Finanzprogramm des Perikles. Beginn der Bauten

[678] Die Durchführung der von Perikles für die Friedenszeit geplanten Maßregeln war nur möglich, wenn die großen dafür nötigen Geldsummen flüssig gemacht werden konnten, ohne daß die sonstigen Aufgaben des Staats, seine Sicherheit und fortdauernde Kriegsbereitschaft darunter Schaden litten. Die finanziellen Fragen treten daher in den Mittelpunkt der Perikleischen Politik und des Kampfes um ihre Durchführung; und hier hat Perikles seine organisatorische Begabung voll bewährt und das Finanzwesen des Staats in neue Bahnen gelenkt832.

Ein wesentlicher Teil der Einnahmen des Staates Athen stammte aus den Pachtgeldern der Silberminen von Laurion und der seit dem Thrakischen Krieg ganz in Athens Besitz übergegangenen Goldminen im Pangaion. Dazu kamen die Erträge der sonstigen Domänen, Grundstücke, Häuser u.a. und vor allem der im Bundesgebiet erworbenen Staatsländereien (o. S. 668). Eine zweite große Gruppe der Einnahmen bildeten die Zölle und Hafengelder, die Markt- und Kaufsteuern, die Sklavensteuer. Ihre Erhebung wurde an die Meistbietenden verpachtet so gut wie die Domänen, da dem Staat alle Organe fehlten, seine Besitzungen selbst zu bewirtschaften und die indirekten Steuern selbst einzuziehen. Der Zuschlag erfolgte durch eine Kommission von zehn erlosten »Verkäufern« (πωληταί), unter Kontrolle des Rats. Sie vergaben auch die Lieferungen für den Staat, Bauten, Anfertigung der in Stein gehauenen Urkunden u.a. an den Mindestbietenden, sie verpachteten das Tempelgut, sie leiteten die Auktionen von Staatsgut, namentlich bei Konfiskationen. Der Zahlungstermin war in der Regel die neunte Prytanis (Mai-Juni), [679] nach der Ernte. Die Einziehung besorgte, wenn die Zahlung nicht rechtzeitig erfolgte, eine Kommission von »Eintreibern« (πράκτορες); säumige Schuldner verfielen in Atimie und hatten den doppelten Betrag zu zahlen, auch Vermögenskonfiskation zu gewärtigen. – Eine dritte Einnahmequelle bildeten die Gerichtsgebühren (πρυτανεῖα), die namentlich durch den den Bündnern auferlegten Gerichtszwang eine bedeutende Höhe erreichten; ferner die aus den Geldstrafen und aus dem Erlös des eingezogenen Vermögens von Hochverrätern und anderen Verbrechern eingehenden Summen833. Alle Staatseinnahmen flossen ursprünglich in die von den Kolakreten verwaltete Staatskasse (τὸ δημόσιον). Das hat Kleisthenes geändert, indem er eine besondere Kommission von zehn »Einnehmern« (ἀποδέκται) einsetzte, welche die Gelder in Empfang nahm und sofort an die einzelnen Beamten, Archonten, Strategen usw. abführte, was ihnen für ihre Bedürfnisse zugewiesen war. So entstanden neben der Staatskasse eine große Zahl Spezialkassen. Immerhin behielten die Kolakreten noch beträchtliche Summen; sie zahlten die Diäten der Beamten, des Rats, der Geschworenen, die Kosten der Staatsmahlzeit im Prytaneion und alle unregelmäßigen und außerordentlichen Ausgaben, z.B. für Bauten, für die Ausfertigung von Inschriften u.a., soweit dafür nicht von der Volksversammlung andere Gelder angewiesen wurden.

Die Gesamtsumme der Einnahmen Athens betrug in der Blütezeit des Staats jährlich ungefähr 1000 Talente (gegen 51/2 Millionen Mark)834. Davon wurden die laufenden Ausgaben bestritten. Von [680] einer Verteilung am Ende des Jahres etwa bleibender Überschüsse unter die Bürger konnte seit der Schöpfung der Flotte nicht mehr die Rede sein. Zwar wurden die Kosten der Flotte und der Kriegsführung aus den Bundessteuern bestritten; aber die Instandhaltung des Kriegsmaterials, der Mauern, des Arsenals, die Löhnung der Truppen und Ruderer, die man auch in Friedenszeiten brauchte, erforderten ununterbrochen große Summen – alljährlich wurden 60 Trieren zur Überwachung des Bundesgebiets und Ausübung der Seepolizei in Dienst gestellt, und in zahlreichen Städten lagen attische Garnisonen835. Dazu kamen die Ausgaben für Staats- und Tempelbauten, für Feste und Opfer, und seit 461 die Diäten der Beamten, des Rats und der Richter, die jährlich mindestens 150 Talente (816000 Mark) erfordert haben müssen. So wurden die Staatseinnahmen vollkommen verbraucht. Wenn sie nicht ausreichten, mußte man zur Ausschreibung einer Umlage (εἰσφορά) seine Zuflucht nehmen, die auf die Bürger der drei oberen Klassen nach ihrem Vermögen verteilt wurde. Eingeschätzt und eingezogen wurde sie nach Bezirken (Demen) von den Demarchen836. Eine direkte Abgabe galt aber immer als ein Eingriff des Staats ins Privateigentum, den Könige und Tyrannen üben, der aber einem freien Gemeinwesen nicht zusteht: sie war um so drückender, da innerhalb der Solonischen Klassengrenzen die einzelnen Vermögen sehr ungleich getroffen wurden (Bd. III2 S. 607. So hat man zu ihr nur in Notfällen gegriffen; nur unter besonderen Garantien, nachdem vorher eine Volksversammlung von mindestens [681] 6000 Bürgern, die nach Solonischem Recht für alle Ausnahmegesetze, z.B. Bürgerrechtsverleihung und Ostrakismos, vorgeschrieben war, Indemnität (ἄδεια) erteilt hatte, durfte der Antrag auf Erhebung einer Eisphora eingebracht werden. Seit den Perserkriegen wird sie nur selten erhoben worden sein. – Seit 477 war Athen das Oberhaupt des Bundes, und für die Kriegsführung trat seitdem die Bundeskasse oder, wie wir jetzt besser sagen, die Reichskasse ein. Die jährlich zu zahlende Summe hatte Aristides auf 460 Talente festgesetzt und unter die geldzahlenden Gemeinden verteilt. Dem entspricht es, daß die tatsächlich eingehenden Tribute seit der Schätzung von 450 alljährlich etwa 4551/2 Talente (ca. 2478000 Mark) ergaben. In den nächsten beiden Dezennien sank der Betrag, teils infolge der Herabsetzung einzelner Posten, teils durch den Abfall nicht weniger Gemeinden, namentlich in Karien, bis auf 4101/2 Talente (ca. 2133000 Mark), die überdies kaum jemals sämtlich eingegangen sind. Dazu kamen die Erträge der Zölle im Bundesgebiet und vielleicht noch einige andere uns nicht bekannte Einnahmen, ferner später die Abgaben von Samos (u. S. 715) u.a., so daß Thukydides beim Ausbruch des Peloponnesischen Kriegs die Einnahmen aus dem Bundesgebiet auf durchschnittlich jährlich 600 Talente (3264000 Mark) ansetzen kann.

Überschüsse wird auch die Bundeskasse, solange der Krieg dauerte, höchstens in einzelnen Jahren ergeben haben, z.B. nach der Schlacht am Eurymedon; der große Krieg seit 460 hat dagegen namentlich zur Zeit der ägyptischen und der cyprischen Expedition jedenfalls weit mehr gekostet als die laufenden Einnahmen. So würde Athen, da weder der Staat noch das Reich einen Reservefonds besaß, in eine sehr schwierige Lage gekommen sein, wenn ihm nicht ein großer Schatz zur Verfügung gestanden hätte, bei dem es Anleihen machen konnte837. Das war der Tempelschatz der Göttin auf der Burg838. Seit alters hatten sich in ihrem Besitz nicht [682] nur Weihgeschenke und Kostbarkeiten aller Art gehäuft, sondern auch große Geldsummen. Zum geringsten Teil stammten dieselben aus den eigenen Einnahmen der Göttin von ihr gehörigen Grundstücken, zum weitaus größten Teil aus Geschenken von Privatleuten wie vom Staate und namentlich aus dem ihr geweihten Beuteanteil; auch von den Erträgen der Bergwerke wird sie, solange sie verteilt wurden, den Zehnten erhalten haben. Schon in der Adelszeit und mehr noch durch den regen Aufschwung des Handels und der Gewerbe seit Solon und unter den Tyrannen müssen die im Tempel liegenden Summen mehrere tausend Talente betragen haben, ähnlich den Schätzen in anderen großen Heiligtümern Griechenlands und des Orients. Daher gab es seit alters für ihre Behütung und Verwaltung eine eigene Behörde von »Schatzmeistern« (ταμίαι), die seit Solon aus den Pentakosiomedimnen erlost wurden839. Der Schatz war totes Kapital und diente nur dem Prunk; aber dies galt in alter Zeit von den Schätzen der Könige und des Adels im wesentlichen auch, wenn man sie auch in Notlagen einmal angriff. Das geschah mit dem Schatz der Göttin gleichfalls. Wie sie mit und in dem Staat lebte und von ihm den Zehnten erhielt von all seinem Gewinn, so war es nur billig, daß sie ihm aushalf, wenn er in Not war. Wahrscheinlich hat man zur Zeit der Perserkriege eine Anleihe bei ihr aufgenommen, um die Räumung Athens möglich zu machen (o. S. 322, 1), die dann nach dem Sieg zurückgezahlt wurde. In den nächsten, an Triumphen reichen Jahrzehnten muß der Schatz bedeutend angewachsen sein: in den schweren Kriegen seit 460 hat man dann um so größere Anleihen gemacht. Doch müssen beim Frieden von 448 immer noch mindestens 6000 Talente (321/4 Millionen Mark), vielleicht noch beträchtlich mehr, auf der Burg gelegen haben.

[683] Eine Kostenentschädigung hat der Krieg nicht gebracht; dafür standen aber jetzt im Frieden die Reichseinnahmen zur Disposition Athens. Es lag nahe, sie zur Rückzahlung der Anleihen einschließlich der beträchtlichen inzwischen aufgelaufenen Zinsen zu verwenden. Aber so notwendig es auch war, für den künftigen unausbleiblichen Krieg einen großen Reservefonds zu sammeln, so zwecklos wäre es gewesen, unermeßliche Geldsummen aufzuspeichern. Das Geld war inzwischen wie im Privatleben so für den Staat das stärkste und unentbehrlichste Machtmittel geworden. Daher bricht Perikles' Finanzprogramm mit der alten Anschauung, welche mit den aufgespeicherten Haufen Geldes prahlt, aber nichts mit ihnen anzufangen weiß. Auch ist man hinausgewachsen über den naiven Glauben der Altvordern, daß die Göttin sich des toten Besitzes freue. Sie ist eine lebendige Macht, die Verkörperung des Staatsgedankens und der Stadt, deren Namen sie trägt. Gewiß muß die Göttin erhalten, was ihr zukommt; und es ist sehr nützlich, daß der große Schatz durch seine Heiligkeit der Verschleuderung und den alltäglichen Bedürfnissen entzogen ist. Aber was bisher tatsächlich nur in Notfällen geübt war, wird durch Perikles Grundsatz: der Schatz steht zur unbedingten Verfügung des Staats. Seine Benutzung ist unter dieselbe konstitutionelle Garantie, die vorherige Gewährung der Indemnität, gestellt wie die Auflage einer Vermögenssteuer – das war in Notlagen der einzige Ausweg, wenn man eine Anleihe nicht aufnehmen wollte. Die Göttin wird gewissermaßen der Bankier des Staats, ihr Schatz der Kriegsschatz Athens – das bietet noch den Vorteil, daß man von den besiegten Feinden als Kriegsentschädigung die Zahlung nicht nur der wirklichen Summen, sondern auch der Zinsen fordern kann. Der Staat fühlt sich so sehr wenn nicht als Eigentümer, so doch als Nutznießer des Tempelschatzes, daß die aus ihm entliehenen Summen jetzt unter der Überschrift rubriziert werden: »Die Athener gaben für den Krieg folgendes aus: die Schatzmeister der Athena zahlten den Feldherrn (Hellenotamien) ...« und nun folgen Datum und Betrag. Die aus den laufenden Einnahmen des Reichs verwendeten Gelder werden dabei überhaupt nicht gerechnet, da sie ja von Anfang an für Kriegszwecke bestimmt waren.

[684] Aus dieser Auffassung ergibt sich, daß der Staat die Höhe des Tempelschatzes festsetzt und ihn nicht mehr wie bisher sich ins Ungemessene vermehren läßt. Perikles hat die im Jahre 449 noch vorhandenen Summen für im wesentlichen ausreichend gehalten, zumal sie sich aus den eigenen Einnahmen des Tempels und aus der an die Göttin gezahlten Weihgabe eines Sechzigstels der Tribute alljährlich um etwa 40-50 Talente vermehrten. Tatsächlich haben denn auch, als im Sommer 433 Athen zugunsten der Korkyräer intervenierte und im nächsten Jahr mit der Expedition nach Makedonien und dem Abfall von Potidäa wieder ein dauernder Kriegszustand eintrat, nicht mehr als etwa 6600 Talente im Schatz der Athena und dem kleinen neugebildeten Schatz der übrigen Götter gelegen. Somit standen alle seit dem Frieden mit Persien erzielten Überschüsse, wenn auch die Form einer Rückzahlung an die Göttin gewahrt wer den mußte, tatsächlich zur Disposition Athens. Perikles hat kein Bedenken getragen, sie für die Durchführung seines Programms zu verwenden. Entsprechend der Ankündigung in der gescheiterten Berufung des hellenischen Kongresses wurde sofort nach dem Frieden die Bautätigkeit wieder aufgenommen840. Die Bauten der Kimonischen Zeit genügten nicht mehr; an ihrer Stelle sollten sich glänzende Marmortempel auf der völlig geebneten und in ein großes Heiligtum umgewandelten Akropolis erheben. So wurde der halbvollendete Athenatempel wieder eingerissen und an seiner Stelle der neue Parthenon errichtet. Im Jahr 447 begann der Neubau, etwa um dieselbe Zeit der Bau des Tempels der Athena Nike am Eingang der Burg. Gleichzeitig nahm man die Wiederherstellung des von den Persern eingeäscherten Heiligtums von Eleusis in der Form einer großen Festhalle zur Feier der Mysterien in Angriff841. So wurde der von den Barbaren [685] geübte Frevel gesühnt. Die Ergänzung bildete ein gewaltiges Erzbild der stadtschirmenden Göttin inmitten der Burg, das weit auf die See hinaus sichtbar aller Welt den ruhmreichen Abschluß des Perserkriegs verkünden sollte842. Hinzu kam eine große Festhalle in der Unterstadt, das Odeon, in der Gestalt des Zeltes des Xerxes, mit zahlreichen Säulen, die ein gewaltiges Dach trugen. Sie sollte bei den musikalischen Aufführungen, die Perikles den Panathenäen einfügte, das gesamte Volk in einem geschlossenen Raume von riesigen Dimensionen vereinigen – für Drama und Komödie genügte der freie Platz beim Dionysosheiligtum am Abhang der Akropolis oder beim Lenaion843. – Das verlustreiche, aber rasch vorübergehende Kriegsjahr des böotischen und euböischen Aufstands und des peloponnesischen Angriffs 447/6 hat diese Bauten nur auf kurze Zeit unterbrochen. Wohl aber zeigte es die Notwendigkeit, Athen noch stärker als bisher gegen jeden feindlichen Angriff zu schützen. Bisher war das Hafengebiet durch die beiden langen Mauern nach dem Piräeus und Phaleron mit Athen verbunden; es schien aber denkbar, daß es einem Angreifer gelänge, sich zwischen den beiden Mauern festzusetzen und so Athen von der Verbindung mit der See abzusperren. Deshalb setzte Perikles durch, daß zwischen beiden noch eine innere Mauer nach dem [686] Piräeus gezogen und Ober- und Unterstadt vollständig in eine einzige große Festung verwandelt wurde. Erst dadurch wurde Themistokles' Gedanke zur vollen Wahrheit, und sein Ausspruch, es sei am besten, die Landeshauptstadt in den Hafen zu verlegen, in anderer und großartigerer Weise verwirklicht844.

Nimmt man zu dieser gewaltigen Bautätigkeit die Ausgaben hinzu, welche Arsenal, Schiffshäuser und Flotte ununterbrochen erforderten, so mag man ermessen, welcher Summen der Staat Jahr für Jahr bedurfte; bei einer derartigen Auffassung seiner Aufgaben konnten die jährlichen Ausgaben im Frieden nicht geringer sein als vorher in den schwersten Kriegsjahren. Die erhaltenen Bruchstücke der Baurechnungen zeigen, daß der Staat, d.h. vor allem die Kolakreten, doch auch andere Kassen, wenn in ihnen gerade Überschusse vorhanden waren, sehr beträchtliche Summen zu den Bauten gezahlt haben. Aber mochten auch mit Handel und Wohlstand die Einnahmen des Staats in der Friedenszeit ständig wachsen, so reichten doch die Überschüsse, welche Verwaltung und Feste ließen, in keiner Weise; man war nach wie vor auf die Reichseinnahmen angewiesen. Zum Teil wurden dieselben dadurch herangezogen, daß man die Hellenotamienkasse direkt zu den Bauten, wenigstens zum Parthenon, beisteuern ließ; vielleicht allerdings von Anfang an nur in der Weise, die uns später beim Bau der Propyläen (437/6-433/2) ausdrücklich bezeugt ist, daß sie ein Sechzigstel der Tribute in die Baukasse zahlte, also jedes Jahr nur den im Verhältnis zu den erforderten Summen verschwindend geringen Beitrag von etwa 7 Talenten (38080 Mark). In der Hauptsache dagegen half man sich auf anderem Weg. Es wurde bestimmt, zweifellos auf Anregung des Perikles, auch wenn er den Antrag nicht selbst eingebracht haben sollte, aus den Überschüssen [687] der Hellenotamien, dem im Bundesgebiet erhobenen Zehnten und anderen ähnlichen Einnahmen alljährlich so lange Einzahlungen in den Schatz der Göttin zu machen, bis 3000 Talente (16320000 Mark) »auf die Burg gebracht« seien845. Dafür leistete aber die Göttin selbst den Hauptbeitrag zur Erbauung ihrer Heiligtümer, des Parthenon, des Niketempels, ebenso später der Propyläen846; die Kosten des im Jahre 438 vollendeten Götterbildes des Phidias, zu dem allein an Gold 44 Talente im Wert von 616 Silbertalenten (3351040 Mark) verwendet wurden847, hat sie ganz allein getragen. Das war juristisch und religiös durchaus zu rechtfertigen. Dadurch wurden aber die Einzahlungen in den Tempelschatz zu einer Formalität und tatsächlich die Kosten der Bauten auf der Burg so gut wie ausschließlich aus den Tributen der Bündner bestritten. Man war sich denn auch vollständig klar darüber, daß es sich nur um eine Fiktion handle, daß der Schatz der Göttin in Wirklichkeit jetzt ein Staatsschatz war, der zum Besten Athens und seiner Bürger verwertet wurde. Wie wenig es mit der Rückzahlung Ernst war, geht daraus hervor, daß man bei der Einzahlung der 3000 Talente jeden darauf hinweisenden Ausdruck [688] prinzipiell gemieden hat – die Göttin erhielt ja durch das, was der Staat sonst noch zu den Bauten zuschoß, überreichlich wieder, was sie beanspruchen konnte –, und daß man beschloß, die Rückzahlung der kleinen, bei den übrigen Göttern des Staats gemachten Schulden einstweilen zurückzustellen, obwohl sie sich einschließlich der Zinsen noch nicht auf 200 Talente (1088000 M.) beliefen. Erst als im Jahr 434 die 3000 Talente voll gezahlt waren, konnte man sich der Ehrenschuld nicht mehr entziehen; aber auch da hat man, um die Summen bequem zur Disposition zu haben, sie nicht etwa an die einzelnen Tempel zurückgezahlt, sondern mit den hier noch liegenden Geldern in der Schatzkammer auf der Burg zu einem besonderen kleinen »Schatz der anderen Götter« von im ganzen etwa 600 Talenten (3264000 Mark) vereinigt und einer eigenen Kommission von Schatzmeistern unterstellt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 678-689.
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