Die Herrschaft der Kossaeer in Babylonien

[654] 457. In der Geschichte Sinears erscheinen die Kossaeer zum ersten Male im 9. Jahre Samsuilunas (2073), wahrscheinlich als Verbündete Rimsins bei dem Versuch, sein Reich wieder aufzurichten (§ 452). In der Folgezeit kommen sie dann in Urkunden gelegentlich als Arbeiter und Feldpächter vor. Auch das Pferd, das sie selbst von den Ariern bezogen, werden eben die Kossaeer als vielbegehrten Handelsartikel nach Sinear gebracht haben. Daß die reiche Ebene am Tigris zu Füßen ihrer Berge zum Angriff reizte, ist selbstverständlich. [654] Über den Verlauf der kossaeischen Invasion fehlt uns freilich jede Nachricht. Es wäre möglich, nach Analogie so vieler ähnlicher Vorgänge, daß sie zunächst als Söldner ins Land gekommen sind und dann sich aus Dienern zu Herren gemacht haben. Jedenfalls hat um das Jahr 1760 ein kossaeischer Häuptling, Gandaš, den Königen der zweiten Dynastie die Herrschaft über Babel und den Hauptteil des Landes entrissen und sie in ihren alten Machtbereich, das Meerland, zurückgedrängt. Ohne Gewaltsamkeit ist es dabei nicht zugegangen; Gandaš redet in den Bruchstücken der Kopie einer Inschrift von der Verwüstung des Tempels des Ellil »bei der Eroberung von Babel«. In dieser Inschrift, die auch durch zahlreiche grammatische Fehler ihren fremden Ursprung verrät, nennt er sich »Gaddaš, König der vier Weltteile, König von Sumer und Akkad, König von Babel«, tritt also durchaus als legitimer Herrscher und Nachfolger der Könige der ersten Dynastie auf.


Warad-ibari unter Ammiṣaduqa, als ṣab Kaššu bezeichnet: RANKE, Early Bab. pers. Names p. 174. 199; Bab. Exped. VI 1 p. 8 Anm. Weitere Kossaeer in den Urkunden aus der letzten Zeit der 1. Dynastie: UNGNAD, Urk. aus Dilbat (Beitr. z. Assyr. VI 5) 21ff. – Inschrift des Gaddaš: WINCKLER, Unters. zur altor. Gesch. 34 und 156, 6; dazu KING, Chron. I 103, 1.


458. Auf Gandaš (1760-1745) ist sein Sohn Agum I. gefolgt (1744-1723), über den wir weiteres nicht wissen. Zu seiner Zeit scheint nach einer Notiz der Chronik der letzte König aus der Dynastie des Meerlandes, Eagamil, im Kampf gegen Elam, das jetzt völlig selbständig geworden ist, den Tod gefunden zu haben; dann, so berichtet die Chronik, »sammelte Ulamburiaš, der Bruder des Kaštiliaš, der Kossaeer, seine Truppen, eroberte das Meerland und wurde Herrscher des Landes«. Damit hat die sogenannte zweite Dynastie ihr Ende gefunden und ist auch das Meerland den Kossaeern untertan geworden. Ulamburiaš hat offenbar im Auftrag seines Bruders Kaštiliaš I., des dritten Königs der Kossaeerdynastie (1722 bis 1701), gehandelt; so erklärt es sich, daß dieser gleichfalls [655] eine Schlappe durch die Elamiten erlitten hat (§ 462). Auf einem Keulenknauf aus Diorit führt Ulamburiaš den Titel »König des Meerlandes«. Wenn er hier als seinen Vater König Burnaburiaš nennt, der in der Königsliste nicht vorkommt, so scheint es, daß mit Kaštiliaš I. an Stelle des Hauses des Gandaš ein neues Geschlecht auf den Thron gekommen ist; allerdings bezeichnet Agum II. den Kaštiliaš I. als »ersten Sohn Agums des großen (d.i. des alten?), des strahlenden Königssprosses, der die Zügel hielt, des Sohnes des Gandaš«; vielleicht ist also Ulamburiaš, Sohn des Königs Burnaburiaš, doch von dem Bruder des Kaštiliaš I. verschieden gewesen und gehört in eine spätere Zeit. Auf Kaštiliaš I. folgte sein Sohn Uš(?)-ši (1700-1693), während ein anderer Sohn, der wieder den Namen Agum führt, aufs neue gegen das Meerland zog-das sich also empört haben mag-und hier die Stadt Dûr-ellil eroberte und den Tempel Ellils in derselben zerstörte. Auf Ušši ist sein Bruder Abirattaš gefolgt, auf diesen sein Sohn Tazzigurumaš und sein Enkel Agum II. (mit dem Beinamen kak-rime). Die Zahlen ihrer Regierungen sind verloren, und originale Denkmäler besitzen wir von keinem dieser Könige; nur von Agum II. ist eine größere Inschrift in einer Kopie Assurbanipals erhalten (§ 459). Nach Tazzigurumaš beginnt die große Lücke in der Königsliste (§ 325), und so liegt über der Zeit nach Agum II. (um 1650) vollständiges Dunkel, das zwei Jahrhunderte lang auch nicht durch ein einziges Denkmal erhellt wird. Zusammenhängende Nachrichten beginnen erst wieder mit Karaindaš um 1480 v. Chr.; auch von Privaturkunden ist aus den ersten dreieinhalb Jahrhunderten der Kossaeerzeit bis jetzt keine einzige zu Tage getreten.


Die Daten der Chronik: KING, Chronicles II 22ff., die Übersetzung verbessert von THUREAU-DANGIN, Z. Assyr. 21, 176. Die Lesung des Namens Kaštiliaš [früher Bitiliaš, vorher Bibiaš transkribiert] hat THUREAU-DANGIN auf der § 433 A. angeführten Urkunde aus Chana nachgewiesen; ebenso die Lesung Abirattaš (statt Adumetaš) (Orient. Lit.-Z. XI 31f.); er will auch Du-ši statt Uš-ši lesen. – Ula(sic!)-buriaš, Sohn des Königs Burnabura(sic!)riaš, König des Meerlandes: WEISSBACH, Babylonische Miscellen S. 7. Der Name Ulamburiaš auch in der Königsliste V R. 44, [656] 25, erklärt als »Kind des Herrn der Länder«. – Inschrift des Agum-(kakrime) II: V R 33. Keilinschr. Bibl. III 1, 134ff., vgl. DELITZSCH, Kossaeer 55ff. THUREAU-DANGIN, Orient. Lit.-Z. XI 31f. Den Text der Genealogie hat HOMMEL, Orient. Lit.-Z. XII 108f., richtig gestellt, so daß er jetzt mit der Königsliste völlig übereinstimmt. Die Versuche, den in der Chronik genannten Kossaeer Kaštiliaš, Bruder des Ulamburiaš, in eine spätere Zeit zu setzen, scheitern, wie SCHNABEL, Chronol. des Berossos (Mitt. Vorderas. Ges. 1908), richtig hervorhebt, auch daran, daß das Ende der 2. Dynastie (Eagamil) wegen des Datums für Gulkišar § 454 a nicht wohl unter der Zeit des Kaštiliaš I. hinabgerückt werden [657] kann, am wenigsten um ein ganzes Jahrhundert, wie es alsdann nötig wäre. Wohl aber kann Ulaburiaš in der Inschrift des Keulenknaufs ein anderer sein. – Die Urkunden aus Nippur (CLAY, Bab. Exp. XIV. XV) beginnen mit Burnaburiaš II., die neuerdings von KOLDEWEY in Babel gefundenen um dieselbe Zeit. – Zur keilschriftlichen Königsliste und ihrer Rekonstruktion vgl. § 325f.; ob die Zahlen immer zuverlässig sind, ist natürlich nicht zu entscheiden.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 654-658.
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