I. Die drei ältesten litterarischen Propheten.

[392] Die prophetischen Schriften liefern bekanntlich einen reichen Beitrag zur judäisch-israelitischen Geschichte, und ohne sie wäre diese mehrere Jahrhunderte hindurch wie die arabische eine trockene annalistische Aufzählung. Diese Schriften bilden das ausdrucksvolle Bild zum Rahmen der Annalen der beiden Bücher der Könige. Indessen sind mehrere Schriften der kleinen Propheten und mehrere Partieen in den großen ohne chronologische Ueberschrift. Die Ausleger und Einleitungsschriften gehen daher bezüglich der chronologischen Einreihung derselben vielfach auseinander. Zur Gewinnung von Geschichtsmaterial aus diesen Quellen für die Zeitgeschichte der Verfasser ist aber die chronologische Fixirung derselben unentbehrlich; daher mag hier das Sichere bezüglich dieses Punktes theils aus Erforschung von Vorgängern und theils durch selbstständige Begründung zusammengestellt sein. Beginnen wir mit den bekannt gewordenen ältesten Schriften.

[392] Allgemein wird zugegeben, daß Hosea, Amos und Joël13 zeitgenössich aufgetreten sind. Den Ersten setzt die Ueberschrift in die Zeit Usia's und Jerobeam's II., und der Inhalt bestätigt die Zeit; denn der Bestand des Hauses Jehu wird vorausgesetzt (1, 4). Beim Zweiten, dessen Zeitgenossenschaft mit Jerobeam II., durch 7, 10 fg. bestätigt ist, wird in der Ueberschrift noch näher angegeben, daß er zwei Jahre vor dem Erdbeben zur Zeit Usia's aufgetreten ist Das Factum des Erdbebens ist bestätigt durch Zacharia 14, 5. Auch aus dem Inhalt ergiebt sich, daß Amos ein Erdbeben verkündet hat (2, 13 fg., 3, 14 fg.). Indessen nur diese drei Kapitel stammen aus der Zeit vor dem Erdbeben, dagegen Kap. 4 und die folgenden aus der nachfolgenden Zeit. Denn V. 4, 11 spricht von der Zerstörung durch Erdbeben, wie von einer bereits der Vergangenheit angehörenden Thatsache. Auch 8, 8 und 9, 5-6 spielen auf die Vorgänge während des Erdbebens an. Danach sind die Thatsachen, welche in Amos vorausgesetzt werden, chronologisch zu vertheilen. Amos spricht aber auch von der Heuschrecken-Calamität, als bereits eingetroffen (4, 9), auch von der sie begleitenden Plage der Dürre und der Hungersnoth (4, 6-8). Man muß wohl beachten, daß der Refrain ידע םתבש אלו (das. V. 6. 8. 9. 10. 11) deutlich genug zu erkennen giebt, daß hier durchgehends von bereits vergangenen Facten die Rede ist; sämmtliche Verba in dieser Partie müssen daher als Praeterita erklärt werden, wenn sie auch theilweise die Futur oder Imperfect-Form haben. Die Heuschrecken-Calamität führt auf Joël, dessen Schrift ihr ganz gewidmet ist. Daraus ergiebt sich, daß Amos die Partie von Kap. 4 an nach Joël's Rede gehalten hat. Der erste Theil dagegen (Kap. 1-3) gehört der Zeit vor Joël an. Bestätigt wird diese Annahme durch den Umstand, daß Joël bereits vom stattgefundenen Erdbeben und den es begleitenden Erscheinungen spricht (2, 10, 11). Vergl. darüber Programm des jüd. theolog. Seminars von 1873. Dadurch und auch durch andere Momente (wovon später), ist die Gleichzeitigkeit von Joël und Amos erwiesen, aber in dem Verhältniß, daß der Letztere seine erste Rede vor dem Ersteren gesprochen. Folglich ist Joël 4, 16 'וגו גאשי ןויצמ 'הו Amos entlehnt (1, 2) [So auch Kuenen a.a.O. S. 330]. – Was Hosea betrifft, so scheint er, obwohl gleichzeitig, später als beide gesprochen zu haben. Denn Hosea's zwei Reden sind lediglich gegen den im Zehnstämmereich herrschenden Cultus des Baal gerichtet (2, 10. 15. 18), und er rügt auch die Verkehrtheit der Astarten- und Hammon-Bilder. Denn (3, 1) muß man statt םיבנע ישישא יבהאו durchaus lesen: םינמחו םירשאו (s.o. S. 88, N. 2) [In den Emendationes setzt der Vf. ein Fragezeichen hinter seinen Vorschlag]. Amos dagegen, welcher größtentheils gegen die Verirrungen und Laster des Zehnstämmereichs spricht, hat nicht ein einziges Wort der Rüge gegen den Baal-Cultus. Er spricht lediglich gegen den Stier-Cultus in Bethel (3, 14; 4, 4; 5, 4), auch gegen denselben Cultus in Dan (8, 14), und gegen das Sündenbild in Samaria (das. ןורמש תמשא), aber durchaus nicht gegen Baal. Selbst wenn in V. 5, 26 eine Anspielung auf Götzenthum liegen sollte, was noch nicht ausgemacht ist, würde sie noch mehr [393] beweisen, daß die Verehrung des Baal damals noch nicht in Samaria eingeführt war. Folglich muß der Baal-Cultus hier erst später überhand genommen haben, und zwar unter Jerobeam II., als er Damaskus und Chamath erobert und annectirt hatte (Könige II 14, 2814). Denn wäre die Thatsache des Bestandes dieses Cultus, gegen den Jehu so sehr geeifert hatte, nicht durch Hosea bezeugt, so ließe es sich nicht denken, daß einer von Jehu's Nachkommen ihn wieder eingeführt haben sollte. Könige II, 14, 6b ןורמשב הדמע הרשאה םגו spricht nicht dagegen, da es ohne Zweifel ein verstümmelter Halbvers ist. Man muß also die Restauration des Baal-Cultus unter Jerobeam II. so spät als möglich setzen und eben gegen diese aufgefrischte Verirrung sprach Hosea, daß das Haus Jehu seinem Ursprung untreu geworden, und daß das Blut in Jesreel umsonst vergossen sei (1, 4). Die chronologische Reihenfolge der ersten litterarischen Propheten ist demnach: Amos, Joël und Hosea. Daß der Letztere an die Spitze gestellt wurde, stammt aus dem Mißverständniß des ersten V.: עשוהב 'ה רבד תלחת. Diesem unter Jerobeam II. prophezeienden Hosea gehören übrigens lediglich die ersten drei Kapitel an, die übrigen dagegen können nur von einem viel später lebenden Propheten stammen, wovon weiter unten.

Aus diesen drei ältesten Propheten läßt sich nun viel historisches Material gewinnen. Um indessen den richtigen chronologischen Maaßstab dafür zu haben, muß festgestellt werden, ob Amos im Anfang oder, wie Einige behaupten, am Ende der Usianischen Regierung gesprochen, oder wann das Erdbeben, das erschütternde Factum dieser Zeit, anzusetzen ist. Maßgebend dafür ist die deutliche Voraussetzung bei Amos, daß Juda zu seiner Zeit noch winzig und schwach war. Er nennt noch zum Schluß seiner Reden Juda »die eingefallene Hütte David's« (9, 11): תלפנד דוד תכס תא םיקא אוהה םויב. Der Gedankengang ist, daß während Gott das Haus Israel – in Folge der Schuld Jerobeam's II. – zerstreuen werde, er die Hütte David's aufrichten werde. Das ist auch der Sinn von V. 9, 8: אל יכ ספא... התא יתדמשדו האטחה הכלממב 'ה יניע בקעי תיב תא דימשא דימשה. Unter »dem sündhaften Reiche« meint Amos das Zehnstämmereich, und unter dem »Hause Jakob's« versteht er Juda. Diese Hütte Davids hatte damals Risse und Trümmer: תא יתרדגו םלוע ימיכ היתינבו םיקא ויתכרדו ןהיצרפ. Auch sonst bezeichnet er Juda als klein und winzig. Als Gott ihn schauen läßt, zuerst, daß Samaria durch Heuschrecken und dann wieder, daß es durch Feuer verheert werden soll, ruft Amos fürbittend aus: יכ בקעי םוקי ימ אוה ןטק (7, 2. 5). Dieser V. ist in Folge des ungewöhnlichen Gebrauches des Frage-Pron. ימ mißverstanden worden. LXX und Peschito geben aber die richtige L.-A. und das rechte Verständniß dafür an: τίς ἀναστἠσει τὸν Ἰακώβ; ביקעיל יהוימיקנ ונמ, d.h. םיקי ימ אוה ןטק יכ בקעי. Wenn Heuschrecken oder Feuer Samaria verheeren sollen, so kann diese Calamität sich nicht auf dieses Land beschränken, sondern muß auch Jakob oder Juda in Mitleidenschaft ziehen. »Wer wird Jakob aufrichten, da es doch so klein und schwach ist.« Das ist der einzig richtige Sinn dieser Verse. Folglich war Juda zur Zeit, als Amos sprach, d.h. unter Usia, noch winzig und schwach; es [394] war eine eingefallene Hütte und hatte Risse und Trümmer. Da nun Usia sein Land groß gemacht hat, wie nicht bloß aus der Chronik, sondern auch aus dem Buche der Könige und Jesaia hervorgeht, so kann Amos unmöglich zu Ende oder während der Blüthe der Usianischen Regierung, sondern muß im Anfang derselben gesprochen haben, und das Erdbeben muß in dieselbe Zeit versetzt werden.

In wie fern ist im Anfang der Regierung dieses Königs in Juda eine Schwäche eingetreten, und von wo aus ist sie herbeigeführt worden? Amos selbst giebt sie an: durch Edom (1, 11). Esau hat seinen Bruder (Jakob, Juda) mit dem Schwerte verfolgt, seine Bruderliebe unterdrückt und seinen Groll lange bewahrt. Die Idumäer haben also Juda Risse und Trümmer beigebracht und zwar aus Revanche, weil Amazia, Usia's Vorgänger, sie bekriegt und unterjocht hatte (s.B. I, S. 66). Amos prophezeite zugleich über Gaza und die philistäische Pentapolis und auch über Tyrus Unheil, weil sie Verbannte und Flüchtlinge, d.h. Judäer, an Edom ausgeliefert haben (1, 6. 9). Er verhieß auch für die Zukunft, daß Juda das Land Edom dann in Besitz nehmen werde (9, 12), wenn »die eingefallene Hütte« David's aufgerichtet sein werde. – Von den Leiden Juda's durch Fremde spricht auch Joël (4, 17): התיהו ריע הב ורבעי אל םירזו שדק םלשורי, und auch daß diese Leiden von Edom herrührten (4, 19): רבדמל םודאו םצראב איקנ םד וכפש רשא הדוהי ינב סמחמ היהת הממש. Andere Verse sprechen auch von judäischen Gefangenen, welche durch fremde Völker in die Ferne zerstreut wurden (4, 1), und auch von der Feindseligkeit, welche Tyrus, Sidon und die philistäischen Städte Juda zugefügt haben (V. 4 fg.). Kurz, Joël und Amos setzen eine Schwächung und Demüthigung Juda's, besonders durch die Idumäer, voraus und zwar in der ersten Zeit des Königs Usia. Denn nur während der Minderjährigkeit dieses Königs kann diese elende Lage Juda's bestanden haben. Denn nicht lange nach seinem Regierungsantritt hat er die idumäische Hafenstadt Ailat wieder an Juda gebracht (K. II. 14, 22). was eben voraussetzt, daß er die Idumäer besiegt hat; vgl. B. I. S. 471, wo nachgewiesen ist, daß der elende Zustand während des Interregnums zwischen Amazja's Tod und Usia's Thronbesteigung eingetreten sein muß. Joël und Amos liefern also als Augenzeugen Nachrichten über die damalige Lage.

Die glückliche Wendung, welche durch Usia herbeigeführt wurde, läßt sich aus einer anderen Betrachtung erschließen. Usia hat Ailat wieder erobert und befestigt. Wozu? Doch wohl nur zum Zwecke der Schifffahrt auf dem rothen Meere. Dazu gehörten aber Schiffe. Nun bezeugt Jesaia, daß zu seiner Zeit in Juda Tarschisch-Schiffe, d.h. große Segelschiffe vorhanden waren (2, 16): שישרת תוינא לכ לעו. Diese Schiffe kann weder Jotham noch Achas erbaut haben, folglich hat Usia im alanitischen Meerbusen wieder Schiffe ausgerüstet. Dadurch kam wieder viel Gold und Silber ins Land (Jesaia das. 7): ףסכ וצרא אלמתו ויתוראל הצק ןיאו בהזו. Damit ist eine Nachricht der Chronik bestätigt, daß Usia gar außerordentlich reich geworden ist (II. 26, 15b) יכ קיהרמל דע ומש אציו קזח יכ דע רזעהל אילפה. Statt des unverständlichen רזעהל hat die Peschito eine andere L.-A. דכו רתעמל אוה יגסאד אסכנב אוה רתע, d.h. רישעהל אילפה יכ. Auch die Relation das. V. 9. 13 von den Thürmen und Zinnen (תונפ), die Usia in Jerusalem erbauen ließ, ist durch Jesaia (das. 15) belegt: הרוצב המוח לכ לעו הבג לדגמ לכ לע. Folglich kann auch die Nachricht Chr. das. V. 6-8 historisch sein, daß Usia die philistäischen Städte eingenommen, die Araber und Maonäer zinsbar gemacht, und daß sein Ruf bis Aegypten erschollen sei. Wenn Usia reich und mächtig geworden [395] war, warum sollte er nicht an den Nachbarvölkern, welche sein Volk früher so sehr mißhandelt hatten, Rache genommen haben? Gerade die Erwähnung des sonst wenig genannten Volkes der םינועמ in der Chronik beweist die Geschichtlichkeit dieser Nachricht. LXX übersetzen םינועמ und auch das folgende והיזעל החנמ םינומעה ונתיו durch Μιναῖοι. Nach Strabo wohnte die Minäer am rothen Meere. Da Usia die Hafenstadt Ailat erobert hatte, so muß er mit den Minäern in Berührung gekommen sein. Daß diese Nachricht nicht in Könige erwähnt wird, beweist nichts dagegen. So manche echt historische Nachricht in der Chronik fehlt in jenem Buche und ist entweder vom Sammler übergangen worden oder ausgefallen.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1902, Band 2.1, S. 392-396.
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