Iran. Die Bauten der Perserkönige

und die persische Kunst

[108] In den »Ländern des Ostens« (Darius Pers. c), d.h. den iranischen Ländern östlich von Persien, zählt Herodot fünf Satrapien; dazu kommen im Westen die beiden medischen Satrapien und die Satrapie der Bergstämme am Kaspischen Meer, ferner die Provinz von Susa, im Osten die von Darius eroberten Satrapien der Inder und der Saken mit Einschluß der Kaspeirer von Kaschmir (o. S. 91). Über die innere Entwicklung dieser Gebiete fehlt uns fast jede Kunde. Von der Stellung der arischen Volksstämme zu den Persern, von der beginnenden Ausbildung einer iranischen Nationalität ist früher schon die Rede gewesen. Ein kräftiges Sonderleben behauptete sich vor allem in Ostiran, bei den Baktrern und Sogden. Ein Versuch, die alte Selbständigkeit wiederzugewinnen, ist nach Darius unseres Wissens nur noch einmal wieder unternommen worden, von den Medern um das Jahr 409; die Erhebung, deren Anlaß wir nicht kennen, wurde noch in demselben [108] Jahre beigelegt167. Die wichtigste und schwierigste Aufgabe des Reichs war die Niederhaltung der wilden Gebirgsstämme – sie hat bis auf den heutigen Tag noch keine Regierung vollständig lösen können. Im Osten gaben die Nomaden, am Kaspischen Meer die Kadusier und ihre Nachbarn den Königen fortwährend zu schaffen; in den Zagrosketten hielten sich die Kossäer und ihre südlichen Nachbarn, die Uxier (Uvadža), kaum je ruhig. Schon der dritte Aufstand in Susiana gegen Darius, den Gobryas niederwarf (Bd. III2 S. 198, mag eine derartige Erhebung gewesen sein. Unter den späteren Königen, als das Reich schwach wurde, hatten die Bauern und Ortschaften der Nachbarschaft fortwährend unter den Raubzügen und Brandschatzungen dieser Stämme zu leiden. Wollten die Könige ihr Hoflager von Susa nach Egbatana verlegen oder Persepolis aufsuchen, so mußten sie den unbehelligten Durchzug durch die Berge von den Kossäern und Uxiern mit Geschenken erkaufen168.

Von der Stellung der Perser im Reich, von der Rückwirkung der Weltherrschaft auf ihre Kultur und ihren Charakter ist schon geredet worden. Ihre Fähigkeit und Neigung, sich fremde Bräuche und die Errungenschaften einer höheren Kultur anzueignen, tritt uns in der Kunst besonders anschaulich entgegen. Eine heimische Kunst hat das Bauernvolk in den Zeiten seines Sonderlebens nicht erzeugt. Als es nun galt, in Persien würdige Wohnstätten und Gräber für die Herren der Welt zu schaffen, hielt man sich an die Vorbilder der alten Kulturstaaten, zunächst an die Babyloniens. So errichtete man in Pasargadä, Persepolis und Susa große Terrassen, auf denen sich die Paläste und Audienzhallen der Könige erhoben. Die gesamte Dekoration ist dem Formenschatz der vorderasiatischen Kultur entnommen. Geflügelte Stierkolosse mit bärtigen Menschenhäuptern bewachen den Eingang; lange Friese, Darstellungen der Leibgarde und der Tributdarbringungen beleben den Unterbau, umrahmt von Rosetten und stilisierten Blüten, gegliedert durch dazwischengestellte Zypressen; Darstellungen des[109] Königs auf dem Thron oder unter dem Sonnenschirm, von seinen Dienern geleitet, prangen an Wänden und Pfeilern. An anderen Stellen stößt der König einen Löwen, einen Greif, ein Einhorn oder andere Fabelwesen der babylonischen Kunst nieder; ein Löwe zerfleischt einen Stier oder ein Einhorn, lange Reihen schreitender Löwen schmücken das Gesims. Über dem Bilde des Königs schwebt die Gestalt Ahuramazdas (u. S. 115). Aber trotz alledem sind die persischen Paläste nichts weniger als eine sklavische Kopie ihrer Vorbilder. Ein wesentlicher Unterschied war bereits durch äußere Bedingungen gegeben; in den persischen Bergen stand anstatt der babylonischen Ziegel ein vorzüglicher marmorartiger Kalkstein zur Verfügung. Daher sind die Felsterrassen, die hier die aus Lehmziegeln und Erdpech aufgeschütteten Fundamente der babylonischen Bauten vertreten, mit großen wohlgefugten Quadern umschlossen und gestützt, die Treppen, die Pfeiler und Säulen, die Ecken der Gebäude, die Anten des Portals, die Umrahmungen der Fenster und Türen aus großen Steinblöcken aufgeführt. Die Zwischenwände dagegen wurden aus Luftziegeln hergestellt, die mit Stuck, vielleicht auch mit gebrannten Ziegeln, verkleidet waren; sie sind daher gegenwärtig durch atmosphärische Einwirkungen fast verschwunden. In Susa, wo Steine schwerer zu beschaffen waren, spielen die Ziegel eine weit größere Rolle, und ist infolgedessen der babylonische Einfluß stärker; hier finden sich z.B. prächtige Friese aus farbigem emailliertem Ton in babylonischer Arbeit. Weit wesentlicher ist, daß trotz aller äußeren Übereinstimmungen der Grundcharakter der Architektur sich vollständig geändert hat: in den Palästen von Assur und Babel gruppieren sich die zahllosen Gemächer um große Binnenhöfe, der persische Palast ist ein Säulenbau. Überall bildet den Kern des Gebäudes der säulengetragene Prachtsaal, in dem der König Audienzen erteilt und seine Magnaten und Diener bewirtet; einzelne Bauten, wie die gewaltige Hundertsäulenhalle in Persepolis, die Darius gebaut hat, bestehen nur aus diesem einzigen Raum. Der Prunkbau des Xerxes war eine große offene Säulenhalle169.

[110] Da die persischen Paläste nur ein Stockwerk hatten und die Decke aus Holz bestand – die Zedernstämme, aus denen sie gefügt waren, sind wohl vom Libanon und Amanos herbeigeschafft –, konnten die Säulen im Gegensatz zu den massiven, enggestellten Säulen der ägyptischen wie der dorischen Tempel schlank und hoch werden und weit voneinander stehen. Dadurch erhalten die Säulenhallen einen heiteren Charakter, wie er dem Festsaal ziemt, der durch Teppiche und Girlanden, durch die bunte Bemalung und das prächtige Getäfel der Decke noch erhöht wurde. Nur in Pasargadä und an den Grabfassaden erscheinen glatte Säulen, sonst sind sie durchweg kanneliert; aber die Kannelüren sind flacher und enger als die griechischen. Die Basis ist meist glockenförmig und mit Blättern geschmückt, die von einem Eierstab herabhängen. Ganz eigenartig ist das Kapitäl. In der Regel läuft die Säule in einen Kelch aus; darüber erheben sich unorganisch aufwärts gerichtete Voluten. Über diesen, oder, wo sie fehlen, direkt über dem Säulenschaft, springen nach beiden Seiten phantastisch gestaltete kniende Pferde (auch Löwen und Stiere) hervor; auf dem Sattel zwischen den beiden Mähnen ruht der Block, der den Deckbalken trägt. Das ist ein aus der babylonischen Kunst, aus den wappenförmig gegeneinander vorspringenden Tieren, die auch in die chetitisch-kleinasiatische und mykenische Kunst übergegangen sind, weiter entwickeltes Motiv. Sonst scheint das Kapitäl den in Kleinasien herrschenden Formen und speziell dem äolischen Kapitäl verwandt. – In der ganzen Idee des Säulenbaus und auch in den Formen der Säulen selbst wird man trotz aller Abweichungen im einzelnen griechische Einflüsse kaum verkennen können. Noch deutlicher empfindet man dieselben in der Skulptur. Die Typen [111] der menschlichen Figuren, die Gewandung, die Haartracht knüpfen unmittelbar an die assyrisch-babylonischen Muster an. Aber ihr starrer Schematismus, die unnatürliche Übertreibung in der Behandlung der Muskulatur, des Bartes, des Haupthaars sind überwunden, die Kunst hat eine höhere Freiheit gewonnen. Der Faltenwurf der Gewandung, die Bewegung der schreitenden Figuren stehen der griechischen Kunst am Ende des 6. Jahrhunderts gleich, deren Einfluß auch darin kenntlich ist, daß das Auge bei den im Profil gezeichneten Figuren en face gebildet wird. Die Gesichtsbildung der Könige, der Hofbeamten, der Leibwächter zeigt das Ideal des arischen Mannes; aber auch die Typen untertäniger Völker, der Neger, der zentralasiatischen Stämme sind mit Geschick nachgebildet. Die Gleichförmigkeit in den langen Figurenreihen der Paläste, der Mangel an Abwechslung, an origineller Ausbildung der einzelnen Szenen ist durch den Stoff bedingt; mehr als eine dekorative Wirkung sollen sie nicht erzielen.

Das älteste persische Grab war ein freistehender Bau, in dem die mit Wachs überzogene Leiche beigesetzt wurde – denn wenn es als ein ungeheurer Frevel galt, das heilige Feuer durch Verbrennen der Leiche zu verunreinigen, so befolgten die Laien ebensowenig den Brauch der Magier, die Toten den Raubvögeln zum Fraß hinzuwerfen. Das Grab des Kyros ist eine schlichte Zelle auf hohem, in Stufen ansteigendem Unterbau, auf drei Seiten von einem Säulengang umgeben. Grabtürme, wohl Verwandten des Königshauses angehörig, finden sich mehrfach in Pasargadä und Persepolis. Dann hat Darius, angeregt eher durch ägyptische als durch kleinasiatische Vorbilder, das Felsengrab geschaffen, eine schlichte Kammer mit schönem Portal und einer aus dem Felsen gehauenen Säulenhalle davor. Darüber steht auf einem von den Repräsentanten aller untertänigen Völker getragenen Thronbau der König, ganz allein, im Gebet vor dem Feueraltar, gestützt auf seinen Bogen; über ihm schwebt das Bild Ahuramazdas und dahinter die Sonnenscheibe. Zu den Seiten des Thrones sind die treuesten Diener des Königs abgebildet. Es ist das würdigste Monument des großen Herrschers, eine Schöpfung von schlichter Größe und Wahrheit, ohne jeden Pomp, frei von aller mystischen [112] Selbstvergötterung, der treffendste Ausdruck der Majestät des Achämenidenreichs. Mit Recht haben alle späteren Könige sich begnügt, für ihre Ruhestätten das Grab des Darius zu kopieren170.

So ist die persische Kunst der richtige Ausdruck des persischen Reichs. Von allen Untertanen und Kulturen, die es umschließt, entnimmt sie in Form und Technik, was ihr dienlich scheint – nach ägyptischen Mustern sind z.B. auch die Gesimse der Türen und Fenster in den Palästen gearbeitet, ebenso wie die Krone des verklärten Kyros (Bd. III2 S. 187 aus Ägypten stammt –171; aber ganz anders als z.B. den Phönikern, die über eine rohe Mischung, eine unvermittelte Nebeneinanderstellung der verschiedenartigsten Elemente nie hinausgekommen sind, gelingt es ihr, alle Bestandteile zu einer organischen Einheit, zu einem neuen höheren Stil zu verschmelzen. Die Schöpfungen des Perserreichs sind das Höchste, was die Kunst des alten Orients zu erzeugen vermocht hat. Aber zugleich lehren sie mit geradezu überraschender Deutlichkeit, daß die alte Entwicklung des Orients zum Abschluß gekommen ist und eine neue Epoche begonnen hat. Sie sind ganz und gar modern, eine durchaus künstliche Schöpfung; ihnen fehlt, was das Wesen aller ursprünglichen Kunst ausmacht, das innige Verwachsensein mit dem Volkstum, die notwendige Entwicklung von innen heraus. Sie sind nicht wie diese mehr aus einem inneren Zwang als aus freier Entschließung geboren, sondern sie sind das Ergebnis einer Wahl, einer selbständigen Überlegung ihres Schöpfers, der aus vielen Möglichkeiten das Geeignetste heraussucht. Man kann nicht behaupten, daß ihnen der nationale Charakter fehle, daß sie nicht der künstlerisch vollendete Ausdruck dessen wären, was der Perser empfand: mit berechtigtem Stolz haben Darius und Xerxes auf ihre Werke geschaut. Aber nicht das Volk, sondern das Reich hat die Kunst geschaffen. Nach den ersten Ansätzen in den Monumenten[113] von Pasargadä gelangt sie sofort unter Darius auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung; und hier bleibt sie stehen, wie das Reich stehenblieb. Andere Aufgaben als den König und seine Macht zu verherrlichen, hat sie nicht. So bleiben ihre Schöpfungen auf die Königsstädte beschränkt. Die Magnaten und Vasallen in den Provinzen haben sie nachgeahmt, die phönikischen Stadtkönige lassen sich in Tracht und Haltung ihrer Lehensherren bilden; aber von einer Einwirkung auf das persische Volk findet sich keine Spur. Schwerlich sind die Baumeister und Bildhauer der Paläste und Gräber Perser gewesen; selbst die zugrunde liegenden Ideen mögen von einem genialen Meister aus den Untertanen stammen, dessen Gedanken der König billigte. So ist mit dem Fall des Reichs die persische Kunst ebenso plötzlich und vollständig verschwunden, wie sie entstanden war, ohne bei dem Volk, in dessen Mitte ihre Schöpfungen standen, irgendwelche Nachwirkung zu hinterlassen. Als ein halbes Jahrtausend später aufs neue ein persisches Reich entstand, hat sich derselbe Vorgang wiederholt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 108-114.
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