Kunst

[341] Große Monumente nach Art der mykenischen Zeit hat das griechische Mittelalter, seiner staatlichen und sozialen Zersplitterung entsprechend, nicht geschaffen. Wohl mögen einzelne Festungsmauern einfacher polygonaler Bauart ihm angehören – hier ist eine genauere Datierung meist unmöglich, nur die Verwendung von Überkragungen an Stelle von Gewölben, wie sie die Tore der Felsenburg Altsmyrna und das auf dem Friedhof vor derselben liegende sogenannte Tantalosgrab zeigen, weisen auf höheres Alter. In der Regel aber begnügt man sich mit Erdwällen und Palisaden – auch die Phäakenstadt scheint nicht anders befestigt (η 44); die meisten Ansiedlungen aber sind offene Orte (o. S. 270f.). Das Schema der mykenischen Paläste liegt auch den homerischen Herrscherhäusern zugrunde. Im allgemeinen sterben jedoch auch in der Kunst die Formen der mykenischen Zeit[342] ab (o. S. 261) In der Dekoration der Gefäße, die auch hier unsere Hauptquelle bilden, wird die reiche Fülle der mykenischen Malerei durch einförmige Muster linearer Natur verdrängt, die nicht wie jene im Metallstil, sondern im Geflecht der Körbe und im Gewebe der Teppiche und Gewänder ihr Vorbild haben. Die Flächen werden schematisch eingeteilt, Mäander- und Zickzacklinien, Rauten, Hakenkreuze, konzentrische Kreise (vgl. Il. A 33) sind seine Hauptmotive. Pflanzenornamente werden nur selten verwendet, wohl aber Wasservögel, Rehe, Pferde, Hunde u.a. Auch Darstellungen aus dem Leben sind auf den Feldern der Gefäße nicht selten: Wagenreihen, Kampfszenen, Leichenzüge, Schiffe. In ihnen zeigt sich die Nachwirkung und Weiterbildung der Darstellungen der mykenischen Zeit, aber in greisenhafter Erstarrung; die Figuren sind dem geometrischen Schema angepaßt, alles ist steif und eckig und ganz konventionell behandelt, der Versuch, sie lebenswahr zu gestalten, fast absichtlich vermieden. Den gleichen Charakter tragen die Tiere, Wagen und menschlichen Figuren aus Ton und Metall, die namentlich als Weihgeschenke angefertigt wurden und zahlreich in den tiefsten Schichten von Olympia, aber auch auf Rhodos, Cypern und sonst gefunden sind. Zu fragen, wo dieser geometrische Stil entstanden ist, ist aussichtslos. Er ist die Kunstform einer Zeit, in der eine alte Kultur sich zersetzt hat und eine neue in der Bildung begriffen ist, durchaus vergleichbar der christlich-byzantinischen Kunst des abgestorbenen Altertums. Er ist mit mannigfachen lokalen Variationen in ganz Griechenland zur Herrschaft gelangt, in Attika und Böotien wie in Olympia; in Tiryns und Mykene tritt er neben den Ausläufern des mykenischen Stils auf. Ebenso findet er sich auf Kreta und Rhodos, in Karien, auf Cypern, in Phönikien und Assyrien; gleichzeitig ist er in Italien aus lokalen Wurzeln zu einer eigenartigen und selbständigen Weiterentwicklung erwachsen (u. S. 469).

Wenn so der geometrische Stil die eigentliche Signatur der Epoche bildet, so setzt sich daneben die ältere Kunstweise, wenn auch vielfach verändert und von ihm beeinflußt, namentlich auf den Inseln und in Kleinasien fort. Hier geht auch der Zusammenhang mit dem Orient, der die mykenische Epoche charakterisiert, [343] niemals verloren, man verharrt in Fühlung sowohl mit der phönikischen wie mit der kleinasiatischen Kunst und durch beide mit Ägypten und dem assyrisch-chetitischen Kunstgebiet. Daher bleiben hier die alten Motive geläufig, Pflanzenornamente, Rosetten, Greifen, wappenartig zu Seiten einer Säule aufspringende Tiere, Löwen teils in Reihen einherschreitend, teils Rinder oder Hirsche verschlingend (vgl. Il. Σ 579), säugende und jagende Tiere (vgl. Od. τ 228). Auch Kampfszenen (vgl. Γ 127. E 744), Prozessionen, Tänze (vgl. Σ 590) werden dargestellt, ähnlich wie auf den geometrischen Gefäßen. In der Plastik finden sich nach wie vor die ägyptisierenden Arbeiten in Glas und Elfenbein, das auch zum Schmuck der Waffen, Sessel, Häuser verwendet wird (vgl. Δ 142. δ 73. ϑ 404. τ 55), und die Darstellungen der sitzenden wie der nackten Göttin der Zeugung, die häufig auch mit einem Kinde an der Brust gebildet wird. Auf Cypern und Rhodos entwickelt sich eine Gefäßdekoration, welche diese Elemente mit den geometrischen verbindet und namentlich pflanzliche Elemente, Knospen, Lotosblüten, Ranken mit Vorliebe verwendet; der Fuß der Vase wird hier wohl mit einem Blütenkelche geschmückt. Neue aus dem Orient übernommene Typen treten hinzu, die dann so gut wie die bereits in der mykenischen Zeit eingeführten im Mythus untergebracht und gedeutet werden, so die Fratze des Gorgokopfes (E 741. Λ 36, vgl. Θ 349. λ 634), die aus dem von den Phönikern adoptierten und viel verwendeten Bes-Typus umgebildet ist520 und an Schild und Panzer und auch sonst zur Abwendung des bösen Blicks häufig angebracht wird, die Chimaira (πρόσϑε λέων, ὄπιϑεν δὲ δράκων, μέσση δὲ χιμαιρα Z 181 [vgl. Il 328. Hesiod theog. 319], wo deutlich hervortritt, daß der Typus übernommen, die Deutung nachträglich dazu geschaffen ist), vielleicht auch die mehrköpfige Schlange (Λ 39), der vielköpfige Hadeshund Kerberos (Hesiod theog. 311 πεντηκοντακέφαλος; einen dreiköpfigen Hund in der Unterwelt kennen auch die Ägypter) u.a. Mit dem Emporkommen der assyrischen Macht im 9. Jahrhundert beginnt auch ein direkter Einfluß der assyrischen Kunst zunächst auf Phönikien und von [344] da auf Griechenland sich geltend zu machen; assyrisierende Königs- und Priestergestalten mit gedrungenen Körpern und langen stilisierten Bärten, zum Teil im Kampf mit Löwen und Ungeheuern, Einhörner u.a. treten in den Kunstwerken von Cypern und Kreta auf. Überwiegend aber ist hier noch der ägyptisierende Einfluß. Wie die phönikische Kunst mit Vorliebe Metallschalen verfertigt und nach Ninive (Bd. II 2, 132) wie im Westen bis nach Italien hin vertreibt, die nach ägyptischen Mustern, freilich nicht ohne vielfache Entstellungen, gearbeitet sind, so finden sich ägyptisierende Darstellungen, Schalen, Becher, Schilde in großer Zahl auf Cypern und Kreta, daneben ägyptische Götterfiguren in Edelmetall, Glas und Ton (namentlich in Kameiros auf Rhodos). Hier wie bei den assyrisierenden Kunstwerken ist oft schwer zu entscheiden, ob wir es mit phönikischen oder mit griechischen Produkten zu tun haben521. Auch ins Mutterland dringt dieser Stil hinüber, teils in Importartikeln, teils in Nachahmungen. Die sogenannten protokorinthischen Vasen, deren Fabrikation bis ins 8. Jahrhundert hinaufragt, sind aus ihm erwachsen522.

Von einem künstlerischen Fortschritt kann auch in diesen Werken nicht die Rede sein; wie es nicht anders zu erwarten war, steht in der Kunst das griechische Mittelalter gegen die mykenische Zeit durchaus zurück. Damit verträgt sich sehr wohl, daß technische Fortschritte allerdings gemacht sind; sie treten sowohl in der Form der Vasen hervor wie in der gesteigerten Vollkommenheit der Bewaffnung, und vor allem in der aufkommenden Verwertung des Eisens, das im praktischen Gebrauch das Erz in den Hintergrund drängt523. Auch die Technik der eingelegten Metallarbeit [345] hat mindestens keine Rückschritte gemacht (Il. Λ 24ff. Σ 548 und sonst). Allmählich macht sich dann ein neuer Aufschwung bemerkbar; die mächtigen Impulse bereiten sich vor, welche seit dem 7. Jahrhundert die griechische Kunst stetig weitergeführt haben. Man wagt sich an größere Kompositionen. So entwirft ein Dichter, der schwerlich nach dem Ende des 8. Jahrhunderts gelebt haben kann, ein Bild der von Hephästos auf dem Schilde des Achill angebrachten Darstellungen, das, wenn auch im einzelnen von der Phantasie ausgeschmückt – handelt es sich doch um ein Götterwerk –, in seinen Grundzügen offenbar reale Vorbilder vor Augen hat524. Friedliche und Kampfszenen sind hier aneinandergereiht: das Treiben in der Stadt, eine Belagerung, ein Tanz, Szenen des Landlebens; wie in den Darstellungen der ägyptischen Gräber schaut der Grundherr, auf seinen Stab gelehnt, den Erntearbeiten zu. Auch darin ist die Darstellung den orientalischen gleichartig, daß z.B. die Belagerungsszene eine Reihe aneinander anschließender Szenen zu einem Bilde vereinigt; das Gemälde ist ein Ersatz der Erzählung, es schildert wie diese eine fortlaufende Handlung. Auch beginnt man bereits damit, Darstellungen aus der Sage zu entnehmen: Helena webt in ein Gewand die Kämpfe der Troer und Achäer (Γ 126). Naturgemäß haben die praktischen Künste, Metallarbeit und Weberei, die Führung, denen die Malerei langsam folgt, während die eigentliche Plastik noch nicht über die ersten Anfänge hinausgekommen ist. Der Fortschritt aber spricht sich auch darin aus, daß man beginnt, bei kostbaren Werken den Namen des Künstlers zu nennen, so Ikmalios, der den Sessel der Penelope (τ 57), Tychios, der den Schild des Aias (H 220) gearbeitet hat. Als Erfinder der Kunst und Vorbild aller Künstler gilt neben dem Gotte Hephästos der Heros Dädalos, d.i. der »Künstler« schlechthin, der Verfertiger der δαίδαλα oder δαιδάλεα [346] ἔργα, den die Sage auf Kreta am Hofe des Königs Minos leben läßt (Σ 592) und auf den man die Wunderwerke der Urzeit meist zurückführt525.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 341-347.
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