III. Orobio de Castro.

[414] Unter der großen Menge gebildeter und produktiver Juden in Spinozas Zeitalter zeichnet sich Orobio de Castro aus durch seine Besonnenheit, sein normales Wesen, seine, wenn auch nicht auf philosophischen Prinzipien, so [414] doch auf einer klaren Erkenntnis beruhende Frömmigkeit, oder sagen wir lieber Anhänglichkeit an das Judentum. Noch ist keine Monographie über sein Leben und seine literarische Tätigkeit geschrieben, obwohl er sie weit eher verdiente als so viele andere, die weiter nichts als viel Papier und Tinte verbraucht haben. Franko Mendes hat nur die allgemeinen Umrisse seiner Biographie gegeben (ףסאמ, Jahrg. 1788, p. 219) aus Sekundärquellen. Die Hauptquelle dafür ist nur das, was Orobio seinem Freunde und Antagonisten Philipp v. Limborch mitgeteilt hat, der das wenige in seiner Historia inquisitionis (p. 323) und in Le Clerc, Bibliothèque universelle et historique T. VII (p. 289) wiedergegeben hat. Feste Data sind aber aus seinem Leben gar nicht bekannt, nur daß er drei Jahre im Inquisitionskerker zu Sevilla zugebracht, 70 Tage an den Wunden gelitten hat, welche ihm die Tortur geschlagen, und zwei Jahre das Büßergewand hat tragen müssen, bis er aus Spanien exiliert wurde. Man ist daher für sein Geburtsjahr, die Zeit seiner Verbannung aus Spanien, seiner Einwanderung nach Toulouse und endlich seiner Bekehrung oder Rückkehr zum Judentume auf vage Kombinationen angewiesen. Als Ausgangspunkte dafür können drei Momente genommen werden. Sein Todesjahr fiel 1687, wie Le Clerc angibt. Im Jahre 1665 scheint Orobio noch äußerlich in Frankreich Christ gewesen zu sein. Denn in diesem Jahre5 druckte der unverdrossene Versifikator de Barrios die ersten Produkte seiner Muse, Flor de Apolo (Brüssel). In dieser Sammlung hat er auch ein Sonett an Don Baltazar Orobio, medico y poeta insigne (No. 82). Orobio führte also damals noch seinen christlichen Vornamen Balthasar und noch nicht den jüdischen, Isaak. Anfangs 1670 war er bereits Mitglied des Amsterdamer Mahamad, d.h. des Kollegiums der Parnassim, und approbierte mit seinen sechs Kollegen die Psalmenübersetzung des Jakob Jehuda Leon (שדק םילולה, Alabançasde Santitad, gedruckt 1671, die Approbation vom 27. Thebet 5430 = 19. Januar 1670). Er muß also, da er bereits im Jahre 1669 als Parnaß gewählt wurde, in diesem Jahre mindestens schon Jude gewesen sein. Sein Eintritt ins Judentum würde demnach fallen zwischen 1665 und 1669.

Orobio stand in einem konfidentiellen Verhältnis zu Spinoza. Das hat de Mur glücklich herausgebracht (Annotationes ad B. de Spinozae Tractatum theol.-polit. Haag 1802, p. 23). Das Schreiben in Spinozas Briefsammlung, Nr. 48, L. d.V. M. Dr. an J. O., hat de Mur richtig enträtselt: Lambertus von Velthuysen, med. Dr., an Isaak Orobio. Das Datum dieses Briefes setzt Bruder 24. Juni 1671. Aus demselben geht hervor, daß Orobio von seinem Utrechter Freunde von Velthuysen ein Urteil über Spinozas Traktat verlangt hat, das dieser ihm auch in tadelndem Sinne gibt. In der darauf folgenden Nummer (49) schreibt Spinoza an J. O., d.h. Isaak Orobio: Miraris sine dubio, quod te tamdiu exspectare feci; sed ego vix animum inducere possum, ut ad libellum illius viri, quem mihi communicare voluisti, respondeam, nec ulla alia de causa jam hoc facio, quam quia promisi. Orobio hat demnach das schriftliche Urteil von Velthuysens Spinoza übermittelt. Er muß also vorher mit ihm bekannt gewesen sein. Bemerkenswert ist es, daß Orobio sich nicht ein selbständiges [415] Urteil über Spinozas Traktat gebildet hat, sondern die Meinung seines christlichen Freundes hören wollte. Sollte er damals, nachdem er solange praktisch die Arzneikunde getrieben hat, mit philosophischen und theologischen Fragen nicht vertraut gewesen sein?

Später hat er viel über theologische und auch philosophische Themata geschrieben. Das Verzeichnis seiner meistens handschriftlich vorhandenen Abhandlungen in spanischer Sprache bei Wolf, Bibliotheca III, p. 552, Rodriguez de Castro, Bibliotheca Española I, p. 606, und de Rossi, Bibliotheca antichristiana, p. 84 f. Nur eine Nummer dieser Orobioschen Schriften sei hier in Betracht gezogen, weil sich scheinbar daraus entnehmen ließe, als habe er direkt gegen Spinoza polemisiert. Die Frage ist nämlich noch nicht einmal aufgeworfen worden, wie haben sich Spinozas gebildete jüdische Zeitgenossen, meistens in Amsterdam, zu seinem antijüdischen Systeme verhalten? Es scheint nämlich, daß nur wenige derselben Notiz davon genommen haben, wenn man von Thomas de Pinedo absieht, der nur hin und wieder Spinozas Ansicht bekämpft, ferner von dem Wirrkopf de Barrios, der nicht wußte, was er schmierte, und endlich von Jakob de Andrade Velozino, der zwar einen Theologo religioso contra el Theologo Politico de ... Espinoza geschrieben hat, aber erst lange nach Spinozas Tod. Velozinos Geburt fällt 1657 (Maskir III, S. 58). Es wäre daher interessant, zu erfahren, wie sich Orobio dazu verhalten hat; Wolf zitiert (a.a.O.) eine kleine Schrift in Briefform von ihm: Una epistola invectiva contra un Judio Philosopho medico, que negava la Ley de Mosey siendo Atheista affectava la Ley de naturaleza. Nach dieser Lesart wäre der Atheist, gegen welchen Orobio diese Epistel gerichtet hat, ein Jude gewesen. Basnage, welcher diese Epistel in der ersten Edition seiner Histoire des Juifs zitiert meinte, sie wäre geradezu gegen Spinoza gerichtet gewesen. Dagegen wirft Wolf ein, der von Orobio Kritisierte werde in der Überschrift doch medico genannt, so könne nicht Spinoza darunter verstanden werden, da er doch nicht Arzt war. Indessen ist dieser Einwurf nicht schlagend. Leibniz' Brief an Spinoza (Briefsammlung Nr. 51) trägt im Original die Adresse: A Mr. Spinoza, médecin très-célèbre et philosophe très-profond à Amsterdam (bei van Vloten, Supplementum, p. 306). Medicus muß also damals die Bedeutung Naturforscher gehabt haben. Insofern könnte allerdings Orobios Epistola invectiva gegen Spinoza gerichtet gewesen sein. Allein der spanische Kodex bei R. de Castro hat eine andere Lesart: Epistola invectiva contra Prado un Philosopho medico, que dubitaua o no creya la verdad de la divina Escritura, also nicht contra un Judio. Auch hätte schwerlich Or obio, der mit Spinoza bekannt war, gegen ihn den Ausdruck gebraucht »gegen einen Juden, welcher die Wahrheit der göttlichen Schrift leugnete«. Gieser Prado scheint identisch zu sein mit Juan de Prado, einem Arzt aus der Pikardie, in Amsterdam, welcher weder Religion noch Gewissen hatte (de Barrios, Coro de la musas, bei Kayserling, Sephardim, S. 260 ff. [und Bibl. españ. etc., S. 83]). Soviel wir jetzt wissen, hat Orobio nur indirekt gegen Spinozas System polemisiert und zwar nur gegen dessen Ethik, nicht gegen den Traktat. Seine Schrift ist gegen Bredenburg gerichtet: Certamen philosophicum propugnatae veritatis divinae ac naturalis adversus Bredenburg. Diese Schrift Orobios, erschienen 1684, ist aber selten geworden; verbreiteter ist die zweite Edition, welche der [416] Mönch Langlet veranstaltete und sie der Sammlung einverleibte: Refutation des erreurs de B. de Spinosa par de Fénélon etc. avec la vie de Spinosa par J. Colerus. Diese vie bildet den Anfang, und S. 387 folgt Orobios Certamen philosophicum. Der Herausgeber Langlet bemerkt im Eingange: Nemo est inter Eruditos, cui non sit cognita et perspecta doctissimi inter Hodiernos Amstelodamenses Hebraeos Ishak Orobio doctrina. Pauci tamen in Belgio, et multo pauciores in Gallia qui ejus scripta legerint.

In der Einleitung zum Certamen sagt Orobio: Ab aliquibus annis mali hominis Spinosae scripta perlegi et non solum Atheismo vias sternere cognovi, sed in ipsis jam constitutum latere, facile deprehendi. Putabam nullis vel paucis considerabile damnum illatura, quia indocti non intelligerent, neque improbas, quae inde educuntur consequentias, perciperent: docti ad libitum decipi paterentur etc. Sed nunc novi, quod mea me fefellit opinio, cum non soli aliqui ex vulgo, omnis literaturae expertes, qui Spinosae dogmata, ut scientifici videantur, intelligere affectant, et in Atheismum, quem jam antea diligebant, praecipites ruant, sed docti etiam eadem detestabili lue misere afficiantur.

Das ist übrigens die einzige Piece, die von Orobio selbst ediert wurde. Denn die drei Unterredungen mit Philipp von Limborch über den Wert des Christentums: de veritate Religionis Christianae amica collatio cum erudito Judaeo, Amsterdam 1687, welche, wie le Clerc bezeugt, kurz vor Orobios Tod erschien, hat er selbst nicht veröffentlicht, sondern Limborch schickte die drei Scripta Judaei voraus, um daran seine Entgegnung anzubringen. Die dritte gedruckte Schrift Orobios, Israel vengé, ist lange nach seinem Tode veröffentlicht worden. (London 1770). Der Herausgeber bemerkt dazu: Cet ouvrage a pour auteur un Juif espagnol nommé Isaak Orobio, qui le composa dans sa langue; il a été depuis traduit en françois par un Juif appellé Henriquez sur le manuscrit de l'au teur, qui n'a jamais été publié ... celui-ci paraît avoir retouché ou corrigé la traduction. [Vgl. Kayserling, a.a.O. S. 82.]


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 414-417.
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