Bedrängnis Spartas. Katastrophe des Pausanias und Ausgang des Themistokles

[481] In der Tat war Spartas Lage sehr prekär geworden. Die bedeutendste Persönlichkeit, der Regent Pausanias, saß noch immer in Byzantion und brütete über großen Plänen, wie er allen Gegnern zum Trotz die Herrschaft über Hellas sich gewinnen könne. Schon gleich nach der Einnahme von Byzanz, als er noch Feldherr der Hellenen war, hat er durch vornehme Gefangene, die er dem König zurückgab, Verbindungen mit Persien angeknüpft. Er versprach, ihm Griechenland zu Füßen zu legen, wenn er Unterstützung an Geld und Truppen erhalte; als Vasall des Großkönigs, mit seiner Tochter vermählt, wollte er über Griechenland herrschen. Nach seiner Entfernung vom Kommando setzte er die Verhandlungen eifrig fort. In Sparta betrachtete man ihn mit tiefem Mißtrauen – schon bei dem Prozeß nach seiner Abberufung Ende 478 hatte man die Untersuchung auf diesen Punkt gelenkt –; aber Beweise für seinen Hochverrat konnte man nicht finden, und als Gegengewicht gegen Athen war er immer noch zu brauchen. Denn den Athenern mußte es sehr lästig sein, den Eingang des Bosporus in den Händen eines offenkundigen Gegners zu sehen, der ihnen jederzeit durch Brachlegung ihres pontischen Handels die ernstesten Schwierigkeiten bereiten konnte; und doch durfte man nicht wagen, gegen den Vertreter des spartanischen Königtums feindlich aufzutreten. So schaltete Pausanias nach wie vor unbehelligt in Byzanz wie ein Tyrann, ohne doch in der Verwirklichung seiner Pläne einen Schritt vorwärtszukommen553.

[482] Währenddessen führte die seit Kleomenes gärende Opposition der Arkader gegen Spartas Hegemonie zu einer großen Erhebung, die den ganzen Bestand der spartanischen Macht ernstlich in Frage stellte. Eine zusammenhängende Darstellung dieser Kämpfe hat es vielleicht niemals gegeben; jedenfalls sind sie für uns bis auf einige isolierte Notizen verschollen. Die Erschütterung der spartanischen Machtstellung durch die Aufsage der Ionier mag den Ausbruch beschleunigt haben; ihre Wurzel hatte die Bewegung in dem durch die Leistungen in den Perserkriegen neugestärkten Selbstgefühl der kleineren Staaten, die von irgendwelcher Unterordnung nichts wissen wollten. Wie nach Kleomenes' Tod übernahm auch diesmal Tegea, die wehrkräftigste der arkadischen Gemeinden, die Führung. Unterstützung fand Tegea bei Argos, das sich von den schweren Verlusten des Krieges mit Kleomenes (o. S. 300f.) allmählich erholte und eben im Begriff war, Tiryns wieder zu unterwerfen, die Hauptburg seiner aufständischen Untertanen, die in Sparta einen Rückhalt gesucht und wie Mykene am Kampf gegen die Perser teilgenommen hatte. In einer Schlacht vor Tegea siegten die Spartaner über die Verbündeten; aber weder konnten sie die Stadt einnehmen, noch ein weiteres Umsichgreifen der Erhebung hindern. Ganz Arkadien, mit Ausnahme Mantineas, des Todfeindes Tegeas, trat jetzt in den Kampf ein. Bei Dipaia in Mainalien, im Zentrum des Landes, kam es zur Schlacht; obwohl die Argiver fernblieben, war die Überzahl der Feinde so groß, daß, wie erzählt wird, die Spartaner ihr Heer nur einen Mann tief aufstellen konnten. Aber sie erfochten einen glänzenden Sieg, der ihre Oberherrschaft über Arkadien wieder herstellte554. In Tegea kam unter Mitwirkung des spartanischen Feldherrn [483] Kleandridas, der den Krieg gegen die Stadt fortführte, die spartanerfreundliche aristokratische Partei ans Ruder, die sich fortan ein Jahrhundert lang behauptet hat555. Wie es scheint, hat Sparta versucht, seinen Bund straffer zu organisieren; die spartanischen »Fremdenführer« (ξεναγοί), die fortan neben den einheimischen Offizieren an der Spitze der bundesgenössischen Truppen stehen, mögen damals eingeführt sein556. Bis nach der Insel Zakynthos, die zu Sparta ablehnend stand (u. S. 565), scheint Sparta hinübergegriffen zu haben; hier fiel ihr alter Feind Hegesistratos, der Seher des Mardonios, in ihre Hände und wurde hingerichtet557. Dagegen vollzog sich um dieselbe Zeit in Elis ein Umschwung, der den ehemals so eng mit Sparta verbündeten Staat diesem völlig entfremdete. Die starre Adelsherrschaft, in der neunzig auf Lebenszeit ernannte Geronten das Regiment führten, wurde gestürzt., nach attischem Muster zehn neue Phylen und ein Rat der Fünfhundert eingerichtet, und zugleich die halbautonomen [484] Dorfgemeinden, in die das Stammgebiet bisher zerfiel, zu einer Stadt zusammengezogen (wahrscheinlich 470 v. Chr.). Die neue Stadt Elis, am Peneos gelegen, da wo er aus dem Hügelland in die Ebene tritt, hat rasch ein reges Leben entwickelt, durch das die demokratische Gestaltung des Staats gestärkt und zugleich eine stets wachsende Abneigung gegen Sparta begründet ward558. – Wenn Sparta im allgemeinen seine Suprematie wieder herstellte, so vermochte es doch die Tirynthier nicht zu retten; die Stadt ist bald darauf (kurz nach 468) von den Argivern erobert worden559. Die flüchtigen Bewohner wurden von Sparta im Gebiet von Hermione in Halieis, an der Südspitze der argolischen Akte, angesiedelt. – In dieselbe Zeit dürfte ein mißlungener Versuch Korinths fallen, den Argivern die Landschaft Kleonä zu entreißen; Beutestücke, welche Argos von einem Siege über die Korinther nach Olympia geweiht hat, werden diesen Kämpfen angehören560.

[485] In diesen Wirren war für Sparta das Verhalten Athens von entscheidender Bedeutung. Solange sie allein standen, konnte Sparta seiner mangelhaft organisierten peloponnesischen Gegner trotz ihrer Überzahl Herr werden; griff Athen zu ihren Gunsten ein, so waren unabsehbare Verwicklungen zu befürchten. So begreift es sich, daß Sparta alles tat, um Kimons Partei zu stärken. Daher hat man Athen das Einschreiten gegen Pausanias freigegeben561. Wahrscheinlich im Jahre 472562 ging eine attische Flotte [486] gegen ihn in See. Er wurde in Byzanz belagert und gezwungen, die Stadt zu räumen. Doch gab er seine Pläne auch jetzt noch nicht auf; und auch die spartanische Regierung hatte keinen Anlaß, ihn gänzlich preiszugeben. Er setzte sich in der Feste Kolonai an der Westküste von Troas fest und führte von hier aus seine Verhandlungen mit Persien weiter. Sparta hatte richtig gerechnet: Themistokles konnte seine Politik nicht durchsetzen, sondern verlor jetzt allen Boden; im Frühjahr 470 wurde er durch den Ostrakismos aus Attika verwiesen – wenn man vor Kombinationen nicht zurückscheut, könnte man vermuten, daß der Ausgang der Schlacht von Dipaia dazu den letzten Anstoß gegeben hat. Aber Themistokles war der Mann nicht, der sich durch eine Niederlage überwinden ließ. Waren seine Gegner, denen er der Reihe nach das gleiche Schicksal bereitet hatte, nach wenig Jahren in hohen Ehren nach Athen zurückgekehrt, um bewußt oder unbewußt seine Politik durchführen zu helfen, so durfte er mit um so größerem Recht das gleiche hoffen, da er nicht zweifeln konnte, daß binnen kurzem die Ereignisse seine Voraussicht glänzend rechtfertigen würden. Einstweilen aber war er auch im Exil noch eine Macht und wohl imstande, die griechische Welt in Atem zu halten und für die Durchführung seiner Gedanken zu wirken. Er ging nach Argos »und bereiste von hier aus auch den übrigen Peloponnes«; offenbar schürte er überall zu einem neuen Kampf gegen Sparta. Der spartanischen Regierung wurde seine Agitation so gefährlich, daß sie sich zu weiterem Entgegenkommen gegen Athen entschloß. Die Ephoren sandten Pausanias den peremptorischen Befehl, nach Sparta zurückzukehren, widrigenfalls man ihn als Feind behandeln werde (um 469 v. Chr.). Er konnte sich nicht widersetzen. [487] In Sparta warfen ihn die Ephoren ins Gefängnis; aber offenkundige Beweise, durch die sie ihn des Hochverrats hätten überführen können, besaßen sie nicht, und so mußte man von einem Prozeß abstehen und ihn freilassen. Nur um so eifriger arbeitete er an der Ausführung seiner Entwürfe, an dem Sturz der verhaßten Staatsordnung. Er blieb mit Artabazos, dem Satrapen von Daskylion, in reger Korrespondenz, er teilte dem Themistokles seine Pläne mit, da er in ihm einen Gesinnungsgenossen und Helfer zu finden hoffte, er setzte sich mit den Heloten in Verbindung und versprach ihnen Freiheit und Bürgerrecht, wenn sie ihm beiständen. Die Denunziationen bei den Ephoren häuften sich; endlich gelang es, ihn durch Vermittlung eines verräterischen Boten zu belauschen und zu überführen. Er flüchtete in den Tempel der Athena Chalkioikos; hier hat man ihn, da man ihn nicht antasten durfte, eingesperrt, bis er an Entkräftung starb. Im Rahmen der spartanischen Staatsordnung hatte er Großes leisten und seinen Namen mit dem herrlichsten Siege verbinden können; dem Versuch, sie zu durchbrechen, ist er erlegen, wie zwanzig Jahre vorher sein Bruder, nur noch ruhmloser als dieser. Indem er, von brennendem Ehrgeiz getrieben, über ausschweifenden Plänen brütete, verlor er jeden Halt und jeden Maßstab. Er war ein tüchtiger Offizier von guter Schulung und klarem militärischem Blick; aber in den großen Aufgaben des Staatsmanns vermochte sein enger Geist sich nicht zurechtzufinden, der sich am Erfolg berauschte und im Schein und äußeren Prunk die Macht sah. Er legte Hand an ein Werk, dem er in keiner Weise gewachsen war; er baute auf eine Stellung, deren Grundlagen er selbst untergrub, erst den Bundesgenossen, dann dem heimischen Staat gegenüber. So war er, der die Geschicke der Welt zu lenken sich vermaß, nur ein Spielball in dem Ringen der realen Mächte, und als der Moment gekommen war, wurde er von ihnen verschlungen, ohne daß er auch nur das geringste zur Verwirklichung seiner Entwürfe hätte ausführen können563.

[488] Die schwere Erschütterung, welche Spartas Ansehen durch die Insurrektion der Arkader, durch die Umtriebe des Pausanias, und nicht am wenigstens durch das Anwachsen der attischen Macht erlitten hatte, rechtfertigte es, wenn es den Versuch machte, noch einmal als eine hellenische Macht im Sinne der Perserkriege aufzutreten. Noch immer waren die Thessaler für die Unterstützung nicht gezüchtigt, die sie den Persern gewährt hatten; noch herrschten hier die Aleuaden, die das Barbarenheer nach Griechenland gerufen hatten. Wenn Sparta gegen sie einschritt, erwies es sich nicht nur als den berufenen Vorkämpfer der nationalen Idee, sondern auch als den Todfeind tyrannischer Gewaltherrschaft und bewies schlagend die Gehässigkeit des gewiß schon damals von seinen Gegnern erhobenen Vorwurfs, daß es in engherzigem Egoismus die Herrschaft von Willkür und Unrecht aufrechterhalte, wenn es im Bereich seiner Macht den aristokratischen Ordnungsparteien Unterstützung gewähre. Zugleich mußten einem derartigen Unternehmen die Sympathien der jetzt in Athen herrschenden Partei gewiß sein, die den Kampf gegen Persien auf ihre Fahne geschrieben hatte. So entsandte man alsbald nach Niederwerfung der Gegner im Peloponnes im Jahr 469, in derselben Zeit, wo Pausanias zurückgerufen ward, den König Leotychidas mit einem starken Heer nach Thessalien. Auf dem Marsch hatte man, da man Athens sicher war, keine Gefahr zu befürchten. Auch die Aleuaden wagten keinen Widerstand. Ihre Führer Aristomedes und Angelos wurden verjagt, es schien möglich, ganz Thessalien zu unterwerfen. Aber Leotychidas war ein [489] schwacher Mann; den Geldsummen, die die Aleuaden ihm sandten, vermochte er nicht zu widerstehen. Er gab den Krieg auf und führte das Heer zurück. Es war zu seinem Verderben; sein Vergehen war offenkundig, im Lager selbst soll man das Geld bei ihm gefunden haben. Sein Leben zu retten, floh er nach Tegea; das Gericht sprach ihn schuldig, sein Haus wurde niedergerissen, das Königtum seinem Enkel Archidamos übertragen. Aber die Schmach ließ sich dadurch nicht auslöschen; der gehoffte Effekt war vereitelt, mit dem Einfluß, den Sparta im Norden hätte gewinnen können, war es vorbei564.

So wenig Ruhm, abgesehen von der aufs neue erwiesenen Unbesiegbarkeit seines Bürgerheers, Sparta in all diesen Kämpfen und Wirren geerntet hatte, so bedeutend war trotz des Scheiterns des thessalischen Unternehmens der Erfolg seiner zähen und zielbewußten Politik. Es hatte seine Autorität im Peloponnes wiederhergestellt; es hatte das Attentat auf seine Verfassung vereitelt; vor allem aber hatte es die von Athen drohende Gefahr beseitigt und den aufstrebenden Rivalen sich dienstbar gemacht. Jetzt war auch der letzte und bedeutendste Erfolg in seine Hand gegeben. Daß Themistokles Neigung gehabt hat, mit Pausanias gemeinsame Sache zu machen, ist höchst unwahrscheinlich; der abenteuerliche Gedanke, mit persischer Hilfe die griechischen [490] Verhältnisse umzustürzen, konnte ihn unmöglich locken, und daß Pausanias nicht der Mann war, ein derartiges Unternehmen durchzuführen, mußte er wissen. Aber die Fortdauer des Konflikts zwischen dem Regenten und der Regierung konnte seinen antispartanischen Plänen nur willkommen sein. So ist er auf Pausanias' Eröffnungen eingegangen und hat die Korrespondenz mit ihm fortgesetzt. Jetzt fanden sich die kompromittierenden Aktenstücke in Pausanias' Papieren; und die Ephoren zögerten keinen Augenblick, sie zur Vernichtung des gefährlichen Mannes zu verwerten. Sie schickten eine Gesandtschaft nach Athen mit der Forderung, gegen den Hochverräter einzuschreiten. Die jetzt am Ruder befindlichen Männer ergiffen mit Freuden den Anlaß, sich des gefährlichen Mannes, vor dessen Rückkehr sie zitterten, für immer zu entledigen. Ein Alkmeonide, Leobotes, des Alkmaion Sohn von Agryle, brachte die Denunziation wegen Hochverrats an das Volk. Kimon sekundierte ihm eifrig; wie die Masse der Athener mag auch er ehrlich an die Schuld des Mannes geglaubt haben, dessen staatsmännische Gedanken zu fassen ihm nicht gegeben war. Später hat er den Epikrates von Acharnä, der Themistokles' Familie die Flucht ermöglicht hatte, vor Gericht gezogen und seine Hinrichtung durchgesetzt. Da Themistokles sich dem Volksgericht nicht stellte, wurde er verurteilt und geächtet (468 oder 467); die Schergen Athens und Spartas durchzogen gemeinsam die griechische Welt, um seine Auslieferung zu erzwingen. Es war das letzte Mal, daß beide Staaten einträchtiglich Hand in Hand gingen; ihrer vereinten Macht konnte keine Gemeinde zu trotzen wagen. Themistokles war rechtzeitig aus Argos geflohen, zunächst nach Korkyra; er dachte daran, am Hof der sizilischen Tyrannen Aufnahme und Raum für eine neue Tätigkeit zu finden. Wahrscheinlich ist es die Kunde von Hierons Tod (467) und den kurz darauf in Syrakus ausbrechenden Wirren gewesen, die diesen Plan vereitelt hat. Zu behalten wagten die Korkyräer den verfemten Mann nicht; sie brachten ihn nach Epiros. Von hier aus ist er nach mancherlei Abenteuern über Pydna und das Ägäische Meer nach Ephesos entkommen, das damals noch in persischem Besitz gewesen sein muß. Nach längerer Vorbereitung ging er [491] an den Hof von Susa, wo eben nach Xerxes' Ermordung (Sommer 465) Artaxerxes I. den Thron bestiegen hatte. Der Perserkönig zeigte sich edelmütiger als das Volk, dem Themistokles Freiheit und Macht geschenkt hatte. Er nahm den Mann, der der persischen Weltmacht Schranken gesetzt hatte, gnädig auf und entließ ihn in hohen Ehren. Er schenkte ihm die Städte Magnesia und Myus im Mäandertale und Lampsakos mit Perkote und Palaiskepsis in Troas. Die übrigen Städte müssen, wenn er überhaupt in ihnen die Herrschaft angetreten hat, bald darauf in athenischen Besitz gekommen sein; in Magnesia dagegen, das immer von den Persern behauptet wurde, hat er jahrelang die Regierung geführt bis an seinen Tod565. Die Legende, welche das größte Verbrechen, das die griechische Geschichte kennt, durch einen versöhnenden Abschluß zu sühnen sucht, berichtet, er habe sich freiwillig den Tod gegeben, als der Großkönig die Forderung an ihn stellte, ein Perserheer gegen Griechenland zu führen; seine Gebeine seien von den Seinen in die Heimat zurückgebracht und auf attischem Boden heimlich beigesetzt worden566.

[492] Gewaltiger als Themistokles hat kein Grieche in den Lauf der Geschichte eingegriffen. Sein Leben fällt in die Zeit, als die größte Entscheidung bevorstand, zu der die Weltgeschichte bisher [493] geführt hatte: und er hat ihren Ausgang bestimmt. Aber es ist ihm ergangen wie so vielen großen Staatsmännern, welche ohne festgegründete monarchische Gewalt, nur durch die Kraft ihres Genius, der die widerstrebenden Massen mit sich fortreißt, sich die Führung ihres Volks errungen haben. Er überragte seine Zeitgenossen so weit und sah so viel schärfer als sie, was kommen mußte und was not tat, daß die Menge ihm nicht zu folgen vermochte. In den Zeiten der Not scharte sich alles um ihn, sogar die Rivalen in Athen und die Krieger und Staatsmänner Spartas; und nach dem Sieg war sein Lob auf aller Lippen. Aber als geordnete Verhältnisse wiedergekehrt waren und mit ihnen all die kleinen Intrigen und Leidenschaften der Alltäglichkeit, da wandten sich die Massen von ihm ab. Das ist die Tragik seines Lebens, daß seine reale Auffassung einer idealen aber unwahren Strömung erlag, daß die besten und die schlechtesten Elemente sich verbanden und ihm die Durchführung des Höchsten versagten, was er seinem Staate hätte geben können. Eben die Gedanken, die er gefördert hatte, kehrten sich gegen ihn: das demokratische Prinzip und die Idee der nationalen Einigung gegen Persien. Ihm war beides nur Mittel zum Zweck gewesen; aber es gab in Athen Patrioten genug, denen es nur als Verrat erscheinen konnte, wenn er jetzt von Frieden mit Persien und von einem Bruch mit Sparta sprach. Und neben den guten Leuten, welche ein Zusammengehen der beiden Staaten wie im Perserkriege so auch in Zukunft für möglich hielten, standen die ehrgeizigen Adelshäupter, welche den Emporkömmling haßten, der ihnen die Laufbahn versperrte, und die »freien Bürger«, welche nicht einsahen, warum ein Mann mehr sein sollte als ein anderer, die mit ihrem gesunden Menschenverstande jede Frage viel besser entscheiden zu können meinten als der überlästige Ratgeber, der sich überall hervordrängte. All diese Elemente verbanden sich gegen ihn, die Spartaner nützten die günstige Situation aus und schürten die Erbitterung; der Koalition ist er erlegen. Alle Schmähungen, welche die Gehässigkeit eingab, hat man auf seinen Namen gehäuft, um die eigene Erbärmlichkeit zu verdecken und zu entschuldigen: aber der stille Vorwurf, daß man den größten Mann, den Athen je gesehen hat, [494] schmählich verjagt und gehetzt hatte, ist nie verstummt. Er war nur zu begründet. Ruhmreiche Taten hat Athen noch manche aufzuweisen: aber dauerhafte Erfolge hat es seit Themistokles' Sturz kaum noch errungen; und als die Ereignisse seiner Voraussicht recht gaben und man sehr wider Willen gezwungen wurde, sich der Politik zuzuwenden, die er geraten hatte, als man noch die Wahl hatte, da war es zu spät: Athen und Griechenland ist daran zugrunde gegangen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 481-496.
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