Die Reichspolitik und die Religionen

[87] »Die Einrichtungen, welche Kyros zur Sicherung der persischen Herrschaft getroffen hat,« berichtet Xenophon (Cyrop. VIII 1, 7), »werden auch jetzt noch von den Königen als Gesetze befolgt.« »Dem Kyros sich zu vergleichen, würde kein Perser wagen«, sagt Herodot III 160. Die Urkunden bestätigen diese Angaben. Namentlich Darius ist, so sehr er über Kyros' Ordnungen hinausging, doch nur als der Fortsetzer und Vollender seines Werks aufgetreten. So ist auch für das Verhalten gegen die Untertanen Kyros' Vorgang maßgebend gewesen. Die Stellung der Perser wurde dadurch erleichtert, daß in weiten Gebieten Vorderasiens durch die Assyrer und die großen Völkerbewegungen des 7. Jahrhunderts die nationale Widerstandskraft gebrochen war; nur in Ägypten und Babylon und bei den Griechen, Karern, Lykiern haben sie immer aufs neue gegen Empörungen kämpfen müssen. So haben sie zu dem Radikalmittel der Assyrer und Babylonier, der Transplantation ganzer Bevölkerungen, nur in vereinzelten Fällen gegriffen, und zwar fast nur bei neuen Eroberungen, so in Samos, Barka, Eretria. Dafür hat Kyros den Juden und vielleicht auch anderen von den Babyloniern fortgeführten Volksstämmen die Rückkehr in die Heimat gewährt129.

[87] Überall waren Kyros und seine Nachfolger bestrebt, die einheimischen Anschauungen möglichst zu schonen. Sie waren überzeugte Mazdajasnier und wußten sich den fremden Götterdiensten weit überlegen; aber den fremden Untertanen gegenüber stellen sie sich als eifrige Verehrer ihrer Götter hin. Kyros verkündet den Babyloniern, daß Marduk von Babel ihn zum König ausersehen habe als seinen wahren und treuen Verehrer gegenüber dem abtrünnigen Nabonid, der seine Hilfe bei den Göttern der Landstädte suchte, Kambyses und Darius opfern in den Tempeln Babylons und Ägyptens wie die alten heimischen Könige, wenn auch Kambyses sich nicht enthalten konnte, die ägyptische Religion, die ihm in der Tat lächerlich und kindisch genug erscheinen mußte, zu verspotten. Dem Himmelsgott der Juden, den griechischen Göttern, den Gottheiten all der zahlreichen Völker des Reichs werden im Namen des Perserkönigs Opfer dargebracht. Nicht wesentlich anders verfährt bis auf den heutigen Tag jede Regierung den Religionen fremder Untertanen gegenüber, die sie nicht unterdrücken kann, sondern dulden und anerkennen muß, auch wenn sie sonst in religiösen Dingen exklusiv und aggressiv auftritt. Der Zeit der Achämeniden lag eine staatliche Propaganda, eine Bekämpfung der anderen Religionen, wie sie die Sassaniden geübt haben, noch durchaus fern; mochten die Untertanen glauben, was sie wollten, dafür waren die Könige dem Ahuramazda nicht verantwortlich130. Aber sie sind noch weiter gegangen; überall haben sie ihre Herrschaft auf die Religion der Untertanen zu stützen gesucht und dieser und ihrer Vertretung, der Priesterschaft, weitgehende Konzessionen gemacht, angesehene Tempel mit Privilegien und großen Schenkungen ausgestattet und, wo es erforderlich war, der Priesterschaft eine feste Organisation und eine führende Stellung unter ihrem Volk gegeben. Diese Religionspolitik wurde in den Beziehungen [88] zu den Griechen, den Ägyptern, den Juden konsequent befolgt; sie ist für die Stellung der Perser und die Durchführung der politischen Aufgaben des Reichs von grundlegender Bedeutung. Ohne Zweifel ist man den anderen Völkern gegenüber, über die wir keine Kunde haben, nicht anders verfahren. Auch diese Religionspolitik geht auf Kyros zurück. Wie er in Babylon als Erwählter des Marduk auftrat und für den Kultus der babylonischen Götter Sorge trug, so hat er dem Tempel von Jerusalem die von Nebukadnezar geraubten Gefäße zurückgegeben und seinen Wiederaufbau angeordnet, den dann Darius bestätigt; und in dem Erlaß an Gadatas, der die Freiheit des Personals des magnesischen Apollotempels von Abgaben und Fronden angetastet hatte, tadelt Darius seinen Beamten, »weil du meine Gesinnung gegen die Götter durch dein Tun vereitelst« und »die Gesinnung meiner Vorfahren gegen den Gott verkennst, der den Persern volle Wahrheit verkündet hat«131. Gleiche Privilegien hat Artaxerxes I. der Priesterschaft von Jerusalem verliehen und zugleich die jüdische Priesterschaft organisiert und ihrem Gesetz bindende Kraft für ihr Volk gegeben. Dasselbe hat in Ägypten bereits Darius I. getan132. – Wir werden später sehen, wie unter der Herrschaft der Achämeniden, durch ihre Religionspolitik bewußt und unbewußt gefördert, die Religionen Vorderasiens sich umgebildet haben und in eine neue, für alle Zukunft bedeutungsvolle Richtung hinübergeführt worden sind.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 87-90.
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