Stimmungen in Griechenland. Der hellenische Bund und der Feldzugsplan

[340] Im Herbst 481 entsandte Xerxes, wie Darius vor ihm, Boten an alle griechischen Staaten mit Ausnahme Athens und Spartas mit der Forderung von Erde und Wasser: es war die offizielle Ankündigung des bevorstehenden Zuges. Damit trat an die Griechen die Frage heran, ob sie es wagen sollten, für die Freiheit den Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen. Der späteren Auffassung [340] freilich war es selbstverständlich, daß griechischer Freiheitssinn und griechische Tapferkeit über die ungezählten Barbarenscharen den Sieg davontragen mußten. Die Zeitgenossen, wie Äschylos, und die von ihnen geprägte Tradition, die Herodot aufgezeichnet hat, fassen den Ausgang anders auf: ihnen ist er ein Wunder, das nur durch das Eingreifen der Götter erklärlich ist, durch den Schluß des Zeus, der nicht wollte, daß die ganze Welt einem Einzigen gehorche406. Gewiß waren, namentlich in entlegeneren Gebieten, wo man die Gefahr noch fern wähnte, die Massen von Vertrauen auf ihren Mut und ihre Widerstandskraft erfüllt. Aber ob sie standhalten würden, wenn nun der Feind vor den Toren stand, wenn es darauf ankam, die entscheidende Schlacht zu wagen, das war eine andere Frage. Hatte sich doch noch bei Marathon gezeigt, wie leicht im Angesicht des Feindes der Mut ins Wanken kommen und die Bedenken die Oberhand gewinnen konnten; ohne Miltiades' Eingreifen hätten die Athener ihre Stellung geräumt – und dann war nichts mehr zu retten. Gewiß gab es Bürgerschaften, wie die Spartaner und manche arkadische Gemeinden, von denen mit Sicherheit zu erwarten war, daß sie bis zum letzten Blutstropfen ausharren würden; aber war davon mehr zu erwarten als ein ehrenvoller Untergang, wie er so viele Völkerschaften ereilt hatte, die mit dem Mut der Verzweiflung der Übermacht der Assyrer, der Chaldäer, der Perser zu widerstehen versucht hatten? Wenn Sparta dem Verzicht auf die Freiheit die Vernichtung vorzog, konnte es unsterblichen Ruhm gewinnen, wie Xanthos in Lykien im Kampf gegen Kyros' Heer; aber der griechischen Sache brachte seine Aufopferung keinen Gewinn. War es da nicht richtiger, sich zu fügen, zu retten, was noch zu retten war, nicht durch törichten Widerstand das Unheil vergrößern? Hatte doch eben erst der Ausgang des ionischen Aufstandes aufs neue erwiesen, wie verhängnisvoll der Versuch auslaufen mußte, sich der Weltmacht zu widersetzen. Allerdings hatten die Athener gezeigt, daß ein griechisches Hoplitenheer imstande war, unter günstigen Umständen und geschickter Führung die asiatischen Scharen zu schlagen. Aber gab der Sieg von Marathon [341] irgend welche Aussicht, daß man nun auch gegen die gewaltigen Heeresmassen, welche Xerxes heranführte, das Feld werde behaupten können? Und mußte nicht die persische Flotte, welche die See beherrschte, Griechenland umklammern und jeden Widerstand im voraus unmöglich machen?

Es kam hinzu, daß es eine die Nation zusammenfassende politische Organisation nicht gab und daß auch in der äußersten Not keine Möglichkeit vorhanden war, zu ihr zu gelangen. Wohl existierte ein hellenisches Gesamtgefühl, das in Sprache und Religion, in Sitte und Leben seinen Ausdruck fand, durch die gemeinsamen Feste und Spiele und nicht am wenigsten durch die nationale Dichtung lebendig erhalten wurde. Aber dies Hellas war ein weit ausgedehntes, in sich nicht zusammenhängendes Gebiet, das von der Rhonemündung bis nach Cypern, vom Dniepr und von der Krim bis nach Kyrene reichte. Daß den Außenposten des Griechentums, den Städten am Schwarzen Meer, Massalia, selbst den Griechen Unteritaliens der Gedanke einer Teilnahme am Krieg ganz fern lag, ist begreiflich genug – nur aus Kroton stieß Phayllos407, berühmt durch seine Siege in den Pythischen Spielen, mit einem Schiffe zur griechischen Flotte –; aber auch die entlegenen Staaten des Mutterlandes, wie Korkyra, Akarnanien, Ätolien, die kretischen Gemeinden, waren froh genug, einstweilen außer Schußweite zu sein408. Korkyra, bis auf die athenische Flottenrüstung die größte Seemacht des Mutterlandes, hat zwar seine Hilfe zugesagt und eine Flotte von 60 Trieren mobil gemacht, aber am Kampfe nicht teilgenommen409, sondern den Ausgang abgewartet; die übrigen hielten sich von Anfang an neutral. Mindestens ein Viertel von Hellas, die Griechen von Kleinasien, Cypern und Kyrene waren Untertanen der Perser und stellten ihnen Schiffe und Mannschaft; die sizilischen Mächte waren zwar [342] durch den karthagischen Angriff gezwungen, in den Nationalkampf einzutreten, aber eben dadurch auch voll in Anspruch genommen, so daß eine Unterstützung des Mutterlandes von hier aus unmöglich war. Was übrig blieb, Thessalien mit den umliegenden kleinen Völkerschaften, Phokis, Böotien, Attika, Megara, der Peloponnes mit Ägina, Euböa und die Kykladen, die Landschaften, die von dem Angriff der Perser zunächst bedroht waren, war ein Gebiet von etwa 54000 qkm und etwas über zwei Millionen Einwohnern410. Aber nicht einmal dieses Gebiet konnte sich zu gemeinsamem Handeln einigen. Man verhandelte wohl über ein Bündnis, aber man kam nicht zum Ziel; die alteingewurzelten Gegensätze machten den Gedanken eines Zusammenstehens für die höchsten nationalen Güter undurchführbar. Für Athen und Sparta gab es keine Wahl; beide Staaten waren daher schon seit einem Jahrzehnt gegen Persien verbündet. Im Peloponnes hatte die militärische Überlegenheit Spartas die alte Kantonspolitik wenigstens einigermaßen überwunden, und der Peloponnesische Bund hielt auch jetzt zusammen – wenn auch vielleicht zunächst nur, weil die Gefahr noch fern war und man glauben konnte, durch Verteidigung der Isthmoslinie die Invasion überhaupt fernzuhalten. Aber um so weniger konnte man von Argos erwarten, daß es sich an einem Kriege beteiligen werde, an dessen Spitze sein Todfeind stand. Offiziell erklärte es sich neutral, um nicht von den Feinden erdrückt zu werden, aber im geheimen trat es mit den Persern in ein enges Freundschaftsverhältnis (vgl. u. S. 576) und hoffte alles von ihrem Siege. Auch die Achäer am Nordrande des Peloponnes hielten sich fern. Es waren kleine Bauerngemeinden, die bisher von den Händeln der griechischen Welt wenig berührt waren; was für Anlaß hatten sie, sich für eine Sache aufzuopfern, die, wenn sie siegreich war, sie doch nur in Abhängigkeit von Sparta bringen konnte? In Thessalien und Mittelgriechenland war die Gefahr drohender, die Möglichkeit [343] einer erfolgreichen Verteidigung geringer. Aber auch sonst drängte hier alles zum Anschluß an Persien. Theben hatte früher im Kampf gegen Athen mit Sparta gemeinsame Sache gemacht; seit dies mit Athen Hand in Hand ging, gaben sich die Machthaber, eine extreme Adelsfaktion, ganz dem persischen Interesse hin. Nur so konnten sie hoffen, ihr Ziel, die Suprematie über ganz Böotien, zu erreichen411. Die Thessaler hatten vor kurzem den Versuch erneuert, Phokis zu unterwerfen (vgl. Bd. III2 S. 708), aber eine schwere Niederlage erlitten412. Jetzt geboten im Lande die Aleuaden von Larisa, die nach mancherlei Wirren und Kämpfen das Oberkönigtum über das ganze Land an ihr Haus gebracht hatten413; und sie schürten in Susa eifrig zum Kriege, um dadurch [344] ihre Stellung zu festigen. Wohl gab es in Thessalien und Theben eine demokratische Opposition, die, um die Adelsherrschaft zu stürzen, den Anschluß an Athen und Sparta erstrebte; aber sie konnte so wenig aufkommen, wie in Athen die persisch gesinnten Anhänger der Tyrannen. Aus Opposition gegen Theben und Thessalien standen, wie Thespiä und Platää, die beiden einzigen noch unabhängigen böotischen Gemeinden, so die Phoker, eifrig zur nationalen Sache.

So waren die Verhältnisse überall zerrissen, die Stimmung gedrückt und schwankend, gerade auch in den Staaten, die sich zum Kampf entschlossen hatten. »Phöbos«, ruft ein megarischer Dichter aus, »du selbst hast diese Stadt mit Mauern geschirmt, wehre du das Mederheer von uns ab, damit wir ferner deine Feste feiern können; denn Furcht erfaßt mich, blicke ich auf den Unverstand und den verderblichen Zwist unter den Hellenen; also schütze du gnädig unsere Stadt.« »Zeus möge diese Stadt beschirmen und die übrigen Götter«, heißt es in einem anderen Gedicht, »Apollo uns rechte Rede und rechte Gedanken verleihen. Musizieren wollen wir, trinken und plaudern und den Mederkrieg nicht fürchten. Das ist besser; einträchtigen Sinnes, ohne uns zu sorgen, wollen wir frohe Feste feiern und die Nöte des Alters und den Tod uns fernhalten«414. Von solchen Stimmungen[345] bis zum völligen Verzicht auf den Widerstand war nicht weit. Und war es denn wirklich ein so großes Unglück, wenn man mit den Persern ein Abkommen schloß? Stand nicht bereits ein großer Teil der Griechen unter persischer Herrschaft? und wäre es ihnen nicht ganz gut ergangen, wenn sie sich nicht zur Empörung hätten verleiten lassen? Gewiß war es ruhmvoller, zu kämpfen, aber doch nur, wenn man Aussicht auf Erfolg hatte; andernfalls mußte man die Fremdherrschaft über sich ergehen lassen. Wenn man sich rechtzeitig unterwarf, hatte man nicht einmal eine Änderung der Verfassung zu erwarten, wohl aber eine Stärkung der Regierung gegen die unzufriedenen Elemente und dazu Belohnung und Machterweiterung. Viele mochte die Aussicht auf die reichen Ehren und Geschenke locken, die der König gewähren konnte, sie mochten hoffen, durch persischen Einfluß den Vorrang und die Herrschaft in der Heimat zu gewinnen. Die Perser führten keinen Vernichtungskrieg gegen die griechische Nation, sie waren bereit, ihre Götter und Heiligtümer zu ehren, ihre Städte unangetastet zu lassen so gut wie Besitz und Rechte jedes einzelnen; an dem behaglichen Stilleben der einzelnen Gemeinden änderte sich wenig, wenn sie sich bequemten, dem Oberherrn eine Abgabe zu zahlen und auf eine Beteiligung an der großen Politik zu verzichten, in die einzugreifen sie doch meist auch sonst gar nicht in der Lage waren. So kam es, daß von den Männern, die sich durch die Geburt berufen glaubten, die Geschicke ihrer Heimatgemeinde zu lenken, den Vertretern der alten Adelsherrschaft, nicht wenige zur Unterwerfung bereit waren, Männer, die der Pflege der ritterlichen Tugenden, der gymnastischen Ausbildung und des Sports lebten und die, mochten auch manche sich von niederem Ehrgeiz verleiten lassen, doch größtenteils ein ernst und tief empfundenes sittliches Ideal in der Brust trugen. Es sind die Kreise, deren Anschauungen sich in Pindars Preisliedern für die Sieger in den nationalen Festspielen widerspiegeln. Die Aleuaden Thessaliens waren gewiß in ihrer Art ansehnliche Männer, die die Regierung nach den richtigen Grundsätzen des Adelsstaats zu führen gedachten; aber sie waren die ersten, welche sich den Persern in die Arme warfen. Der thebanische Adel machte es [346] nicht anders. Pindar selbst mochte im innersten Herzen empfinden, wie unrühmlich ein derartiges Verhalten sei; aber er hielt zu seinen Standesgenossen, mahnte die Gegenpartei zur Ruhe und pries die Segnungen des Friedens415. Freilich nicht alle dachten so; der Adel Äginas hat sein Verhalten im Jahr 491 desavouiert, und dieselben Männer, welche damals als Perserfreunde von Sparta in athenisches Gewahrsam ausgeliefert waren, haben mutig und treu zusammen mit den Korinthern und Athenern, den erbitterten Gegnern ihrer Heimat in allen griechischen Händeln, für die nationale Sache gekämpft.

Die Thessaler und die meist von ihnen abhängigen kleinen Nachbarstämme: Perrhäber, Magneten, Phthioten, Änianen, Doloper, Malier, die Lokrer, die Thebaner gaben den persischen Herolden Erde und Wasser; Argos hielt sich zurück, stand aber mit Persien in Verhandlung, ja, es wurde beschuldigt, die Perser zum Krieg aufgereizt zu haben. Die übrigen Staaten, soweit sie bereit waren, am Kriege teilzunehmen, schickten Gesandte nach dem Isthmos zu gemeinsamen Beratungen. Freilich, ob ihre Pläne ausführbar seien, war fraglich genug. Die höchste Autorität in der griechischen Welt, die einzige Institution, welche eine allgemein anerkannte geistige und politische Führerrolle in Anspruch nehmen konnte, das Delphische Orakel, war entgegengesetzter Ansicht. Wie den Branchiden von Didymoi war auch den Orakeln des Mutterlands und vor allem der Delphischen Priesterschaft die Überlegenheit der persischen Macht, die Aussichtslosigkeit des Widerstands über jeden Zweifel erhaben. Der Eindruck der jähen Katastrophe des Krösos wirkte noch nach; aber auch eine kühle Überlegung mußte zu demselben Ergebnis führen gerade bei Männern, die ganz in den althergebrachten Anschauungen lebten. Die neuen Strömungen, die Entwicklung der attischen Seemacht waren ihnen unheimlich und fremd; was konnten Athens Schiffe ausrichten [347] gegen die persische Übermacht, die in der Schlacht bei Lade aufs neue erwiesen war? Daß aber im Landkampf alle Ausbildung athletischer Körperkraft, aller Heldenmut und alle Tapferkeit der Hoplitenheere auf die Dauer nichts ausrichten konnten, selbst wenn es ihnen gelang, einzelne Erfolge zu erringen und den Persern schwere Verluste beizubringen, stand ihnen klar vor Augen. Waren sie, die berufenen Vertreter der Nation, da nicht verpflichtet, mit allen Mitteln Unterwerfung zu predigen und den verblendeten Kampfesmut, wo er entfacht war, zu dämpfen? So hat das Orakel den Argivern und den Kretern von der Teilnahme am Kampf abgeraten, es hat den Spartanern warnende Sprüche gegeben, vor allem aber für Athen hatte es nur unheilverkündende Worte. Die Stadt war der Rache der Perser unrettbar verfallen; Pallas Athene, so sehr sie Zeus um Wendung des Geschicks anflehte, vermochte ihre Stadt nicht mehr zu retten. Der einzige Rat, den der Gott geben konnte, war: »ans Ende der Welt zu fliehen«, die Stadt zu verlassen, ehe die Perser erschienen und ihren Bewohnern das Schicksal der Eretrier bereiteten, und vertrauend auf die »hölzerne Mauer«, die Flotte, in der Ferne eine neue Heimat zu suchen, in der die Gnade der Götter sich ihnen wieder zuwenden werde.416

War die Auffassung des Delphischen Orakels nicht der Sache entsprechend? In derselben Lage hatte sich ein Jahrhundert vorher, wie vor ihm zahlreiche syrische Kleinstaaten gegenüber den Assyrern, so zuletzt das Reich von Jerusalem der Chaldäermacht gegenüber befunden. In blindem Vertrauen auf die eigene Kraft und die schützende Gottheit und auf die Hilfe, die man von Ägypten zu erwarten habe, hatte die nationale Partei immer aufs neue zum Krieg gedrängt, während ihr gegenüber die Führer der religiösen Entwicklung, Jeremias an der Spitze, in richtiger [348] Schätzung der politischen Lage die Unterwerfung unter die Chaldäer predigten und in dem nationalen Selbstvertrauen nur Halsstarrigkeit und Trotz gegen den Willen der Gottheit sahen, der ein schweres Strafgericht unvermeidlich mache. Der Ausgang hat ihnen recht gegeben. Und ein paar Jahrhunderte später war die griechische Nation in derselben Lage, als sie unter Anrufung des Geistes der Perserkriege wieder und wieder die Erhebung gegen die Makedonen und dann gegen die Römer versuchte, obwohl sie bei der Umwandlung der Weltlage völlig aussichtslos geworden war. Da erkennen wir, im Gegensatz zu den zum Kriege hetzenden Demagogen wie Diäos und Aristion, den patriotischen Mut der Männer an, welche es wagten, den Tatsachen ins Gesicht zu schauen, welche die Unterwerfung in das Unvermeidliche forderten, um innerhalb des Spielraums, den die fremden Machthaber noch gewährten, zu retten, was von Selbständigkeit noch zu retten war. In den Perserkriegen hat der Erfolg anders entschieden; aber es wäre ungerecht, deshalb der Delphischen Priesterschaft und ihren Gesinnungsgenossen unehrliche Motive zuzuschreiben. Der patriotische Kriegsmut der Bürgerschaft in Athen, in Sparta und sonst im Peloponnes war für den Fall, daß man den Krieg durchführen konnte, von höchstem Wert; aber ob der Entschluß zum Kriege gerechtfertigt sei, darüber konnte, wie 1809, 1812 und 1813 in Preußen, nur eine kühle, staatsmännische Erwägung entscheiden, welche alle politischen und militärischen Faktoren gegeneinander abzuwägen imstande war.

Bei dem Kongreß auf dem Isthmos waren außer sämtlichen Staaten des Peloponnesischen Bundes und den Athenern aus Euböa Chalkis, Eretria, das aus seinen Trümmern wieder aufgebaut war, und Styra vertreten, von den Kykladen Keos, Kythnos, Seriphos, Siphnos, Melos, aus Böotien die Thespier und Platäer, ferner die politisch von der Mutterstadt abhängigen korinthischen Kolonien Leukas, Anaktorion und Ambrakia, endlich die Phoker und vielleicht noch einige kleinere Gemeinden Mittelgriechenlands417. Vor der nationalen Aufgabe mußten die partikularen[349] Interessen zurücktreten: alle Fehden zwischen den einzelnen Staaten, vor allem der Krieg zwischen Athen und Ägina, wurden beigelegt, ein hellenischer Bund zur Abwehr der Barbaren geschlossen. Denjenigen Staaten, welche freiwillig sich den Persern unterwerfen würden, wurde als Verrätern an der nationalen Sache im Falle des Sieges die Vernichtung angelobt; ihr Besitz sollte als Beute verteilt werden und dem Delphischen Gotte der Zehnte zufallen. Zugleich forderte man alle übrigen Staaten zum Beitritt auf418. Positiven Erfolg hatte das freilich nur insoweit, daß die persisch gesinnten Gemeinden sich noch zurückhielten; ja die Thessaler erklärten, sie würden dem Bunde beitreten, wenn dieser es unternähme, ihr Gebiet zu schirmen. Um über den Stand [350] der persischen Rüstungen Genaueres zu erfahren, schickte man Kundschafter nach Asien. Dieselben wurden aufgegriffen, aber auf Xerxes' Befehl im Lager herumgeführt und entlassen: er glaubte, es könne nur einschüchternd wirken, wenn die Griechen von dem Umfang der drohenden Gefahr genaue Kunde erhielten.

Die Delegierten der kriegführenden Staaten blieben als Bundesrat ständig versammelt. Die berufenen Führer im Kriege waren die Spartaner, zu Lande wie zur See; kein anderer Staat besaß eine Autorität, der die übrigen sich untergeordnet hätten. Aber die eigentliche Entscheidung lag in den Besprechungen, welche Themistokles als Vertrauensmann Athens, vom Volk mit dem Oberbefehl für den Krieg ausgestattet, mit der spartanischen Regierung, d.h. mit den Ephoren hielt419. Wir kennen die Namen der Männer nicht, welche damals in Sparta den maßgebenden Einfluß hatten; aber sie erwiesen sich der Situation gewachsen. Themistokles hatte von Anfang an die Überzeugung gehabt, daß die Entscheidung auf der See liege; ein griechischer Landsieg konnte auf die Dauer wenig nützen, aber umgekehrt war das persische Landheer lahmgelegt, wenn die Flotte geschlagen war. Daraus ergab sich für den Feldzug als Grundgedanke, daß das griechische Landheer lediglich die Flotte zu decken und ihr die Möglichkeit zu verschaffen habe, eine Schlacht unter günstigen Bedingungen zu schlagen, daß es selbst aber eine Schlacht möglichst vermeiden müsse; ein Gedanke von so zwingender Einfachheit und Klarheit, wie ihn nur der Genius zu fassen und durchzuführen vermag. Die Spartaner nahmen den Plan an, so sehr es ihnen widerstreben mochte, das Landheer in den Hintergrund zu drängen und der Flotte die Entscheidung zu überlassen. Die große [351] Masse sowohl der Kämpfenden wie später derer, die von den Kämpfen erzählten und die Tradition gestalteten, hatten von dem Gedanken, der den Operationen zugrunde lag, keine Kenntnis, wären auch nicht imstande gewesen, ihn zu begreifen; so haben sie die Spartaner mit Vorwürfen überschüttet, obwohl ihr Verhalten durchaus untadelhaft und im Gegenteil des höchsten Preises wert war. Die neueren Kritiker haben das nachgesprochen: der Grundgedanke des griechischen Feldzugsplans, so deutlich er sich in den Ereignissen selbst ausspricht, ist dennoch von ihnen nicht erkannt worden.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 340-352.
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