Der Fall Ägyptens. Polykrates' Ausgang. Ionien unter Darius

[734] Durch Kambyses' Angriff auf Ägypten im Frühjahr 525 ist das Staatensystem der Pisistratidenzeit unhaltbar geworden. Der Umschwung zeigte sich sofort. Die Hilfe aus der Griechenwelt, auf die Amasis gehofft hatte, erhielt sein Sohn Psammetich III. nirgends. Die Übermacht der Perser war zu offenkundig. Auch Polykrates hielt es für geraten, den Bund mit dem Pharao zu brechen und dem Perserkönig ein Flottenkontingent von 40 Schiffen zu schicken. Die Cyprier fielen von Ägypten ab und leisteten dem Kambyses Zuzug (Herod. III 19, vgl. Xen. Cyrop. VII 4, 2. VIII 6, 8). Daß der Söldnerführer Phanes von Halikarnaß infolge einer Beleidigung von Ägypten abfiel und den Persern die [734] Wege wies, kam noch hinzu. Psammetich III. hat den Pharaonenthron nur bestiegen, um ihn zu verlieren; in wenigen Monaten war Ägypten erobert. Auch die Libyer und die Fürsten von Kyrene und Barka sandten ihre Huldigungsgaben (Herod. III 13. IV 165); der Großkönig konnte Pläne zu weiteren Unternehmungen gegen Äthiopien und Karthago entwerfen (vgl. o. S. 191).

Polykrates hatte für die Flotte, die er dem Kambyses sandte, seine Gegner ausgehoben, um sie dem Untergang zu weihen. Aber die Mannschaft empörte sich, kehrte nach Samos zurück und versuchte durch einen Handstreich den Tyrannen zu stürzen. Das Unternehmen mißlang; Polykrates hatte die Frauen und Kinder der Samier auf den Schiffswerften eingesperrt und drohte sie zu verbrennen, wenn die Bürgerschaft sich rege. So wandten die Flüchtigen sich nach Sparta. Hier hielt man die Gelegenheit für günstig, um die Übermacht von Samos zu brechen und dem Drängen der Korinther und Ägineten zu willfahren. Ein peloponnesischer Kriegszug ging nach Samos (etwa 524 v. Chr.) und schloß die Stadt ein. Aber ein Sturm wurde zurückgeschlagen, und auf kunstgerechte Belagerungen verstanden die Spartaner sich nicht. Auch soll Polykrates ihnen Gold gezahlt, sie dabei übrigens durch starke Legierung mit Blei betrogen haben. Jedenfalls zogen die Spartaner nach vierzig Tagen unverrichteter Dinge wieder ab1050. Die samischen Rebellen zogen darauf auf Abenteuer aus. Sie dachten Zakynthos zu erobern, erpreßten aber zunächst Geld von Siphnos und Hermione – hier trat man ihnen das Felseiland Hydrea ab, das sie später an Trözen verpfändeten –, und setzten sich dann in Kydonia auf der Nordküste Kretas fest. Nach fünf Jahren (um 519) wurden sie hier von den Ägineten angegriffen und vernichtet – ein Beweis, wenn es dessen noch bedarf, daß der peloponnesische Kriegszug nicht aus Tyrannenhaß hervorgegangen ist, sondern aus dem Streben, die samische Seeherrschaft zu brechen. Die Ägineten haben dann Kydonia selbst besiedelt (Strabo VIII 6, 16. Plato legg. IV 707 e). – Den [735] spartanischen Angriff hatte Polykrates abgewehrt; aber kurze Zeit darauf ließ er sich von einem überlegenen Gegner in die Falle locken. Orötes, der ehrgeizige Satrap von Sardes, gedachte die durch Kambyses' lange Abwesenheit in Ägypten entstandenen Unruhen zur Begründung einer selbständigen Macht zu benutzen. Polykrates hatte ihn früher beleidigt und stand seinen ehrgeizigen Plänen im Wege. Ein Angriff war aussichtslos; so gab er sich den Anschein, als wolle er mit Polykrates gemeinsame Sache machen, und lud ihn zu sich nach Magnesia. Polykrates kam; aber Orötes ließ ihn greifen und hinrichten (um 522). Samos zu erobern hat er nicht versucht; doch mit der Machtstellung der Insel war es fortan vorbei1051.

Nachdem Darius in hartem Ringen der Prätendenten und Usurpatoren, welche sich nach Kambyses' Tode und der Ermordung des Magiers überall in den östlichen Provinzen erhoben hatten, Herr geworden war (521-519, o. S. 196f.), ergriff er das Regiment mit fester Hand. Den Orötes, der inzwischen den Satrapen von Daskylion, Mitrobates, ermordet hatte, räumte er aus dem Wege und stellte die königliche Autorität in Kleinasien wieder her. Gegen Samos, wo sich Polykrates' Vogt1052, Mäandrios, nach einem vergeblichen Versuch, die Republik herzustellen, der Herrschaft bemächtigt hatte, sandte er eine Expedition unter Otanes, die den Gewalthaber nach hartem Kampf bezwang und Polykrates' Bruder Syloson1053 zum Herrscher einsetzte. Damit war der letzte selbständige Staat an der kleinasiatischen Küste vernichtet; die ganze ehemals so mächtige und freiheitsstolze ionische Welt war dem Großkönig untertan; in den Städten geboten die Tyrannen, die er eingesetzt hatte. Das politische Leben war zu Ende, soweit es nicht in dem engen Kreise der städtischen Verwaltung [736] aufging; geistig aber herrschte auch jetzt noch ein reges Leben. In dieser Zeit sind die Schriften der Milesier Anaximander und Hekatäos entstanden; wenig später trat in Ephesos Heraklit auf, der alle bisherige Weisheit für Trug erklärte und aus dem eigenen Innern eine tiefere Erkenntnis schöpfte. Etwa in dieselbe Zeit setzen die Alten den Hipponax von Ephesos, den rechten Repräsentanten der ionischen Zustände dieser Zeit. Von den ephesischen Tyrannen vertrieben, ging er nach Klazomenä, und hier hat er seine Spottgedichte verfaßt. Die Schärfe seiner Satire, die Invektiven gegen seine Gegner, die Rücksichtslosigkeit, mit der er von sich selbst und seiner Dürftigkeit redete, erinnern an Archilochos. Aber er steht am Ende der Epoche, die jener eröffnete. Ihm fehlt der großartige politische und geistige Hintergrund, der kühne Trotz, das gewaltige Stürmen und Drängen, das jenen bewegte. Hipponax führt uns in das alltägliche Leben seiner Zeit. Ideale gibt es nicht mehr, nur Geld will der Dichter haben und gut zu essen. Dem Inhalt entspricht aufs glücklichste die Form, der platte, die Sprache des gemeinen Mannes wiedergebende Dialekt und der derbe Hink-Jambus, den er in die Dichtung eingeführt hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 734-737.
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