Thronwechsel in Persien. Angriff der Athener. Ägyptischer Aufstand

[550] König Xerxes hat nach den Niederlagen von Platää und Mykale noch vierzehn Jahre auf dem Thron des Perserreichs gesessen, ohne noch einmal in den Gang der Weltgeschichte einzugreifen. In manchem Perser mag das Gefühl der Schmach lebendig gewesen sein, daß die große Rüstung so kläglich ausgegangen, daß man nicht einmal imstande war, den tapferen Garnisonen in Thrakien zu Hilfe zu kommen; die Empfindung, daß sie an einem Wendepunkt ihrer Geschichte angekommen seien, daß ihnen ein neues, stärkeres und unüberwindliches Element entgegengetreten war, spricht sich in Äußerungen der Perser, von denen die Griechen berichten, mehrfach aus. Den König focht das wenig an. Als eine Kränkung seines Herrscherstolzes mag er das Scheitern des Unternehmens empfunden haben; größere Bedeutung hat er ihm schwerlich beigelegt. Im Grunde war ja das eigentliche Ziel, die Züchtigung Athens, erreicht worden, die widerspenstige Stadt in Flammen aufgegangen; und im übrigen stand das Reich intakt. Xerxes war nach wie vor der König der Könige und der Länder, mochten auch einige entlegene Küstengebiete zeitweilig widerspenstig sein und den Tribut weigern. In einzelnen Momenten, wie in der Entsendung des Sataspes zur Umschiffung Afrikas (o. S. 95), klingen die Gedanken der großen Zeit des Reichs noch einmal nach; sonst aber zeigt sich überall nur Stillstand und der Beginn des Verfalls. Der König ging auf in sinnlichen Genüssen und Haremsumtrieben, deren er nicht mehr Herr zu bleiben vermochte (vgl. Herod. IX 108ff.) – so zeigt ihn auch die jüdische Esthernovelle; im Reich aber lockerten sich überall die Bande des Gehorsams,[550] und bei dem herrschenden Volk verfiel die Zucht. Die Hingebung an Vaterland und König, die es groß gemacht hatte, wich der Begehrlichkeit und dem gemeinen Ehrgeiz, der die Magnaten in das widrige Intrigenspiel des Hoftreibens hineinzog. Wie die Griechen werden auch andere Grenzstämme und ebenso die wilden und tapferen Räuberstämme in den Gebirgen Irans, Armeniens, Kleinasiens schon jetzt sich unabhängig gemacht und ihre Freiheit gegen die schwächlichen Angriffe der Satrapen verteidigt haben. Auch Aufstände von Statthaltern mögen bereits unter Xerxes vorgekommen sein – wie denn sein Bruder Masistes, vom König in seinem Weibe tödlich beleidigt, schon bald nach 479 den Plan gefaßt hatte, sich in seiner Provinz Baktrien unabhängig zu machen, aber er wurde mit seinen Söhnen und seinem Gefolge erschlagen, ehe er das Land erreichte.

Im Sommer des Jahrs 465621 wurde Xerxes von seinem allmächtigen Wesir Artabanos ermordet. Der Tat beschuldigte dieser den ältesten Sohn des Königs, Darius; so wurde derselbe von seinem jüngeren Bruder Artaxerxes (Artakhšatra) getötet, und dieser bestieg den Thron. Aber Artabanos dachte für sich selbst und seine Söhne die Herrschaft zu gewinnen und auch den neuen König zu beseitigen. Er versuchte, den Eroberer Babylons (o. S. 123) Megabyzos, den Sohn des Zopyros, dem Xerxes seine Tochter zur Frau gegeben, der aber jetzt mit seiner Gemahlin zerfallen war, ins Komplott zu ziehen. Doch dieser warnte vielmehr den König; in offenem Kampfe, so wird berichtet, wurde Artabanos mit seinem Anhang bewältigt und getötet622. – Artaxerxes I. war, wie sein Verhalten in den jüdischen Wirren zeigt (o. S. 191. 193.), ein gutmütiger, [551] leutseliger Herrscher, aber schwach und leicht bestimmbar. Er mochte bestrebt sein, seine Aufgabe als Regent zu erfüllen und die Schäden des Reichs zu bessern; aber Bedeutendes zu leisten war er nicht geschaffen623. Gleich zu Anfang seiner Regierung fiel der Satrap Artabanos in Baktrien ab, wurde aber in zwei Schlachten überwältigt624. Verhängnisvoller war, daß Ägypten sich aufs neue empörte. Wieder waren es die Libyer des westlichen Deltas, von denen der Aufstand ausging; ihre Fürsten Inaros und Amyrtäos brachen in das Nilland ein. Wie einst Necho und Psammetich konnten auch sie hoffen, im Kampf mit der asiatischen Großmacht das Pharaonenreich wiederherzustellen; durften sie doch von Athen noch ganz andere Unterstützung erwarten, als jene durch Lydien und die griechischen und karischen Söldner gefunden hatten. Ein Teil der Ägypter fiel ihnen zu, während andere, die an die Übermacht des Weltreichs glaubten und in den Libyern auch nur Fremdherrscher sehen mochten, treu an Persien festhielten. Der Statthalter Achämenes, Xerxes' Bruder, zog ein großes Heer zusammen; aber bei Papremis wurde er von Inaros geschlagen und getötet, sein Heer vernichtet625.

Das waren die Verhältnisse, in die Athen eingriff. Das neue Unternehmen war in demselben Stil angelegt wie Kimons Feldzug nach Karien und zum Eurymedon. Mit 200 eigenen und bundesgenössischen Schiffen fuhren die Athener nach Cypern und begannen die Eroberung der Insel (459 v. Chr.). Da wandte sich Inaros an sie um Hilfe. Das Anerbieten war verlockend; die Aussicht, [552] Ägypten den Persern dauernd zu entreißen und der attischen Macht und dem attischen Handel zu sichern, stellte einen ungeheuren Machtzuwachs und einen tödlichen Schlag gegen Persien in Aussicht. So ging die Flotte nach Ägypten; sie forcierte die Einfahrt in den Nil und vernichtete die persische Flotte. Memphis wurde angegriffen und die Stadt selbst genommen; aber in der Zitadelle, der »weißen Mauer«, behauptete sich die persische Besatzung, verstärkt durch die im Lande angesiedelten Perser und die treugebliebenen Ägypter. Die Belagerung der starken Festung zog sich manches Jahr hin. Sonst aber schien das Unternehmen völlig geglückt und die beträchtlichen Verluste an Menschenleben wert, die es gekostet hatte. Selbst nach Phönikien, wo sich Unabhängigkeitsgelüste regen mochten, konnten die Athener übergreifen626.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 550-553.
Lizenz:
Kategorien: