Die späteren Könige von Babel und die Könige des Meerlandes

[643] 452. Im Jahre 2081 ist auf Chammurapi sein Sohn Samsuiluna (d.i. »die Sonne ist unser Gott«, ein sehr bezeichnender amoritischer Name) gefolgt. Über ihn und seine [643] Nachfolger besitzen wir, abgesehen von den immer noch sehr zahlreichen Privaturkunden, nur wenig Material; glücklicherweise geben die Fragmente der Chronik wenigstens einigen Aufschluß. Der Anfang seiner Regierung scheint friedlich verlaufen zu sein: die Jahrdaten sind von Kanalbauten und Weihgeschenken entlehnt. Dann aber folgten schwere Erschütterungen. Die Bruchstücke der Chronik erzählen von Kämpfen Samsuilunas mit Rimsin, dem ehemaligen Gegner Chammurapis, der jetzt auf seine alten Tage noch einmal den Versuch macht, sein früheres Reich wiederzugewinnen. Vermutlich hatte er im Gebirge bei dem wilden Volksstamm der Kossaeer (§ 456) Zuflucht gefunden und ist von diesen heimgeführt worden; denn in seinem neunten Jahre (2073) hat Samsuiluna mit den »Scharen der Kossaeer (Kaššû)« zu kämpfen, während er im nächsten Jahre (2072) »die Scharen von Idamaras (sonst nicht bekannt), Jamutbal, Uruk und Isin« bekriegt. Wenn Rimsin aus den kossaeischen Bergen kam, erklärt es sich, daß ihm Opis am Tigris zugefallen ist. Von hier wird er sich wieder in den Süden gewandt haben und scheint dort überall Anerkennung gefunden zu haben. Er machte jetzt den Versuch, an die ältesten Traditionen des Landes anknüpfend das Nationalgefühl gegen »den bösen Feind« wachzurufen, wie ehemals die sumerischen Könige, welche die Semiten von Kiš bekämpft hatten. Das Jahr 2072 erhält den Namen: «Jahr, wo im Tempel von Opis die Göttin Ninmach25 den König Rimsin zum Königtum über das gesamte Land erhob.» Aber der Erfolg war nicht von Dauer; das Jahrdatum selbst hat den eigenartigen Zusatz: «wo er die bösen Feinde nicht in ihre Länder zurücktrieb». In der Tat hat Samsuiluna noch in demselben Jahr den aufständischen Süden wieder unterworfen. Rimsin scheint in den Flammen seines Palastes den Tod gefunden zu haben; die [644] Mauern von Ur und Uruk wurden im nächsten Jahr niedergerissen. Auch sonst wird es an Strafgerichten nicht gefehlt haben, und auch von Kämpfen ist in den Daten der nächsten Jahre noch die Rede, so 2069 mit Kisurra (Abu Hatab östlich von Babylon und Kiš). Das wird damit zusammenhängen, daß ihm ein neuer Gegner erstanden ist, Ilumailu, der als Nachkomme des Damiqilišu, des letzten Herrschers der Dynastie von Isin (§ 418), aufgetreten zu sein scheint. Er hat zeitweilig großen Erfolg gehabt, aus seinem zweiten Jahr ist sogar eine Urkunde aus Nippur datiert. Daß im Jahre 2067 die Mauer von Isin zerstört, im Jahre 2058 Kiš neu befestigt wird, wird mit diesen Kämpfen in Zusammenhang stehen. Schließlich scheint Samsuiluna den Hauptteil des Landes wieder unterworfen zu haben. Aber den Rivalen völlig zu bezwingen, ist ihm nicht gelungen; Ilumailu hat sich in den Marschen des äußersten Südens behauptet und hier ein Reich des »Meerlandes« begründet. So ist die von Chammurapi erreichte Einigung von ganz Sinear ephemer geblieben; kurz nach seinem Tode ist es aufs neue dauernd in zwei Staaten zerrissen worden.


Kampf Samsuilunas mit Rimsin: KING, Chronicles II 18. Die sehr probabel erscheinende Annahme, hier sei von seinem Sohn die Rede, hat UNGNAD, Z. Ass. XXIII 73f., widerlegt: zwei gleichlautende und gleichzeitig, mit denselben Zeugen, ausgefertigte Urkunden aus Tell Sifr bei Larsam über einen Hauskauf [nur der Preis ist auffallenderweise in beiden verschieden] sind die eine nach Rimsin, die andre nach Samsuiluna datiert; offenbar wollte man, wie auch die Entscheidung der Waffen ausfalle, eine korrekt datierte Urkunde haben, die die Loyalität der Kontrahenten bezeugte. S. weiter THUREAU-DANGIN, J. As. Sept. 1909, 335ff., der die Jahrdaten völlig aufgeklärt hat. Danach ist das im Text angeführte Datum (THUREAU-DANGIN l.c. 336 = Königsinschriften S. 237 e) mit dem 10. Jahr Samsuilunas identisch. – Daß die sog. 2. Dynastie, die des »Meerlandes«, zum Teil der 1. gleichzeitig gewesen ist und ihr Begründer Ilumailu ans Ende Chammurapis oder kurz nachher gesetzt werden muß, hat HOMMEL seit langem angenommen und POEBEL, Z. Ass. 20, 229ff. (vgl. 21, 162ff.; HILPRECHTS Lesung Be-ilimailu Bab. Exped. XX 1, 56 Anm. war irrtümlich) aus Urkunden von Nippur erwiesen [dagegen beruhte RANKES Annahme, Bab. Exp. VI 1, 8, er sei mit Ilumaila von Sippara § 437 A. identisch, auf Irrtum]; jetzt ist durch die von KING, Chronicles II 19ff. veröffentlichte [645] Chronik bestätigt. Sein zweites Jahr wird auch bei POEBEL, Bab. Exped. VI 2 p. 80 erwähnt. Weiteres § 327. Daß die Dynastie an die von Isin anknüpft, geht sowohl aus der Wiederkehr des Namens Damiqilišu (§ 453) wie auch daraus hervor, daß noch diejenige Dynastie des Meerlandes, welche 1051-1031 regierte, sich von Damiq-ilišu ableitet (KING, Chronicles II 51f.). – Daten und sonstiges Material für Samsuiluna bei KING, Hammurabi III und Chronicles II 105f. sowie Bab. Exped. VI 1. 2. Datum des 10. Jahres: THUREAU-DANGIN l.c. 336; Mauer von Kiš: ders., Or. Lit.-Z. 1909, 204. Daß das Datum des 2. Jahres »Unabhängigkeit (?) von Sumer« sich auf Rimsins Erhebung beziehen sollte, wie UNGNAD S. 82, 3 annimmt, ist wenig wahrscheinlich, nicht nur, weil es kaum denkbar ist, daß ein Herrscher ein Jahr nach einer erfolgreichen Rebellion gegen ihn selbst benannt habe, sondern auch, weil die folgenden Jahre nichts von Kämpfen erkennen lassen und Rimsins Erhebung offenbar sehr rasch verlaufen ist.


453. Die späteren Jahre Samsuilunas (2080-2043) scheinen friedlicher verlaufen zu sein, obwohl manche Jahrnamen der nur sehr verstümmelt erhaltenen Datenliste auch hier auf Kämpfe hinweisen. Im übrigen hat er in der Weise seines Vaters weiterregiert, neue Kanäle angelegt, die Tempel geschmückt, sechs Festungen Sumulailus (§ 438) wiederhergestellt u.ä. Von seinem Sohn Abešu (2042-2015) sind fast alle Daten verloren; aus der Chronik erfahren wir, daß er aufs neue gegen Ilumailu zog und zu dem Zweck den Tigris abdämmte; aber »er konnte ihn nicht fangen«. Aus den Regierungen der beiden nächsten Könige, Ammiditana (2014-1978) und Ammisaduqa (1977-1957) besitzen wir die Daten ziemlich vollständig; aber sie berichten fast nur von inneren Vorgängen, Kanälen und Festungen, Bauten von Tempeln und Palästen, Statuen des Königs, Orakeln u.ä. Das einzige wichtige Datum ist das des letzten Jahres Ammiditanas (1978), »in dem er die Mauer von Isin (?, die Lesung ist leider nicht sicher) zerstörte, die das Volk des Damiq-ilišu erbaut hatte«; denn dieser ist offenbar Damiq-ilišu II., der zweite Nachfolger des Ilumailu, der den Namen des letzten Königs von Isin trägt, als dessen Erbe er auftritt. Offenbar ist er noch einmal wieder nach der alten Königsstadt vorgedrungen und hat ihre von Samsuiluna zerstörte Mauer wieder aufgebaut, hat sich aber [646] hier auf die Dauer nicht behaupten können. Seine Nachkommen werden sich im »Meerland« nur in sehr bescheidenen Verhältnissen behauptet haben; wenn Ammisaduqa in seinem elften Jahre (1967) eine Festung an der Mündung des Euphrat gebaut hat, so weist das wohl auf eine weitere Zurückdrängung dieser Dynasten hin. Im übrigen haben jedoch, auch abgesehen von dem Verlust des Meerlandes, die späteren Könige der Dynastie von Babel schwerlich noch das gesamte Gebiet beherrscht, welches Chammurapi oder auch Samsuiluna besessen hatten. Es ist überhaupt für die Geschichte Sinears im Gegensatz zu Aegypten charakteristisch, erklärt sich aber aus den Gegensätzen in seiner Bevölkerung, wie rasch hier alle Staaten verfallen und wie ephemer im Grunde jede größere Macht gewesen ist, die sich hier gebildet hat; das ist bis zuletzt, bis zum Chaldaeerreich Nebukadnezars, so geblieben. Es fehlt ihnen die feste Grundlage, um sich im Kampf mit den feindlichen Mächten dauernd behaupten zu können, und sehr schnell ist offenbar immer eine innere Zersetzung eingetreten. – Mit dem letzten König der Dynastie, Samsuditana (1956-1926), hören alle Urkunden auf. Unter ihm ist das Reich von Babel zu Grunde gegangen, nachdem es seit seinen ersten Anfängen unter Sumuabu genau dreihundert Jahre bestanden hatte.


HILPRECHT, Deluge Story p. 9, 3 bemerkt, daß sich in Nippur keine einzige nach Abešu datierte Tafel gefunden hat; damals sei die Stadt wahrscheinlich im Besitz Ilumailus gewesen. – Die Daten Ammiditanas und Ammisaduqas sind von UNGNAD, Beitr. z. Assyr. VI, vortrefflich behandelt worden; aber in der Deutung des Datums über Damiq-ilišu kann ich trotz seiner Einwände nur POEBELS Auffassung Z. Ass. 20, 229ff. für richtig halten. – Königsliste der 1. und 2. Dynastie s. § 458 A.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 643-648.
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