Organisation und innere Geschichte des Reichs

[269] 282. Wir haben gesehen, wie energisch Amenemḥet I. in die Stellung der Gaufürsten eingegriffen hat. Zwar an eine Beseitigung des hohen Adels und eine Wiederherstellung der Zustände des Alten Reichs war nicht zu denken; vielmehr erschien dieser Zeit die aristokratische Gliederung und das Vorrecht des Adels als die natürliche Ordnung des Staats und der Gesellschaft. Aber über dem Adel steht jetzt aufs neue eine starke Königsgewalt. In der Regel verleiht der König das Gaufürstentum nach der Erbfolge, wenn keine Söhne da sind, an den Sohn der Tochter; aber widersetzliche oder auch nur unbequeme Nomarchengeschlechter wird nicht nur Amenemḥet I. beseitigt und durch zuverlässige Diener ersetzt haben. Daher können sie, so sehr sie in Grabinschriften ihren Adel und die Ebenbürtigkeit ihrer Ehen betonen, ihre Herrschaft nicht mehr aus dem Erbrecht ableiten, sondern nur aus der Belehnung durch den König, der sie nach dem Tode ihres Vaters ernannt, ihre Grenzsteine gesetzt und ihnen »den großen Strom längs seines Rückens geteilt« hat. So verschwindet jetzt die Datierung nach Jahren der Gaufürsten (§ 279); dafür erscheinen wieder Königsnamen in ihren Gräbern. Ihre Macht ist freilich noch immer groß genug; wie die Nomarchen der sechsten Dynastie rühmt sich Ameni, der Graf des Ziegengaus unter Sesostris I., er habe »keine Tochter eines Geringen vergewaltigt, keine Witwe bedrückt, keinen Ackersmann oder Hirten bei der Arbeit gehindert, keinem Fronvogt (wörtl. «Vorsteher einer Truppe von fünf Leuten») seine Leute zu Frondiensten weggenommen«. »Als Jahre der Hungersnot kamen,« erzählt er weiter, »habe ich alle Felder des Gaus bis an seine Süd- und Nordgrenze pflügen lassen und seinen Bewohnern zu leben gegeben, der Witwe wie der Ehefrau, dem Alten wie dem Jungen, so daß es keinen Hungrigen gab; und als dann der Nil wieder hoch schwoll und reiche Ernte brachte, habe ich die Rückstände der Feldsteuern nicht eingetrieben.» Man sieht, daß die ganze Landbevölkerung des Gaus von dem guten Willen des Nomarchen abhängig ist, nicht nur die Hörigen ihrer Güter, sondern auch die freien Bauern oder Pächter. Der Nachwuchs der Bauernschaft ist in Trupps (ẕamu) organisiert-wenn der Gau beide Nilseiten umfaßt, wird wie in der Urzeit (§ 177 A.) das Aufgebot in das des Ostens und des Westens geschieden –, die ihm Frondienste zu leisten haben und vermutlich auch die Gaumiliz bilden, die er im Kriege dem König zuführt. Wenn der Gaufürst es verstanden hat, die Liebe seiner Untergebenen zu gewinnen, dann kann eine Szene vorkommen, wie sie der Graf des Hasengaus (Hermopolis) Thoutḥotep in seinem Grabe verewigt hat, daß diese Scharen und mit ihnen die Phylen der Laienpriester die Riesenstatue, die er sich im Alabasterbruch von Ḥatnub hat arbeiten lassen, freiwillig mit vereinten Kräften zu seinem Felsengrab ziehen, während die übrige Bevölkerung des Gaus jubelnd zuschaut. Auch die Steuern an den König gehen durch die Hand des Nomarchen; Ameni rühmt sich, »in jedem Jahre der Viehabgaben « die Steuer von 3000 Rindern seines Gaus ohne Rückstände an das » Königshaus« abgeliefert zu haben.


Hauptquellen für die Zustände der Gaue unter den Nomarchen sind die Gräber von Benihassan (die wichtigsten Inschriften bei LEPSIUS, vollständig publiziert bei NEWBERRY, Benihassan, 4 voll.; vgl. § 280 A.), von Berše (§ 268 A.) und Siut (§ 273 A.); für viele Einzelfragen suchen wir freilich auch hier umsonst Aufklärung. Im übrigen hat sich die Zahl der oberaegyptischen Nomarchengräber ständig gemehrt; aus dem Delta dagegen fehlt alle Kunde. Soweit mein Wissen reicht, haben wir Kenntnis von folgenden Gauen Oberaegyptens: 17. Kynopolis (nur in der Inschrift des Chnemḥotep von Benihassan); 16. Ziegengau (Minje) und autonomer Distrikt »Berg des Horus« mit der Hauptstadt Mena'at-Chufu bei Benihassan, einschließlich des östlichen Wüstengebirges: Gräber von Benihassan; 15. Hasengau, Hermopolis (Berše); 14. Kûs (Gräber von Mêr: CHASSINAT, Rec. 22, 73ff.; Notizen bei LEGRAIN, Ann. de serv. I 65ff. CLÉDAT, Bull. de l'inst. franç. d'archéol. orient. II, 1902, 41f.); 13. Siut [271] (GRIFFITH, Siut and Der Rife, Grab 1. 2); 11. Sethgau, Šasḥotep = Hypsele (Gräber von Der Rife no. 1. 7 bei GRIFFITH 1. c.); 9. Panopolites Stele aus Achmim, LANGE und SCHÄFER, Grabstelen des M. R. no. 20024; 8. Thinites (einzelne Stelen von Abydos); nach der von SPIEGELBERG, Rec. 23, 101, veröffentlichten Inschrift erstreckte sich der Gau vom Tentyrites (6) bis zum Panopolites (9), umfaßte also auch das Gebiet des 7. Gaus von Diospolis parva, Chenoboskion; wie unter der 18. Dynastie (Stele des Antef, Louvre C 26 Zl. 12), gehörte gewiß auch im Mittleren Reich »die ganze Oase« dazu, vgl. § 289; 1. Elephantine (BOURIANT, Rec. X, BUDGE, PSBA. X. DE MORGAN, Catal. des monum. I. GARDINER, Inscr. of Sirenpowet I. ÄZ. 45, 123ff. – Über den thebanischen Gau (4) s. § 283 A. Daß es freie Bauern gegeben hat, lehrt die aus dem Mittleren Reich stammende Geschichte vom Bauern (§ 273 A.; MASPERO, Contes populaires 44, der aber secheti nicht als Bauern, sondern als Salzarbeiter aus der Oase deutet), die zugleich zeigt, welchen Schikanen sie ausgesetzt sein konnten.


283. Freier als die Landbevölkerung haben offenbar die Städter sich bewegen können. Zwar stehen auch sie unter der Regierung und Polizeiaufsicht des Nomarchen; und wenn Amenemḥet I. in Mittelaegypten eine neue Stadt anlegt, so unterstellt er sie einem »Grafen und Stadtregenten«. Außer der Residenz ist nur die eigentliche Reichshauptstadt Memphis, und daneben vielleicht Theben, der unmittelbaren Verwaltung des Königs oder vielmehr seiner »Vezirs und Stadtkommandanten« unterstellt. Aber auch in den Gaustädten fehlt die ununterbrochene Kontrolle durch »Vorsteher« und »Schreiber«, hier gab es keine Frondienste, und jeder konnte seinem Erwerb selbständig nachgehen, und ohne Zweifel auch aus einer Stadt in die andere verziehen. Außerdem konnten die königlichen Beamten hier viel leichter eingreifen; und auch die städtischen Gerichtshöfe waren schwerlich vom Gaugrafen eingesetzt, wenn auch sein Einfluß in »seiner Stadt« stark genug war. So entwickelt sich hier ein reges Erwerbsleben; von dem Wohlstande, zu dem recht viele amtlose Privatleute, Handwerker, Brauer, Künstler, Kaufleute, gelangten, legen die zahlreichen Grabstelen Zeugnis ab, die sie sich errichtet haben. Tief unter ihnen steht dann wieder der gemeine Mann, auf der einen Seite der fronende Feldarbeiter, auf der[272] anderen der kleine, sozial völlig abhängige Handwerker. Das sind die »Söhne Niemands«, die keinen Vater haben, und von aller Welt mit Stockschlägen behandelt werden. Wenn freilich in einem in den Schreibschulen vielfach abgeschriebenen Literaturdenkmal dieser Zeit, der Lehre des Ṭuauf an seinen Sohn Pepi, das Elend und die fortwährenden Plackereien aller anderen Berufe in drastischen Farben gemalt und dafür die Laufbahn des »Schreibers« (d.h. des Beamten), der ihnen allen zu kommandieren hat, als die allein würdige gepriesen wird, so spricht daraus, so vieles im einzelnen an den Schilderungen richtig sein wird, doch ein einseitiger und sehr bornierter Beamtenhochmut, dessen Berechtigung die erwerbenden Stände oder die Künstler, die einen ähnlichen aber begründeteren Stolz in ihren Grabinschriften zeigen, ohne Zweifel niemals anerkannt haben.


Die (mit Iztaui sicher nicht identische) Stadt Seḥotepjebrê', die nach dem Thronnamen Amenemḥets I. benannt ist, steht unter dem »Fürsten Neḥeri« (Inschrift des Chnemḥotep Zl. 62ff.), der den unter der 6. Dynastie recht häufigen Titel »Herrscher neuer (?) Städte« trägt. – Über die Verhältnisse des thebanischen Gaus fehlen sichere Angaben; Nessumontu, der unter Amenemḥet I. hier tätig gewesen ist (Louvre C 1, am besten bei PIEHL, Hierogl. Inschr. I 1), war nicht Nomarch, wie MASPERO (Congrès intern. des Orientalistes, Paris 1873, II 43ff. = Etudes de mythol. III 153ff.) annimmt, sondern »General (mer meša')«, s. § 287 a. – Lehrschrift des Ṭuauf se chruṭi und ähnliche Schreiberbriefe: MASPERO, Du genre épistolaire. ERMAN, Aegypten. Die ständische Gliederung tritt in den Prophezeiungen (§ 297: LANGE, Ber. Berl. Ak. 1903, 601ff.) sehr anschaulich hervor; daß die Vornehmen ins Elend kommen und das Gesindel zu Ansehen, daß »der Sohn eines Mannes [d.h. ein den höheren Ständen angehöriger] nicht mehr dem vorgezogen wird, der keinen Vater hat«, ist ein Hauptmerkmal der bevorstehenden Umwälzung.


284. Wenn Aegypten unter den ersten Königen der zwölften Dynastie äußerlich noch die Züge eines Lehnstaats trägt, so gehört doch die Glanzzeit des Feudalwesens bereits der Vergangenheit an. Daß die Hofhaltungen und die Gräber der Gaufürsten jetzt größere Pracht entfalten können als in den ärmeren Zeiten der Übergangsepoche, ist äußerer Schein, [273] der über die realen Machtverhältnisse nicht hinwegtäuschen kann: die Mittel dazu verdanken sie nicht ihrer eigenen Macht, sondern der Neuerstarkung der Staatsgewalt und dem dadurch gesteigerten Wohlstand. Staaten im Staate sind die Gaue seit Amenemḥet I. nicht mehr. Daß die Könige wieder in allen Gauen den lokalen Göttern Tempel erbauen und reiche Geschenke darbringen, führt ihre dominierende Stellung sinnfällig vor Augen; zumal sie diese Bauten nicht durch die gräflichen Hohenpriester, sondern durch ihre Oberbaumeister und andere Beamten ausführen lassen. Der alte Domanialbesitz der Könige freilich ist längst geschwunden. Aber regelmäßig werden in allen Gauen Naturalabgaben für das »Königshaus« erhoben, die der Gaufürst abliefert (§ 282). Im Bureau des Vezirs werden Listen sämtlicher Einwohner Aegyptens geführt, und in bestimmten Jahren finden Zählungen statt, bei denen die Hausvorstände (deren Namen eine fortlaufende Nummer beigefügt wird) den Personenstand ihrer Familie und der Hörigen, die sie etwa besitzen, anzugeben und die Richtigkeit ihrer Aussagen zu beschwören haben-mehrere solche Zählkarten sind uns aus der von Sesostris II. bei seiner Pyramide am Eingang des Faijûm (Kahun § 291) gegründeten Stadt erhalten. Diese Listen dienen nicht nur der Erhebung von Steuern (Kopfsteuer?), sondern geben der Verwaltung zugleich einen Überblick über den gesamten Personenstand des Reichs und die auf jedem Untertan ruhenden Verpflichtungen. Wenn die Grafen die Miliz ihrer Gaue kommandieren, so veranstaltet daneben der König Aushebungen »unter den brauchbaren jungen Leuten«; so wird im thinitischen Gau einmal je der hundertste Mann ausgehoben. Für Rechtsstreitigkeiten sind die Gerichte der Staatsbeamten und der unter dem Vezir stehende Gerichtshof der Dreißig zuständig, und die Rechtsgeschäfte, z.B. Testamente, werden gleichfalls in Gegenwart von Zeugen von dazu angestellten Beamten (Schreibern) vollzogen, nicht in den Bureaus der Nomarchen. Für alle diese Aufgaben der Reichsverwaltung scheint Aegypten jetzt in drei große Provinzen (u'art) geteilt [274] zu sein, das »Nordland« (Delta) und das jetzt in zwei Bezirke zerlegte Südreich, den »Süden« (= Mittelaegypten) und den »Kopf des Südens (tep-šema')«, der ungefähr dem Bestand des thebanischen Reichs vor Niederwerfung der Herakleopoliten entspricht.


Einen Einblick in die Verwaltung des Reichs gewähren die Inschriften hoher Beamten, meist aus Abydos; publiziert von MARIETTE, Abydos II und Catalogue d'Abydos, und jezt von LANGE und SCHÄFER, Grab- und Denksteine des M. R., im Catalogue général du Musée du Caire; viele wichtige Stelen sind im Louvre, publiziert von GUYET, Bibl. de l'école des hautes études 68, und wesentlich besser von PIEHL., Inscr. hierogl. I. [andere Texte des Mittleren Reichs in vol. III]; die Texte in Berlin in den Aegyptischen Inschriften aus den Kgl. Museen III. IV.; ferner LEPSIUS, Denkmäler u.a.; sodann die in Kahun gefundenen Papyri aus den letzten Regierungen der 12. und den ersten der 13. Dynastie, welche GRIFFITH, The Petrie Papyri, hieratic pap. from Kahun, 1892, musterhaft publiziert und behandelt hat. Wenn die Indices zu der Publikation von LANGE und SCHÄFER vorliegen, wird man über manche Fragen klarer sehen können. – Hauszählungslisten: GRIFFITH 1. c.p. 19ff., vgl. BORCHARDT, Vortr. des Hamburger Orientalistenkongresses 329. Zwei Inschriften aus Abydos über Aushebungen (die eine unter Amenemḥet III.): ERMAN und SCHÄFER, ÄZ. 38, 42ff. Testamente: GRIFFITH 1. c.p. 29ff. 101f. Dreiteilung des Landes: ERMAN, ÄZ. 29, 119. GRIFFITH 1. c.p. 21. [GRIFFITH hat seine Ansicht p. 80 aufgegeben, und ebenso bekämpft STEINDORFF, Die aegypt. Gaue, Abh. d. Sächs. Ges. phil. Cl. 27, 1909, 896ff., die Annahme einer Dreiteilung unter der 12. Dynastie. Aber es ist doch kaum denkbar, daß die u'art des tep šemá' mit der u'art risit identisch ist, wenn auch beide Ausdrücke nicht nebeneinander vorkommen.] »Vorsteher des Südens« findet sich jetzt nur noch sehr selten und scheint meist leerer Titel zu sein; auch der »rp'ti ḥeti'o Vorsteher des Südens, Oberpriester des Min« Zautiaqer unter Amenemḥet I., dem der »Schatzmeister des Gottes« zwei Steinblöcke aus Hammamat holt (GOLÉNISCHEFF, Hammamat 2, 4. 3, 3), ist vielleicht, wie MASPERO vermutet, nur Nomarch von Koptos. Auch der Titel mer chontiše (§ 244), der im Alten Reich eine so große Rolle spielt, kommt jetzt nur noch ganz vereinzelt vor (z.B. LANGE und SCHÄFER no. 20296); das Domanialland ist eben bis auf ganz geringe Reste verschwunden. Wo die chontiše neben den verschiedenen Klassen der Priester eines Tempels erscheinen (z.B. im Dekret Sesostris' III. für den Totenkult Mentuḥoteps III. NAVILLE, Deir el Bahari I pl. 24), werden sie Pächter von Tempelland sein.


[275] 285. Wie es scheint, ist die Entwicklung im Lauf der zwölften Dynastie noch weiter gegangen. Alle Nomarchengräber, die wir datieren können, gehören der ersten Hälfte der Dynastie an; die großen Felsgräber, welche sich unter Sesostris II. und III., also um 1880 v. Chr., der Graf von Mena'atchufu Chnemḥotep II. in Benihassan, der Graf des Hasengaus Thoutḥotep in Berše, der Graf des nubischen Gaus Seronput II. bei Elephantine angelegt haben, sind wie die glänzendsten so auch die letzten in diesen Nekropolen; und auch sonst ist nirgends in Aegypten ein Nomarchengrab oder auch nur ein Denkstein eines Gaufürsten erhalten, der jünger wäre als diese beiden Könige. Das kann kaum Zufall sein; vielmehr drängt dieser Tatbestand zu der Annahme, daß unter Sesostris III. (1887-1850) eine tiefgreifende Umwandlung durchgeführt oder wenigstens-wenn sie, was nicht unwahrscheinlich ist, in manchen Gauen schon beträchtlich früher eingetreten war-zum Abschluß gelangt und das Gaufürstentum beseitigt worden ist. Großen Grundbesitz, der unter Umständen einer Familie dauernd eine fürstliche Stellung verschaffen kann, hat es natürlich immer gegeben; aber wenn wir später unter der dreizehnten Dynastie, ja noch zu Anfang des Neuen Reichs im dritten oberaegyptischen Gau (Elkab) eine mächtige derartige Familie finden, in deren Gräbern uns die Traditionen der alten Gaufürsten aufs neue entgegentreten (§ 302), so führen ihre Häupter doch nicht mehr den Nomarchentitel (ḥri ẕaẕa 'o), sondern statt dessen lediglich jüngere Beamtentitel. So scheint die Macht und Selbstherrlichkeit des Adels unter Sesostris III. und Amenemḥet III. vollständig gebrochen zu sein. Vielleicht sind manche der im vorigen besprochenen Einrichtungen erst damals geschaffen worden.

286. Wie im Alten Reich setzt sich die Verwaltung des Landes aus zahlreichen Bureaus, »Häusern«, Magazinen und Schatzkammern zusammen, zu deren jedem eine Schar von Beamten gehört, mit Kanzlern, Schatzmeistern, Vorstehern an der Spitze. Hier haben sich die alten Titel großenteils erhalten, nur ist die bureaukratische Gliederung noch mannigfaltiger [276] geworden. Unter ihnen stehen die Tausende von Handwerkern, Steinmetzen, Bergarbeitern, Lastträgern, Ruderern u.s.w., die der Herrscher beschäftigt. Die Bezahlungen erfolgen auch jetzt durchweg in Naturalien vom Tisch des Königs, in nach ihrem Range abgestuften Rationen, wie im Alten Reich. Dazu kommen die Beschenkungen mit Äckern, fremden Sklaven oder aegyptischen Hörigen, mit Vieh, Gold und Kostbarkeiten aller Art. Die Verwaltung des »Königshauses«, d.h. des gesamten Finanzwesens, aller Einkünfte und Ausgaben, auch der Tribute der unterworfenen Stämme, der Steinbrüche und Bergwerke u.a., ferner alle Bauten und sonstigen Arbeiten, stehen unter den beiden Schatzmeistern. Oberhaupt der Verwaltung und Vertreter des Königs nach außen und innen ist der Vezir, der »die Barbaren im Zaum hält«, die Beamten kontrolliert und befördert, Grenzstreitigkeiten schlichtet, und »Brüder in Frieden heimgehen läßt durch den Ausspruch seines Mundes«. Er ist zugleich der Polizeichef der Hauptstadt und, wie seit alters, der Vorsitzende des »Gerichtshofs der sechs Häuser« (§ 242). Dieser ist jetzt mit dreißig »Großen des Südens« besetzt-der alte Titel lebt wieder auf, hat aber seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Denn sie sind jetzt nicht mehr Vorsteher der Gaue, sondern Organe der zentralen Reichsregierung, unter die die wichtigsten Verwaltungsgeschäfte verteilt sind. So nimmt z.B. einer von ihnen die Haushaltungsdeklarationen entge gen, während andere vom Pharao mit Inspektionen und Bauten beauftragt, mehrfach auch, wie der Vezir, zu militärischen Unternehmungen entsandt werden.


Über Besoldungen, Abrechnungen und Naturalwirtschaft: BORCHARDT, Rechnungsbuch des Kgl. Hofes aus dem Ende des Mittleren Reichs (Pap. 18 von Boulaq) ÄZ. 28, 65ff.; GRIFFITH, Ä. Z. 29, 102ff.; BORCHARDT, Besoldungsverhältnisse von Priestern im Mittleren Reich, ÄZ. 40. GRIFFITH, Kahun Papyri. Über die Beamten auch ERMAN, Aegypten, und meine Gesch. Aegyptens.


287. Im Heerwesen kommt zu den Aufgeboten der Gaue und den nubischen Soldaten und Polizisten (Maẕoi) jetzt noch [277] eine ständige Truppenmacht des Pharao hinzu, die teils durch Aushebung (§ 284), teils wahrscheinlich durch Anwerbung von Berufskriegern gewonnen wurde. Unter ihnen tritt eine Gruppe besonders hervor, die als »Gefolgsleute des Herrschers (šemsu n ḥqa)« bezeichnet werden; es sind Offiziere, die in einem persönlichen Verhältnis zum König stehen, ihn »auf allen seinen Wegen« begleiten und gegen innere und äußere Gefahren schützen. Auch zu selbständigen Kommandos, z.B. nach Nubien oder nach den Steinbrüchen von Hammamât, werden sie häufig verwendet. Für tapfere Taten erhalten sie reiche Belohnungen in kostbaren Waffen-auch das »Gold der Belobigung«, ein um den Hals getragener Goldschmuck, wird vom König verliehen-und avancieren zu höheren Stellungen bis zum General, dem »Vorsteher der Truppen«, hinauf. Sie haben offenbar unter der zwölften Dynastie die festeste Stütze der Königsmacht gebildet. – So haben die Könige, die Söhne des Rê', die der Gott im Mutterleibe gezeugt und zur Ausübung »dieses trefflichen Amtes« ausersehen und herangebildet hat, in der zwölften Dynastie schließlich eine nicht minder unumschränkte Macht gewonnen als die Pharaonen des Alten Reichs. In den überschwenglichsten Ausdrücken werden sie gelegentlich in Hymnen verherrlicht. »Preist den König Amenemḥet III. in eurer Brust«, sagt sein Schatzbeamter Seḥotepjebrê' in der Unterweisung an seine Kinder, die er auf seiner Grabstele als »ewige Vorschrift des neuen Lebens« aufgezeichnet hat, »verherrlicht ihn in euren Herzen; denn er ist der Weisheitsgott, dessen Augen in jedes Herz dringen, der strahlende Rê', der Aegypten erleuchtet mehr als die Sonne, das Land gedeihen läßt mehr als der Nil, der Gott Chnumu, der die Menschen schafft, der seine Verehrer beschirmt wie Bastet und die Ungehorsamen vernichtet wie Sechmet«. Aber ihre Stellung ist doch eine wesentlich andere als die des Snofru und Cheops; die naive Auffassung, nach der das ganze Land nur da ist, um dem König zu dienen und ihm sein Riesengrab zu bauen, ist geschwunden und eher in ihr Gegenteil umgeschlagen: auf der Machtstellung des [278] Königs beruht das Gedeihen des Landes und aller seiner Bewohner. So hat denn auch sein Hofstaat, so zahlreich er ist, keine größere Bedeutung mehr, und die Hoftitel, die im Alten Reich alle anderen Bezeichnungen überwucherten, treten ganz in den Hintergrund, selbst bei den Veziren und Kanzlern; nur die Nomarchen führen sie noch als inhaltlose Titulaturen weiter. Die wahren Interessen des Landes treten überall in den Vordergrund, die Zentralisation und das lokale Sonderleben halten sich das Gleichgewicht; und dadurch ist offenbar auch die Macht des Königs tatsächlich an feste Schranken gebunden. Eben darauf beruht die reiche Blüte und die innere Gesundheit dieser Epoche.


Über die Einzelheiten der militärischen Verhältnisse würden wir wesentlich klarer sehen, wenn wir die betreffenden Ausdrücke der Inschrift des Sebekchu (§ 290) verstehen könnten. Manches ergibt das Rechnungsbuch von Bulaq, BORCHARDT, ÄZ. 28, 92ff. [berichtigt von GRIFFITH, ÄZ. 29, 102]; über die Mazoi vgl. S. 94f. Das »Gold«: LD. II 138 a. DE MORGAN, Fouilles à Dahchour I p. 16 (Mastaba 2). – Festung des Sesostris II. in Elkab, in der Amenemḥet III. eine Mauer gebaut hat: Stele aus Liverpool bei LEGRAIN, PSBA. 1905, 106ff. – Die Angaben über die Stärke der Heere des Mittleren Reichs hat BREASTED, Battle of Kedesh p. 9, zusammengestellt. – Hymnus auf Sesostris III.: GRIFFITH, Kahun Papyri; Inschrift des Seḥotepjebre': MARIETTE, Abydos II 25. Vgl. die analogen Stellen der Sinuhetgeschichte.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 269-279.
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