Arische Stämme in Vorderasien

und die Heimat der Indogermanen

[33] Zu den Volksstämmen, die wir kennen gelernt haben, ist nun noch ein weiterer hinzugetreten in einer neuen Welle indogermanischer Invasion, und zwar sind es die Arier, die jetzt in die Geschichte eintreten. Wie weit in der Folgezeit arische Namen in Vorderasien verbreitet waren, haben wir früher schon gesehn (Bd. I, 465. 468): im Mitanireich ist die Dynastie dieses Ursprungs, in einem von ihr geschlossenen Vertrage werden unter den als Zeugen angerufenen Göttern neben den einheimischen (darunter zahlreichen aus Babylonien [33] übernommenen) Mitra und Varuna, Indra und die Nâsatjas genannt, die Hauptgestalten der Asuren und der Daivas, der beiden Gruppen, in die die arische und vedische Götterwelt zerfällt54. Der Kriegeradel trägt hier wie in Syrien die indische Benennung marjanni »Mannen«55; zahlreiche arische Dynastennamen erscheinen, neben charrischen und semitischen, in Palaestina und Syrien bis zu den Taurusgebieten hinauf, wo sie sich in Kommagene bis ins 8. Jahrhundert erhalten haben, und zwar hier in jüngerer, spezifisch iranischer Lautgestalt (Kundaspi und Kustaspi). Ganz anschaulich führen uns ägyptische Darstellungen aus der achtzehnten Dynastie dieses Völkergemisch vor Augen, vor allem die prachtvollen Reliefs aus dem Grabe Haremhabs56: unter den Gefangenen aus Syrien erscheinen hier neben den scharf charakterisierten Semiten und völlig verschieden von den Chetitern auf den Reliefs der neunzehnten Dynastie ganz andersartige Gestalten, bärtige und bartlose Köpfe, zum Teil Greise57, mit fein durchgearbeiteten Gesichtszügen und langem oben abgeplattetem und in der Mitte ein wenig eingedrücktem Schädel, also im Gegensatz gegen die Rundschädel der Semiten und die Kurzschädel der Chetiter ausgeprägte Dolichokephalen. Innerhalb der vorderasiatischen Völkerwelt erscheinen sie als ein völlig fremdartiges Element, zeigen vielmehr den Typus, den wir bei den Europäern und den Persern finden, und bestätigen so die sprachlichen Zeugnisse über die Herkunft der Marjanni.

Zu diesen Zeugnissen kommt weiter ein umfangreicher Text aus der Bibliothek von Boghazkiöi, ein großes Werk über Pferdezucht, verfaßt von einem Mann namens Kikkuli [34] aus Mitani. Geschrieben ist es in »chetitischer« Sprache; aber die technischen Ausdrücke für die Rundläufe sind indisch58. Mithin muß eine indische Bevölkerung im Bereich der Charrier Mitanis gesessen haben, bei der, wie bei den Indern des Veda, den Griechen und anderen Indogermanen, die Pferdezucht und das Wagenrennen in der Rennbahn so entwickelt war, daß die Charrier und die Chetiter bei ihnen in die Lehre gingen und die Behandlung des hier bereits heimischen Pferdes und Wagens danach gestalteten. Dazu stimmt, daß der Kult des Indra59 und der Nâsatjas (aśvins), des Mitra und Varuna im Mittelpunkt der vedischen Religion steht, für deren frühzeitige Ausbildung uns hier weit im Westen ein sicher datiertes Zeugnis entgegentritt.

Mehrfach hat man vermutet, diese Inder seien über den Kaukasus eingebrochen, als Vortrapp einer großen arischen Wanderung60, die die Inder durch Iran ins »Siebenstromland« [35] des Indus und weiter an den Ganges geführt habe; die Iranier müßten ihnen dann gefolgt sein. Aber dieser Annahme stehn die gewichtigsten Bedenken entgegen. Gerade diejenigen Gebiete, in denen sich nach ihr diese Stämme zuerst niedergelassen haben und zu geschichtlicher Wirkung gelangt sein sollen, müßten sie dann vollständig geräumt haben, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Denn in den zahlreichen Personen- und Ortsnamen, die uns aus Armenien bis zum Ende der Assyrerzeit überliefert sind, findet sich garnichts Indogermanisches, und auch die Randgebirge Mediens sind von nicht-arischen Stämmen (Anariaken) bewohnt; deutlich sieht man, daß die arischen Meder hier von Osten her allmählich vordringen und die Herrschaft gewinnen. Andrerseits ist es, wenn auch alle positiven Daten fehlen, doch ganz unmöglich, die Anfänge der vedischen Zeit und der mit ihnen beginnenden Sonderentwicklung Indiens über 1500 v. Chr. hinabzurücken. Die Festsetzung der Inder im Siebenstromland muß mithin schon Jahrhunderte vorher erfolgt sein; und davor liegt die in ihrer kulturellen und religiösen Gestalt sehr wohl faßbare arische Epoche, die sich, so unsicher auch ihre Lokalisierung ist, doch schwerlich in die Landschaften Armeniens und die des Kaukasus wird verlegen lassen (vgl. Bd. I, 573ff.).

Dazu kommt nun, daß nicht nur die Ausbreitung der Indogermanen, sondern – abgesehn natürlich von den von Arabien ausgehenden Umwälzungen – überhaupt alle großen Völkerbewegungen, die im Verlauf der Weltgeschichte immer wieder die Gestaltung des europäisch-asiatischen Kontinents umgewandelt haben, nicht von West nach Ost, sondern umgekehrt von Zentralasien aus weithin nach Westen verlaufen sind61, von der ersten durch gleichzeitige geschichtliche Zeugnisse [36] greifbaren, der von den Issedonen ausgehenden skythischen an. Dann folgen die indoskythischen Stämme, die Tocharer und ihre Genossen, darauf die Hunnen, die Hephtaliten, die im 6. Jahrhundert n. Chr. beginnende und sich durch Jahrhunderte hinziehende türkische Wanderung, schließlich die Mongolen. Speziell bei den iranischen Stämmen tritt uns in der Steppenlandschaft im Norden des Kaspischen und Schwarzen Meeres ständig die gleiche Bewegung entgegen, die in alter Zeit die Sigynnen, später die Jazygen bis in die ungarische Ebene, die Alanen sogar bis nach Spanien führt. Von der Ausbreitung in Iran wird durchaus das gleiche gelten; sie ist der Überschwemmung dieser Gebiete und Kleinasiens durch die türkischen Horden, Seldschuken, Turkmenen, Osmanen, Kadscharen u.s.w. völlig analog. So ist es höchst unwahrscheinlich, daß vorher einmal eine Bewegung in umgekehrter Richtung erfolgt sein sollte, die dann rückläufig noch einmal wieder bis in dieselben Gegenden geführt haben würde, die man da mals geräumt hatte.

Somit spricht alles für die alte Annahme, daß die Ausbreitung der arischen Stämme sowohl nach Iran wie nach Indien von Nordosten, von Baktrien und seinen Nachbargebieten, ausgegangen ist. Einzelne Häuptlinge sind dann mit ihren Kriegerscharen (den marjanni), die teils einen indischen, teils einen iranischen Dialekt sprachen62, weit nach Westen [37] vorgedrungen und haben sich hier in einzelnen Ortschaften festgesetzt, ganz wie etwa drei Jahrtausende später so viele türkische Häuptlinge, die einen Heerhaufen um sich sammeln. Auch das Mitanireich haben sie überrannt und hier die Herrschaft gewonnen; die arische Dynastie in Mitani steht zu den Untertanen etwa ebenso, wie seit 1779 die kadscharische Dynastie in Persien. In größeren Massen dagegen, wie in den Gebieten, die dauernd indogermanisch geworden sind, sind sie hier offenbar nirgends aufgetreten; und so hat sich ihre Nationalität und Sprache und auch ihr somatischer Typus hier nicht erhalten können, sondern ist, wie in allen ähnlichen Fällen, allmählich in den der Untertanen aufgegangen.

Mit der Festsetzung der indogermanischen Chetiter im östlichen Kleinasien steht dies Auftreten arischer Stämme weiter im Osten weder zeitlich noch räumlich in Zusammenhang; beides sind Einzelzüge aus der allgemeinen Ausbreitung der Indogermanen über die europäisch-vorderasiatische Welt. Was wir über sie erfahren und erschließen können, dient der Annahme, daß diese Ausbreitung um die Mitte des 3. Jahrtausends begonnen hat (Bd. I, 550), zur Bestätigung. Über das vielverhandelte Problem der Heimat der Indogermanen und des Ausgangspunkts dieser gewaltigen Bewegung dagegen lassen sich neue Aufschlüsse, die zu einem gesicherten Ergebnis führen könnten, auch von hier aus nicht gewinnen. In Ergänzung zu den Bd. I, 561ff. gegebenen Ausführungen möchte ich noch hinzufügen, daß der gegenwärtig weitverbreiteten und in der populären Literatur oft als wissenschaftlich erwiesen behandelten Annahme, diese Heimat liege auf germanischem Boden zu beiden Seiten der Ostsee, auch von sprachlicher Seite die schwersten Bedenken gegenüberstehn. Denn von allen indogermanischen Sprachen sind die [38] germanischen diejenigen, welche – wenn wir von Mischsprachen wie dem Chetitischen und Tocharischen absehn – bereits in ihrer ältesten erreichbaren Gestalt von der Ursprache am weitesten abstehn. Am bedeutsamsten ist, daß die überreiche Entwicklung der Verbalformen hier auf einen ganz dürftigen Bestand zusammengeschrumpft ist: sie kennen, abgesehn vom Imperativ, nur zwei Tempora, Praesens und Praeteritum, selbst das Futurum ist verloren gegangen. Dieselbe Erscheinung finden wir im Chetitischen63, wo sie deutlich durch die Übernahme und Wandlung der Sprache durch eine stammfremde Bevölkerung entstanden ist. Die gleiche Erklärung ist auch für das Germanische das Nächstliegende: die indogermanische Sprache ist von einer Bevölkerung mit ganz anderen Denkformen übernommen, die nur diese wenigen Verbalformen kannte und daher die übrigen als unverwendbar nicht mit aufnahm. Für diese Annahme spricht ferner die Lautverschiebung, also eine andere Einstellung der Artikulation; und dem entspricht, daß, während in den übrigen indogermanischen Sprachen die Wörter nicht scharf gegeneinander abgesetzt, vielmehr bei vokalischem Anlaut miteinander gebunden werden – das hat sich in den romanischen Sprachen bis auf den heutigen Tag erhalten –, die germanischen Sprachen den Stimmeinsatz vor anlautendem Vokal ganz wie die Semiten als Konsonanten (Alef) empfinden und zweifellos auch schreiben würden, wenn sie die Schrift selbst erfunden hätten64 – daher allitterieren im Stabreim angeblich die Vokale, in Wirklichkeit eben dieser Laut. Dadurch werden in den germanischen Sprachen die Wörter im Sprechen [39] und in der Empfindung scharf voneinander getrennt65. Das alles macht es sehr unwahrscheinlich, daß die Germanen allein von allen Stammgenossen in den ursprünglichen Wohnsitzen geblieben sein und sich nicht mit fremden Völkern gemischt haben sollten.

Somit bleibt es das Wahrscheinlichste, daß die Heimat der Indogermanen im Bereich der zentralasiatischen Gebiete zu suchen ist. Im anderen Falle wären wir zu der Annahme gezwungen, daß die zu den westlichen oder Kentumsprachen gehörenden Tocharer zunächst in umgekehrter Richtung, wie nicht nur die iranischen Nomaden, sondern auch alle anderen oben genannten Völkerscharen, vom inneren Europa aus bis ins Innere des zentralasiatischen Hochlandes gewandert und dann, nach langem Aufenthalt in diesen Gebieten, von hier aus wieder westlich ins Oxusgebiet gezogen wären; wie sehr das aller geographischen und historischen Wahrscheinlichkeit widerspricht, bedarf keiner Ausführung.

Wie dem aber auch sei, keinem Zweifel mehr kann unterliegen, daß die gewaltige Bewegung und Umwälzung, die etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die vorderasiatische Welt ergriffen hat, durch das Vordringen der Arier herbeigeführt worden ist. Auch der Einbruch der Kossaeer in Babylonien steht offenbar damit in Zusammenhang. Die Kossaeer kommen aus den Bergketten Irans, wo wir sie noch in der Zeit Alexanders und später in dem Gebirge oberhalb Susa's antreffen. Zuerst erwähnt werden sie im Jahre 1896, wo Samsuiluna mit ihren Scharen zu kämpfen hat; in der Folgezeit begegnen sie uns mehrfach als Arbeiter und Feldpächter (Bd. I, 452. 457), bis sie sich dann im Jahre 1750 [40] der Herrschaft über Babel bemächtigten. Daß unter ihren Göttern auch der Sonnengott mit dem arischen Namen Šurias d.i. sûrja erscheint und vielleicht auch sonst manche arische Wörter bei ihnen vorkommen, ist Bd. I, 456 schon erwähnt; noch zuversichtlicher als damals wird man jetzt daraus folgern dürfen, daß der Anstoß zu ihrem Vordringen von den Ariern ausgegangen ist66.

Auch die Aufrichtung der Herrschaft der Charrier in Mesopotamien und Syrien wird durch die Vorstöße der Arier veranlaßt worden sein; ja es ist sehr wohl möglich, daß die arische Dynastie hier nicht erst später zur Herrschaft gelangt ist – etwa in der Weise, wie z.B. die Türken in den islamischen Reichen, die Libyer in Ägypten, und in Babylonien vielleicht schon die Amoriter (Bd. I, 417. 436) aus Söldnerführern zu Herren geworden sind –, sondern das Reich Mitani überhaupt geschaffen hat. Auch der Zug des Chetiters Mursilis gegen Babel mag dadurch veranlaßt oder ihm wenigstens der Weg dorthin geöffnet sein.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 33-41.
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