Xerxes' Feldzug. Artemision und Thermopylä

[352] Im Frühjahr 480420 brach Xerxes von Sardes auf, überschritt im Mai die Brücken über den Hellespont und führte sein Landheer auf der Küstenstraße durch Thrakien. Etwa Ende Juli hatte er Therme (jetzt Salonik), den Haupthafen Makedoniens, nahe der Grenze seines ungeheuren Reichs, erreicht. Hier traf auch die Flotte ein, die das Landheer begleitet und dann den Athoskanal durchfahren und die westlichen Landzungen der Chalkidike umschifft hatte. Den Kern des Heeres bildeten die iranischen Truppen, [352] Perser, Meder, Baktrer, und die sakischen Bogenschützen; doch steht zweifellos fest, daß alle Völkerschaften des Reichs, soweit sie nicht zum Flottendienst herangezogen waren, Kontingente zum Landheer gestellt haben421. Wie stark das Heer gewesen ist, läßt sich nur ganz vermutungsweise abschätzen. Herodot gibt an, bei der Parade auf dem Felde von Doriskos am Hebros sei das Fußvolk nach Abteilungen von Zehntausenden gezählt, oder vielmehr gemessen worden, und dabei hätten sich 1700000 Mann ergeben; dazu kämen 80000 Reiter, 20000 Kamelreiter und Wagenmannschaften, ferner der ständig anwachsende Zuzug von den europäischen Völkerschaften, der auf 300000 Mann zu veranschlagen sei. Ktesias und Ephoros haben statt dessen 800000, andere 700000 Mann angegeben. Daß all diese Zahlen absurd sind, bedarf keiner Ausführung. Das Heer brauchte zum Übergang über den Hellespont angeblich sieben Tage und Nächte – auf der einen Brücke die Krieger, auf der anderen der Train und der Troß –; es marschierte in Thrakien auf drei parallelen Straßen (Herod. VII 121); aber es konnte sich doch in Thrakien wie in Griechenland nur auf einem engbegrenzten Raum bewegen und tagelang ohne Verpflegungsschwierigkeiten in der etwa vier Meilen breiten Ebene von Therme bis zum Haliakmon lagern, während die Flotte den Golf füllte422. Auf mehr als höchstens etwa 100000 Mann wird man demnach die Landarmee keinesfalls schätzen dürfen, dazu einen sehr großen Troß, der die Zahl der Kombattanten überstiegen haben wird. Was sie durch Krankheiten, Garnisonen u.ä. verlor, mag durch den Zuzug der unterworfenen Gebiete sowie später der Thessaler und Böoter ausgeglichen sein. Eine Armee von dieser Stärke mußte den Griechen unermeßlich erscheinen; auch ist es sehr wohl glaublich, daß ihr die Wasserversorgung Schwierigkeiten machte und viele der im Sommer zu dünnen Wasserrinnen zusammengeschrumpften Wasserläufe Thrakiens und Griechenlands völlig erschöpft wurden. – Die persische Flotte bei Salamis war nach Äschylos 1000 Schiffe[353] stark, darunter (oder dazu?) 207 Schnellruderer. Die populäre Tradition hat meist an der runden Zahl von 1000 Schiffen festgehalten. Dagegen hat Herodot die Stelle so gedeutet, daß die Gesamtzahl 1207 betragen habe423. Er läßt aber Xerxes' Flotte beim Auszug so stark gewesen sein – er fügt noch 3000 kleinere Fahrzeuge hinzu und verteilt die 1207 Schiffe auf die einzelnen Küstenvölker –, so daß man deutlich sieht, wie wertlos derartige Listen bei ihm sind. Da die Flotte nach seinem eigenen Bericht durch Stürme und die Kämpfe beim Artemision über die Hälfte ihres Bestandes verliert, ist er, um bei Salamis auf die überlieferte Zahl zu kommen, zu der ungeheuerlichen Annahme gezwungen, der Verlust sei durch den Zuzug aus Griechenland wieder ausgeglichen (VIII 66), im Widerspruch mit seiner wiederholten Angabe (VII 236. VIII 13), daß die persische Flotte durch die Verluste der griechischen ziemlich gleich geworden sei. In Wirklichkeit kann denn auch die persische Flotte bei Salamis nicht viel stärker als die griechische gewesen sein; denn war sie damals noch imstande, gleichzeitig die griechische mit überlegener Macht im Schach zu halten und ein starkes Detachement nach dem Peloponnes zu entsenden, so wäre es niemals zu einer Seeschlacht gekommen. Die griechische Flotte bei Salamis war zwischen 300 und 400 Trieren stark; danach werden wir der persischen damals kaum mehr als 400-500 Kriegsschiffe – die gewiß nicht sämtlich Trieren waren – zuschreiben dürfen. Beim Auszug mögen es etwa 200-300 mehr gewesen sein. Dazu kam aber eine große Zahl von Transportschiffen, Kähnen u.ä., so daß die Gesamtsumme von 1000 Schiffen nicht unberechtigt ist. Wenn die Trieren, wie Herodot, wahrscheinlich allerdings zu hoch (vgl. o. S. 338, 1), annimmt, mit 200 Ruderern und 30 Kriegern bemannt waren, so mag auch die Flotte beim Auszug alles in allem etwa 150000 bis 200000 Menschen gezählt haben.424

[354] Auf das Hilfegesuch der Thessaler (o. S. 350) hatten die Griechen im Frühjahr 480 ein Korps zur Besetzung des Tempepasses entsandt, unter Führung des Spartaners Euainetos und des Themistokles. Aber bald überzeugte man sich, daß diese Stellung unhaltbar war. An der steilen magnesischen Küste, am Fuß des Ossa und Pelion, konnte die Flotte den Persern nicht entgegentreten; zu Lande aber ließ sich die Stellung auf dem Wege nördlich vom Olymp durchs Perrhäberland bequem umgehen. Auch König Alexander von Makedonien, der zwar den Persern Heeresfolge leisten mußte, aber auf den Sieg der Griechen und den Sturz der Fremdherrschaft hoffte, warnte dringend davor, hier den Kampf aufzunehmen. So entschied man sich, Thessalien den Feinden zu überlassen. Um so geeigneter zur Abwehr schien [355] die Position im Süden Thessaliens. Hier bildet das Meer zwischen Euböa und den thessalischen Küsten einen tief ins Festland einschneidenden Sund, der den Griechen Schutz gewährte und den Persern die volle Entfaltung ihrer Seemacht unmöglich machte. An der Südseite des Sundes, jenseits der Mündung des Spercheios, treten die Ausläufer des Öta unmittelbar ans Meer und lassen nur für eine schmale Fahrstraße Raum. Zu umgehen war die Stellung natürlich, sowohl auf Gebirgspfaden, wie auf der Straße, welche durch den Paß von Trachis in das Kephissostal hinüberführt. Aber darüber verging Zeit; für mehrere Tage konnte in den Thermopylen ein schwaches Korps der feindlichen Armee den Weg sperren, und inzwischen mochte die Flotte die Entscheidung herbeiführen425.

Auf die Kunde von Xerxes' Ankunft in Therme nahm die griechische Flotte, nach der Überlieferung 271 Trieren und 9 Fünfzigruderer stark, am Nordstrande Euböas bei einem Heiligtum der Artemis Proseoia Stellung, gegenüber der Meerenge, welche zwischen dem Vorgebirge Sepias, dem Endpunkt der magnesischen Küste, und der Insel Skiathos hindurchführt. Kommandant der Flotte war der spartanische Admiral Eurybiades; aber die 127 Schiffe, die Athen gestellt hatte – dazu 20, die von Chalkis bemannt wurden –, gaben dem Themistokles das entscheidende Übergewicht. Von anderen Staaten hatte Korinth 40, Megara 20, Ägina nur 18, Sikyon 12, Sparta, das nur über eine sehr schwache Seewehr verfügte, 10 Trieren entsandt; dazu kamen 8 Schiffe von Epidauros, 5 von Trözen, 7 von Eretria, 2 von Styra, 2 Trieren und 2 Fünfzigruderer von Keos, endlich 7 Fünfzigruderer der Lokrer von Opus. Der Rest der athenischen Flotte, 53 Schiffe, ist offenbar zur Deckung der Rückzugslinie durch den [356] Euripos an der attischen Küste stationiert worden426. Zur Besetzung der Thermopylen rückte König Leonidas selbst ins Feld, mit einem Heer von 4000 Peloponnesiern, darunter 300 Spartiaten, denen sich aus Böotien 700 Thespier und, widerwillig genug, 400 Thebaner anschlossen, ferner die Aufgebote der Phoker und der Opuntischen Lokrer427. Das war ein Heer, das zur Deckung [357] des Passes und damit zur Sicherung der Operationen der Flotte vollkommen ausreichte. Den angsterfüllten Bewohnern Mittelgriechenlands mag man verheißen haben, daß ein größeres Heer bald nachfolgen werde. Aber beabsichtigt war das niemals, da der Plan, dem Heere des Xerxes eine Feldschlacht zu liefern, überhaupt nicht bestand; das wäre der sichere Untergang gewesen428.

Xerxes rückte, nachdem er einen Weg durch die Olympospässe hatte bahnen lassen, ohne Widerstand zu finden, in Thessalien ein, von dem Adel mit offenen Armen aufgenommen. Nachdem er am Pagasäischen Golf die Meeresküste wieder erreicht hatte, ging auch die Flotte von Therme aus vor. Aber an der magnesischen Küste überfiel sie ein heftiger Sturm, der drei Tage lang wütete und ihr an dem hafenlosen felsigen Gestade schwere Verluste (angeblich mindestens 400 Schiffe) beibrachte. Vor dem ersten Anrücken der persischen Flotte waren die griechischen Schiffe nach einem unglücklichen Vorpostengefecht bis in den Euripos zurückgewichen; jetzt kehrten sie in ihre alte Stellung zurück, während die Perser an der gegenüberliegenden Küste, bei Aphetä am Eingang des Pagasäischen Golfs, vor Anker gingen. 15 Schiffe ihrer Nachhut wurden von den Griechen abgefangen. In denselben Tagen war Xerxes mit dem Landheer ins malische Land eingerückt und lagerte vor den Thermopylen. So standen sich die Heere zu Lande wie zur See unmittelbar gegenüber; eine Schlacht war nicht mehr zu vermeiden. Wer zuerst auf einem der beiden Schlachtfelder den Gegner zu werfen vermochte, hatte [358] damit auch auf dem anderen den Sieg gewonnen. Die Griechen hatten Defensivstellungen eingenommen und waren zur Verteidigung bereit, wenn auch der Flotte der Entschluß standzuhalten schwer genug wurde429. Aber Xerxes zögerte mit dem Angriff; er mochte Bedenken tragen, die starke Stellung in den Thermopylen zu stürmen; und die Flotte mußte zunächst die Schäden reparieren, die der Sturm ihr zugefügt hatte. Dann entsandte sie ein Geschwader von angeblich 200 Schiffen, um Euböa an der Ostküste zu umschiffen und den Griechen in den Rücken zu fallen. Endlich am fünften Tage ließ Xerxes den Sturm auf die Thermopylen beginnen. Da blieb auch der griechischen Flotte keine Wahl mehr, zumal sie von dem persischen Umgehungsversuch Kunde hatte; gegen Abend desselben Tages ging sie zum Angriff vor. Zur Deckung gegen die Überzahl und die überlegene Manövriertüchtigkeit der Feinde zog sie sich, als diese den Kampf aufnahmen, in eine halbkreisförmige Stellung zurück, nach hinten eng zusammengedrängt, und unternahm von da aus erfolgreiche Vorstöße. Als die Nacht einbrach, hatte sie die See behauptet und eine Anzahl Schiffe erbeutet, vor allem aber gesteigertes Vertrauen zu sich selbst gewonnen430. In der Nacht fügte ein heftiges [359] Unwetter den Feinden weiteren Schaden zu und vernichtete das zur Umgehung entsandte Geschwader, so daß jetzt auch die 53 detachierten attischen Schiffe zur Hauptmacht stoßen konnten. Am nächsten Tag konnten die Perser zur See keinen ernsthaften Kampf unternehmen; so gelang es den Griechen, eine Anzahl kilikischer Schiffe zu vernichten. Währenddessen wütete der Landkampf ununterbrochen; an beiden Tagen hatte sich, da weder die numerische Übermacht noch die Reiterei zur Geltung kommen konnte, im Nahkampf die Überlegenheit der Griechen glänzend bewährt. So blieb Xerxes nichts übrig, als eine Umgehung der feindlichen Stellung zu versuchen. In der Nacht erstieg die persische Garde unter Hydarnes, von ortskundigen Führern geleitet, die Höhen, warf die Phoker, welche den Gebirgspfad hatten decken sollen, und machte dadurch die Behauptung des Passes unmöglich. Einem Teil der griechischen Kontingente gelang es zu entkommen, wie es heißt, von Leonidas selbst entlassen; für den König und seine Spartaner dagegen gab es keine Wahl. Sie waren entschlossen, »getreu den Geboten der Heimat« bis zum letzten Atemzug auf ihrem Posten auszuharren. Die Thespier schlossen sich ihnen an. Schritt für Schritt haben sie den Boden verteidigt, bis die letzten auf einem Hügel, der den Eingang des Passes deckt, niedersanken. Währenddessen war gegen Mittag auch die persische Flotte zum Angriff vorgegangen. Beide Flotten rangen hartnäckig miteinander, so daß die Schlacht unentschieden blieb. Aber die Griechen hatten schwere Verluste erlitten, und ein großer Teil der übrigen Schiffe war arg beschädigt, so daß sie beschlossen, den weiteren Kampf aufzugeben und sich zurückzuziehen, um die Flotte für eine günstigere Gelegenheit zu retten. Als dann am Abend die Kunde vom Fall der Thermopylen kam, war ihre Stellung vollends unhaltbar. Der Abzug gelang während der Nacht vom Feinde unbemerkt; durch den Euripos erreichten [360] sie den Saronischen Golf431. So endete die dreitägige Schlacht trotz schwerer Verluste mit dem vollen Siege der Perser. Der Versuch der Griechen, die feindliche Übermacht zur See zu brechen, war gescheitert, und gleichzeitig war es gelungen, das Landheer zu vernichten, welches die Flotte hatte decken sollen. Und doch waren diese Kämpfe für die griechische Sache nicht erfolglos gewesen: die Flotte war intakt aus den Kämpfen gerettet und hatte keinen Grund, wenn sie sich erholt hatte, eine neue Begegnung mit dem Feinde zu scheuen432. Der Heldentod des Leonidas und seiner Schar aber hatte vollends das Vertrauen eher gestärkt als gebrochen; in glänzendem Vorbilde zeigte er der Nation den Weg, den sie zu gehen hatte, und brachte ihr, tiefer und lebendiger als alle Worte es vermocht hätten, zum Bewußtsein, daß es für sie keine Wahl gebe, als zu siegen oder in Ehren unterzugehen433.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 352-361.
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