Anfänge der griechischen Einwirkung

[488] Ob die Phöniker als Kauffahrer auch an die italischen Küsten gekommen sind, läßt sich nicht erkennen (vgl. Bd. II 2, 107); die Griechen haben sich im Lande eine neue Heimat gewonnen. Daher ist von ihnen eine ganz erhebliche Einwirkung auf die Geschichte und auf die Kultur der Halbinsel ausgeübt worden. Seit dem 8. Jahrhundert erscheinen griechische Vasen, vorwiegend chalkidischen und korinthischen Fabrikats, in den Gräbern Siziliens, Kampaniens und Etruriens, und bald beginnt das einheimische Handwerk die fremden Erzeugnisse nachzuahmen, ihre Dekoration auf einheimische Arbeiten von Ton und Bronze zu[488] übertragen und auch den ferner wohnenden Stämmen zu übermitteln. Die zum Teil dem Orient entstammenden Typen der altgriechischen Kunst, wie Sphinxe, Greifen, Flügelpferde und ähnliche Mischwesen (z.B. auf einem archaischen altarähnlichen Bronzegefäß aus Präneste), gegeneinander springende wappenförmige Tiere zu beiden Seiten einer Säule (auf einer Grabstele in Bologna in eine Palme, in Capua in ein Ährenbündel verwandelt), die säugende Göttin (Kampanien), verbreiten sich durch ganz Italien. Griechische Formen der Spangen, der Gefäße, der Waffen werden eingeführt. Dem Handelsverkehr mit den Griechen verdanken die italischen Stämme ferner die Schrift. Spätestens etwa zu Anfang des 7. Jahrhunderts haben die Latiner wie die Etrusker sie aus Kyme übernommen; von den Etruskern ist sie dem Charakter ihrer Sprache gemäß weitergebildet und den Umbrern und Oskern übermittelt worden. Auch die Veneter haben die Schrift ziemlich früh erhalten, wahrscheinlich von Tarent aus, während das Alphabet der Messapier aus Lokri entlehnt scheint737.

Nicht minder stark war die griechische Einwirkung auf religiösem Gebiete. Auch hier hat Kyme am tiefsten und nachhaltigsten gewirkt. Der Orakelgott Apollo (latinisiert Aperta, »der Eröffner«, Paulus p. 22) findet durch ganz Italien Anerkennung und Tempel, sein Orakel in Delphi wird von Etruskern und Römern befragt, die Verse seiner Prophetin, der Sibylle von Kyme, werden die Schicksalsbücher von Rom. Noch volkstümlicher [489] ist überall Herakles geworden, ein Hauptgott der Chalkidier, der die Feinde bekämpft, Segen und Gewinn bringt. Bei Oskern, Latinern, Etruskern erscheint er wie ein einheimischer Gott – vermutlich sind Züge eines alten italischen Gottes auf ihn übergegangen –, wie die Griechen führen auch die Italiker keinen Namen häufiger im Munde als den seinen, bei drohendem Unheil, beim Staunen, bei kräftiger Versicherung wird er angerufen. Ähnliche Bedeutung hat das hilfreiche Brüderpaar Castor und Pollux gewonnen. Auch Aphrodite dringt als Frutis nach Rom (Cass. Hemina fr. 7. Paulus p. 90); sie ist speziell die große, die Schiffahrt beschirmende Göttin am Eryx, in Rom mit der Venus, bei den Oskern mit der Herentas identifiziert. Allmählich werden alle griechischen Götter den Italikern bekannt und den einheimischen gleichgesetzt oder angereiht (so Proserpina = Persephone). Am frühesten und vollständigsten vollzieht sich die Rezeption der griechischen Götter bei den Etruskern; hier wird auch die ganze griechische Mythologie übernommen.

Das wesentlichste aber ist der große materielle Aufschwung, den die Verbindung mit der Griechenwelt und der gesteigerte Handel und Verkehr herbeiführten. Der Wohlstand hebt sich nicht nur in den etruskischen und latinischen Städten (so Präneste), sondern auch in den Gebieten, welche mit den Griechen kaum oder gar nicht in direkter Verbindung stehen (z.B. in Bononia). Nach griechischem Vorbild werden Mauern und andere größere Bauten aufgeführt, der Hausrat wird reicher und kostbarer, das Leben üppiger und genußreicher. Griechische Spiele, Wagenrennen und Ringkämpfe, Gesang und Tanz dringen ein. Das Grab wird prächtiger ausgestattet, größere Grabbauten errichtet. Auch bei den Umbrern von Bononia und den Venetern von Ateste, wo die alte Kunstübung (o. S. 470) im wesentlichen bis ins 5., ja vielleicht bis ins 4. Jahrhundert unverändert weiterlebt, als sie südlich vom Apennin längst überwunden war, zeigen die gesteigerte Technik der Vasen, denen die geometrischen Ornamente jetzt mit dem Stempel eingepreßt werden, die reicheren und gefälligeren Formen, die dem Leben entnommenen Darstellungen auf bronzenen Eimern und Bechern, die Errichtung von Grabstelen mit Darstellung [490] des Toten oder anderem figürlichen Schmuck doch die fortschreitende Kultur und den größeren Zusammenhang, in den Italien getreten ist. Die tiefsten Wurzeln aber hat der griechische Einfluß zunächst in Etrurien geschlagen. Der Metallreichtum des Landes, die bereits vorher erklommene Kulturstufe, die durchgeführte Adelsherrschaft, die städtische Organisation gaben die Möglichkeit, sich die fremden Fortschritte anzueignen und sie energisch zu verwerten. Daher übernehmen in der ersten Epoche der Geschichte Italiens die Etrusker politisch und geistig die Führung.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 488-492.
Lizenz:
Kategorien: