Das übrige Griechenland. Kleomenes gegen Argos und Ägina

[298] Mardonios (Mardunija), der Sohn des Gobryas, eines der sechs Genossen des Darius, ein junger Mann von hervorragender Begabung und frischem Tatenmut, Eidam des Königs und bei ihm in hoher Gunst, war im Frühjahr 492 in Kleinasien eingetroffen (o. S. 290), um die Führung im Krieg gegen Griechenland zu übernehmen. Denn wenn auch die Züchtigung der Friedensbrecher Athen und Eretria das nächste Ziel der persischen Politik war, mußte sie sich doch zu der Aufgabe erweitern, die gesamte griechische Nation dem Reich einzuverleiben. Nur so konnte dasselbe gegen die Wiederkehr ähnlicher Erschütterungen wie der letzten sichergestellt, den Ioniern jeder Versuch einer neuen Erhebung unmöglich gemacht und die Quelle fortwährender Unruhen an der Westgrenze verstopft werden. Größere Schwierigkeiten schienen kaum zu erwarten; man war sicher, im Lande selbst Bundesgenossen in Fülle zu finden. Staaten wie Theben und Argos und ebenso die Aleuaden in Thessalien konnten das Herannahen des persischen Heeres nur mit Freuden begrüßen. Die kleineren Staaten lähmte der Schrecken, den der Fall Ioniens verbreitete. So konnte von einer Zusammenfassung der ganzen Nation, von einer einheitlichen Organisation des Widerstandes keine Rede sein. Als die Perser – wahrscheinlich doch nicht erst im Jahr 491, wie Herodot angibt, sondern im Frühjahr 492, als Mardonios den Feldzug begann – Boten entsandten, welche von den einzelnen Staaten Erde und Wasser als Zeichen der Unterwerfung einfordern sollten, wurde das Gebot fast überall erfüllt, vor allem von den der persischen Flotte wehrlos preisgegebenen Inseln. Nur in Athen und in Sparta wies man nicht nur das Ansinnen ab, sondern scheute sich nicht, die Boten wie gemeine Verbrecher hier in einen Brunnen, dort in das Barathron zu stürzen. Die Verletzung des Völkerrechts war in beiden Staaten weniger ein Ausbruch heroischer Vaterlandsliebe als ein Versuch der herrschenden Partei, den Bruch mit Persien unheilbar zu machen und die widerstrebenden Elemente zum Kampf auf Leben und Tod zu zwingen. Sie zeigt, daß wie in [299] Athen so auch in Sparta die Situation sehr verschieden beurteilt wurde und die Wogen des Parteikampfes hoch gingen. Das Bewußtsein, einen Frevel begangen zu haben, ist in Sparta bald darauf erwacht; vor dem Zuge des Xerxes hat man versucht, die Tat zu sühnen; aber der König hat die ihm gesandten Opfer abgewiesen356.

In Sparta stand damals König Kleomenes auf der Höhe seiner Macht. Er hatte vor kurzem357 in der wiederausgebrochenen Grenzfehde mit Argos einen glänzenden Erfolg errungen. Von Thyrea aus war er gegen Argos bis zum Erasinos vorgerückt, dann aber auf Schiffen, die ihm Sikyon und Ägina stellten, über den Golf nach Tiryns gegangen. Dadurch wurden die Argiver gezwungen, eine Feldschlacht anzunehmen. Sie wurden vollständig geschlagen, der Hauptteil des flüchtigen Heeres in dem Hain des Heros Argos abgeschnitten und mit Feuer und Schwert vernichtet. In der Stadt bot man die letzten Kräfte auf und führte Weiber und Sklaven zur Verteidigung auf die Mauern – bei der Organisation des Widerstands hat die Dichterin Telesilla dauernden Nachruhm gewonnen. Die Belagerung der festen Stadt mit der steilen Felsburg Larisa ging über die Kräfte der Spartaner; Kleomenes hat sie gar nicht versucht. Er ist deshalb nach der Rückkehr zur Verantwortung [300] gezogen worden, weil er sich habe bestechen lassen, wurde aber freigesprochen; und in der Tat würde es schwer sein anzugeben, was er bei dem damaligen Stand des spartanischen Kriegswesens noch weiter hätte machen sollen. Wenn aber auch der Sieg nicht voll ausgenutzt werden konnte, war doch die Volkskraft von Argos gebrochen; 6000 Mann sollen in der Schlacht umgekommen sein358. Für den bevorstehenden Perserkrieg war Argos unschädlich gemacht; auf ein Menschenalter schied es aus der Zahl der politisch bedeutsamen Mächte aus. Die untertänigen Gemeinden empörten sich, Mykene und Tiryns machten sich selbständig und schlossen sich an Sparta an. Auch Kleonä, im Gebirge zwischen Mykene und Korinth, in dessen Gebiet der Festplatz von Nemea lag, kann schwerlich argivisch geblieben sein, wenn es auch im Gegensatz zu seinen Nachbarn immer zu Argos neigte (u. S. 485, 3) und daher am Perserkrieg nicht teilgenommen hat. So blieb nur die Inachosebene mit den zugehörigen Gebirgstälern im Besitz von Argos. Bei der Schwäche der dezimierten Bürgerschaft gewann ein Teil der Untertanen und Leibeigenen das Bürgerrecht. Die demokratische Gestaltung des Staats, die schon früher begonnen haben [301] mag, gelangte jetzt zu voller Durchbildung359. Das Königtum bestand noch zur Zeit der Perserkriege; aber es war völlig ohnmächtig geworden. Die laufenden Geschäfte führten die Ratskollegien (Bd. III2 S. 324 und die Beamten, aber die Entscheidung lag in den Händen der souveränen Volksversammlung (ἁλιαία). Recht sprachen, wie in Athen seit Solon, die Volksgerichte, aber wie es scheint in stärker demokratischen Formen; in wichtigen Fällen versammelt sich das ganze Volk zum Gericht auf dem Pron am Abhang der Larisa. Auch einen Ostrakismos hat es in Argos gegeben. An Parteikämpfen wird es nicht gefehlt haben, namentlich zwischen den Alt-und Neubürgern; von den letzteren ist ein Teil, als die Nachkommen der gegen Kleomenes Gefallenen heranwuchsen und den maßgebenden Einfluß wiedergewannen, aus der Stadt verdrängt worden und hat sich nach Tiryns geflüchtet360.

Kleomenes hatte das Hilfegesuch des Aristagoras abgewiesen; [302] jetzt aber, wo der Angriff der Perser bevorstand, ging er mit Eifer auf den Gedanken des Kriegs ein. Er mochte hoffen, sich dadurch die Führerschaft über ganz Griechenland zu gewinnen. So vollzog sich aufs neue eine Annäherung zwischen ihm und Athen, die dadurch erleichtert wurde, daß der Einfluß seiner Gegner, der Alkmeoniden, gebrochen war. Kleomenes wird schon jetzt den Athenern für den Fall des Krieges die Hilfe Spartas in Aussicht gestellt haben. Um so weniger konnte er es dulden, daß ein Glied des peloponnesischen Bundes, Ägina, den Persern die Huldigung gewährt hatte. Als die Athener, froh, ihren Rivalen schädigen zu können, darüber in Sparta Klage erhoben, ging Kleomenes auf die Insel, um für ihr Wohlverhalten zehn Geiseln zu fordern, darunter den leitenden Staatsmann Krios, Sohn des Polykritos. Aber die Ägineten verweigerten die Auslieferung, in geheimem Einvernehmen mit König Demaratos, der hier wie früher (Bd. III2 S. 741 getreu der Politik seines Hauses den großen, zu unabsehbaren Verwicklungen führenden Plänen seines Mitkönigs entgegentrat. Er wird auch gegen ein vorzeitiges Eingreifen in den Perserkrieg gesprochen und geraten haben, den persischen Angriff auf den Peloponnes abzuwarten. Die Ägineten erklärten, sie würden die Geiseln nur stellen, wenn beide Könige zusammen auf Grund eines Beschlusses der spartanischen Gemeinde sie forderten. Kleomenes wußte sich zu helfen: er verschaffte sich von der Pythia einen Orakelspruch, der Demarat, an dessen ehelicher Abstammung der eigene Vater Zweifel geäußert hatte, für illegitim erklärte, und setzte seine Absetzung durch die Volksgemeinde durch (491 v. Chr.). Demarat, von Kleomenes noch weiter gekränkt, ging nach Persien und wurde vom König mit den Städten Teuthrania und Halisarne beschenkt (o. S. 57). An seine Stelle trat der dem Kleomenes ganz ergebene Leotychidas, das Haupt einer Nebenlinie der Eurypontiden361. Jetzt konnten die Ägineten die [303] Stellung der Geiseln nicht länger weigern. Sie wurden von Kleomenes den Athenern in Gewahrsam gegeben, und so auch Ägina vollständig lahmgelegt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 298-304.
Lizenz:
Kategorien: