5. Wolff Breidenbach und die Aufhebung des Leibzolles.

[590] Fragt man, wer hat den drückendsten Leibzoll, nämlich in den deutschen Sedezstaaten, abgeschafft, so erhält man gewöhnlich zur Antwort: Israel Jacobson. Aber das ist kaum cum grano salis richtig. Wolff Breidenbach war es. Weiß man etwas von ihm? Jost hat in seiner Geschichte nicht einmal seinen Namen genannt. In Ersch und Grubers Enzyklopädie II, 27, Artikel Juden (Geschichte), S. 92 wird er mit Jacobson auf gleiche Stufe gestellt. Und doch sagt die Quelle, aus der die Notizen geschöpft sind, nämlich Scheppler über die Aufhebung des Leibzolls, gleich im Eingange (S. 3): »Die Ehre des ersten Versuches, die Juden im allgemeinen von einer die Menschheit entehrenden ... Abgabe ... Judenleib- oder personenzoll ... zu befreien, gebührt dem H. Jacobson. ... Indessen waren die Bemühungen desselben mehr auf seine Glaubensgenossen seines besonderen Vaterlandes ... Braunschweig-Wolfenbüttel, beschränkt. Tätiger verfolgte die Fußtapfen dieses Mannes der kurhessische Hoffaktor und Fürstlich Isenburgische Hof- und Kammeragent Herr Breidenbach. Dieser fing aus eigenem Antriebe im Jahre 1803 an für das ganze Aggregat seiner Glaubensgenossen in Teutschland um die unbedingte [590] Aufhebung des Judenleibzolls an alle teutsche Höfe, wo diese Abgabe noch existiert, mit bittlichen Vorstellungen sich zu wenden, und soll wirklich in Teutschland als ihr Anwald und Stellvertreter bevollmächtigt sein. Dieser wackere Mann hat mich. ... mit dem Geiste und Fortgang seiner eifrigen Negoziationen bekannt gemacht, [und] mir die verschiedenen Resultate derselben mitgetheilt.« So weit Scheppler.

Weil sich Jacobson stets in den Vordergrund drängte, Breidenbach sich aber hinter der Szene hielt, ist jenem das Verdienst beigelegt worden, das diesem gebührt. Breidenbach verdient demnach eine »Rettung« und seinen gebührenden Ruhm in den Augen der Nachwelt, der um so glänzender erscheint, als er nicht die Beimischung von Eitelkeit hat. Das Wenige, was über ihn bekannt ist, soll hier zusammengestellt werden; hoffentlich werden sich Nachfolger angeregt fühlen, es zu vermehren.

Vorher soll indessen der geringe Anteil, welchen Jacobson an der Aufhebung des Leibzolls hatte, hier urkundlich angegeben werden. In der Urkunde von Braunschweig, betreffend die Aufhebung des Leibzolls (bei Scheppler a.a.O., Urkunde Nr. IX) vom 23. April 1803, ist Jacobsons Name, als Anregers gar nicht erwähnt, auch nicht in der von Baden, d.d. 20. Januar 1804 (das. Nr. XVII). Nur Scheppler bemerkt (das. S. 84), daß es in Baden »vorzüglich auf die Verwendung des Herrn Israel Jacobson« geschehen sei. Dagegen nennen viele Urkunden Breidenbach als den, durch dessen Vorstellung der Leibzoll abgeschafft wurde.

Durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Formstecher in Offenbach, den ich um Auskunft bat, bin ich imstande, Breidenbachs Biographie zu geben, die nicht uninteressant ist. Ich gebe sie hier wörtlich, wie derselbe sie mir mitgeteilt hat: »Wolff Breidenbach starb hier (in Offenbach) in der Nacht zum 28. Februar 1829: ט"פקת רדא ה"כ ק"ש ליל und wurde nach der Aussage seiner Kinder 78 Jahr alt, demnach 1751 geboren, in dem Dorfe Breidenbach bei Hessen-Cassel. Als junger Mann kam er arm nach Frankfurt a.M., wo er als geistvoller רוחב durch Gaben und Freitische sich den rabbinischen Studien widmete. Doch bildete er sich heimlich auch in profanen Wissenschaften aus und kaufte sich zuweilen für seine ersparten Kreuzer ein deutsches Buch. Als Meister im Schachspiele kaufte er sich einst bei seinem Buchhändler Philidors »Unterricht im Schachspiele« in Gegenwart eines gerade im Buchladen anwesenden sehr reichen Barons (oder Grafen?), welcher sich nach seiner Entfernung nach ihm bei dem Buchhändler erkundigte und von letzterem erfuhr, daß er als der beste Schachspieler in Frankfurt gerühmt werde. Breidenbach wurde zum Baron geladen und wußte durch sein geschicktes Spiel und sein geistreiches Benehmen nach und nach dessen Gunst so sehr zu gewinnen, daß er sich bei demselben vom Spielgenossen zum vertrauten Freunde emporschwang. Mit der edelsten Treue und Gewissenhaftigkeit besorgte er dessen Geldgeschäfte und erhielt zuletzt von demselben als Darlehen eine bedeutende Summe, um selbständig seine Laufbahn als Geschäftsmann zu betreten. Außer seinem Wechselgeschäft betrieb er besonders einen bedeutenden Handel mit Juwelen und Schmuckgegenständen, wodurch er sich den Zutritt zu den Höfen kleiner Fürsten bahnte. Durch Empfehlungen und durch seine strenge Rechtlichkeit wurden ihm auch die Pforten größerer Höfe geöffnet und ihm verschiedene Ehrentitel gespendet, insbesondere von dem Landgrafen zu Cassel, vom Fürsten zu Isenburg-Birstein und von dem späteren Großherzog [591] Ludwig I. zu Darmstadt, dessen Bruder, Prinz Emil, Breidenbachs Hausfreund war. Durch diese Konnexionen wurde es ihm möglich, seinen Einfluß zugunsten der Juden bei Abschaffung des Leibzolls geltend zu machen. Für die israelitische Gemeinde in Offenbach hat er nichts geleistet, außer daß er 1821 auf seine Kosten das Innere der Synagoge erneuern und ausschmücken ließ. Er hatte aus reichen Familien drei Frauen geheiratet, welche er überlebte. Nach seinem Tode erbten sein großes Vermögen seine drei Kinder, seine Tochter Sara verheiratet mit Abrh. Gans aus Cassel, und seine beiden Söhne Moritz und Isaak (jetzt Julius). Beide ließen sich nach dem Tode des Vaters taufen. Ersterer starb zu Darmstadt als Großh. Ministerialrat, letzterer lebte noch 1870 (61 Jahr alt) als Großh. Gesandter zu Stuttgart.«

Auf der Grabschrift lautet sein Titel: דבכנה שיאה ךאבנעדיירב ףלאוו ר"הכ דבכנהו םסרופמה ןלדתשהו חבושמהו .ל"ז

Als Ergänzung zum Biographischen sei noch angeführt, was sein Freund Wolf Heidenheim 1806 über ihn schrieb (Vorwort zu seiner Machsor-Edition, Teil Schabuot). Er bemerkt, daß er besonders dabei von Breidenbach unterstützt wurde. זועב םכח רבג לליהמה שיאה אוה ו"רנ ךאבנדיירב ףלאוו ר"רה םסרופמה... ץמאתה רשא שיאה אוה ,לארשי תיבל בוט בר השעו לעפ רשא לכב ונידעצ ודצ רשא םיסכמה תפרח לוע ונילעמ ריסהל זוע לכב םימעה יניעב ונח תא ןתנ 'הו ,םינש תואמ המכ הז וניתוחרוא אוה ותבידנ תרמשמ לע ונדועו .ץפח רשא לככ ול ושעיו םירשהו ןה... עוגרמ םהל ןיכהל לארשי תיב ומע לע בוט רבדל דמוע תקתעהב םימעטמ אוה םג השע... ינתכמת ודי רשא רקיה שיאה לש ‘ז םויל קוליסבו «ךננחל יתיתא» טויפב ןוגכ םיטויפ הזיא םינותנ יכ םהילע יתבתכש םוקמ לכבו .ירדנ לכל תוחילסבו חספ .םתיא וננוכ וידיו ,םה ול ,יבדאממ דחאמ ול המה

Im Teil II für Neujahr, bei Übersetzung der Partie ךננחל יתיתא, bemerkt Heidenheim: »Diese Übersetzung erhielt ich von einem verehrungswürdigen Freunde, seine Bescheidenheit erlaubt mir nicht, seinen Namen zu nennen.«

Durch diese Bescheidenheit wußte die jüdische Nachwelt nicht, daß sie Breidenbach die Befreiung vom Leibzoll in West- und Süddeutschland zu verdanken hat. Gleichzeitig mit Jacobson in Braunschweig erlangte Breidenbach die Aufhebung desselben in Isenburg 25. April 1803 (Scheppler, S. 81). Auch bei dem Reichskanzler Karl von Dalberg, dem infolge des Lüneburger Friedens Regensburg, Aschaffenburg und Wetzlar zugefallen war, setzte er die Befreiung für Regensburg durch. Dieser judenfreundliche, allerdings schwache halbgeistliche Regent (s.o. S. 295), unterstützte Breidenbach aufs kräftigste. In einer Urkunde stellte er ihm das Zeugnis aus, »daß seine menschenfreundlichen, persönlichen Verwendungen ihm zum Ruhm und Ehre gereichen« (das. Urkunde XVI, S. 167). Mit seinem Beistande dachte Breidenbach auf dem Reichstage zu Regensburg die Befreiung für ganz Deutschland mit einem Schlage durchzusetzen. Zu diesem Zwecke hielt er sich mehrere Wochen in Regensburg auf (das. S. 82, 83). Doch so leicht war in Deutschland keine Entjochung zu erlangen. Breidenbach sah ein, daß Geld dazu nötig sein werde, teils um durch Spenden an die Armen die städtische Bevölkerung und die Geistlichkeit dafür zu gewinnen, teils um die abratenden Räte zu beschwichtigen und endlich um die kleinen Fürsten selbst, welche sich an den Leibzoll, als an einen Teil ihrer Souveränität, festklammerten, durch brillantes Spielzeug geneigt zu machen. Zu diesem Zwecke erließ Breidenbach [592] einen Aufruf an die Gesamtjudenheit, einen Fonds dafür zusammenzuschießen. Dieser Aufruf, gedruckt zwischen 3. und 9. Tischri = 19.–25. September 1803, in der Heidenheimischen Druckerei, ging ohne Zweifel von Breidenbach aus, obwohl sein Name gar nicht darin genannt, auch nicht einmal darauf angespielt wird, daß bereits durch seine Tätigkeit der Leibzoll teilweise aufgehoben wurde. Der Hauptinhalt des mit hebräischen Lettern gedruckten Aufrufs sei hier wiedergegeben.


»לארשי ינב וניחאל ארוק לוק«

»Bei all den widrigen Schicksalen, welche über unsere unglückliche Nation seit so vielen Jahrhunderten verhängt waren, und bei allem Druck, den wir bisher erlitten – und, leider noch leiden – war dies das Einzige, was unsere Existenz erhalten, daß nämlich zu allen Zeiten und bei allen Epochen würdige Männer aus unserer Mitte aufgestanden, die zur Rettung und Erleichterung unseres Druckes gewußt haben, den Gemeingeist der gesammten Nation zur thätigsten Theilnahme und Mitwirkung aufzumuntern und zu beleben ... Ein Gegenstand dieser Art ist der lästige, als traurige, uns bis zum Vieh herabwürdigende sogenannte Judenleibzoll; er verachtet und schmäht den Würdigen und Vornehmen, plagt den Reichen, drückt den Armen, quält und peinigt den Dürftigen« ... ...

... »Ein Herzog von Braunschweig, die sämmtlichen Fürsten von Hohenlohe, das fürstliche und gräfliche gesammte Haus Isenburg sind es, welche diese entehrende Abgabe bereits auf immer abgeschafft, und der große Kurfürst und Erzkanzler von Mainz, welcher nicht minder für die gänzliche Abschaffung dieser Belastung ist, und auch wirklich diese Abgabe in der Stadt Regensburg aufgehoben hat. ...«

»Es erfordert nicht nur Reisekosten, Spesen, fähige Arbeiter und dergleichen. Es erfordert zuverlässig, daß wir hier und da ein Opfer aus dankbarem Gefühl für Arme und Armenkassen offeriren, erfordert billig für jene edelmüthigen Fürsten auch schöne Denkmäler zum ewigen Andenken ihres Edelmuthes zu stiften, es erfordert also eine Kasse.

Einer eurer Brüder, aufgefordert von einem großen und ansehnlichen Theil unserer Nation, ist es, der um Beiträge zu dieser schönen und löblichen Stiftung, zur Bestreitung obiger Kosten und Opfer – euch allsammt, als Menschen, als Kaufleute und als Familienväter auffordert.«

Wie Scheppler mitteilt, wurde Breidenbach, »nachdem er vorher in einem bündigen Aufruf seine Glaubensgenossen von seinem Entschlusse benachrichtiget, von sämmtlichen oder doch vielen Judengemeinden in Deutschland nun als Anwalt, als Syndikus ihres ganzen Aggregats ernannt und bestellt« (das. S. 80, 81). In der Urkunde von der Dalbergschen Regierung wird Breidenbach als »Vertreter seiner Nation« bezeichnet. Seit der Zeit mehrten sich die Fälle von Aufhebung des Leibzolls. Der Fürst von Homburg, d.d. 1. Nov. 1803, bemerkt ausdrücklich, daß er ihn erläßt infolge der Supplik des »Kurfürstl. Hessischen Hoffaktors und Fürstlich Isenburgischen Hof- und Kammeragenten Breidenbach« (bei Scheppler, Urkunde XIV). Am 19. Januar 1804 erließ Dalberg den Leibzoll für Aschaffenburg, mit besonderer Anerkennung von Breidenbachs Bemühung (a.a.O.). Nach Scheppler (das. 83) hob derselbe ihn im ganzen Kurstaate auf. Die Aufhebung in der Herrschaft Schömberg geschah ebenfalls auf Breidenbachs Verwendung [593] (Urkunde XIX). Selbst das egoistische Patrizierregiment von Frankfurt hob auf seine Bittschrift den Leibzoll auf, 24. August 1804 (XX), und Darmstadt (19. Januar 1805) zeigt es »dem hierorts anwesenden Hoffaktor Breidenbach« an (XXII); dort betrug die jährliche Einnahme davon 25-28000 Gulden. Als Scheppler seine Abhandlung schloß (März 1805) stand die Aufhebung bevor an den fürstlichen Höfen von Nassau-Usingen, Nassau-Weilburg. [Über die endgültige Aufhebung des Leibzolls in diesen Landschaften teilt M. Silberstein einiges mit in Geigers Zeitschr. f.d. Gesch. der Juden in Deutschland V, 138 ff.], Löwenstein, Wertheim, Leiningen und von den gräflichen Häusern Erbach. – Der Name Breidenbach, welcher »mit Aufopferung von Zeit, Ruhe und Kosten sich ein unsterbliches Verdienst um [die Juden] erwirbt« (Scheppler S. 114) und noch mehr, ohne Eitelkeit für ihre Befreiung eintrat, sollte nicht mehr der Vergessenheit verfallen.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1900], Band 11, S. 590-594.
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