Charakter des Achämenidenreichs. Die unterworfenen Staaten. Die Residenzstädte

[20] Die Würdigung der weltgeschichtlichen Bedeutung des Achämenidenreichs hat sehr darunter gelitten, daß wir den Gegensatz zu Griechenland in den Vordergrund stellen und es an der griechischen Kultur messen, nicht an den früheren und späteren Reichen [20] des Orients. Es kommt hinzu, daß unsere Kenntnis vielfach dürftig und unsicher ist und größtenteils aus der Zeit des Verfalles stammt. Eine unbefangene Betrachtung wird nicht verkennen können, daß das Perserreich ein gewaltiger Kulturstaat gewesen ist. Dem entspricht der tiefe Eindruck, den es auf Zeitgenossen und Gegner wie Äschylos, Herodot, Xenophon gemacht hat. Mochte ein kranker Despot wie Kambyses sich von wilder Laune hinreißen lassen – die persische Tradition verurteilt seine Taten scharf genug, wenn sie auch nie vergißt, daß er der angestammte Herrscher war –, so sind doch die Perser dem Beispiel des großen Reichsgründers immer treu geblieben. Sie haben ihre Kriege energisch, aber nicht blutdürstig geführt, und wenn sie auch gelegentlich besiegte Feinde aus der Heimat fortschleppten, so hat doch bis auf Artaxerxes III. die Vernichtung eines großen Kulturzentrums nie ihren Namen befleckt, mochte sich auch eine Stadt wie Sardes oder wie Memphis, Babylon, Susa wiederholt empört haben – die Verbrennung des menschenleeren Athens war eine politische und militärische Notwendigkeit, der sich keine Kriegführung hätte entziehen können. Ein weiter Blick, ein großer und humaner Sinn zeichnet das Achämenidenreich aus; über ein Jahrhundert lang (519-401 v. Chr.) hat sich unter seiner Herrschaft Vorderasien, von einigen Grenzkriegen wie den Kämpfen mit den Griechen und von den Aufständen Ägyptens abgesehen, eines fast ungetrübten Friedens, einer wohlwollenden und gerechten Regierung, eines gesicherten Wohlstandes erfreuen können, und auch die dann beginnende Zersetzung des Reichs ist nicht durch Empörungen der Untertanen, sondern durch den Hader unter den Herrschern selbst und die Einwirkung der überlegenen Kultur und des Heerwesens der Griechen herbeigeführt worden.

Das Reich der Achämeniden erhebt zuerst von allen Staaten, welche die Geschichte kennt, den Anspruch auf Universalität. »Zum Herrscher weithin über diese große Erde, ihn, den Einen, zum Gebieter über Viele«, »zum König über viele Länder und Zungen«, »über die Gebirge und Ebenen diesseits und jenseits des Meeres, diesseits und jenseits der Wüste« (bab. Inschr. H) hat Ahuramazda, der Schöpfer des Himmels und der Erde, den Perserkönig gemacht17.[21] »Den Herrn aller Menschen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang« kann er sich nennen (Äschines 3, 132). Alle die Völker, deren Repräsentanten auf seinem Thronsitz abgebildet sind, gehorchen ihm, bringen ihm Tribut und leisten ihm Heeresfolge. Damit ist zugleich gesagt, daß das Reich sich als einen Kulturstaat fühlt. Der König hat die Aufgabe zu erfüllen, die Ahuramazda ihm gestellt hat: Recht zu üben, Unrecht und Lüge zu bestrafen, die Freunde zu belohnen, die Feinde zu züchtigen und »im Schirm Ahuramazdas den Ländern seine Gesetze aufzuerlegen«. »König der Länder« (khšâjathija dahjunâm, bab. šar matâti) ist sein bezeichnendster Titel. Noch gebräuchlicher ist »König der Könige«18, obwohl es ihm außer dem König von Kilikien an eigentlichen Vasallen gebricht; denn die Stadtfürsten und Stammeshäuptlinge, die auch im Perserreich unter den Untertanen nicht fehlen, stehen so tief unter ihm, daß sie dem Titel keinen wahren Inhalt verleihen. So mag die Bezeichnung, die bekanntlich bis auf den heutigen Tag die Titulatur des Perserkönigs geblieben ist, falls sie nicht etwa medischen Ursprungs ist (die Assyrer und Babylonier kennen sie noch nicht), eher die höchste Steigerung des Königtums ausdrücken sollen, wie die griechische Benennung βασιλεύς ohne Artikel, die zum Ausdruck bringt, daß der Gattungsbegriff in der Welt nur ein einziges Mal vertreten ist. Eben deshalb hat eine Teilung des Reichs unter die Söhne eines Königs, wie sie anderen Zeiten so naheliegt, hier nie stattfinden können; auch Kyros' Versuch, seinem jüngeren Sohn durch Ausstattung mit mehreren Provinzen unter der Oberhoheit des älteren eine selbständige Stellung zu geben, ist, nachdem er so unglücklich ausgegangen war, in dieser Weise nicht wiederholt worden. Das Weltreich ist ein einheitlicher Staat und kennt nur einen Herrn. – Die Universalität ist; wenn wir uns auf den Standpunkt [22] des Orients stellen, durch die Eroberungen des Kyros und Kambyses in demselben Umfang erreicht worden wie im Abendlande im römischen Kaiserreich. Mochten an den Grenzen der Erde unbotmäßige Völker auf niederer oder dem Orientalen unverständlicher Kulturstufe hausen: für das Perserreich hatte das keine größere Bedeutung als die Selbständigkeit der Germanen und Geten oder des Partherreichs für den römischen Orbis terrarum. Alle Kulturvölker des Orients waren zu einem Staate vereinigt. Seit der Wiederherstellung der Reichseinheit durch Darius hört daher das Achämenidenreich auf, ein erobernder Staat zu sein: der Folgezeit blieb nur die Aufgabe, auszubauen und abzurunden und das Gewonnene zu behaupten.

In den unterworfenen Kulturstaaten haben die Perserkönige die althergebrachten, durch eine Tradition von Jahrtausenden geheiligten Formen möglichst gewahrt. Kyros ist in Babylon, Kambyses in Ägypten als der von den Göttern berufene Nachfolger der einheimischen Herrscher aufgetreten, und auch unter seinen Nachfolgern haben die beiden Reiche dem Namen nach fortbestanden. Mehr als eine Form ist das freilich nicht gewesen; die einverleibten Reiche haben weder Privilegien noch eine Sonderverwaltung, in Babylon und Memphis residiert ein persischer Statthalter so gut wie in jeder anderen Provinz des Reichs. Im westlichen Asien findet sich keine Spur ähnlichen Entgegenkommens, auch nicht in Lydien. Ganz andere Rücksichten dagegen wurden den Medern und den übrigen iranischen Völkern erwiesen. Durch den Verrat medischer Magnaten, durch den Abfall des medischen Heers von Astyages ist Kyros' Sieg ermöglicht worden. So nehmen die Meder im Reich die nächste Stellung nach den Persern ein. »Persien, Medien und die anderen Länder« nennt Darius sein Reich, »König von Persien und Medien« heißt Xerxes in Babylon (s.S. 122). Aus Persern und Medern besteht die Kerntruppe des Heers, ihnen werden die Reichsbeamten entnommen (Xen. Cyr. IV 2, 8), unter Kyros und Darius erscheinen Meder in den höchsten Vertrauensstellen an der Spitze der Heere. Die königliche Tracht und die Ordnung des Hofs hat Kyros von den Medern übernommen, Egbatana wird eine der Residenzen des Großkönigs. [23] So lebt das Mederreich weiter nicht als Schatten eines ehemals selbständigen Staats wie Babylonien und Ägypten, sondern umgewandelt in das Perserreich. Den Fernerstehenden kam die innere Umwälzung gegenüber dem Fortbestehen eines mächtigen iranischen Reichs kaum zum Bewußtsein: daher haben die Griechen wie andere Völker den Medernamen auf das Perserreich übertragen. – Ähnlich wie die Meder sind die übrigen iranischen Stämme gestellt, die teils bereits den Medern untertan, teils vielleicht erst von Kyros unterworfen waren. Jetzt sind sie alle in einem Reich vereinigt; die Empörung der Meder, Sagartier, Parther, Hyrkaner, Marger, Sattagyden und eines Teils der Perser nach der Ermordung des Magiers war der letzte Versuch, die alte Stammesunabhängigkeit zu behaupten. Alle seßhaften und viele nomadische iranische oder, wie sie sich selbst nennen, arische Stämme reden dieselbe, dialektisch kaum variierte arische Sprache, dienen demselben reinen und wahren Gotte Ahuramazda, »dem Gotte der Arier«, wie ihn die susische Übersetzung der Bisutuninschrift nennt19. Die Listen der untertänigen Landschaften, welche Darius aufzählt, zeigen, wieviel mehr sein Interesse diesen Völkern als den Untertanen im Westen zugewandt ist. Mit Stolz nennt er sich in seiner Grabschrift nicht nur einen Perser, sondern auch »einen Arier arischen Stammes« – es ist bezeichnend, daß die [24] babylonische Übersetzung diesen Zusatz wegläßt, die susische die persischen Wörter beibehält –, er rühmt sich, zuerst arische Inschriften verfaßt und in alle Lande gesandt zu haben (Bis. L, nur susisch erhalten). So waren die Stammesunterschiede zwar noch nicht aufgehoben, aber zurückgedrängt; das Achämenidenreich ist noch nicht das »Reich von Iran und Nichtiran« wie das der Sassaniden, aber es hat den Grund dazu gelegt, daß die Arier Irans anders als ihre Brüder in Indien eine einheitliche Nation geworden sind.

Von Persis aus läßt sich ein Weltreich nicht regieren. Wahrscheinlich haben schon Kyros' Vorgänger ihre Residenz nach Susa, der alten Großstadt in der fruchtbaren Ebene von Elam, verlegt; und Susa ist die Hauptstadt des Achämenidenreichs geblieben20. Darius hat sich in der festen Burg einen großen Palast gebaut, den seine Nachfolger erweitert haben. Während der heißesten Sommermonate wurde das Hoflager nach Egbatana verlegt, im Winter brachten die Könige mehrere Monate in Babylon zu – vielleicht ist Darius zur Frühjahrszeit regelmäßig hier gewesen, um am Neujahrstage die Zeremonie der Königsweihe zu vollziehen (s.u. S. 121)21. Die Stellung der Hauptstädte spiegelt sich darin wider, daß auf dem Siegel des Königs und in allen inschriftlich publizierten Königsurkunden dem arischen Text eine Übersetzung in die Sprachen Susas und Babylons beigefügt ist, nicht nur dem großen Bericht des Darius über seine Erhebung an der Felswand von Bagistana, sondern ebenso seiner Grabinschrift in Persepolis und allen Bauinschriften, mochten sie in Persien, Medien, Armenien oder Ägypten angebracht sein. Die westlichen Provinzen [25] erfahren eine gleiche Berücksichtigung nicht; nur innerhalb ihres Gebiets wird die Landessprache daneben verwendet, so in den Inschriften am Suezkanal die altheilige, dem Volke freilich längst unverständliche hieroglyphische Sprache und Schrift, in dem Denkmal, das Darius bei der Überschreitung des Bosporus errichtet hat22, das Griechische. Analoges mag in Kleinasien und Syrien vorgekommen sein. Anschaulich spricht sich darin sowohl die Universalität des Reichs aus wie die führende Stellung der zentralen Gebiete. Mit der Konservierung der Formen der älteren Staaten dagegen hat diese Verwendung der Sprachen nichts zu tun; daher wird jede Berücksichtigung der einheimischen Religionen neben dem arischen Gotte Ahuramazda in diesen Texten gemieden. Wie wenig die bevorzugte Stellung der susischen Sprache etwa ein Fortleben des alten elamitischen Reichs zum Ausdruck bringen soll, zeigt der Umstand, daß in Susiana der persische Kalender eingeführt ist, und daß der susische Text, ganz anders als der babylonische, voll ist von wörtlich übernommenen persischen Wörtern und Wendungen. Ebenso sind die hieroglyphischen Texte nur eine notdürftig ägyptisch stilisierte Übersetzung der persischen Originale; in ihren Trümmern nehmen sich die persischen Anschauungen und Namen seltsam genug aus23.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 20-26.
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