mußte er den Schlüssel von ihnen ausbitten4. Im allgemeinen war die Stellung der Juden in den reinpolnischen Landstrichen besser, als da, wo auch noch eine deutsche Bevölkerung angesiedelt war, wie in den größeren Städten Posen, Krakau, Lublin, Lemberg.

[51] Vermöge ihrer Massenhaftigkeit, ihrer Bedeutung und ihres einheitlichen Verbandes bildeten die Juden in Polen im eigentlichen Sinne einen Staat im Staate. Die allgemeine Synode, welche zweimal des Jahres in Lublin und Jaroslaw zusammentrat, bildete ein gesetzgebendes und gesetzentscheidendes Parlament, von dem es keine höhere Appellation gab. Anfangs die Synode der Drei-Länder genannt, gestaltete sie sich im ersten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts zur Synode der Vier-Länder (Waad Arba Arazot)5. Ein gewählter Vorsitzender (Parnes di Arba Arazot) stand an der Spitze und leitete die gemeinsamen Angelegenheiten. Die Gemeindeverbände und Rabbinen hatten die Zivilgerichtsbarkeit und gewissermaßen auch die peinliche, wenigstens gegen Angeber und Verräter. Kein Jude wagte es daher, eine Klage gegen einen Stammesgenossen bei den Landesbehörden anzubringen, um sich nicht der Schmach und der Verachtung von seiten der öffentlichen Meinung auszusetzen, die sein Leben verbittert oder ihm gar den Tod zugezogen haben würde. Fast jede Gemeinde hatte ihr Richterkollegium, einen Rabbiner samt zwei Beisitzern, bei welchem jede Klage vorgebracht werden mußte. Hauptgemeinden in jedem Landesteil hatten ein Appellationsgericht; aber letztentscheidend war die Synode. Diese sorgte auch für Redlichkeit im Handel und Wandel, bei Gewicht und Maß, soweit es Juden betraf. Daher fühlte sich der Jude in Polen in Sicherheit; Unfälle von außen, von der judenfeindlichen Bevölkerung, wußten sie abzuwenden oder als Strafe des Himmels hinzunehmen, mit Verachtung auf die Verfolger herabblickend. Der Reichtum der polnischen Juden war zwar nicht groß, wenigstens hielt er keinen Vergleich mit dem der portugiesischen Juden in Amsterdam, Hamburg und Livorno aus; aber dafür gab es auch keine niederbeugende und vertierende Armut. Für die Bedürftigen wurde mit hingebender Liebe gesorgt; Mildtätigkeit war gewissermaßen zur Pflicht der Schicklichkeit gemacht, der sich selten ein Wohlhabender entzog. Hatte ein junger Mann einen guten Kopf – und die polnischen Juden waren wegen ihrer guten Köpfe berühmt – so hatte er für seine Existenz keine Sorge, mochte er von Hause aus noch so arm und verlassen sein. Während der Studierzeit wurde er als Talmudjünger (Bachur) entweder von der Gemeinde, oder von einzelnen Wohltätern, oder von dem Vater eines jungen Mädchens aus Spekulation auf eine Verbindung unterhalten. Hatte er sich verheiratet [52] – was in der Regel vor dem zwanzigsten Lebensjahre geschah – dauerte die Unterstützung von seiten des Schwiegervaters so lange, bis der junge Schwiegersohn, wenn er sich auf einem der Disputierplätze, den talmudischen Messen in Lublin oder Jaroslaw, unter den vielen Tausend bemerkbar gemacht oder ausgezeichnet hatte, ein Rabbinat erlangte, sei es, daß er dazu berufen oder daß ihm ein solches gekauft wurde. Denn in Polen, wo alles verkäuflich war, war es auch das Rabbinat6. Einfach praktischer Rabbiner (Ab-bet-Din) sein, war damals wenig, einem Lehrhause vorstehen (Rosch Jeschiba) war schon mehr, als höchste Staffel der Größe aber galt, seine talmudischen »Neuigkeiten« (Chidduschim) gedruckt zu sehen, was eben so viel hieß als von Tausenden beachtet und kritisiert zu werden. Denn neuerschienene Bücher über talmudische Stoffe – andere kamen gar nicht in Betracht – kamen vermöge der polnischen Messen und Synoden sehr rasch in Umlauf und Fluß und bildeten in- und außerhalb der Lehrhäuser den Gegenstand der Unterhaltung, beifälliger oder hämischer Bemerkungen, bis sie nach Verlauf einiger Jahre heilig gesprochen wurden und Autorität erlangten. Die Unterhaltung einer eigenen Hochschule mit recht vielen Zuhörern und die Autorschaft eines namhaften Buches berechtigten zu den höchsten Ehrenstellen, entweder von einer der größten Gemeinden berufen oder in den Synodalkörper gewählt zu werden, was allerdings nur den Gelehrtesten und Scharfsinnigsten vorbehalten blieb7. Es gehörte nämlich nicht wenig dazu. Wer in Polen auch nur als Talmudkundiger (Lamdan) anerkannt sein wollte, mußte den Talmud fast auswendig kennen und den ganzen dazu gehörigen Lehrstoff beherrschen. Dieses erforderte eine beispiellose Hingebung und Entsagung. An ein Genießen des Lebens war dabei nicht zu denken, sondern die ganze Zeit mußte diesem einen Streben zugewendet, und selbst der Schlaf mußte überwunden werden. Die Talmudbeflissenen brachten nämlich nicht nur die Tage, sondern auch die Nächte in den Lehrhäusern oder Studierstuben zu. Auch die Häuslichkeit wurde vernachlässigt. Gemütlicher Verkehr mit Frau und Familie, Aufmerksamkeit auf die Erziehung der Kinder galten als Störungen, womit sich ein Talmudbeflissener so wenig als möglich befaßte. Nur die geistesgeweckten Söhne, wenn sie in das Alter traten, in die Hallen des Talmuds eingeführt zu werden, wurden vom Vater beachtet; die zum Studium untauglichen dagegen und die Töchter [53] wurden vollständig vernachlässigt, der Mutter oder dem Zufall überlassen.

Solchergestalt erlangte das Talmudstudium in Polen, welches zuerst durch drei Männer angeregt worden war, durch Schachna, Salomo Lurja und Mose Isserles (IX4, S. 417 f.), einen Umfang wie bis dahin in keiner Zeit und in keinem Lande. Das Bedürfnis nach Talmudexemplaren war z.B. so groß, daß in kaum zwei Jahrzehnten drei Auflagen gedruckt werden mußten, ohne Zweifel in Tausenden von Exemplaren8. Jeder nach Achtbarkeit strebende Mann, mochte er selbst nicht gelehrt sein, schaffte sich eine Bibliothek alter und neuer talmudisch-rabbinischer Schriften an. Von Polen gingen fast alljährlich neue Auslegungen, Ergänzungen und Abhandlungen über diesen Literaturzweig aus, wurden beliebt, gesucht und fanden Verleger und Leser. Es schien, als wenn die polnischen Juden ein Monopol auf Talmudkunde gehabt hätten.

Die Vertiefung in den Talmud war allerdings in Polen ein größeres Bedürfnis als im übrigen Europa. Die Rabbiner hatten, wie schon gesagt, eigene Gerichtsbarkeit und entschieden nach talmudisch-rabbinischen Gesetzen. Die Massenhaftigkeit der Juden in Polen und ihre Prozeßlust gaben Veranlassung zu verwickelten Rechtsfällen, die kaum im Kodex (Schulchan Aruch) angedeutet waren. Die Richter-Rabbinen mußten daher auf die Rechtsquelle, auf den Talmud, zurückgehen, um für solche Fälle Anhaltspunkte zu suchen und mußten, weil die Parteien meistens selbst kundig und gewitzt waren, ihre Herleitungen und Vergleichungen scharf begründen; sie wurden zu sehr kontrolliert. Das rabbinische Zivilrecht fand daher in Polen eine ganz außerordentliche Pflege und Erweiterung, um auf alle Fälle passend und den gelehrten Parteien zugänglich zu sein. So lag gewissermaßen die immer zunehmende Kniffigkeit der Lehrmethode in den Verhältnissen und Bedürfnissen, und man muß noch den Umstand hinzunehmen, daß einer den anderen an Haarspalterei übertreffen wollte.

Es wäre ermüdend, die talmudisch-rabbinischen Schriftsteller Polens in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts aufzuzählen. Die besonders hervorragenden, welche einen dauernden Namen ererlangt haben, liefern auch schon den Beweis von der staunenswerten Fruchtbarkeit der polnischen Talmudisten, wie sie dieses einseitige und beschränkte Fach erweitert und bereichert haben. Die älteren Autoritäten [54] dieser Zeit waren Josua Falk Kohen, Meïr Lublin und Samuel Edels. Der Lebensgang dieser rabbinischen Häupter und ihrer Nachfolger ist einander so ähnlich, daß sich kaum ein irgendwie unterscheidender Zug erkennen läßt. Sie besuchten von Jugend auf ein oder mehrere Lehrhäuser, füllten »ihren Leib mit Talmud« (wie der grelle Ausdruck lautete) und der verwandten Literatur, rabbinisierten, sammelten Jünger um sich, leiteten ihrerseits ein Lehrhaus und füllten viel Papier mit ihren Bemerkungen, ihren »Neuigkeiten« oder »Entdeckungen« (Chidduschim) und ihren Entscheidungen. Auch ihr Gedankengang und ihre Ausdrucksweise ist zum Verkennen ähnlich.

Von Josua Falk Kohen (ben Alexander, geb. um 1550 st. 1615)9 läßt sich noch allenfalls sagen, daß er bei umfassender Gelehrsamkeit und großem Scharfsinn, Bescheidenheit besaß und von seinen Meistern, Salomon Lurja und Mose Isserles, eine gewisse Ordnungsliebe gelernt oder wenigstens sich von jener Verwilderung ferngehalten hat, welche aus dem Talmudstoff ein chaotisches Durcheinander machte. Als reifer Mann vertauschte Falk Kohen seine praktische Tätigkeit als Rabbiner mit der theoretischen als Schulhaupt. Sein reicher und gemeinnütziger Schwiegervater Israel in Lemberg räumte ihm ein großes Haus mit Stockwerken als Lehrhaus ein, und Falks Ruf zog begabte Jünglinge herbei. Er genoß so viel Ansehen, daß er zum Mitgliede, vielleicht gar zum Vorsitzenden der Drei- oder Vier-Länder-Synode gewählt wurde. Seine Werke – versteht sich rabbinische Kommentarien – wurden sehr geschätzt. – Von seinem Zeitgenossen Meïr Lublin (ben Gedalja, geb. 1554, st. 1616)10 läßt sich noch weniger erzählen. Er galt als ein außerordentlich scharfsinniger Ausleger des Talmuds und war, kaum ein Dreißiger, bereits Rabbiner von Krakau und später von Lemberg. Den Namen Lublin hatte er von [55] seiner Geburtsstadt. – Samuel Eliëser Edels aus Posen (oder wie er auch genannt wird, Meharscha ben Jehuda, geb. um 1565, st. in Ostrog 1631)11, war ein tiefer Kopf von haarspaltendem Denkvermögen. Damit grübelte er in den ohnehin subtilen tossafistischen Auseinandersetzungen, um darin Widersprüche zu entdecken und bei der Lösung derselben etwas Neues zu finden, sei es auch nur ein Pünktchen über dem J. Dabei glaubte Edels noch einfach und schlicht in seiner Methode zu sein, und seine Kommentarien zweiten und dritten Grades (Superkommentarien zum Talmud) für jedermann angelegt, allgemein verständlich gemacht zu haben. Seinen agadischen Auslegungen muß man es als Verdienst anrechnen, daß sie nur geschmacklos waren; sie hielten sich im Zustande der Nüchternheit und wichen geradezu dem Rausche der benebelnden Kabbala aus. Edels war nicht etwa der Mystik abgeneigt, – war er doch Zeitgenosse des mit der Kabbala radschlagenden Vital Calabrese! – aber er wünschte die Beschäftigung mit ihr auf einen engen Kreis betagter Adepten beschränkt zu sehen und sie nicht durch den Mund unreifer Jünglinge von den Dächern gepredigt zu hören12.

In demselben Jahre, in dem Edels starb, kam Lipmann Heller nach Polen, um den Quälereien von seiten seiner gemeinen, denunziatorischen Feinde in Prag und des Kaisers zu entgehen. Sein Ruf ging ihm voran und so wurde er von der, wie es scheint, jungen Gemeinde Nemirow in Kleinrußland zum Rabbiner gewählt13. Später wurde er von der Gemeinde Wladimir (Wolhyn) berufen und im Alter (1645) gar von der bedeutenden Gemeinde Krakau gewählt. Heller, von Sittlichkeit und deutscher Gradheit durchdrungen, fand arge Mißbräuche in Polen, auf deren Beseitigung er tatkräftig drang. Unter anderem setzte er es durch, daß die Generalsynoden einen Beschluß gegen die Käuflichkeit der Rabbinatsstellen faßten und bekannt machten; sie belegten mit dem Banne diejenigen, welche Geld zur Erlangung eines Rabbinats böten und diejenigen, welche solches annähmen14. [56] Er zog sich dadurch erbitterte Feindschaft zu und wurde in Polen, wie in Prag, von seinen Feinden bei den Behörden denunziert. Den Krebsschaden der polnischen Judenheit, die kniffige Lehrweise und die damit verbundene Wahrheits- und Rechtsverdrehung hat Heller, wie es scheint, nicht einmal anzugreifen gewagt, obwohl er nach seinem Bildungsgange ein Feind der Sophistik war. Er stand mit seiner Art vereinzelt, allenfalls hatte er einen Gesinnungsgenossen an Joël Serkes (geb. um 1560, st. um 1641)15, Rabbiner in Lubmila, Brźezć und zuletzt in Krakau (seit 1619), der öfter seine Abneigung gegen diese verkehrte Lehrart zu erkennen gab, namentlich wenn sie sich bei praktischen Entscheidungen über Rechtsfragen oder das Eherecht geltend machte. Um dieser Verkehrtheit entgegenzuarbeiten, baute er ein »neues Haus«, d.h. verfaßte ein neues Werk, wiederum einen Kommentar zum Kodex. Indem Serkes sie bekämpfen wollte, mußte auch er die verschlungenen Wege der rabbinischen Literatur betreten und verlor sich seinerseits im Labyrinth. Die Strömung der polnischen Lehrweise war so gewaltig, daß sie, weit entfernt, von Heller, Serkes und wenigen anderen eingedämmt werden zu können, diese mit sich fortriß. Wer nicht als Schwachkopf gelten wollte, mußte dieser Richtung folgen. In Krakau selbst hatte Heller zwei Kollegen, die sich so recht auf Spitzfindigkeiten verlegten, Josua ben Joseph Falk II. (st. 1648) und Josua ben Jakob Heschel (st. 1663)16.

Der junge Stürmer Sabbataï Kohen aus Wilna (ben Meïr geb. 1622, st. 1663)17, genannt Schach, wäre als Genie bewundert [57] worden, wenn er nicht in dieser falschen Richtung erzogen worden wäre. Im zwanzigsten Lebensjahre beherrschte er bereits das unübersehbare Gebiet des Talmuds und der rabbinischen Literatur mit einer Meisterschaft, welche die ältern Rabbiner in Schatten stellte. Er berichtigte seine Vorgänger, machte neue Bemerkungen zu alten Schrullen und trat mit großer Selbständigkeit auf. Sabbataï Kohen vergeudete seine große Geisteskraft, um Spinngewebe aufzulösen und wieder zusammenzusetzen. Noch sei genannt aus der Blütezeit der polnischen Schule, Mose Lima (geb. um 1617, st. um 1673)18, Rabbiner von Slonim und Wilna, und David ben Samuel Levi in Lemberg (geb. um 1580, st. nach 1666)19. Die meisten der rabbinischen Schriftsteller verbrämten den Hauptkodex mit neuen Kommentarien, tüftelten noch mehr heraus und bereicherten die rabbinische Literatur mit neuem Ballast. Alle ihre Schriften erlangten nach ihrem Tode eine geheiligte Autorität. Nur hin und wieder äußerten einige ihren Tadel über diese neubackenen Autoritäten, welche mit ihrer Wucht die älteren und besseren erdrückten, »obwohl sie nur Wissen und Gedächtnis in Verwirrung bringen20«. Nichtsdestoweniger wurden diese Schriften der »Jüngeren« (Acharonim) tonangebend, ohne welche sich die Späteren den Kodex ebenso wenig denken konnten, wie den Talmud ohne Zubehör der Kommentarien und die Bibel ohne Raschis Auslegung.

An Kabbalisten und Mystikern fehlte es keineswegs in Polen, wie sich denken läßt. Wo hätte es in jener Zeit an solchen gefehlt? Mittelpunkt derselben war Simson Ostropol in Polonnoie, der seinen Hausgeist gehabt haben will, welcher ihm die Zukunft offenbarte21. Er hatte ihm aber nicht seinen tragischen Tod durch die Mordbande Chmielnickis vorher verkündet. Ein ausgeprägter Kabbalist war ferner Nathan Spira, der Pole (ben Salomo, geb. 1585, st. 1633)22, der Stammvater vieler Kabbalisten, dessen Urenkel eine trübselige Bewegung hervorgerufen hat. Nur brachte in Polen die [58] Verbindung der Nüchternheit und Trockenheit der talmudischen Studien mit der Schwärmerei der Kabbala eigene Erscheinungen zutage. – Die einseitige Ausbildung eines einzigen Seelenvermögens, der haarspaltenden Urteilskraft, auf Kosten der übrigen hemmte auch die Phantasie, und daher ist in Polen auch nicht ein einziges literarisches Werk entstanden, welches mit dem Namen Poesie belegt werden könnte. Sämtliche Geisteserzeugnisse der polnischen Schule tragen den talmudischen Stempel, wie sie auch alles vom talmudischen Gesichtspunkte betrachtete. Die Jünger dieser Schule sahen fast mit einer gewissen achselzuckenden Verächtlichkeit auf die heilige Schrift und ihre einfache Größe herab, oder vielmehr sie war für sie so gut wie nicht vorhanden. Wo hätten sie auch Zeit hernehmen sollen, sich mit ihr zu beschäftigen? Und was sollten sie auch mit diesen Kindergeschichten anfangen, bei denen sich kein Scharfsinn anbringen ließ? Allenfalls wußten sie etwas von der Bibel aus den Abschnitten, welche in den Synagogen vorgelesen wurden, und aus dem, was der Talmud gelegentlich anführt. Der Sinn für die einfach-erhabene Größe der biblischen Lehren und Charaktere, sowie überhaupt für das Einfache und Erhabene blieb ihnen daher verschlossen. Drehen und Verdrehen, Advokatenkniffigkeit, Witzelei und voreiliges Absprechen über das, was nicht in ihrem Gesichtskreise lag, wurde solchergestalt das Grundwesen der polnischen Juden. Dünkelhafter Hochmut auf das eigene Wissen, auf Gelehrsamkeit im Talmud und Rechthaberei hafteten auch den besten Rabbinen an und untergruben ihr sittliches Bewußtsein. Religiös waren die polnischen Juden natürlich, außerordentlich fromm; aber auch diese Frömmigkeit beruhte auf Klügelei und Überhebung. Einer wollte den anderen darin übertreffen oder vielmehr besser wissen, was der Kodex für diesen und jenen Fall vorschreibt. So sank die Religion in ihrer Mitte nicht bloß, wie unter den Juden anderer Länder zu einem mechanischen, gemütslosen Tun herab, sondern zu einer spitzfindigen Auslegungskunst. Wissen oder Besserwissen war für sie alles, handeln nach den erkannten Grundsätzen religiöser Lauterkeit, sie für ein sittliches Leben anzuwenden, daran dachten nur wenige. Biederkeit und Rechtssinn waren ihnen ebenso abhanden gekommen, wie Einfachheit und Sinn für Wahrheit. Der Troß eignete sich dieses kniffige Wesen der Hochschulen an und gebrauchte es, um den minder Schlauen zu überlisten. Er fand an Betrügerei und Überlistung Lust und eine Art siegreicher Freude. Freilich gegen Stammesgenossen konnte List nicht gut angewendet werden, weil diese gewitzigt waren; aber die Nichtjuden, mit denen sie verkehrten, empfanden zu ihrem Schaden diese [59] Überlegenheit des talmudischen Geistes der polnischen Juden. Daß der Talmud und die großen Lehrer des Judentums Betrügerei und Übervorteilung Andersgläubiger fast noch mehr brandmarken, als von Stammesgenossen, daran kehrten sich die polnischen Söhne des Talmuds wenig23.

Diese Verdorbenheit der polnischen Juden rächte sich an ihnen auf eine blutige Weise und hatte zur Folge, daß die übrige Judenheit in Europa von dem polnischen Wesen eine Zeitlang angesteckt wurde. In arger Verblendung hatten polnische Juden den Adligen und Jesuiten hilfreiche Hand geboten, die Zaporoger Kosaken in der Ukraine und Kleinrußland zu unterdrücken. Die Magnaten wollten aus den Kosaken einträgliche Leibeigene, die Jesuiten aus den griechischen Ketzern römische Katholiken machen, die in dem Landstriche angesiedelten Juden wollten sich dadurch bereichern und die Herren über diese niedrigsten Parias spielen. Sie gaben den Besitzern der Kosakenkolonien Ratschläge, wie sie am gründlichsten dieselben demütigen, unterdrücken, quälen und mißhandeln könnten, sie maßten sich Richterämter über sie an und kränkten sie in ihren kirchlichen Angelegenheiten. Kein Wunder, daß die geknechteten Kosaken die Juden fast noch mehr haßten als ihre adligen und geistlichen Feinde, weil sie mit ihnen am meisten zu verkehren hatten24. An Warnungszeichen hatte es den Juden nicht gefehlt, [60] welches Los sie treffen würde, wenn diese ihre erbitterten Feinde einst die Oberhand erlangen sollten. Bei einem wiederholten Aufstand der Zaporoger unter ihrem Führer und selbstgewählten Hetman Pawliuk (um 1638)25, so kurz er auch dauerte, erschlugen sie 200 Juden und zerstörten einige Synagogen. Nichtsdestoweniger boten die Juden die Hand zu der infolge des Aufstandes noch gesteigerten Knechtung der Unglücklichen. Sie erwarteten im Jahre 1648 laut des Lügenbuches Sohar die Ankunft des Messias26 und die Zeit der Erlösung, wo sie die Herren würden spielen können, und waren daher rücksichtsloser und sorgloser, als sie sonst zu sein pflegten. Die blutige Vergeltung blieb nicht aus und traf die Unschuldigen mit den Schuldigen, vielleicht jene noch mehr als diese.

Sie ging von einem Manne aus, welcher den gesteigerten Haß der Kosaken zu seinen Zwecken zu benutzen verstand und in welchem seine Landsleute ihr Ideal erblickten. Zinwii Bogdan Chmielnicki (russisch Chmel27), geb. um 1595, st. 1657), vor dem ganz Polen mehrere Jahre zitterte, und der Rußland zuerst Gelegenheit gab, [61] sich in die Angelegenheiten der polnischen Republik einzumischen, war für die Juden eine erschreckende Geißel, welche sie auch um ihre halbgünstige Stellung gebracht hat. Chmielnicki, tapfer im Kriege und verschlagen in Ausführung von Plänen, undurchdringlich in seinem Vorhaben, grausam und heuchlerisch zugleich, war persönlich von Juden gereizt worden, als er noch in untergeordneter Stelle eines Feldschreibers (Pisar) der Kosaken in Untertänigkeit von dem Hause Koniecpolski lebte. Ein Jude Zacharias Sabilenki hatte ihm einen Streich gespielt, wodurch ihm sein Gut und seine Frau geraubt wurden. Ein anderer hatte ihn verraten, als er mit den Tataren in Einverständnis getreten war. Neben den Kränkungen, welche sein Stamm von den jüdischen Pächtern in der Ukraine erduldete, hatte er also auch persönliche zu rächen. Dem Kerker entlaufen, entflammte er die »Kosakenmutter«, die ganze Ukraine zu einem fanatischen Religions- und Rassenkrieg gegen Polen und ging ein Bündnis mit den Tataren der Krim ein, auch ihrerseits einen Einfall in polnisches Gebiet zu machen, heimlich vom König Wladislaw ermuntert, die Waffen zu ergreifen. Das Wort an die Kosaken: »Die Polen haben uns als Sklaven der verfluchten Brut der Juden überliefert« genügte, um sie zu allem zu bewegen. Die racheschnaubenden Zaporoger und die beutelustigen Tataren unter Tugaï-Bey schritten vereint von den Steppen nach dem Dnjepr, während das kleine polnische Heer unter Potocki und Kalinowski in Sicherheit gewiegt und unter sich geteilt war. In kurzer Zeit hatte Chmielnicki die polnischen Scharen durch glückliche Manöver zur wilden Flucht gebracht (18. Mai 1648). Potocki, sein Unterfeldherr und 8000 Polen gerieten in Gefangenschaft und wurden, laut Verabredung, den Tataren überlassen. Nach dem Siege ergossen sich die wilden Scharen über die Städte Perejaslaw, Prijatin, Lubin, Lochwitza, östlich vom Dnjepr, zwischen Kiew und Pultawa, plünderten und mordeten besonders die Juden, welche nicht die Flucht ergriffen hatten; die Zahl der Gemordeten belief sich auf mehrere Tausend28. Hunderte nahmen zum Schein die Taufe unter griechisch-katholischer Form an, um sich zu retten. Glücklich waren noch diejenigen, welche in Gefangenschaft der Tataren geraten waren, sie wurden nach der Krim transportiert und von dort aus von den türkischen Juden ausgelöst. [62] Vier jüdische Gemeinden (Porobischtscha und andere), mit ungefähr 3000 Seelen, entschlossen sich, dem Gemetzel zuvorzukommen und ergaben sich den Tataren mit allen ihren Habseligkeiten. Sie wurden gut behandelt und nach der Türkei verkauft, wo auch gegen sie von ihren Stammesgenossen die Pflicht der Auslösung brüderlich geübt wurde. Die Gemeinde Konstantinopels sandte einen Delegierten nach Holland, um von den reichen Gemeinden Gelder zur Auslösung der Gefangenen zu sammeln29.

Zum Unglücke für die Polen und Juden war der König Wladislaw, auf den Chmielnicki noch einige Rücksicht genommen hatte, mit dem Tode abgegangen. Während der Zwischenregierung von mehreren Monaten (Mai bis Oktober 1648) trat die gewöhnliche polnische Zerfahrenheit ein, welche jeden Widerstand nach außen lähmte. Anfangs zog sich Chmielnicki, scheinbar zur Unterhandlung mit der Krone geneigt, zurück, erteilte aber seinen Kreaturen Vollmacht, die polnischen Provinzen zu durchstreifen und zu verheeren. Es bildeten sich förmliche Mordscharen, die sich Haidamaks (tatarisch: Parteigänger), nannten30, unter vertierten Führern, die ein Menschenleben nicht höher als einen Strohhalm achteten und sich an den Todesnöten ihrer polnischen und jüdischen Feinde förmlich weideten. Es waren Krywonoß, Hodky, Ganja, Nebaba, Morosenko und andere31. Von den griechischen Popen aus ihrer Mitte wurden sie im [63] Namen der Religion zum Morde der Katholiken und Juden geradezu fanatisiert. Jeder Bandenführer hatte eine eigene Art, seine Grausamkeit zu üben. Morosenko z.B. ließ Riemen um den Hals katholischer und jüdischer Frauen schlingen und sie daran zerren, das nannte er: »sie mit einem roten Bande beschenken«. Schon wenige Wochen nach dem ersten Siege der Kosaken zog eine Bande unter Ganja gegen die Festung Nemirow, wo sich 6000 Juden, Einwohner und Flüchtlinge aus der Umgegend, angesammelt hatten: sie waren die Herren der Festung und verrammelten die Tore. Aber die Kosaken waren im Einverständnis mit den griechischen Christen in der Stadt und zogen polnische Kleidung an, um für Polen gehalten zu werden. Die Christen in der Stadt drangen daher in die Juden, ihren Freunden die Tore zu öffnen. Sie taten es und wurden plötzlich von den Kosaken und Bewohnern der Stadt angegriffen und fast sämtlich unter furchtbaren Qualen niedergemetzelt (20. Siwan = 10. Juni 1648). Der Rabbiner von Nemirow, Jechiel Michel B. Eliëser32, welcher das Unglück vorausgesehen und die Gemeinde zur Standhaftigkeit im Judentum ermahnt hatte, wurde anfangs von einem Kosaken verschont, damit er ihm die vergrabenen Schätze angebe. Dann wurde er von einem Schuhmacher in seinem Versteck gefunden und von demselben auf dem Begräbnisplatze mit einer Keule erschlagen. Seine greise Mutter, welche dem Mörder ihr Leben statt dem ihres Sohnes angeboten hatte, wurde ebenfalls getötet. Die Taufe nahmen nicht wenige an33. Zwei schöne jüdische Mädchen, welche von Kosaken geehelicht werden sollten, brachten sich selbst um. Die eine sprang, während sie nach der Kirche geführt wurde, von der Brücke ins Wasser, und die andere beredete ihren Liebhaber, auf sie zu schießen, weil sie gegen Kugeln gefeit sei. – Eine andere Horde Haidamaken, unter Krywonoß, griff die Stadt Tulczyn an, wo 600 Christen und ungefähr 2000 Juden in der Festung Nesterow Zuflucht genommen hatten. Es waren darunter tapfere Juden, oder die Not hatte sie tapfer gemacht, und sie wollten nicht ohne Gegenwehr sterben. Edelleute und Juden beteuerten einander durch einen Eid, Stadt und Festung bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Da die kosakischen Bauern von der Belagerungskunst nichts verstanden und von den Juden und Polen öfter bei Ausfällen hart mitgenommen wurden, so wandten sie eine List an. [64] Sie versicherten den Edelleuten, daß sie es nur auf die Juden, ihre Todfeinde, abgesehen hätten; wenn ihnen diese überliefert würden, so würden sie abziehen. Die verblendeten und eidvergessenen Adligen stellten daher an die Juden den Antrag, ihnen die Waffen abzuliefern. Diese dachten anfangs daran, den Verrat der Polen blutig zu strafen, da sie ihnen an Zahl überlegen waren. Aber der Rabbiner von Tulezon warnte sie vor Angriffen auf die Polen, weil diese dafür blutige Rache üben und ganz Polen gegen die Juden aufreizen würden, wodurch sie überall aufgerieben werden würden. Er beschwor sie, sich lieber für ihre Brüder im ganzen Lande zu opfern; vielleicht würden die Kosaken ihre Habe als Lösegeld annehmen. Die Juden fügten sich, lieferten die Waffen ab; die Polen ließen darauf die Bande in die Stadt. Nachdem diese den Juden alles genommen hatten, stellten sie ihnen die Wahl zwischen Tod und Taufe. Aber kein einziger von ihnen wollte um diesen Preis sein Leben erkaufen; gegen 1500 wurden unter den Augen der polnischen Edelleute gemartert und hingerichtet (4. Tammus = 24. Juni)34. Nur zehn Rabbiner ließen die Kosaken am Leben, um große Summen von den Gemeinden zu erpressen. Die Polen traf aber sogleich die Strafe des Verrats. Des Beistandes der Juden beraubt, wurden sie von den Kosaken angefallen und mit Hohn getötet, da Wortbrüchige nicht auf Treue rechnen könnten. Dieser traurige Vorfall hat wenigstens die gute Seite gehabt, daß die Polen seitdem durchweg auf seiten der Juden blieben und im Verlaufe des mehrjährigen Krieges sich nicht von ihnen trennten.

In derselben Zeit war eine andere Haidamakhorde unter einem Führer Hodki in Kleinrußland eingedrungen und richtete ein grausiges Gemetzel unter den dort wohnenden Gemeinden in Homel, Starodub, Czernigow und anderen (östlich und nödlich von Kiew) an. Die Juden von Homel35 sollen am standhaftesten das Märtyrertum [65] bestanden haben und zwar an demselben Tage, an welchem die Tulczyner Gemeinde niedergemetzelt wurde. Der Anführer der Horde ließ sämtliche Juden von Homel, Einheimische wie Flüchtlinge, außerhalb der Stadt entkleiden, von den Kosaken umgeben, und forderte sie auf, sich taufen zu lassen oder des scheußlichsten Todes gewärtig zu sein. Sie zogen sämtlich den Tod vor, ungefähr 1500 Männer, Frauen und Kinder,

Der Fürst Jeremias Wischniowiecki, die einzige Heldengestalt in der damaligen polnischen Zerfahrenheit, ein Mann mit durchdringendem Scharfblick, todesverachtendem Mut und Feldherrntalent, nahm sich der gehetzten Juden mit hingebendem Eifer an. Er nahm die Flüchtlinge unter die schützenden Flügel seiner kleinen, aber tapferen Schar auf, mit der er die kosakischen Streifbanden überall bis zur Vernichtung verfolgte. Aber auf die eigene Kraft angewiesen, vermochte er nichts Nachhaltiges durchzusetzen. Durch kleinliche Eifersüchtelei wurde er bei der Wahl des Oberfeldherrn gegen den kosakischen Aufstand übergangen, und statt seiner wurden drei gewählt, wie sie Chmielnicki für seine Siege nur brauchen konnte. Dominik Zaslawski und seine Leutnants Koniecpolski nebst Niklas Ostrorog. Der Rebellenführer bezeichnete den einen als Schlafkissen, den anderen als Wiegenkind und den dritten als Federfuchser36.

Erbittert über diese erbärmliche Politik des an der Stelle des Königs regierenden Primas von Gnesen, verfolgte Wischniowiecki [66] seinen eigenen Weg, mußte aber doch vor der Überzahl der Streifscharen und der mit ihnen sympathisierenden griechisch-katholischen Bevölkerung zurückweichen, was die Juden, welche auf seinen Heldenmut gerechnet hatten, mit ins Verderben zog. In der Festung Polonnoie (zwischen Zaslaw und Zytomir) sollen 10000 Juden, teils Einwohner, teils Flüchtlinge aus der Umgegend durch die Hand der belagernden Haidamaks und der verräterischen Einwohner umgekommen sein (3. Ab=22. Juli). Unter ihnen befand sich auch ein Kabbalist, Simson Ostropol, der mit 300 Gesinnungsgenossen in Sterbekleidern den Todesstoß empfangen hat. Mehrere Hundert gingen zum Christentum über37.

Die unerwartete Eroberung von Polonnoie und das Gemetzel, welches selbst Wischniowiecki nicht verhindern konnte, verbreiteten Schrecken weit und breit, und nicht umsonst; denn überall, wo die blutdürstigen Haidamaks auf Juden und Katholiken stießen, erschlugen sie sie ohne Erbarmen; in Zaslaw (mindestens 200), Ostrog (600)38, Konstantinow (3000).

Der unglückliche Ausgang der zweiten Schlacht zwischen Polen und Kosaken (21. bis 24. Sept.), als das polnische Heer mehr noch durch den panischen Schrecken vor den Tataren unter dem Chan Tugaï Bey und durch die Unfähigkeit der Feldherren, als durch Chmielnickis Tapferkeit in wilder Flucht auseinanderstob und sich erst hinter den Mauern von Lemberg sammelte, brachte auch ein blutiges Los über diejenigen Juden, welche sich weitab vom Schlachtfelde sicher geglaubt hatten. Es war kein Entrinnen für sie vor dem Ansturm der Zaporoger, es sei denn, daß sie die walachische Grenze erreichen konnten. Die weite Strecke von der Südukraine bis Lemberg über Dubno und Brody bezeichneten Blutspuren von erschlagenen und zertretenen Juden; in der Stadt Bar allein kamen zwei- bis dreitausend um. Es braucht [67] kaum gesagt zu werden, daß die vertierte Grausamkeit der regulären Kosaken wie der wilden Haidamaks keinen Unterschied zwischen Rabbaniten und Karäern machte. Von den wenigen karäischen Gemeinden Polens blieben nur zersprengte Überreste übrig. Am meisten litten die karäischen Gemeinden in Luck und Deraźnia39 (nördlich von Bar); die letztere wurde vollständig aufgerieben. Ihre Büchersammlungen gingen natürlich dabei unter, und so gerieten die übriggebliebenen Karäer in noch größere Unwissenheit als vorher. Die bedeutende Gemeinde Lemberg verlor viele ihrer rabbanitischen Mitglieder durch Hunger und Pest und noch dazu ihr ganzes Vermögen, das sie an die Kosaken als Lösegeld zahlen mußte. Von Lemberg zog Chmielnicki mit seinem Heere auf Zamosć zu, um sich Warschau zu nähern und bei der bevorstehenden Königswahl mit seinem Schwerte den Ausschlag zu geben.

In der Stadt Narol, welche auf dem Wege lag, richteten die Zaporoger ein bis dahin unerhörtes Gemetzel an. 45000 Menschen sollen daselbst unter grausamen Martern erschlagen worden sein und darunter über 12000 Juden (anfangs November)40. Unter den Leichen blieben lebendige Weiber und Kinder liegen, die mehrere Tage sich von Menschenfleisch nähren mußten. Die Haidamaken schweiften indes in Wolhynien, Podolien und Westrußland umher und löschten ihren Rachedurst in dem Blute erschlagener Edelleute, Geistlichen und Juden zu Tausend und Zehntausend41. In Krzemieniec schlachtete ein Unmensch mehrere Hundert jüdische Kinder, untersuchte zum Hohn deren Leichen, wie die Juden es beim Vieh zu machen pflegen und warf sie den Hunden vor. In manchen Städten bewaffneten sich die Juden gleich den Katholiken und trieben die blutdürstigen Kosaken auseinander.

[68] Die endlich erfolgte Königswahl, die, trotzdem der polnische Staat am Rande des Abgrundes war, unter leidenschaftlichen Kämpfen und Zuckungen vorgenommen wurde, machte dem Blutvergießen für den Augenblick ein Ende. Von den zwei Brüdern des Königs Wladislaw, welche, obwohl beide Priester, Kardinäle und Jesuiten, doch um die Dornenkrone Polens und um den Besitz der schönen Königin-Witwe, ihrer Schwägerin, rangen, entschied sich Chmielnicki für Jan Kasimir, bisher Primas von Gnesen, und er wurde gewählt. Infolgedessen entschloß sich der Hetman, die in Trümmer verwandelte Gegend zu verlassen und als Triumphator nach der Ukraine zurückzukehren. Die polnischen Kommissarien, welche ihn in seiner Kosakenresidenz aufsuchten, um mit ihm wegen Abschluß eines Friedens zu unterhandeln, ließ er den ganzen Übermut und die Roheit seiner Natur empfinden. Obwohl meistens betrunken und im viehischen Zustande, behielt er Nüchternheit genug, unter seinen Friedensbedingungen barsch zu diktieren, daß in den Kosakenprovinzen keine katholische Kirche geduldet werden und kein Jude darin wohnen sollte42. Die Kommission, welche die Bedingungen nicht annehmen konnte, reiste unverrichteter Sache ab (16. Februar 1649). Die Juden, welche auf eine friedliche Ausgleichung gerechnet und in ihre Heimat zurückgekehrt waren, büßten ihr Vertrauen mit dem Tode. Denn die Kosaken umschwärmten nach wie vor die Städte mit ihrem Todesgeheule. So kamen viele Juden mit Edelleuten zum zweitenmal in Ostrog um (4. März 1649)43.

Das Abbrechen der Unterhandlungen mit Chmielnicki führte zu einem dritten Zusammenstoß. Obwohl das polnische Heer dieses Mal gerüsteter auf dem Kampfplatze erschien und von dem König selbst geführt war, so hatte es doch ebenso wenig Glück wie früher, teils weil der einzige tüchtige Heerführer Wischniowiecki abermals übergangen worden war, teils weil der Kosakenhetman dieses Mal noch mehr Tataren, die ganze »goldene Horde« unter Islan-Gorei als Bundesgenossen heranzog, und endlich, weil die griechisch-katholische Bevölkerung den Kosaken jeden Vorschub leistete und den Polen alle Nachteile zufügte. In dem Treffen bei Sbaraź wäre die polnische Armee von den Zaporogern und Tataren vollständig aufgerieben worden, wenn der König, der nahe daran war, in Gefangenschaft zu geraten, sich nicht klugerweise mit dem Tatarenhäuptling verständigt hätte. Darauf folgte der Friedensschluß (August 1649), welcher unter einer andern Form Chmielnickis Programm vollständig bestätigte, unter [69] anderm auch den Punkt in betreff der Juden. In den Hauptorten der Kosaken (d.h. in der Ukraine, Westrußland, im Kiewschen und einem Teil von Podolien), durften sie weder Ländereien besitzen, noch pachten, noch überhaupt darin wohnen44.

Infolge des Friedensschlusses von Sbaraź hatten die Polen und die Juden etwa anderthalb Jahre so ziemlich Ruhe, obwohl auf beiden Seiten geheime Pläne gehegt wurden, den Vertrag bei günstiger Gelegenheit zu brechen. Soweit ihnen der Aufenthalt gestattet war, kehrten die flüchtigen Juden in ihre Heimat zurück; den aus Todesfurcht getauften Juden gestattete der König Jan Kasimir sich zum Judentum offen zu bekennen. Dies machte ihm keine Gewissensskrupel, da er als Katholik das griechisch-kosakische Bekenntnis, in dem die Juden getauft waren, nicht anerkannte. Infolgedessen flohen die getauften Juden aus den katholischen Landstrichen nach Polen, um das aufgezwungene Christentum loszuwerden. Namentlich machten jüdische Frauen von dieser Erlaubnis Gebrauch, welche die rohen Zaporoger durch die Ehe an sich geschmiedet hatten. Viele hundert jüdische Kinder, welche ihre Eltern und Verwandten verloren hatten und im Christentum auferzogen waren, brachten die Juden wieder an sich, gaben sich Mühe, ihre Abstammung zu erforschen und hängten die Zeugnisse in einem Röllchen an ihren Hals, damit sie später nicht in Blutsverwandtschaft heiraten möchten. Die im Winter (1650) in Lublin zusammengetretene allgemeine Synode von Rabbinern und Vorstehern hatte vollauf zu tun, um die Wunden der polnischen Judenheit nur einigermaßen vernarben zu machen. Viele Hunderte oder gar Tausende von jüdischen Frauen wußten nicht, ob ihre Männer im Grabe lagen, oder bettelnd im Osten oder Westen, in der Türkei oder Deutschland, umherirrten, ob sie also Witwen oder Ehefrauen wären – oder befanden sich in andern Verlegenheiten, welche das rabbinische Gesetz geschaffen hatte. Die Synode von Lublin soll dafür vortreffliche Anordnungen getroffen haben45. Höchstwahrscheinlich war der milde Lipman Heller, damals Rabbiner von Krakau, bestrebt, eine milde Auslegung der Gesetze in betreff der Verschollenheit durchzusetzen. Auf Anregung des Sabbataï Kohen (Schach) wurde der Tag des ersten Gemetzels in Nemirow (20. Siwan) zur Erinnerung [70] als allgemeiner Fasttag für die Überbleibsel der polnischen Gemeinden eingesetzt. Der greise Lipman Heller in Krakau, Sabbataï Hurwitz in Posen und der junge Sabbataï Kohen haben Bußgebete (Selichot) für diesen traurigen Gedenktag gedichtet, meistens aber aus älteren Stücken ausgewählt.

Nach anderthalbjähriger Pause brach von neuem der Krieg zwischen den Kosaken und Polen aus (Frühjahr 1651), dessen erste Opfer abermals die Juden waren, da Chmielnicki mit den wilden Zaporogern nunmehr in die polnischen Gebiete einfiel, wo sich wieder jüdische Gemeinden angesiedelt hatten. Freilich so massenhaft konnte das Gemetzel nicht mehr ausfallen, es gab nicht mehr Tausende von Juden abzuschlachten. Auch hatten sie durch die bösen Tage Mut bekommen, sich bewaffnet und dem König eine Schar jüdischer Soldaten gestellt46. Indessen wendete sich diesmal das Schlachtenglück gegen die Kosaken, da die abermals herbeigerufenen Tataren plötzlich vom Schlachtfeld abzogen und Chmielnicki als Gefangenen mitschleppten. Dieser kehrte zwar wieder zu den Seinigen zurück, aber er war ihnen selbst verdächtig geworden, wie denn überhaupt die Zaporoger in Parteien gespalten waren, so daß sie den vom Könige ihnen diktierten Frieden (11. September 1651) annehmen mußten. Jan Kasimir und seine Minister vergaßen nicht, das Recht der Juden ausdrücklich in diesem Vertrage zu wahren. Es sollte ihnen unbenommen bleiben, sich nach wie vor in der Ukraine und überhaupt überall niederzulassen und Güter in Pacht zu nehmen47.

Auch dieser Vertrag wurde beschlossen und beschworen, um gebrochen zu werden. Chmielnicki hatte ihn nur angenommen, um sich zu stärken und sein erschüttertes Ansehen bei den Kosaken wieder herzustellen. Sobald er sein nächstes Ziel erreicht hatte, begann er von neuem Feindseligkeiten gegen Polen, welche die Juden stets am schmerzlichsten empfanden. In zwei Jahren seit dem ersten Aufstande der Zaporoger waren mehr denn 300 Gemeinden vollständig durch Tod oder Flucht untergegangen48, und das Ende der Leiden war noch nicht [71] abzusehen. Die polnischen Truppen konnten vor Chmielnickis Gewaltstreichen oder Arglist nicht bestehen. Als er von den Tataren keine Hilfe mehr erwarten konnte, verband er sich mit den Russen und reizte diese zu einem Kriege gegen das unglückliche und doch in sich geteilte Polen. Infolge des russischen Krieges (Frühjahr 1654 und 1655) litten auch diejenigen Gemeinden, welche bis dahin von den Kosakenschwärmen verschont geblieben waren, die westlichen Gebiete und Litauen. Die Gemeinde Wilna, eine der größten, wurde durch das Gemetzel von seiten der Russen und durch die Flucht vollständig entvölkert (Juli 1655)49. Als hätte damals das Verhängnis die Auflösung Polens beschlossen, trat ein neuer Feind zu den Kosaken und Russen hinzu, Karl X. von Schweden, der den ersten besten Vorwand benutzte, um seine Kriegslust an Polen zu befriedigen. Durch den schwedischen Krieg kamen auch die groß- und kleinpolnischen Gemeinden von Posen bis Krakau in Not und Verzweiflung (1656)50. In kaum drei Monaten hatte Karl X. die westlichen und nördlichen Provinzen erobert und den König Jan Kasimir, der eher befähigt war, den Krummstab als das Zepter zu halten, gezwungen, sein Land zu verlassen, und als Flüchtling den Schutz des deutschen Kaisers anzuflehen. Bis auf die Neige mußten die Juden Polens den Leidenskelch leeren. Diejenigen, welche die Kosaken, Russen und die wilden Schweden aus dem dreißigjährigen Krieg verschont hatten, mißhandelte der judenfeindliche polnische General Czarnicki unter dem Vorwande, sie wären im verräterischen Einverständnis mit den Schweden51. Auch die Polen verfuhren barbarisch gegen die Juden, zerstörten die Synagogen und [72] zerrissen die heiligen Schriften. – Ganz Polen glich damals einem blutigen Schlachtfelde, auf dem sich Kosaken, Russen, Preußen und Schweden und noch dazu Scharen des Fürsten Ragoczi von Siebenbürgen tummelten; die Juden wurden von allen mißhandelt und erschlagen. Nur der große Kurfürst von Brandenburg verfuhr milder gegen sie. Die Zahl 600000 jüdischer Familien, welche in dem Jahrzehnt dieser Kriege (1648 bis 1658) umgekommen sein soll, ist zwar sehr übertrieben, aber auf eine viertel Million kann man wohl die erschlagenen Juden Polens veranschlagen52. Mit dem Sinken Polens als Großmacht ist auch die Bedeutung der polnischen Judenschaft geschwunden. Die Überbleibsel waren verarmt, gebeugt, erniedrigt und konnten sich nicht mehr erholen. Ihre Not war so groß, daß sich diejenigen, welche in die Nachbarschaft von Preußen verschlagen wurden, als Tagelöhner für Feldarbeit an Christen um Brot vermieteten53. Wie zur Zeit der Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal man überall auf flüchtige sefardische Juden stieß, ebenso begegnete man während der kosakisch-polnischen Kriege fliehenden polnischen Juden in elender Gestalt, verschmachtenden Auges, die dem Blutbade, den Feuersbrünsten, dem Hunger, der Seuche entkommen waren, oder von den Tataren in Gefangenschaft geschleppt und von ihren Brüdern ausgelöst, irgendwo ein Unterkommen suchten. Westwärts über Danzig und die Weichselgegend kamen jüdisch-polnische Flüchtlinge nach Hamburg, wanderten nach Amsterdam und wurden von da nach Frankfurt a.M. und anderen rheinischen Städten befördert. Dreitausend litauische Juden kamen auf Schiffen nach Texel (Niederlande) und wurden gastlich [73] aufgenommen.54 Südwärts entflohen viele derselben nach Mähren, Böhmen, Österreich und Ungarn und wanderten von da bis Italien55. Die Gefangenen im Heere der Tataren kamen nach den türkischen Provinzen und wurden zum Teil zu den Barbaresken verschlagen. Überall wurden sie von ihren Brüdern voller Herzlichkeit und Liebe aufgenommen, verpflegt, bekleidet und unterstützt. Die italienischen Juden übten an ihnen die Pflicht der Auslösung und Unterstützung mit großen Opfern. So hatte die Gemeinde von Livorno in dieser Zeit den Beschluß gefaßt, ein Viertel vom Hundert des Einkommens für die Befreiung und Unterhaltung der unglücklichen polnischen Juden zu erheben und zu verwenden56. Auch die deutschen und österreichischen Gemeinden, obwohl sie unter den Drangsalen des dreißigjährigen Krieges auch gelitten hatten, betätigten an ihnen jene Brüderlichkeit, die sie weniger mit den Lippen bekannten, aber desto tiefer im Herzen trugen.

Indessen war die Zahl und das Elend der aus Polen Entflohenen und Gefangenen so groß, daß die deutschen Gemeinden, und wohl auch andere, genötigt ware, die für Jerusalem bestimmten Gelder anzugreifen, um die polnischen Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden und unterzubringen. Sofort empfanden die von Almosen lebenden Jerusalemer Juden, welche ohnehin von den Paschas und den Unterbeamten ausgesogen wurden, den Ausfall der regelmäßig aus Europa für sie eingehenden Unterstützung. Sie gerieten alsbald in eine so große Not, daß von den dort lebenden 700 Witwen und einer geringeren Zahl Männer nahe an 400 Hungers gestorben sein sollen. Die Jerusalemer schickten daher einen außerordentlichen Sendboten Nathan Spira, den Jerusalemer, nach Italien, um von da aus den übrigen europäischen Gemeinden ihre Not zu klagen und ihnen zu Herzen zu führen, schleunige Hilfe zu bringen, wenn nicht alle Hungers sterben sollten57. – Tragisch war das Geschick so mancher der umherirrenden Polen. Ein junger Talmudkundiger Jakob Aschkenasi aus Wilna, dessen Sohn und Enkel in die Wirren der späteren Zeit [74] eingegriffen haben, war mit seiner jungen Frau im Gefolge seines Schwiegervaters vor dem Wutschnauben der Russen entflohen. Auf der Flucht wurde er von den Seinigen getrennt. Blutdürstige Banden, welche auf eine Gruppe Flüchtlinge gestoßen und viele derselben getötet hatten, führten bereits den Todesstreich auch gegen ihn. War es Mitleid oder Verachtung, genug der Krieger, welcher Jakob Aschkenasi bereits das letzte Niederknieen befohlen hatte, stieß ihn plötzlich mit dem Rücken seiner Klinge fort. Wunderbar errettet, brachte er mehrere Tage unter Leichen zu, um nicht anderen Banden in die Hände zu fallen. Sein Schwiegervater, der Rabbiner Ephraim Kohen, war indes mit den Seinigen nach Mähren (Trebitsch) entkommen, und er vernahm aus dem Munde anderer Flüchtlinge die Trauerbotschaft vom Tode seines Tochtermannes Jakob Aschkenasi. Die Nachricht lautete so bestimmt, daß er seine Tochter – nach der Entscheidung eines Rabbiners – als Witwe erklärte und in sie drang, sich wieder zu verheiraten. Sie aber blieb dabei, ihr Gatte müsse noch am Leben sein und schlug trauernd jeden Heiratsantrag aus. Erst nach einem halben Jahre beschwerlicher Wanderungen fand Jakob Aschkenasi seine treue Gattin wieder.58

[75] Für das Judentum war die Chmielnickische oder losakische Judenverfolgung von einschneidender Wirkung. Es wurde dadurch sozusagen polonisiert. Hatte bereits bis dahin die polnisch-rabbinische Lehrweise die Talmudschulen in Deutschland und zum Teil auch in Italien durch die überreiche Literatur polnischer Autoren förmlich beherrscht, so wurde sie durch die Flüchtlinge – die meistens talmudkundig waren – tonangebend und unterjochend. Die Rabbinatssitze wurden meistens polnischen Talmudkundigen übertragen: in Mähren Ephraim Kohen und Sabbataï Kohen, in Amsterdam Mose Ribkes, in Fürth und später in Frankfurt a. M. Samuel Aaron Kaidanower, in Metz Mose Kohen aus Wilna59. Diese polnischen Talmudisten waren wegen ihrer Überlegenheit in ihrem Fache eben so stolz, wie ehemals die spanisch-portugiesischen Flüchtlinge und sahen mit Verachtung auf die Rabbinen deutscher, portugiesischer und italienischer Zunge herab. Weit entfernt, in der Fremde ihre Eigenart aufzugeben, verlangten sie vielmehr, daß alle Welt sich nach ihnen richte und setzten es auch durch. Man spottete über die »Polacken«, ordnete sich ihnen nichtsdestoweniger unter. Wer sich gründliches talmudisches und rabbinisches Wissen aneignen wollte, mußte sich zu den Füßen polnischer Rabbiner setzen; jeder Familienvater, der seine Kinder für den Talmud erziehen lassen wollte, suchte für sie einen polnischen Rabbi. Diese polnischen Rabbiner zwangen allmählich den deutschen und zum Teil auch den portugiesischen und italienischen Gemeinden ihre klügelnde Frömmigkeit und ihr Wesen auf. Durch sie sanken wissenschaftliche Kenntnisse und auch die Bibelkunde noch mehr als bis dahin60. Gerade im Jahrhunderte Descartes' und Spinozas, als die drei zivilisierten Völker, Franzosen, Engländer, Holländer, dem Mittelalter den Todesstoß versetzten, brachten die jüdisch-polnischen Emigranten, die von Chmielnickis Banden Gehetzten, ein neues Mittelalter über die europäische Judenheit, das sich über ein Jahrhundert in Vollkraft erhalten hat und zum Teil noch in unserer Zeit fortdauert.


Fußnoten

1 S. weiter unten.


2 Er bestätigte die von seinem Vater 1592 konfirmierten, alten Privilegien gleich nach seiner Thronbesteigung 11. März 1633; vgl. Perles, Geschichte der Juden in Posen, p. 130, 145. Nathan Hannover ןוי הלוצמ Anfang.


3 Kostomarof, Bogdan Chmielnicki, übersetzt von Merimée im Journal des Savants, Jahrg. 1863, Anfang. En général l'intendant ou l'homme d'affaires d'un Pane polonais était un Juif. Son industrie ordinaire était d'avancer de l'argent à son maître et d'en obtenir, pour se rembourser l'autorisation de pressurer les paysans. – Stupasky de Konary, Geheimschreiber des Königs Wladislaw, schrieb 1637 an Gerhard Vossius (Vossii epistolae II. No. 66): Judaeorum genus adeo diffudit se per universum hoc regnum Poloniae ejusque provincias, ut omnes pene insederit urbes, oppida, villa, hac maxime in finitima Germaniae, bellorum tempestate. Tanta haec multitudo fieri non potest, quin multorum offendat animos, mercatorum (i.e. Germanorum) inprimis et subditorum, qui Judaeis subesse aegre ferunt.


4 Beauplan, description de l'Ukraine p. 17. Hin und wieder übergaben Adlige ihren jüdischen Agenten die Aufsicht über die Festungen in dieser Gegend; vgl. Joachim Pastorius, historia belli Scythico-Cosaccici p. 209.


5 Vgl. darüber Bd. IX, Note 9; Karl Anton, kurzer Bericht über Jonathan Eibeschütz, S. 48, Anm. V, 3. Perles in Frankels Monatsschrift Jahrg. 1867. Die Organisation der Vier-Länder-Synode ist noch immer dunkel.


6 Lipmann Heller, Selbstbiographie, S. 29 f.


7 Vgl. darüber Nathan Hannover, Jawan Mezula, Ende.


8 Der Talmud wurde gedruckt in Krakau zweimal 1602-1605 und 1616-1620, in Lublin 1617-1628, dann wieder in Krakau und Lublin von 1644 ab.


9 Sein Geburtsjahr folgt aus seiner Angabe in Einl. zu ע"מס = םיניע תריאמ 'ס, daß er Zuhörer von S. Lurja und M. Isserles war. Wolf referiert im Namen Ungers, daß J. Falk 1605 gestorben sei (IV, p. 839), das Datum muß aber ein Druckfehler sein, für 1615; denn aus genanntem Werke ע"מס Nr. 67 geht hervor, daß der Verfasser, das Sabbatjahr bestimmend, zwischen 1609 und 1616 geschrieben hat. Wichtig ist seine kleine Schrift תונקת oder תיבר יניד לע סירטנוק für die Synode der Drei-Länder. Sein Werk השירפו השירד ist zu verschiedenen Zeiten gedruckt worden. Zitiert wird er unter der Abbreviatur ך"ור oder ך"פר Walk oder Falk Kohen.


10 Sein Sohn teilt in der Einleitung zu M. Lublins Respp. mit, sein Vater sei 58 Jahre alt geworden, und der Korrektor der venetianischen Ausgabe seiner Novellen םימכח יניע ריאמ bemerkt, er sei gestorben 10. Ijar הרצו לודג יכב :תנש, d.h. 5376 = 1616. Auch in der Fortsetzung von Gans' דוד חמצ so angegeben.


11 Sein Todesjahr teilt die hebräische Zeitschrift ץילמה mit (Jahrg. I, Nr. 4) nach der aufgefundenen Grabschrift: ב"צש ולסכ ’ה ’א םויב אהרטסואב רטפנ א"שרהמ = Nov. 1631. Daß er aus Posen stammte, gibt er öfter in seinen Novellen an, und Heller ט"י תופסות nennt ihn אנזופמ לאומש 'ר. Seine תוכלה ישודח arbeitete er im frühen Mannesalter aus; zuerst gedruckt Prag 1598; seine תודגא ישודח sind stückweise erschienen.


12 Chiddusche Agadot zu Chagiga II.


13 Heller, Selbstbiographie p. 27. Der erste Herausgeber bemerkt, daß es in einer anderen Handschrift heißt איסור ץראבש הלודגה בורמענ statt אטיל ץראבש.


14 Heller, Selbstbiographie, p. 29 f.


15 Serkes (d.h. Sohn von Serke, Diminutiv von Sara, Sarche, Särke, Serke), Verf. des שדח תיב = ח"ב, starb wie Asulaï angibt, im Jahre des Druckes seines genannten Werkes 5400 = 1639 oder 40. Im Vorworte nennt er sich alt. In Lublin war er nie Rabbiner, sondern in אלמבול, das heißt Lubmila.


16 Beide Grabschriften hat Wolf erhalten IX, p. 1200 und 1208. Der erstere ist Verf. der Respp. עשוהי ינפ I. und der המלש יניגמ, worin er die Ausstellung der Tossafisten – meistens sehr richtig – gegen Raschi zu widerlegen unternahm. Heschel, der nach Asulaï bereits 1633 in Krakau gewesen sein soll (I, p. 48 und Additt. Ben Jakob II, p. 164, No. 18), hat viele talmudische Novellen verfaßt.


17 Bemerkung des ersten Herausgebers zu ןהכ יתפש = ך"ש zu Choschen Mischpat, im Jahre 1663, der Verfasser, sein Schwiegervater, sei 41 Jahre alt geworden. Asulaï II, p. 146 berechnet daher, daß dessen Kommentar zu Jore Dea im 25. Lebensjahre bereits fertig war, und auch andere Schriften, die unediert blieben. Die Abhandlung ןהכ ופקת arbeitete er zwischen Monat Tebet und Adar 1651 aus. Seine Biographie in Sterns Kochbe Jizchak I, 176 und S. Finn הירק הנמאנ p. 74 f.


18 Verfasser des קקוחמ תקלח zu רזעה ןבא s. Finn das. p. 71.


19 Verfasser des בהז ורוט und דוד ןגמ. Als sein Sohn dem Pseudomessias die Aufwartung machte, 1666, war der Vater bereits über 80 Jahre alt.


20 S. Samuel Levi העבש תלחנ II, No. 50. Samuel Aaron Kaidanower (ק"שרהמ) schreibt: ובל םש ותלעמו יקסע רקע ידמע ןכ אל ינאו ז"טו ך"ש רפסכ םינורחאה לא םינורחאב םימרג םימרגמ ונאש דועבו ס"שבו םינושאר םיקסופב תעדה םילבלבמ םינורחאה יכ ... אבהדד ארותפא ארשב לכאנ .ןורכזהו


21 Asulaï s.v.


22 Über N. Spiras Tod s. Ben Jakob Additamm. zu Asulaï p. 164, No. 18. Er war der Urgroßvater von Jonathan Eibeschütz.


23 Beachtenswert ist die Äußerung Mose Ribkes', Verfasser von הלוגה ראב, zu Choschen Mischpat, No. 346, § 5. ורישעהו ולדג םיבר יתיארש תורודל תאז יתבתכ ינאו ןוימטל םהיסכנ ודריו וחילצה אלו ידוהי וניא תא ועטהש תועט ןמ תא וריזחהו םשה ושדק רשא םיברו .הכרב םהורחא וחונה אלו םרתי וחינהו וחילצהו ולדג בושח רבדב ידוהי וניא תועט .םהיללועל


24 Grondski de Grondi, historia belli Cosacco-Polonici ed. Koppi p. 32. Apud quos (Cosaccos) autem complures reperiebantur filii, tum relicto patri uno, cum quo officia domino praestare debita perageret (proventum hunc Judaeis intimantibus et exigentibus) a reliquis omnibus unum exigebant (nobiles) numisma Dudek ... quod quidem primo intuitu leve videbatur, sed postea astutia Judaeorum ingrave excrescebat onus. Quando namque vel a filio baptizando vel a filia elocanda constitutum adferebat (Cosaccus) censum, Judaeus praetendendo varias difficultates non recipiebat statim, sed de industria instituta tergiversatione necessitatem imponebat plus sibi solvendi. Alia autem onera plebis in dies magis ac magis augebantur, quorum pars maxima fuit, quod Judaeis per modum Arendae concedebantur, qui non solum cum magno illorum praejudicio, sed etiam judicia super illos usurpabant. Das ist nicht die parteiische Schilderung eines Judenfeindes; denn sie wird von einem jüdischen Zeitgenossen, von Nathan Hannover, bestätigt: ןילופ םעל םילפשו םיזבנ ויה ... (ןיקאזוק) םינויה םעו תומואה לכ ןיב (לארשי) הדוריה המוא התוא וליפאו ... םידוהילו םהב םילשומ ויה, in der Beschreibung der Verfolgung, Anfang. – Über den Haß zwischen Juden und Kosaken bemerkt de Grondi (das. p. 52) Judaei jurati Cosaccorum prout et hi illorum hostes.


25 In dieses Jahr setzt es Hermann, Geschichte des russischen Staates in Heeren und Uckerts europ. Staatengeschichte III, S. 615. Nathan Hannover dagegen und Kostomarof (a.a.O. p. 24) in das Jahr 1637.


26 Über diese Illusion s. Note 1.


27 Quellen für Aufstände und Kriege der Kosaken und Judengemetzel: die schon genannten de Grondi und Kostomarof. Jüdischerseits: Nathan Hannover in הלוצמ ןוי (erster Druck Venedig 1652) sehr treu und zuverlässig; Sabbataï Kohen (ך"ש) in הפיע תליגמ, verbunden mit Ibn-Vergas הדוהי טבש in allen Ausgaben seit 1655, ebenfalls treu, nur nicht so ausführlich wie Nathan Hannover. Ferner die poetisierende Schilderung םיתעה קוצ, man weiß nicht, wer der Verf. war, ob Meïr ben Samuel aus Szebrzecin (soll Krakau 1650 erschienen sein, Wolf I, III, s.v.) oder Joschia ben David aus Lemberg, gedruckt Venedig 1656. Da dasselbe von Nathan Hannover abhängig ist, so liegt nicht viel daran zu wissen, wer Plagiator war. Es hat für den Gang der Geschichte wenig Wert. In dem Werkchen בקעי תלחנ תצילמ von Jakob aus Gnesen finden sich Elegien auf das Gemetzel, gedruckt Amsterdam 1652. Eine seltene Quelle ist ןויה טיט von Samuel bei Nathan Feivel (?), Wolf III, p. 1095, Katal. Bodl., No. 7064, soll in Venedig gedruckt sein, aber erst nach 1656. Ein Auszug daraus ריכזמ Jahrg. 1864, p. 36 f. Die Zahl der Hingemetzelten und der Gang der Gemetzel sind darin nicht zuverlässig. Sie gibt an: 140 Gemeinden und 600000 Familienväter ohne Frauen und Kinder seien hingeschlachtet worden. Das erste ist zu wenig und das andere zu viel. Auch die Karäer haben Denkwürdigkeiten über die an ihnen begangenen Gemetzel aufgeschrieben, die aber nur noch fragmentarisch erhalten sind in A. Neubauers aus der Petersburger Bibliothek p. 125, No. XXXV: 'רמ ריש ארונה השעמב ... העושי 'רב ףסוי p. 130, No. X: 'ס יקצולה ןורהא 'הכב תונורכזה.


28 Nathan Hannover Jawan Mezula.


29 Darüber berichten: Manasse Ben-Israel in תמשנ םייח Ende, geschrieben 1650: םינומא ריצ ינושקרק דוד ’המ רשא םייובשה ןוידפ ןינע וננחמל הנידנטשוק הלודג ריעמ חלוש הרבעש הנשב האינלופ ץראמ הזבבו ברחב ןיקאזוקה ובש; de la Croix, mémoires contenants diverses relations de l'empire Ottoman II., p. 396: Les Juifs sont charitables entre eux, ils ont un grand soin des pauvres ... et à la rédemption des esclaves que les Turques et les Tartares font sur les Polonais. Auch die Angabe bei J. Sasportas יבצ לבונ תציצ p. 17 b von den Gemeinden Konstantinopels und Ägyptens für Auslösung der Gefangenen: רשא םיובש ןוידפ םהל טעמה םירצמו אניטנאטסוק םיזנכשאהמ ושע, bezieht sich wohl auf Juden Polens.


30 Kostomarof a.a.O., p. 79.


31 Krywonoß kommt nur bei Nathan Hannover vor: סאנאווירק. Nebaba und ein oder zwei andere dieser Kannibalen in einem Gedichte des Karäers Joseph bei Neubauer a.a.O. (?) ושעש ארונה השעמב םיזורחב ... ריש םיארקה להק תא וגרהש םירובגה אבבנו יקצינלמחו (?) יראצע :ענזרד ריעבש

עדגנ עשר (?אינג) יאצנ ןרק בוט ןמיסב

עדי אל ודיאל זפחנה וליחו

המלכו השובב ןכ םג לימח ןכו

המדנ ובל ןואש לא רפה ותצע

,םלכנ ויתולייח בור םע אבבינו

.םלוע תפרח ולו לטבתנ וממז


32 Er ist Verfasser einer unbedeutenden Schrift ירבש תוחול, die sein Neffe 1680 drucken ließ, Wolf III, p. 334.


33 Diesen Umstand, daß einige sich durch die Taufe gerettet haben, hat nur der Verfasser des םיתעה קוצ.


34 Das Tagesdatum geben nur Sabbataï Kohen und einige Elegien an.


35 Es ist zwar an sich gleichgültig, an welchen Orten die Metzeleien stattgefunden haben, aber einigermaßen wichtig zu wissen ist es, wie weit sich die Juden damals in Süd- und Ostpolen ausgebreitet hatten. In fast sämtlichen jüdischen Quellen wird ein großes Gemetzel in einer Stadt הימוה tradiert. Am ausführlichsten bei Sabbataï Kohen und in םיתעה קוצ. Es ist die Stadt Homel, hieß damals Homelia und liegt bei Starodub, östlich von Kiew, unweit von Nowa-Belica am Flusse Soz. S. Kohen bei der Erzählung vom Gemetzel in Tulczyn: שדוחל םימי 'ד ... יששה םויב הז היחו ומכ וגרה זא םג יכ םימעפ ינש ונרזגנ יששה םוי ותואב ... זומת הקוחר איהש איסור תנידמב הימוה הירקב ... תושפנ תואמ 'וט הימוה הירקב ... םידוהיה ןתוא יכ .. תואסרפ 'ע ומכ ןישלוטמ םידוהיה ראשמ רתוי דחוימה םש תא ושדק. Dann referiert S. Kohen poetisierend den Dialog zwischen den Kannibalen und Schlachtopfern. Nathan Hannover erzählt diesen Vorgang kurz beim Gemetzel von Litauen: םשמו םשה שודיק לע רפסמ ןיא םיפלא המכ וגרהנ הימוה ק"קב בואינרצ ק"קב םג ,בר גרה םידוהיב וגרהו בודיראטס ק"ק ועסנ ןיחראב ק"קבו. Den Zug gegen Homel hat auch de Grondi bei der Erzählung von der Vorbereitung zur Krönungsfeier (p. 97): Interim conatibus Hodkii (celeberrimi inter Cosaccos legionarii) maximum attulit augmentum frequentissimus in illis partibus plebis graecae religionis accursus, quo factum est, ut aliquot urbes, utpote Starodub, Homelia et alias per proditionem in potestatem Hodkii devenerint. Das םיתעה קוצ hat auch dabei einen langen Dialog, wie S. Kohen; eigen ist bei ihm der Name des Rabbiners רזעילא 'ר, der die Gemeinde zur Standhaftigkeit ermahnt habe. Das ungenaue ןויה טיט hat auch הימוה, läßt aber darin 10000 Flüchtlinge und Eingeborene umkommen (Maskir a.a.O., S. 38 oben). In der Elegie in תלחנ בקעי, p. 10 b heißt es: האנלופו הימוהו ראב ק"ק גרהמ ונעדי אל םרפסמ. – Nach ןויה טיט sind auch in Kiew Juden erschlagen worden, darunter einer, reich wie Korah. Mein verewigter Freund Herr Nissen erinnerte sich eines in Polen kursierenden Spruches: בויקמ יכ בודיראטסמ 'ה רבדו הרות אצת. Das kann sich nur auf die Zeit vor 1648 beziehen.


36 Bei de Grondi; Dominik Perina, Koniecpolski Detina, Ostrorog Latina.


37 Nathan Hannover und S. Kohen geben die Zahl der Erschlagenen in Polonnoie auf 10000 an, in Bar dagegen der erstere zirka 2000 und der letztere zirka 3000 ןויה טיט a.a.O. 36: הנלופ = האנאלופ 10000 Seelen, Flüchtlinge aus neun Städten; רעב d.h. Bar 600 ausgezeichnet reiche Juden und 1500 mit den Flüchtlingen. Ich weiß daher nicht, aus welcher jüdischen Quelle Kostomarof die Nachricht hat (S. 82): »Les contemporains rapportent qu'à la prise de Bar Kriwonoss fit écorcher vivants 15000 Juifs. Credat Judaeus Apella!« An sich ist die große Zahl nicht unglaublich, erzählt doch de Grondi von Narol (S. 81): prout in una civitate Narol enecta sunt quadraginta quinque millia hominum (Catholici et Judaei). Nur von Bar ist die Zahl nicht so groß angegeben.


38 Diese Zahl nach dem zuverlässigen Nathan Hannover, ןויה טיט hat übertreibend 1500.


39 In einem Memorialbuch der Karäer (bei Neubauer a.a.O., S. 130): (קצול) וניתדע תיב ישנא תומש ולאו וניתדע ישנא תושפנ תונורכז ... םירורא םיוג ידי לע םיגרהנה ה"עבו םדוקמ םשל םירד ויהש ץינזרד ריע תורבקב םירבקנח רוראה עשרה לאימח די לע ותופנ םתייאשו וגרוה.Das ןויה טיט zählt in הנזארד d.h. Deraźnia 100, welche nach Bar entflohen; dann mußten die Mordbanden von Nord nach Süd gezogen sein. Der Untergang der Gemeinde von Deraźnia muß übrigens 1648 und nicht 1650 stattgefunden haben. Denn in diesem Jahre war Waffenruhe. Der Karäer Mardochaï ben Nissan (יכדרמ דוד, S. unten) 6 a spricht nur vom Gemetzel des Jahres 1648 und 1654: ד"ית תנשבו םינוי ידודג ואצי ח"ת תנשב וברחנו ןילופו אטיל ץרא ובורחהו רטיווקסומ ליח םהירחא ואצי ופרשנו ... םישרדמה ולטבתנו םיארקהו םינברה תולהקה לכ םויה דע םג התלעמ םוקמל הלהקה הבש אלו ונירפס. 1650 war kein Gemetzel.


40 Vgl. oben S. 67 Anm. 1. Nathan Hannover a.a.O. und die andern Quellen.


41 Das.


42 Kostomarof a.a.O., S. 138.


43 Nathan Hannover a.a.O.


44 Kostomarof das. S. 175. Nathan Hannover das. S. 10 a.


45 Nathan Hannover a.a.O. und nach ihm in קוצ םיתעה. Die Zeit dieser Synode gibt die Einleitung zu der ןויס 'כל תוחילס ed. Krakau (Katalog Bodl. Nr. 2957) an, nämlich י"ת תנש ןילבול תודעותהב. Messe und Synode in Lublin fiel zwischen Purim und Peßach. Über die Selichot zu diesem Tage s. Katalog das. Nr. 2958, 59, 68, Landshut, Amude Aboda s.v. Jom Tob Heller und Beilage S. XIII, Nr. 7. Perles, Geschichte der Juden in Posen, S. 58.


46 Nathan Hannover a.a.O.


47 Den Wortlaut des die Juden betreffenden Paragraphen hat Pastorius, Bellum Scythico-Cosac. (1652) Ende erhalten: Judaeis in terris Regis et nobilium jus incolationis et conductionum ut antea liberum esto. Auch Nathan Hannover, de Grondi, S. 215, Kostomarof, S. 372.


48 Sabbataï Kohen, der noch 1649 schrieb, bemerkt: תולודג תולהק תואמ ’גמ רתוי ... ובירחהו vgl. o. S. 61 Anmerkung 3.


49 Über Wilna s. Mose Ribkes, הלוגה ראב Einl. םויבו (אנליו) ריעח ןמ ואציו םשפנ לע וטלמנ ו"טת תנש זומתל ג"כ 'ד ואצי תולגעו םיסוס םהל וניכה רשא תא דחאכ להקה לכ טעמכ םהינב םתוראשמו םהילגרב ואצי וניכה אל רשאו ... תונועט .םהיפתכ לע םינטקה


50 Über Krakau berichtet ein obskurer Schriftsteller Abraham ben Joseph aus Krakau, in einem schlechten Kommentar zu תינעת תלגמ (Amsterdam 1658) Einleitung ונלש טעמ תושדקמ יתבו ק"ק המכו המכ וברחנ ונינועבו םיתב ילעב תואמ המכו המכ גרהנו (וי"ת תנש) רייא חריב תנשמ ונילע תואבה תורצה בותכל ןיקיפסמ םניא ... (אקארקב) ,וי"ת תנש דע ח"ת auch S. 23 b unten: ופא ’ה הרח ושכעו גרה םיביואה וגרה ז"טת תנש רייא ח’רב לודג ןילופ תנידמ לע ינאו םשה שודיק לע וגרהנו תושק תונושמ תותימב לארשיב בר םימה ךותל וצפק םיבר יתיארו (אקארקב) הכפהמה ךותב יתייה .םשה תשודק לע


51 Geheimschreiben aus Wien nach England bei Thurloe, Collection of the states-Papers T. p. 773 vom 27. Mai 1656. Les Polonais (sous Czarnizki) avoient taillé en pièces en une villette près de Gnesna (Wreschen?) quelques centaines de Juifs qui étoien t du parti Suédois, dont les autres en villettes prochaines s'avoient fait baptiser et raser la teste et la barbe ... pour éviter la furie des Polonais. Das ist der יקצינרצ ררוצ, von dem das ןויה טיט erzählt (Maskir a.a.O., S. 38), daß er 200 Märtyrer machte in ןילבוק = Kobylin, 100 in ץירדמ = ץירזמ = Meseritz, 100 in אנשערוו = Wreschen, 300 in ןישטנול = ץושטנול = Lenczyc, 600 in Kalisch und andern kleinen Städten. Dann heißt es, der יקצינורצ ררוצ habe ganz Großpolen und Krakau verwüstet. Über die Märtyrer von Großpolen 1656 s. Landshut Amude Aboda Ende, Beilage S. X, Nr. 5, 6. וגרהנש םישודקה לע םימחר אלמ לא חסונ אלסעל טוקפ ינשגאר ץנעזבול יווטאלז אנשערווב ז"טת תנשב אנזופו. Daraus geht hervor, daß die Gemetzel in Großpolen sich von Frühjahr bis Herbst (חספ bis רופכ םוי) erstreckt haben.

52 In ןויה טיט a.a.O., S. 58. Dasselbe gibt auch die große Zahl der Erschlagenen an. Manasse Ben-Israel referiert in Declaration to the english Commonwealth: Die Kosaken haben in den letzten Jahren über 180000 Juden in Polen getötet. Aber als er dieses niederschrieb (1655), waren die Gemetzel noch nicht zu Ende.


53 (König) Annalen der Juden in preußischen Staaten, S. 85.


54 Koenen, Geschiedenis der Joden in Nederland, p. 198.


55 Nathan Hannover Ende; Mose Ribkes Einleitung zu הליגה ראב und mehrere andere polnisch-jüdische Schriftsteller aus dieser Zeit.


56 Joseph Ergas, Ressp. ףסוי ירבד Nr. 36. Der Beschluß datiert vom Jahre 1655.


57 Unter den Gründen, welche für die Zulassung der Juden in England, die in derselben Zeit verhandelt wurde, geltend gemacht wurden, war auch folgender: Because the Jews are now in very great strights in many places. – Multitudes in Poland, Lithuania and Prussia (Russia?) by the late wars by the Swedes, Cossacks and others being driven away from thence. Hence their yearly Alms to the poor Jews, of the german Synagogue, at Jerusalem hath ceased, and of 700 widows and poor Jews there, about 400 have been famished, as a letter from Jerusalem to their Friends relates. Mitgeteilt in Harleian Miscellany T. VII, p. 579 b, aus der Schrift: A narrative of the late proceedings at Whitehall, concerning the Jews. Diese Nachricht von dem Hungertod der Jerusalemer hat wahrscheinlich Nathan Spira gebracht und verbreitet, der eigens zum Zwecke einer Sammlung ausgesandt worden war. Das. S. 280 a heißt es nämlich: Many of the Jews in Jerusalem being now very cruelly dwelt withal and persecuted by the Turcks as their letters thence desiring Relief from other Jews in Germany, Holland etc. sent thither by the hand of Rabbi Nathan Tsephira, their messenger ... do manifest. Nathan Tsephira oder richtig Nathan Spira, mit dem Beinamen Jeruschalmi, war damals Sendbote. Er ließ, um die italienischen Gemeinden noch mehr zu Spenden für die heilige Stadt anzuspornen, den fabelhaften Brief des Baruch Gad über die angeblichen Mose-Söhne am Fluß Sabbation nach Reggio kommen. Im Schreiben des Jerusalemer Rabbinats an die italienischen Gemeinden heißt es darüber: d.d. 15 ten בא des Jahres 1657 = 'י'ר'ר'ה'ב folgendermaßen: תלאשל ונשרדנ ספוט ול קיתעהל ימלשוריה אריפש ןתנ .. לבוקמה ... םכחה תנשב ןויטבס רהנל רבעמ השמ ינב וניחאמ ונילא אב רשא בתכה .תצקמ ול ונקתעה רכזנה ןתנ םכחה לאושה ןוצר קיפהלו .. ות’ה םייחל בותכה לכ הפ לא הפ םכל דיגי ןתנ ר"רהמכ ןכא םילשוריב. Über die Quellen s. weiter unten Kap. 6.


58 Jakob Emden, Biographie seines Vaters Chacham Zewi, s. darüber Note 6.


59 Die Biographien und zum Teil Finn הנמאנ הירק (Geschichte der Juden von Wilna), S. 73 ff.


60 Vorwort zu Witzenhausens jüdisch-deutscher Bibel: "Sind der Zeit daß viele polnische םידמלמ in זנכשא sein gekommen, da haben sie auch gleich, wie ihr רדס ist, wenig קוספ mit den Kindern gelernt: אל יבר ".ןלנמ אייח 'ר הנש



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 77.
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