Tiglatpileser III. und die Begründung der Großmacht

[3] Der Usurpator, der durch den Aufstand in Kalach im April 745 auf den Thron Assyriens gelangte, scheint ursprünglich den Namen Pûl geführt zu haben, mit dem er in der Liste der babylonischen Könige verzeichnet ist1. Daß er ein Usurpator war, wird dadurch bestätigt, daß er anders als alle anderen Assyrerkönige niemals seinen Vater nennt; wenn er einmal auf einem Bauziegel aus Assur Sohn des Königs Adadnirari (III.) heißt2, so mag das ein alsbald wieder aufgegebener Versuch sein, sich zu legitimieren, mit derselben Fiktion, durch die z.B. Septimius Severus sich zum Bruder des Pertinax und dann gar zum Bruder des Commodus und Sohn des Marcus Aurelius gemacht hat. Die Absichten, denen er durch Annahme des Namens Tiglatpileser Ausdruck gab, hat er sofort nach seiner Thronbesteigung zu verwirklichen begonnen. Es galt, das Reich nicht nur aus der ohnmächtigen Schwäche, in die es unter den letzten Königen hinabgesunken war, wieder herauszureißen, sondern es auf weit breiterer Grundlage einheitlich geschlossen zu organisieren und ihm so die Herrschaft über die vorderasiatische Welt dauernd zu sichern. Die bisherige Methode, die besiegten Kleinkönige, nachdem ihnen ihre Schätze abgenommen [3] waren, unter Auferlegung eines schweren Tributs durch Eidschwüre zum Gehorsam zu verpflichten, hatte sich nicht bewährt, sondern immer wieder zu Empörungen und neuen Kämpfen geführt, sei es unter Führung der Dynasten selbst, sei es durch Aufstände der Bevölkerung, die sich im Vertrauen auf ihren Gott gegen die servilen Fürsten erhob und ihren Führer auf den Thron setzte. Diesem Zustand hat die neue Politik, die Tiglatpileser befolgt hat, grundsätzlich ein Ende gemacht: wo immer sich die Möglichkeit bietet, werden die Kleinstaaten beseitigt und in Provinzen umgewandelt. In den Nachbargebieten, in den Gebirgsländern im Osten und Norden und in Mesopotamien, sind bereits die älteren Assyrerkönige nicht selten in derselben Weise vorgegangen und haben kleinere Bezirke zum Gebiet Assurs geschlagen, die niedergebrannten Städte als Königsstädte wieder aufgebaut und befestigt und in ihnen Paläste errichtet; jetzt aber wird dieses System auf ganz Babylonien und Syrien mit Palästina sowie das östliche Kleinasien ausgedehnt. Damit verbunden scheint eine Umwandlung der Verwaltungsorganisation auch in dem alten Besitz, eine Zerlegung der größeren Statthalterschaften in kleinere Bezirke (pachât)3. Daß es dabei ohne die bei den Assyrern herkömmliche Brutalität nicht abging, ist selbstverständlich; wer sich dem König, dem Assur die Weltherrschaft übertragen hat, nicht gutwillig unterwirft, ist eben ein eidbrüchiger Rebell gegen die Götter, der die schwerste Strafe verdient4. So haben auch Tiglatpileser und seine Nachfolger die besiegten Dynasten und ihre Anhänger oft genug gepfählt oder sonst mißhandelt und den Gefangenen die Hände abhacken lassen, aber statt des maßlosen Schwelgens in Grausamkeit wie bei Assurnaṣirpal und Salmanassar [4] tritt doch die politische Berechnung viel deutlicher hervor5. Der Schrecken sollte wirken und den Bestand des Reichs sichern; aber um es leistungsfähig zu erhalten und auszubauen wurde ein anderes, viel nachhaltigeres Mittel ergriffen: die Verpflanzung ganzer Bevölkerungen oder wenigstens der höheren Schichten in weit entfernte Gebiete und ihre Ersetzung durch dort angesiedelte Scharen aus anderen Stämmen – denn die Bevölkerung Assyriens reichte zu so umfassenden Kolonisationen nicht aus. Durch diese Methode, durch die Losreißung vom Heimatboden und seinen Traditionen ist die Widerstandskraft der einzelnen Volkstümer dauernd gebrochen worden; durch die Mischung der verschiedenen Volkselemente entsteht eine Bevölkerung, die dem politischen Leben völlig entfremdet ist und es nicht anders weiß, als daß sie von Fremden nach deren Interessen beherrscht wird. Darin besteht die welthistorische Bedeutung des von Tiglatpile ser III. geschaffenen Weltreichs; seine Nachwirkung hat die Gestaltung der vorderasiatischen Welt für alle Folgezeit bestimmt.

Das Werkzeug zur Durchführung dieser Politik bot das assyrische Heer. Tiglatpileser hat die von seinen Vorgängern geschaffene Organisation weiter ausgebaut. Ein mobiles, wohlgeschultes Kriegsheer steht ihm jederzeit zur Verfügung, ausgerüstet mit allen in den früheren Kriegen gewonnenen Kriegsmitteln, unter denen die Sturmböcke für die Brechung der Festungsmauern wie bei Assurnaṣirpal und Salmanassar so auch jetzt in den Reliefs besonders hervortreten. Diese Armee hat sich ein Jahrhundert lang jedem Feinde überlegen erwiesen. Den Kern bildet die Garde des Königs (Kiṣir sarruti); dazu kommt das Aufgebot des Volkes, dessen Bestand in der Folgezeit durch die Aushebungen aus den Untertanen sowie durch ständige Einstellung von Besiegten und Gefangenen [5] immer mehr angewachsen ist6. Nach Ergreifung und Sicherung der Herrschaft7 hat Tiglatpileser noch im Spätsommer 745 das alte Ziel seines Vorbildes, die Einverleibung Babyloniens in das Reich, in Angriff genommen. König von Babel war seit 747 Nabunâṣir (Nabonassar). Er ist dadurch dauernd bekannt geworden, daß mit ihm die Königsliste beginnt, nach der die chaldäischen Astronomen Himmelsvorgänge datierten und die dann von den alexandrinischen Astronomen, mit Umrechnung der Daten auf den [6] Kalender des ägyptischen Sonnenjahres von 365 Tagen, übernommen worden ist. In Wirklichkeit war er ein geschichtlich völlig bedeutungsloser Herrscher, der drittletzte der mit Nabumukinbal im Jahre 992 v. Chr. beginnenden Reihe von 22 Königen, die in der Königsliste zu einer Dynastie, der achten von Babel, zusammengefaßt sind (vgl. Bd., II 2, S. 388)8. Offiziell war das Königtum von Babel immer noch von dem Nimbus umstrahlt, den ihm sein Gott Marduk dadurch verlieh, daß sein Herrscher am Neujahrstage, dem 1. Nisan, die Hände der Gottesstatue im Tempel Esagila ergriff; aber politisch war es längst ohnmächtig geworden, seine Macht erstreckte sich kaum über die nächste Umgebung der Stadt hinaus. Der Hauptteil des Tieflandes war in den Händen der Chaldäer am unteren Euphrat und der zahlreichen übrigen aramäischen Stämme. Gegen diese Stämme – die Listen seiner Inschriften zählen nicht weniger als 35 mit Namen auf, wobei wohl manche erst auf Grund der späteren Feldzüge eingefügt sind – ist Tiglatpileser mit voller Energie vorgegangen: »Das ganze Aramäerland im Bereich des Tigris und des Surapu9 bis zum Uknu (Kerchâ)« wurde verheert und dann dem Reich einverleibt, große Scharen der Bewohner fortgeführt und in den älteren Provinzen angesiedelt, so in Mazamua in den östlichen Gebirgen, wo der König eine Stadt anlegte, die er nach sich Dûr-Tugultipalesar benannte, mit einem Palast und einer Stele mit seinem Bilde. Eine gleiche Stadt, Kâr-Assur, erbaute und besiedelte er in dem neu einverleibten Gebiet als Sitz der Verwaltung. Auch die Städte Dûr-Kurigalzu und Sippara, die schon unter Tugultininurta II. untertänig gewesen waren (vgl. Bd. II 2, 399), hat er wieder zu Assyrien geschlagen und hier auch einen verfallenen [7] Kanal wiederhergestellt. Ins Chaldäergebiet am Euphrat ist er nicht gezogen – dazu war die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, viel zu kurz10; erzählt wird nur, daß einer ihrer Stämme (Ra'sâni) ihm eine Huldigungsgesandtschaft schickte. Auch Babel hat er nicht betreten, und den Nabonassar erwähnt er nicht, wohl aber, daß die Priesterschaften der großen Tempel von Babel, Borsippa und Kuta die Begrüßung ihres Gottes überbrachten und er sie reich beschenkt zurücksandte und für den Wiederaufbau dieser Städte sorgte. Mehr als eine Demonstration, durch die er auch ihnen seinen Schutz und seine Fürsorge zusicherte, wird das nicht gewesen sein; die Zeit, wo er selbst nach der Krone Marduks greifen konnte, war noch nicht gekommen. So hat er das Reich von Babel unter Nabonassar weiterbestehen lassen; freilich war es so ohnmächtig, daß, wie die Chronik berichtet, als Borsippa sich gegen ihn empörte, Nabonassar keinen Versuch machen konnte, es wieder zu unterwerfen. In allen diesen Maßnahmen erkennt man den überlegenen Staatsmann, der die Aufgabe, das Reich aufzubauen und durch die Förderung seßhafter Kultur und städtischen Lebens seine Leistungen zu steigern, klar erfaßt und energisch durchgeführt hat. Auch in den älteren Gebieten hat er für den Wiederaufbau der verfallenen Wohnstätten gesorgt.

Nachdem so die Verhältnisse Babyloniens rasch und ohne größere Kämpfe geordnet waren, hat Tiglatpileser die weit schwierigeren in den übrigen Gebieten gestellten Aufgaben der Reihe nach in Angriff genommen. Im J. 744 wurde in den östlichen Gebirgen das Land Parsua im Quellgebiet des Diâla unterworfen, seine Stadt Nikur erobert, als assyrische Provinzstadt wieder aufgebaut und mit hierherverpflanzten Untertanen besiedelt, zahlreiche weitere Dynasten der südöstlich anschließenden Kantone besiegt und gepfählt, ihre Orte ausgeplündert und niedergebrannt, die Bewohner fortgeschleppt und hier eine weitere Provinz [8] Bit-Chamban (Kambedene) geschaffen11. Der Statthalter einer dieser Provinzen hat dann den Krieg gegen die Meder wieder aufgenommen, und im Jahre 737 ist Tiglatpileser selbst nochmals in die östlichen Gebirge gezogen, hat die einzelnen Bezirke in herkömmlicher Weise verheert, mehrere Städte neu aufgebaut und rühmt, die Abgaben aller medischen Häuptlinge »bis zum Berge Bikni (dem Elburs)« empfangen und aus diesen Gebieten im ganzen 65000 Einwohner mit ihrem Vieh fortgeführt zu haben.

Zunächst aber wandte er sich im J. 743 gegen den gefährlichsten Gegner Assyriens, das armenische Reich von Urarṭu. Wir haben gesehen, wie sich dessen Macht unter Sardur II. immer kräftiger entwickelt hatte und die bisher von Assyrien abhängigen Fürstentümer am Euphrat und Amanos: Kummuch, Melitene, Gurgum, Mati'el bar Agusi (vgl. Bd. II 2, 424) und andere12, jetzt seine Vasallen geworden waren. Gegen diese Gebiete hat Tiglatpileser seinen Angriff gerichtet. Hier in Kummuch trat ihm Sardur, verstärkt durch die Truppen seiner Vasallen, auf dem Westufer des Euphrat entgegen. Aber er wurde entscheidend geschlagen13; auch sein Lager mit allen Schätzen seines Königszelts wurde die Beute des Siegers. Sardur selbst flüchtete über die Euphratbrücke nach Armenien. Tiglatpileser verfolgte ihn und schloß ihn in seiner Hauptstadt Tuspâ (Wan) ein. Indessen die starke Festung zu bezwingen ist ihm nicht gelungen; er mußte sich begnügen, vor ihr sein Bild als Siegesdenkmal aufzustellen. So hat er auf ein weiteres Vordringen in Armenien verzichtet und sich vielmehr der Wiederunterwerfung Syriens zugewandt14. Hier aber fand er in der Stadt [9] Arpad (nördlich von Aleppo), gegen die bereits Assurdân III. in seinem letzten Jahr 754 gekämpft hatte, hartnäckigen Widerstand; aus der Epo nymenchronik erfahren wir, daß er in den Jahren 743-740 dorthin gezogen ist und daß sie im dritten Jahr, 741, genommen wurde15. Weitere Nachrichten fehlen völlig; die Annalen sind hier verloren, und auch die anderen Inschriften erwähnen Arpad nicht, vermutlich weil davon nicht viel Rühmliches zu erzählen war. Nach der Einnahme der Stadt, die jetzt Sitz eines Statthalters wurde, empfing der König den Tribut mehrerer Dynasten; aber Tutammû von 'Amq (dem früheren Chattin) und der Usurpator Azrijâu von Ja'udi (vgl. Bd. II 2, 433) fügten sich nicht und fanden weithin Sympathien; mit Azrijâu traten zahlreiche Bezirke von Ḥamât und an der Meeresküste in Verbindung. Beide wurden im J. 740 besiegt, der 'Amq zur Provinz gemacht, in Ja'udi (Sam'al) Panammu II., der gerettete Sohn des von Azrijâu erschlagenen Barṣur, als König eingesetzt. In den nächsten Jahren hat er dann die 19 von Ḥamât abgefallenen Bezirke, darunter die ganze Meeresküste von Kullani und Gebala (jetzt Djeble, assyr. Gubl wie Byblos) bis nach 'Arqa und Simyra im Eleutherosgebiet und zum Berge Ba'alṣapôn und im Binnenlande Chazrik [10] als Provinzen organisiert und die Oberhoheit Assyriens wieder über den ganzen Westen ausgedehnt. Im J. 73816 haben ihm nicht nur sämtliche noch bestehenden Dynasten Syriens von Melitene und Kummuch bis nach Ḥamât Tribut gezahlt, sondern ebenso die von Que, die der Kaškäer und Tabaläer (Tibarener) und anderer Bezirke Kleinasiens17, sondern auch Chiram II. von Tyros, Šibittiba'al von Byblos, Reṣôn von Damaskus und Menachem von Samaria, sowie eine Araberfürstin Zabibê – in der älteren Zeit scheinen in der Regel Fürstinnen an der Spitze arabischer Stämme gestanden zu haben, von der Königin von Saba an.

Schon vorher, im J. 739, war Tiglatpileser wieder nach Armenien gezogen und hatte hier die Gebiete am Fuß der Tauruskette (»bis zum Berge Nal«) nördlich vom oberen Tipidas, Provinz Ulluba, organisiert, mit einer neugegründeten Hauptstadt18. Gleichzeitig hatten seine Statthalter im Bereich des Zab und im östlichen Babylonien Krieg geführt, vor allem gegen die aramäischen Stämme. Daran schloß eine ganz umfassende Umsiedlung der Bevölkerung. Aus den aufständischen Bezirken von Ḥamât wurden 30300 Einwohner in die Provinz Tušchan19 am oberen Tigris, 1223 nach Ulluba übergeführt, und nicht besser erging es den Bewohnern des 'Amq und seiner Hauptstadt Kinalia. An ihre Stelle wurden aus den Aramäerstämmen der babylonischen Grenzgebiete und den östlichen Gebirgen etwa gleichstarke Scharen20 ins Chattiland [11] (Syrien), vor allem nach dem 'Amq und nach den Städten der Eleutherosebene versetzt. So wird der Charakter der Bevölkerung von Grund aus umgegossen. Wenn Amos 6, 2 den Israeliten das Schicksal von Kullani21 und vom großen Ḥamât vorhält, das sie ebenso treffen werde, so tritt darin der gewaltige Eindruck, den dieses Vorgehen gemacht hat, deutlich zutage.

In den Jahren 737-735 ist Tiglatpileser noch einmal gegen die Meder (s.o. S. 9) und dann an den Fuß des Gebirges Nal (des Taurus) und gegen Urarṭu gezogen. Er rühmt, daß er das weite Urarṭu 60 Doppelstunden weit durchzogen habe, ohne Widerstand zu finden. Indessen mehr als eine Einschüchterung der Feinde hat er damit schwerlich beabsichtigt, neue Provinzen hat er nicht wieder eingerichtet, und so konnten das Reich von Wan und seine Dynastie sich weiter behaupten. Im J. 734 hat Tiglatpileser sich vielmehr aufs neue nach Syrien gewandt, um hier sein Werk zum Abschluß zu bringen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 3-12.
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