Die Komödie

[833] Seit dem Jahre 487/6 steht neben der Tragödie als gleichberechtigter Bestandteil der dionysischen Feste Athens die Komödie (o. S. 739). Die attische Komödie ist bekanntlich nicht etwa unser Lustspiel – dies hätte sich eher aus den Aufführungen Epicharms entwickeln können und würde dem Athen des 5. Jahrhunderts als eine Abart der Tragödie erschienen sein971 –, sondern die Posse. Noch besser ließe sie sich vielleicht mit unseren Witzblättern vergleichen, den politischen wie den unpolitischen. Was immer im großen wie im kleinen das Leben des Atheners bewegte, fand sich hier in lustigem Bilde vereinigt, Vorfälle und namentlich Skandalszenen aus dem öffentlichen und privaten Leben, Tagesfragen der Politik, der Literatur, der Musik. Eine lustige Fabel hält das Ganze locker zusammen. Der Chor erscheint wohl in der Maske eines Gewerbes, als Bauern, Rinderhirten, Krautleserinnen, Brothändlerinnen, Metöken, Bettler, Soldaten, oder auch im Kostüm eines Festes, als Schmausgenossen beim Phratrienfest, als Thesmophorien feiernde Frauen, als Mysten, Zechbrüder u.a., oder als Repräsentanten einer neumodischen Richtung, als Weichlinge, Rhetoren, Schwätzer; nicht selten auch als Bürger einer attischen Dorfgemeinde, oder als fremdes Volk, Lyder, Perser, Thraker, Babylonier, [833] Ägypter. Sehr beliebt war die Märchenkomödie, namentlich aus der Welt der Tierfabel, Ziegen, Vögel, Wespen, Fische, Frösche. Daneben stand, wie bei Epicharm, die Götter- und Heroenkomödie, die lustige Persiflage des in der Tragödie ernsthaft behandelten Sagenstoffs. Als Gegenbild zu der Not des jetzigen Lebens führte man die seligen Zustände der Goldenen Zeit vor, wo es keine Arbeit und keine Armut gab, sondern, wie im Schlaraffenland, die Natur alles im Überfluß darbot, der Tisch sich von selber deckte, die Wanne sich zum Bade füllte, so oft man es wünschte, und die Werkzeuge von selber arbeiteten, wo man daher auch keinen Sklaven brauchte. Auch die Weisen der alten Zeit ließ man erscheinen, Leute wie Hesiod, Archilochos, Chiron. So berühren sich die Sujets vielfach mit denen des sizilischen Lustspiels, und hier wie da bot sich Anlaß genug, die einzelnen Typen der Gesellschaft vorzuführen, zu charakterisieren und zu karikieren. Aber doch sind beide von Grund aus verschieden; denn grundsätzlich verschmäht die attische Komödie jede Konsequenz, sowohl in der Führung der Handlung wie in der Charakterzeichnung. Das Widersinnige und Unmögliche, die Aufhebung aller Gesetze von Raum und Zeit und der Logik des realen Lebens, die Parodie und Karikatur ist ihr Lebenselement; sie nimmt ihre Voraussetzungen niemals ernst und hebt sie jederzeit auf, sobald es ihr paßt. Mit der Parabase vollends (o. S. 739) wird die Handlung des ersten Teils, ursprünglich wenigstens, und so noch in vielen Komödien des Aristophanes, völlig fallen gelassen, es folgt eine Reihe lustiger Szenen, die miteinander nur im lockersten Zusammenhang stehen. Unentbehrlich sind derbe Spaße, Zank- und Prügelszenen, die oft kaum einer weiteren Motivierung bedürfen und lediglich der Belustigung des großen Haufens dienen – Megarische Witze, wie man sie in Athen nannte, weil derartiges in den burlesken Possen in Megara an der Tagesordnung war. Auch Aristophanes, soviel er darüber spottet, hat sie niemals verschmäht, seine Kunst besteht gerade darin, daß er sie anbringt, indem er sie scheinbar ablehnt. Durch diese Gestaltung wird es möglich, ununterbrochen die Tagesereignisse in die Komödie hineinzuziehen und bekannte Persönlichkeiten, die inmitten der Zuschauer sitzen, zu verhöhnen oder in deutlich erkennbarer [834] Maske, oft mit Nennung ihres Namens, auf die Bühne zu bringen972.

So ist die attische Komödie zunächst durchaus ein Augenblickserzeugnis, aus dem Moment für den Moment geboren, und ebenso rasch wieder vergessen. Mochte auch einmal eine besondere Situation oder ein schönes Lied länger im Gedächtnis bleiben, mochte auch der Dichter unter der lustigen Maske dem Publikum zugleich ins Gewissen reden und Übelstände und Mißbräuche oder auch politische Richtungen ernsthaft bekämpfen, der Literatur im engeren Sinne gehörten seine Schöpfungen nicht an; eine Wirkung in die Ferne, auf ganz Hellas, wie bei der Tragödie, war hier vollends von selbst ausgeschlossen. Daher sind die Texte der Komödien jahrzehntelang wohl nur für die Aufführung niedergeschrieben worden und nicht in den Buchhandel gekommen: von den älteren Komikern: Chionides, Magnes, Ekphantides, Euphronios und ihren Genossen, besaßen die Späteren keine zweifellos echten Stücke, ja selbst die Namen der Dichter waren größtenteils verschollen973. Erst in der Perikleischen Zeit, seit etwa 445, beginnt das anders zu werden974: Kratinos, der damals auf der Höhe seines Schaffens [835] stand, ist der erste Komiker, von dem sich zahlreiche Stücke erhalten hatten und später eifrig gelesen wurden. Die sprudelnde Fülle seines Formtalents, die Aristophanes an ihm rühmt und um dessentwillen das antike Kunsturteil ihn mit Äschylos vergleicht, hat er selbst geschildert, als er im Jahre 423 in hohem Alter, nach langer Pause, kurz vor seinem Tode, noch einmal mit seiner »Flasche« die Bühne betrat. Die Komödie, seine rechtmäßige Frau, verklagt ihn, weil er sie um seiner Geliebten, der Weinflasche, willen verlassen hat; sie findet Hilfe bei seinen Freunden, die ihm die Flaschen und Becher zerschlagen wollen; er aber rechtfertigt sich in langer Rede. Da heißt es: »Herrscher Apollon, welcher Strom von Versen! Die Quellen rauschen, der Mund ist ein zwölfröhriger Born, der Ilissos in seiner Kehle! Wenn ihm niemand den Mund verstopft, wird er noch alles mit seinen Dichtungen überschwemmen« (fr. 186). Er hat die attische Komödie zu einem selbständigen und lebenskräftigen Erzeugnis der poetischen Literatur erhoben und wahrscheinlich auch zuerst ihr eine straffere Fügung gegeben. Seitdem wird, wie die Tragödie, so auch die Komödie regelmäßig nach der Aufführung vom Dichter in Buchform publiziert, und manche hat, wie Aristophanes' »Wolken«, durch die Lektüre eine weit tiefergreifende und nachhaltigere Wirkung gewonnen als durch die Aufführung. – Kratinos hat in seinen Komödien vielfach die großen Fragen behandelt, welche die Zeit bewegten, und energisch in den politischen und kulturellen Kampf eingegriffen, natürlich vom Standpunkt der Opposition aus, welche die gute alte Zeit preist, deren Wiederherstellung man von Kimon erhofft hatte (fr. 1); die Staatsverderber wie Perikles, »den größten der Tyrannen, den Zwietracht und Kronos miteinander zeugten« und »seine freche Kebse Hera Aspasia, die Tochter der Unzucht« hat er aufs schärfste angegriffen, ebenso die neuen Weisheitslehrer, die alles zu wissen behaupten (πανόπται, Bd. IV1 S. 425). Gegen ihn vor allem wird sich denn auch bald der gescheiterte Versuch des Perikles gerichtet haben, die zügellose Freiheit der persönlichen Angriffe der Komödie zu beschränken (o. S. 740). Seinen Bahnen sind Hermippos und Telekleides gefolgt, die vom radikalen Standpunkt Perikles nicht minder scharf angriffen. Eine wesentlich andere Richtung vertrat [836] Krates, »der mit geringem Aufwand euch bewirtete, indem er mit nüchternstem Mund die witzigsten Einfälle euch auftischte«, wie Aristophanes sagt. Nach Aristoteles hat er die Invektive aufgegeben – von der sich denn auch in seinen Fragmenten keine Spur findet – und Stücke mit fester Handlung geschaffen, also sich der Manier Epicharms genähert. Daher hatte er, wie wir aus Aristophanes erfahren, mit starker Opposition zu kämpfen; seine Stücke entsprachen offenbar nicht dem, was der Athener von der Komödie erwartete. Seiner Art sind Pherekrates und, soviel wir sehen können, auch Phrynichos, der um 429 zuerst auftrat, und Ameipsias gefolgt. Ihre Stücke waren meist Märchen- und Sittenkomödien, Schilderungen des bürgerlichen Lebens und Treibens; unter denen des Pherekrates sind unter anderem mehrere dem Treiben der Hetären gewidmet. Auch den weltflüchtigen Menschenfeind haben diese Dichter geschildert, der nach Art des Timon, von dem die Athener derartiges erzählten, sich voll Verachtung von allem menschlichen Umgang zurückzieht und einsam in der Wildnis lebt, »ohne Weib und ohne Sklaven, heftigen Gemüts, unzugänglich, ohne Lachen und Gespräch, mit Sonderlingsansichten« (Phrynichos' »Monotropos«). Daß die attische Komödie noch nicht in diese Richtung einmündete, sondern in ihrer vollen Eigenart, wie sie Kratinos geschaffen hatte, zur höchsten Blüte gelangte, ist das Werk zweier junger Dichter, die in den ersten Jahren des Peloponnesischen Kriegs zuerst die Bühne betraten, des Eupolis (seit 429) und des Aristophanes (seit 427).


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 833-837.
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