Die Weltlage um 560. Anfänge der spartanischen Hegemonie

[706] Im Gegensatz zu den unfertigen Zuständen des Westens, zu dem Umsichgreifen der Karthager, der Etrusker, der dorischen Staaten auf Sizilien schienen sich in der Kulturwelt des Ostens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts Verhältnisse gebildet zu haben, welche eine längere Dauer verhießen. Die Großstaaten des Orients hielten sich das Gleichgewicht. Das unruhige Vorwärtsdringen der Meder unter Kyaxares war durch Lydien und Kilikien, durch die weitschauende Politik und die starken Verteidigungsmaßregeln Nebukadnezars (604-562) zurückgewiesen, und König Astyages (584-550) scheint keinen Versuch mehr gemacht zu haben, sein Reich nach Westen hin zu erweitern. Auch zwischen Ägypten und Babylon bestand seit Nebukadnezars Zug 568 Friede; Amasis hatte die Undurchführbarkeit der Versuche erkannt, in Syrien die alte Stellung zu behaupten, und um so eifriger die Stärkung der sonstigen Machtmittel seines Reichs, der Seemacht und der Handelsverbindungen mit den Küstenstaaten, betrieben. Das Reich von Sardes hatte unter Alyattes und Krösos sein Ziel, die Unterwerfung des inneren Kleinasiens und der griechischen Küsten, erreicht und konnte, gestützt auf seine reichen Einkünfte, auf ein tapferes Reiterheer und auf zuverlässige Allianzen, der Zukunft ruhig entgegensehen. Von den griechischen Handelsstädten haben nur einzelne, wie Kolophon, durch die Fremdherrschaft[706] gelitten; die Blüte von Phokäa, Priene, Teos, Knidos gehört der lydischen Zeit an, das verbündete Milet hielt sich auf der Höhe; mit den Inseln, die man nicht unterwerfen konnte, bestanden gute Beziehungen; Mytilene, Chios, Samos, Rhodos wuchsen ständig an Wohlstand und Bedeutung.

Wie in Kleinasien beginnen auch im Mutterlande die Wogen der Parteikämpfe sich zu ebnen; die großen Revolutionen sind vorüber, ihre Ergebnisse nehmen feste Gestalt an. In Megara und Sikyon hat die Bauernschaft die Herrschaft gewonnen, der Adel sich grollend gefügt; in Korinth führen die Kaufleute ein weises und stabiles Regiment, an das die ärmere städtische Bevölkerung durch die materiellen Interessen gefesselt ist. Nicht viel anders werden die Zustände in Ägina gewesen sein. In Argos hat die Aristokratie die Macht des Königtums gebrochen. In Attika ist freilich die Zeit der inneren Kämpfe noch nicht zu Ende, die Usurpation des Pisistratos steht zunächst auf schwankenden Füßen; aber das Adelsregiment ist gestürzt, die Emanzipation der Landbevölkerung durchgeführt, die Homogenität der Landschaft begründet. Zugleich vollzieht sich eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Korinth und Ägina sind zwar noch die ersten Handelsstädte des griechischen Mutterlandes, während die Glanzzeit von Euböa und Megara vorüber ist. Aber ständig wächst die Bedeutung der neuen, auf der geeinten Kraft einer größeren Landschaft beruhenden Mächte. Zu Land und zur See greift Athen immer weiter um sich. Es hat Eleusis inkorporiert, Salamis annektiert, am Hellespont festen Fuß gefaßt, es beginnt den Wetteifer mit den älteren Handels- und Industriestaaten. In seinem Rücken hat Theben wenn nicht früher, so im 6. Jahrhundert seine Hegemonie im böotischen Bunde durchgeführt (o. S. 309)1009; Tanagra, Thespiä, Koronea (Herod. V 79) und die übrigen Städte der Landschaft leisten ihm Heeresfolge, nur Platää am Fuß des Kithäron sucht seine Selbständigkeit zu wahren. Im Norden dringen die Thessaler fortwährend weiter; die meisten der kleineren amphiktionischen Stämme sind von ihnen abhängig. Eurylochos' [707] Zug gegen Krisa war zugleich ein entscheidender Schlag gegen Phokis; freilich ist die Unterwerfung der Landschaft nie gelungen (o. S. 266). Auch gegen Böotien haben sie zu Anfang des 6. Jahrhunderts unter Lattamyas einen Vorstoß versucht; aber bei Keressos im Gebiet von Thespiä erlitten sie durch die Thebaner eine Niederlage, die ihrem weiteren Vordringen ein Ziel setzte (Plut. Cam. 19. de Herod. mal. 33. Pausan. IX 14, 2).

Wichtiger noch war das Vordringen Spartas im Peloponnes1010. In der langen Fehde mit Argos um die kynurische Küste fiel um 550 die definitive Entscheidung. Die Spartaner griffen den nördlichsten Teil derselben an, das Gebiet von Thyrea. Ehe es zur Schlacht kam, einigte man sich, durch einen Zweikampf von je 300 auserwählten Kriegern den Streit zu entscheiden. Fast alle Kämpfer fanden den Tod; aber das Ergebnis war umstritten, und so kam es doch noch zu einer Schlacht, in der die Spartaner siegten. So wurde Thyrea eine spartanische Periökengemeinde1011. Damit war ihr Gebiet bis dicht an Argos heran vorgeschoben. Ähnliche Fehden hatte Sparta seit Alters gegen seine nördlichen Nachbarn in Arkadien geführt; man mochte hoffen, hier in der großen ostarkadischen Hochebene ein zweites Messenien zu gewinnen. Lange Zeit haben die Tegeaten die spartanischen Angriffe abgewehrt; endlich erlangte die numerische und vor allem die immer stärker ausgebildete taktische Überlegenheit der Spartaner das Übergewicht. Aber zur Annexion des feindlichen Gebiets schritt man diesmal nicht. Vielmehr wurde mit Tegea ein Vertrag geschlossen, durch den die Stadt sich verpflichtete, Sparta Heeresfolge zu leisten1012, die flüchtigen Messenier, die bei ihnen Aufnahme [708] gefunden hatten, zu verjagen und niemand wegen spartanerfreundlicher Gesinnung hinzurichten1013. Der Vertrag mit Tegea bezeichnet einen Wechsel der spartanischen Politik; wenn bisher die spartanische Heergemeinde auf Gewinnung neuen Ackerlandes zur Verteilung unter die Bürger und auf Unterwerfung der benachbarten Küstengebiete ausging, so erstrebt sie von jetzt an die politische Führerschaft zunächst über die Nachbarstaaten, dann über den ganzen Peloponnes. Es mag sein, daß die Widerstandskraft Tegeas durch die Niederlage nicht so gebrochen war, daß man es hätte behandeln können wie Messenien; vor allem aber hatte offenbar das Staatsgebiet bereits einen Umfang erreicht, über den man nicht hinausgehen konnte, ohne seine Organisation zu ändern; und in eine Periökengemeinde wie die kleineren Küstenorte ließ sich das volkreiche und wehrkräftige Tegea nicht verwandeln. Wer die neue Politik begründet hat, wissen wir nicht. Den Sieg über Tegea gewannen die Könige Anaxandridas und Ariston (etwa 560-520); aber es liegt nahe, in dem berühmten spartanischen Staatsmann Cheilon, dessen erstes Ephorat ins J. 556 fällt (o. S. 520), ihren Hauptträger zu sehen. Dem ersten Erfolge schlossen sich rasch weitere an; ohne daß unsere freilich gänzlich lückenhafte Überlieferung von Kämpfen berichtet, haben im Lauf der nächsten Jahrzehnte sämtliche Arkadergemeinden die Führerschaft Spartas anerkannt. Auch das alte Bundesverhältnis mit Elis verwandelte sich allmählich in eine Unterordnung der Elier unter die spartanische Hegemonie. Durch den Umfang seines Gebiets wie durch seine Organisation war der spartanische Militärstaat weitaus die stärkste Macht der griechischen Welt; mit Notwendigkeit mußte sein Übergewicht die kleinen Nachbargemeinden zum Anschluß zwingen und zur Begründung einer politischen Herrschaft führen. Auch die fremden Mächte knüpften mit Sparta Verbindungen an; Krösos schenkte ihnen das Gold für eine Statue des Apollo auf dem Thornax, Amasis einen kostbaren [709] Panzer (Herod. I 69. III 47); beide Herrscher mußten bestrebt sein, für Verwicklungen in Asien die Hilfe der trefflichen Krieger zu gewinnen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 706-710.
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