Organisation und erste Unternehmungen des Delischen Bundes

[459] Der hellenische Bund von 480 war eine lockere Konföderation ohne feste Institutionen gewesen. Jetzt aber mußte man sich auf einen dauernden Kriegszustand mit Persien einrichten und Jahr für Jahr eine starke Flotte in See schicken. Gerade die eben befreiten Gemeinden, welche die Wiederkehr der Gefahr jederzeit[459] erwarteten, nicht nur die Städte Kleinasiens, sondern auch die Inseln des Ägäischen Meers bis nach Euböa und die thrakischen Küstenstädte, empfanden lebhaft, daß sie eines dauernden Schutzes und einer festen Organisation bedurften. So schlossen sie mit Athen einen ewigen Bund und gelobten, mit ihm allezeit dieselben Freunde und Feinde zu haben. Athen übernahm den Schutz des Bundesgebiets und damit das Recht, an Orte, wo es nötig schien, Besatzungen zu legen; ihm stand der Oberbefehl und die militärische und politische Leitung in Krieg und Frieden zu. Daß im Krieg von jedem zum Bund gehörigen Gemeinwesen die Stellung von Truppen gefordert werden konnte, verstand sich von selbst533. Schwieriger war die Aufbringung der Flotte, deren man doch vor allem bedurfte. Nur die größeren Bundesstaaten besaßen Trieren; viele der kleineren waren kaum oder gar nicht im stande, aus eigenen Mitteln Schiffe zu bauen, andere hatten wenig Neigung, den kostspieligen und beschwerlichen Seedienst auf sich zu nehmen. So wurde bestimmt, daß an Stelle des Flottenkontingents eine jährliche Geldzahlung treten könne, deren Festsetzung so gut wie die Beitreibung und Verwaltung den Athenern überlassen wurde; für die Verwaltung wurde in Athen eine alljährlich gewählte Kommission von zehn »Hellenenschatzmeistern« (Hellenotamien) eingesetzt. Dafür verpflichtete sich Athen, eine so starke Flotte[460] auszurüsten und instand zu halten, wie sie den Zwecken des Bundes genügte. Als Sitz der Kasse wurde, im Anschluß an die alten Traditionen der ionischen Welt, das Heiligtum des Apollo von Delos gewählt; hier sollten auch die Bundesversammlungen tagen und über gemeinsame Angelegenheiten beraten, unter Leitung Athens, das zugleich für die Aufrechterhaltung der Bundessatzungen und die pünktliche Leistung der übernommenen Verpflichtungen zu sorgen hatte.

Von den bundesgenössischen Staaten haben nachweislich die großen Inseln Naxos, dessen Schiffe im Perserkrieg zu den Griechen übergetreten waren, Thasos, Lesbos (d.i. die Staaten Mytilene, von dem die meisten kleineren Orte der Insel und auf dem Festlande die Städte am Fuß des Ida abhängig waren, und Methymna), Chios, Samos Schiffe gestellt; ferner vielleicht einige kleinasiatische Küstenstädte. Die Seemacht der Ionier dagegen war durch die zweimalige Niederlage, erst bei Lade, dann im Perserkriege, so gut wie vernichtet, so daß hier wohl meist von Anfang an Geldzahlung eintrat; ebenso vermutlich bei den Städten von Rhodos und bei den meisten Kykladen. Im Perserkrieg haben Keos 2, Kythnos 1 Triere gestellt; Paros dagegen, der alte, arg heimgesuchte Gegner Athens, wird schwerlich mehr ein Flottenkontingent haben stellen können. Die dorischen Kykladen Thera und Melos sowie Kreta hielten sich dem Bunde fern. Von den übrigen Inseln traten Lemnos und Imbros als attische Kolonien wieder in den Besitz Athens zurück und zahlten Geld. Auf Euböa besaß Chalkis keine Flotte mehr, vermutlich infolge der Niederlage durch Athen im Jahr 507; bei Artemision und Salamis fochten die Chalkidier auf attischen Schiffen. Das aus den Trümmern der persischen Zerstörung wiedererstandene Eretria dagegen, Athens Bundesgenosse, hatte bei Salamis 7, Styra 2 Schiffe gestellt; beide werden wohl auch jetzt noch Schiffe gestellt haben. Endlich gehörten zum Bunde die Städte der Chalkidike, die dringend eines Schutzes gegen die Perser in Thrakien bedurften; von ihnen hat schwerlich irgendeine Schiffe gehabt. – So bleiben weit über hundert größere und kleinere Ortschaften, in Kleinasien einschließlich der Küsten des Hellesponts – die Chersones war größtenteils [461] noch in persischen Händen – und der Propontis, auf den Inseln, und auf der Chalkidike, welche eine Geldzahlung (φόρος) zu leisten hatten. Die Festsetzung ihres Betrags überwies man dem attischen Feldherrn Aristides, entsprechend dem griechischen Brauch, die Schöpfung konstitutiver Einrichtungen durchweg dem Ermessen eines souveränen, vom allgemeinen Vertrauen getragenen Gesetzgebers zu überlassen534. Aristides hat die ihm gestellte Aufgabe mit glänzendem Geschick gelöst. Er setzte den Gesamtbetrag der Zahlungen auf jährlich 460 Talente (2402630 Mark) fest, und verteilte denselben auf die einzelnen Gemeinden unter unparteiischer und unbestechlicher Abwägung ihrer Verhältnisse und ihrer Leistungsfähigkeit535. Er erreichte in der Tat, daß sie alle mit seiner Ordnung zufrieden waren. »Magst du den Pausanias preisen oder den Xanthippos oder den Leotychidas«, sagt ein gleichzeitiger rhodischer Dichter; »ich preise den Aristides, ihn, den einen, der aus dem heiligen Athen gekommen, unter allen der beste Mann.« Der Ruf der »Gerechtigkeit«, den er damals sich erworben hat, ist immer sein glänzendster Ruhmestitel geblieben536. Der Gesamtbetrag [462] von 460 Talenten wird nicht zu hoch erscheinen, wenn man bedenkt, daß die erste persische Satrapie, die an Umfang das zahlungspflichtige Gebiet des Delischen Bundes schwerlich übertroffen hat, dem Perserkönig alljährlich einen nicht unwesentlich höheren Tribut (400 bab. Tal. = 2812000 Mark) gezahlt hatte.

Die nächste Aufgabe des Bundes war die völlige Verjagung der Perser aus Europa. Zu dem Zwecke ging Kimon, dem die Athener jetzt regelmäßig die Kriegsleitung übertrugen, im Jahr 476 mit Heer und Flotte nach der thrakischen Küste, wo die Perser noch zahlreiche Kastelle besetzt hielten. Manche ergaben sich ohne ernstlichen Widerstand, wie es scheint, gegen die Gewährung freien Abzugs nach Asien. Nur die Kommandanten Maskames von Doriskos an der Hebrosmündung und Boges von Eion an der Mündung des Strymon wiesen jede Aufforderung zur Kapitulation zurück. Doriskos zu nehmen gelang nicht, und Maskames hat sich hier, wie es scheint, noch jahrelang behauptet (u. S. 501). Dagegen warfen sich die Athener mit aller Macht auf Eion; sie schlugen die Perser und schlossen die Stadt ein. Um ihr die Zufuhr aus dem Binnenland zu entziehen, unternahm Kimon einen Zug stromaufwärts und verwüstete das Land weithin. Boges verteidigte sich aufs äußerste; als die Lebensmittel zu Ende waren, warf er seine Schätze in den Strymon und suchte mit den Seinen den Flammentod (wahrscheinlich Frühjahr 475). So gewann Athen die Strymonmündung und den Zugang zu der reichen Ebene des Binnenlandes. Ein erster Versuch, sich hier bei den »Neunwegen« festzusetzen, wurde freilich durch die Edoner vereitelt, die die attischen Ansiedler größtenteils vernichteten537. Dagegen sind die Griechenstädte [463] an der Küste, vor allem Abdera mit ausgedehntem und fruchtbarem Gebiet, ferner Maronea und mehrere kleinere Orte, dem Delischen Bunde beigetreten. – Eine Ergänzung des thrakischen Feldzugs bildete die Unterwerfung der Insel Skyros und der Stadt Karystos an der Südspitze Euböas, der einzigen Gebiete im Bereich des Bundes, die ihm noch nicht angehörten. Die Dryoper von Karystos, welche schon Themistokles 480 heimgesucht hatte, wurden zum Beitritt gezwungen; aus Skyros wurden, ähnlich wie früher aus Lemnos und Imbros die Pelasger, so die durch Piraterie berüchtigten Doloper verjagt oder zu Sklaven gemacht, die Insel wie jene beiden mit attischen Kolonisten besetzt (etwa 475-472)538.

[464] Nach dem thrakischen Feldzug kommen die militärischen Operationen Athens und des Bundes fast völlig zum Stillstand. Dafür war die Tätigkeit im Innern um so reger. Die Ausbildung der Bundesorganisation muß längere Zeit in Anspruch genommen haben und kann erst nach mancherlei Schwankungen zum Abschluß gelangt sein. Der Bund wuchs hinaus über eine politische Konföderation; die alte sakrale Handelsgemeinschaft von Delos war in ihm wieder aufgelebt, nur in erweitertem Umfang und mit größeren Aufgaben. Sein Gebiet, die Küsten des Ägäischen Meers und der pontischen Meerstraße, war geographisch und kommerziell eine Einheit. Durchaus überwog in ihm das ionische Element; man war bereits gewohnt, die Dorier und Äolier Kleinasiens unter dem Ioniernamen mit zu umfassen. Weit wirkungsvoller noch war die dominierende Stellung Athens. All die alten, ehemals blühenden Handelsplätze waren in den Stürmen der letzten Jahrzehnte aufs schwerste heimgesucht, zum Teil vernichtet; selbst Samos, das unter Sylosons Regiment die Folgen der persischen Eroberung wenigstens einigermaßen ausgeglichen hatte und beim ionischen Aufstand am glimpflichsten davongekommen war, konnte sich doch der alten seebeherrschenden Handelsstadt des Polykrates nicht mehr vergleichen. Demgegenüber stand Athen mit seinem großen dichtbevölkerten Landgebiet, zu dem schon zahlreiche überseeische Kolonien hinzukamen, seiner starken Flotte, seinem ausgedehnten Handel, seiner rührigen Industrie. Bald mochten alle anderen Bundesgenossen zusammen, wie sie Athen zur See nicht die Spitze bieten konnten, so auch an Zahl der ein- und ausgehenden Handelsschiffe und Bedeutung des Warenumsatzes Athen kaum noch gleichkommen. So blieb für zahlreiche kleine, oft geradezu winzige Gemeinwesen auf den Inseln und an den Küsten, namentlich auf der Chalkidike und im hellespontischen [465] Gebiet, gar nichts anderes übrig als engster Anschluß an Athen und sorgfältigste Pflege der kommerziellen und persönlichen Beziehungen zu den Bürgern der führenden Stadt. Man gestaltete Verfassung und Verwaltung nach dem Muster Athens; die Einwirkung, ja die Existenz einer anderen als einer athenisch gesinnten demokratischen Partei war vollkommen ausgeschlossen. Hier war die Führerschaft Athens von Anfang an nichts anderes als eine Herrschaft, die Beisteuer zur Bundeskasse ein Tribut, das gleiche Stimmrecht auf den Bundestagen eine leere Form, die nominelle Souveränität ein trügerischer Schein. Was von den kleinen und kleinsten Bundesgliedern galt, mußte bald auch den mittleren, ja den großen fühlbar werden. So war das offizielle Organ des Bundes, die Synode auf Delos, von Anfang an zur Bedeutungslosigkeit verurteilt539. Über die Leitung der Politik und des Heerwesens und über die Leistungen für den Bund hatte sie verfassungsmäßig überhaupt nichts mitzureden, da hier Athen allein die Führung und die Entscheidung hatte; und auch in der inneren Gestaltung lag alle Initiative in den Händen Athens. Die weitere Entwicklung beruhte auf der Ausbildung seiner Beziehungen zu den einzelnen Gemeinden, nicht zu der Gesamtheit der »Bundesgenossen«.

Gleich zu Anfang ist hier ein entscheidender Schritt geschehen durch Regelung des Gerichtswesens, welche Athen in Angriff nahm. Innerhalb des Bundesgebiets bestanden Hunderte von Partikularrechten und Prozeßformen nebeneinander, welche die verschiedensten Stufen der Rechtsentwicklung repräsentierten und welche, was noch verhängnisvoller war, sich nach altgriechischer Anschauung gegenseitig vollkommen ignorierten. Es war klar, daß in einem Gebiet, welches nach außen als Einheit auftreten und im Innern immer mehr zu einem geschlossenen Verkehrsgebiet [466] mit Athen als Mittelpunkt zusammenwachsen mußte, ein derartiger Zustand vollständig unmöglich war. Wenn Artaphernes nach der Niederwerfung des Aufstandes die Ionier zur Einführung eines einheitlichen Prozeßverfahrens zwischen den Angehörigen der einzelnen Gemeinden gezwungen hatte (o. S. 53), so mußte Athen noch weiter gehen. Allgemein war anerkannt, daß das Solonische Zivilrecht wie das Blutrecht des Areopags und der Epheten vorzüglich und den meisten anderen griechischen Rechten weitaus überlegen war. So stellte Athen die Forderung, daß bei allen aus Geschäftsverträgen (ξυμβόλαια), die in Athen geschlossen waren, entspringenden Prozessen allein die attischen Gerichte und das attische Recht zuständig sein sollten. Dieser Satz gilt im Jahr 466 bereits für Chios, einen der größten und selbständigsten Bundesstaaten; wir werden also annehmen dürfen, daß er gleich bei der ersten Einrichtung des Bundes aufgestellt und wenigstens für weitaus die meisten Staaten durchgesetzt ist, aber nicht als Bundesgesetz, sondern durch Rechtsverträge (ξύμβολα) zwischen Athen und den einzelnen Gemeinden. Für die übrigen, d.h. vor allem für die aus Kontrakten, die in Chios abgeschlossen waren, entstehenden Prozesse enthielt der Vertrag mit Chios Bestimmungen, die wir nicht kennen, die aber hier vermutlich das Forum des Beklagten für zuständig erklärten. Im einzelnen wird der Inhalt dieser Verträge sehr verschieden gewesen sein; die herrschende Tendenz aber war, möglichst die gesamte Rechtsprechung vor das Forum Athens zu ziehen. Zu völligem Verzicht auf ihre Gerichtshoheit werden zunächst wohl nur die kleineren, ökonomisch ganz von Athen abhängigen Gemeinden bereit gewesen sein. Mehrfach mag man auch das attische Gericht nur als Appellinstanz oder bei freiwilliger Einigung der Parteien zugelassen haben. Vielfach wird dann bei Empörungen und Zwangsexekutionen infolge von Steuerrückständen oder ungenügender Truppenstellung eine weitere Beschränkung der Gerichtshoheit durchgeführt sein. So verlieren allmählich die meisten tributzahlenden Gemeinden ihre Autonomie, ihr eigenes Recht, ganz oder doch zum größten Teil; alle Zivilprozesse auch mit Nichtathenern und selbst unter Bürgern der Gemeinde werden, [467] wenigstens wenn es sich um größere Summen handelt, den athenischen Gerichten überwiesen. Volle Einheit ist im Zivilrecht und Zivilprozeß niemals durchgeführt, und größeren Gemeinden hat Athen, auch wenn sie besiegt waren, wenigstens einen Teil ihrer Gerichtshoheit gelassen, so Chalkis 446, Samos 440, Mytilene 427; aber im wesentlichen herrscht seit der Mitte des Jahrhunderts im Bereich der attischen Macht wenigstens im Handels- und Obligationenrecht das Solonische Recht und das attische Gericht. Die Ergänzung dazu bietet die Einführung der attischen Maße und Gewichte und des attischen Geldsystems540. Ein vielleicht noch größeres Interesse hatte Athen, die Kapitalprozesse in den Bundesgemeinden zu kontrollieren, da hier nur zu leicht politische Momente mitspielen konnten und Athen seine Anhänger schützen mußte. Auch hier werden die Anfänge der Entwicklung in die ersten Zeiten des Bundes hinaufragen. Schritt für Schritt mag den schwächeren Gemeinden durch Vertrag zunächst eine Kontrolle, sodann die volle Überweisung der Kapitalsachen nach Athen auferlegt worden sein; seit der Mitte des Jahrhunderts hat man sie nach Aufständen wohl immer eingeführt. So wird für Chalkis – und ebenso gewiß für alle anderen euböischen Städte – im Jahr 446 bestimmt: »in Strafprozessen gegen Chalkidier sind die chalkidischen Gerichte zuständig außer für Verbannung, Tod und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; in diesen Fällen findet Berufung nach Athen an die Heliäa der Thesmotheten statt gemäß dem Volksbeschluß« – der diese Fragen bereits allgemein regelte. In einem Mordprozeß gegen einen Mytilenäer (um 415) sagt Antiphon in der Verteidigungsrede: »Keiner Stadt ist es gestattet, ohne Einwilligung der Athener irgend jemand zum Tode zu verurteilen« (5, 47). – Nirgends empfinden wir die Dürftigkeit unserer Nachrichten über die Entwicklung des Bundes schmerzlicher als auf diesem Gebiete; aber das Resultat, die volle Durchführung des Gerichtszwanges, steht fest. [468] Im allgemeinen haben die Bundesgenossen von der attischen Rechtsprechung mehr Vorteil als Nachteil gehabt; denn Athen stellte die Fremden zivilrechtlich wie im Krimmalprozeß den eigenen Bürgern vollkommen gleich, und an Stelle der alten Zersplitterung galt jetzt ein einheitliches, anerkannt vorzügliches Recht. Aber zu vermeiden waren parteiische Urteile der athenischen Gerichte nicht, wo ihr eigenes Interesse in Frage kam, und noch weniger, daß ihnen Parteilichkeit vorgeworfen wurde. Die Idee des Bundes wurde durch den Gerichtszwang von Grund aus verändert; der Hauptteil der »Bundesgenossen« wurde tatsächlich zu Untertanen Athens541.

[469] Unter dem unmittelbaren Eindruck der Freiheitskriege, als die nationale Begeisterung noch überall lebendig war, war der Bund entstanden; aber die Gestalt, welche er annahm, mußte, [470] vielfach Unzufriedenheit hervorrufen, namentlich bei den größeren Staaten. Da der Krieg mit Persien stockte und der König keine Anstalten machte, die abtrünnigen Untertanen wieder zu unterwerfen, konnte der Partikularismus aufs neue sein Haupt erheben. Die jährlichen Zahlungen, auch wenn sie infolge der Erweiterung des Bundes herabgesetzt wurden, lasteten schwer genug auf den steuerpflichtigen Gemeinden, und noch schwerer vielleicht auf den übrigen die Stellung der Schiffe und Schiffsmannschaften; nicht wenige haben sie nachträglich gegen eine Geldzahlung abgelöst. Dazu kam die Beschränkung der Bewegungsfreiheit; Athens Gegner konnten behaupten, man habe nur einen Herrn gegen einen anderen eingetauscht, da man jetzt Athen Tribut und Heeresfolge leisten und seinen Geboten gehorchen müsse wie früher dem Großkönig. Athen dagegen gab keines seiner Rechte auf und war unerbittlich in der Beitreibung der Rückstände. Eben dadurch wird es viele Gemeinden gezwungen haben, sich seiner Suprematie zu unterwerfen und seine Gerichtshoheit auf sich zu nehmen. Auch sorgte es nach Kräften dafür, daß überall seine Anhänger ans Ruder kamen und die Verfassung nach attischem Muster umgewandelt wurde. So fehlte es nirgends [471] an Reibungen, die bald hier, bald da in offenen Konflikt übergingen, so aussichtslos der Versuch auch war, sich Athens Übermacht zu entziehen. Zum Kampfe kam es zum erstenmal um das Jahr 467. Naxos, die wichtigste der Kykladen, bis dahin Athen befreundet542 und eben darum nicht tributär, wurde bundbrüchig und weigerte den Gehorsam. Athen schritt sofort ein; die Naxier wurden besiegt und belagert, bis sie sich fügten. Sie mußten auf ihre Autonomie verzichten und fortan Tribut zahlen. Ähnliches ist offenbar vielfach vorgekommen. Aus Inschriftentrümmern wissen wir, daß die Athener um 460 in Erythrä und Kolophon interveniert haben – in Erythrä, wie es scheint, im Gegensatz zu einer Partei, die sich auf die Tyrannis und die Verbindung mit Persien stützte und jetzt verjagt wurde. In beiden Städten wird eine demokratische Verfassung eingeführt, mit einem erlosten Rat, in Erythrä von 120 Mitgliedern, der vereidigt wird, dem Volk der Heimat, den Athenern und den Bundesgenossen die Treue zu wahren und nach besten Kräften für sie zu wirken, keinen der Verbannten ohne Einwilligung Athens und des heimischen Demos zurückzurufen, noch einen der gebliebenen Bewohner zu verjagen. Die Rechtsordnung und das Gerichtsverfahren werden nach den oben entwickelten Grundsätzen geregelt, ferner die Opfer bestimmt, die sie zu den großen Panathenäen zu senden haben. In Erythrä liegt fortan ständig eine athenische Besatzung unter einem attischen Kommandanten (φρούραρχος), der mit dem Rat zusammen die Losung der Ratsherrn leitet. Für die Neueinrichtung ist eine Kommission von »Aufsehern« (ἐπίσκοποι) hingesandt, die mit ihm zusammen wirken soll. Analog werden die Verhältnisse nicht nur in Kolophon, sondern auch vielerwärts sonst geordnet worden sein543.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 459-472.
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