Die Anfänge der Bronzezeit

[834] 538. Am längsten hat sich die Steinkultur im Bereich der Ostsee, im nördlichen Deutschland und vor allem in Schweden und Dänemark erhalten. Hier entwickelt sie in ihren jüngeren Schichten eine Sicherheit in der Bearbeitung des Materials und ein Stilgefühl in der Herstellung der Werkzeuge, das ihr den Anspruch auf den Namen einer in sich geschlossenen Kultur gewährt. Wenn die Feuersteinmesser denen der aegyptischen Steinzeit (§ 171) nicht gleichkommen und vollends die fein gearbeiteten Steingefäße Aegyptens hier ganz fehlen, so tritt dafür in den mächtigen, ganz glattgeschliffenen Beilen und Äxten und ebenso in den gewaltigen Ganggräbern und den aus Steinplatten gebildeten »Kistengräbern« ein starkes Kraftgefühl [834] um so mächtiger hervor. Daneben besitzen diese Gebiete ein hochgeschätztes und vielverwendetes Schmuckmaterial in dem heimischen Bernstein, der in der Folgezeit in großen Massen nach dem Süden, nach Italien und der Balkanhalbinsel, exportiert worden ist. Diese jüngste Epoche der neolithischen Kultur fällt freilich schon in eine Zeit, wo im übrigen Europa die Verarbeitung der Metalle aufgekommen ist; wie in Troja die prächtigen Steinäxte (§ 494), so lassen die entwickelten skandinavischen Äxte und Hämmer mit erhöhtem Ansatz um das Stielloch, mit feingeschwungener Schneide oder nicht selten auch als Doppeläxte mit zwei Schneiden das in Stein umgesetzte metallene Vorbild deutlich erkennen. Das gleiche gilt von den Steinsicheln, Lanzenspitzen, steinernen Haken u.ä., und vor allem von dem in dieser Epoche in diesem ganzen Gebiet zur Herrschaft gelangenden, vortrefflich aus Feuerstein gearbeiteten Dolchmesser, in dessen Form das fremde Vorbild deutlich erkennbar ist. Die Kupferschätze des skandinavischen Bodens waren nicht bekannt, sondern das Metall mußte aus dem Süden bezogen werden; auch mochte man es zunächst noch mit Mißtrauen betrachten und das härtere Material, an das man gewöhnt war, vorziehen, während die neuen, handlicheren Formen zur Nachbildung reizten. So erklärt es sich, daß man sich lange Zeit damit begnügt hat, die fremden Formen in dem heimischen Material nachzubilden und dabei die Steintechnik immer vollkommener zu entwickeln, bis man die Möglichkeit gewann, das fremde Metall in genügenden Massen zu importieren und selbst zu verarbeiten.

539. Von den Metallen sind im Orient die Edelmetalle, Gold und Silber, zuerst zu Schmucksachen bearbeitet worden. Das Kupfer kommt in Aegypten schon früh im vierten Jahrtausend, lange vor Menes, auf (§§ 171. 225); seit Ende des Jahrtausends beginnt seine Verwendung in Kreta (§ 510), Cypern (§ 498) und Troja (§§ 492. 495), und auch in Sinear treffen wir es seit dem Beginn unserer Kunde zu Anfang des dritten Jahrtausends. Reines Kupfer ist bekanntlich sehr weich [835] und daher für Waffen und Arbeitsgeräte, wie Beile, Meißel, Sägen, wenig geeignet, auch wenn es im Feuer durch Hämmern gehärtet wurde; eben darum hat in Aegypten der Stein noch lange die alte Stellung behauptet. Allmählich lernt man dann, es durch eine Beimischung von Zinn zu härten, zunächst in geringem Maße, dann meist von etwa zehn Prozent; so entsteht die Bronze, mit deren Erfindung der Stein aus der führenden Stellung verdrängt wird. In Aegypten kommt die Bronze schon im Alten Reich vor (§ 225 A.); in Sinear ist sie schon in den ältesten Funden vertreten (§ 367) und eine reine Kupferzeit so wenig nachweisbar wie in Troja (§ 495 A.) und Kreta; das entspricht der Tatsache, daß diese Gebiete wesentlich später in eine höhere Kulturentwicklung eingetreten sind als Aegypten. Woher die Massen des Zinns stammen, welche die alte Welt in der Bronzezeit dem Kupfer beigesetzt hat, ist noch völlig dunkel; denn die Zinngruben von England und Portugal können hierfür ebensowenig in Betracht kommen, wie die von Iran und Hinterindien. Jedenfalls muß ein lebhafter Handel mit Zinn durch die gesamte vorderasiatisch-europäische Welt gegangen sein, weit über die unmittelbaren Berührungen der Völker hinaus. – In Europa hat die Bronze sich, dem Gange der Kultur entsprechend, erst um oder bald nach 2000 v. Chr. verbreitet; auch hier geht ihr eine freilich nur ziemlich kurze Epoche voran, in der neben dem Stein kupferne Äxte, Beile, Dolche, Pfriemen, Fischhaken, Spiralgewinde zum Schmuck, Ringe und Platten von Kupfervorkommen; dann folgt zunächst eine noch sehr zinnarme Bronze. Offenbar ist die neue Erfindung schrittweise von einem Stamm zum andern gedrungen und hat überall zu einer Umsetzung der älteren Steinwaffen und Geräte in Metall, zur Schmückung mit bronzenen Ringen, Ketten, Gehängen u.ä. und zur Übernahme und selbständigen Ausübung der Gußtechnik geführt; auch die einheimischen Kupferbergwerke sind in Ungarn und den Alpenländern, in Mitteldeutschland, in Italien und Spanien erschlossen worden. Gleichzeitig findet auch das Gold Verbreitung und wird aus den Bergen und Flüssen gewonnen; [836] Silber dagegen (dessen frühe Verbreitung im Orient ein eben so dunkles Problem bietet, wie die des Zinns, vgl. §§ 424. 495) ist in Europa, abgesehen von Spanien, nur wenig vertreten.


Nach MONTELIUS (der den Anfang der Bronzezeit in Europa um ein paar Jahrhunderte früher ansetzt als S. MÜL LER, dem ich gefolgt bin) findet sich Zinn außer in Hinterindien und in Drangiana (Strabo XV 2, 10), sowie bei Tebrîz in Iran, auch in Kastamuni in Paphlagonien, und in Europa außer in Portugal und England auch in Toscana, Elba gegenüber, in sechs französischen Departements, und auf der Balkanhalbinsel, in Deutschland und Böhmen (Chronol. der ältesten Bronzezeit S. 200. 210). Über die Funde aus reinem Kupfer und die Kupferbergwerke in Salzburg, Tirol u.a., in Spanien und Irland s.M. MUCH, Die Kupferzeit in Europa, 2. Aufl. 1893.


540. Mit dem neuen Material und der Technik werden auch die Formen übernommen, welche in den führenden Kulturländern dafür geschaffen sind, und in mannigfachen lokalen Variationen umgebildet; so gelangt in der Bronzedekoration Europas das Spiralornament zu allgemeiner Herrschaft. Daneben haben die älteren Formen der Steinzeit und ihrer Keramik weitergewirkt. Im einzelnen zeigt die Bronzezeit Europas natürlich vielfache Sonderentwicklungen mit dem heimischen Bedarf angepaßten und im Laufe der Jahrhunderte vielfach wechselnden Formen, z.B. in der Gestalt der Schwerter und Streitäxte und auch des Schmucks; aber etwas wirklich Selbständiges hat sie nicht zu schaffen vermocht. Gerade die Keramik, in der die lokale Handwerksübung uns am reinsten entgegentritt, bleibt durchweg auf ganz primitiver Stufe stehen, während sie sich gleichzeitig in der Welt des Aegaeischen Meers in Formen und Dekoration zu üppiger Fülle entwickelt und einen lebendigen künstlerischen Sinn zeigt, von dem bei den Töpfern Europas nirgends eine Spur zu finden ist. Selbst in Skandinavien, wo die Bronzekultur sich am längsten, bis etwa ins fünfte Jahrhundert v. Chr., erhalten hat, sind ihre Schöpfungen trotz ihres Formenreichtums und des darin herrschenden Stilgefühls durchaus rezeptiv, gute Nachahmungen und Weiterbildungen fremder Muster. In ihren Anfängen sowohl wie in ihrer ganzen weiteren Entwicklung zehrt die Bronzezeit [837] Europas von den Einflüssen, die von Südosten kommen, aus der Welt des Aegaeischen Meers, unter deren Einwirkung sie entstanden ist; alle Wandlungen, welche sich hier vollziehen, strahlen wieder nach Norden und Westen aus. – Mit dem Aufkommen der Bronze hat sich auch die Leichenverbrennung und die Beisetzung der Asche und Knochen des Toten in Urnen allmählich, wenn auch weit langsamer, weithin in Europa verbreitet, zum Teil offenbar von ihrem östlichen Ausgangspunkt her (§ 537), zum Teil aber zweifellos unter der Einwirkung der griechischen Kultur und der von dieser direkt und indirekt übernommenen Formen der Totenurnen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 834-838.
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