Umwandlung des Kriegswesens

[44] Das Eindringen indogermanischer Stämme hat die vorderasiatisch-ägyptische Kulturwelt nicht nur schwer erschüttert und damit zugleich einen nicht wieder unterbrochenen politischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Staaten und Kulturen geschaffen, sondern ihr zugleich eine in alle Zukunft nachwirkende militärische und geschichtliche Umwälzung gebracht durch die Einführung des Pferdes. Nach Babylonien ist dieser »Esel des Gebirgslandes« (Bd. I, 455) etwa seit dem 19. Jahrhundert wahrscheinlich zuerst durch Kossaeer gebracht worden; in Syrien wird man es sowohl von den Ariern wie von den Chetitern bezogen haben, und von hier aus ist es dann nach Ägypten und weiter zu den Wüstenstämmen Arabiens gekommen. Benannt wird es überall mit dem gleichen Worte unbekannter Herkunft, das babylonisch und assyrisch sisû, kana’anäisch70 und hebräisch sûs, ägyptisch (aus dem kana’anäischen Plural gebildet) ssmt71 gesprochen wird. Verwendet wird es noch jahrhundertelang, außer in Notfällen, niemals zum Reiten72, sondern lediglich als Kriegsroß [44] am Streitwagen73, bab.-assyr. narkabtu, kan. (hebr.) und ägyptisch merkabat. Dieser Wagen ist immer ein ganz leichtes, zweiräderiges Gefährt, in dem der Krieger und neben ihm der Kutscher auf dem durch eine Brüstung geschützten Trittbrett steht. Bei den Chetitern und ihren semitischen Bundesgenossen kommt in dem engen Wagenkasten noch ein Schildträger hinzu, während wie der ägyptische und assyrische, so auch der griechische Streitwagen der mykenischen wie der homerischen Zeit nur Krieger und Wagenlenker kennt74. Von dem Wagen herab kämpft man vor allem mit Bogen und Pfeil – an der Brüstung des ägyptischen Streitwagens hängt dafür Futteral und Köcher –, bei den Chetitern wie bei den Griechen und später bei den Assyrern aber auch mit der Lanze. Der Vorteil, den er gewährt, besteht vor allem in der raschen Bewegung auf dem Marsch wie auf dem Schlachtfeld und in der dadurch gegebenen Möglichkeit, an entscheidender Stelle in den Kampf einzugreifen. Dazu kommt dann die Wucht des geschlossenen Ansturms der Wagen – ein Vorgang, den wir uns nur schwer begreiflich machen können, den aber die ägyptischen Schlachtbilder ganz anschaulich vorführen; dadurch wird das Fußvolk überrannt oder stiebt in schleuniger Flucht auseinander.

Diese Umwandlung der Kampfweise hat nun zugleich weitreichende wirtschaftliche und politische Folgen. Das alte Aufgebot der zu Fuß mit Speeren und Streitäxten oder mit [45] Bogen und Schleuder kämpfenden Mannschaften der Bezirke, so wenig es entbehrt werden kann, tritt in den Hintergrund und ebenso die gleichartig gerüsteten Soldtruppen. Der Schwerpunkt verlegt sich in diejenigen Schichten, die Rosse und Wagen nebst den zugehörigen Knechten halten und benutzen können; und dazu gehört ein beträchtliches Vermögen und andauernde Schulung und Übung. So entsteht in allen Staaten, die sich selbständig behaupten wollen, eine neue militärische Aristokratie, derselben Art, wie sie bei den kriegerischen Wanderstämmen in naturwüchsiger Gliederung des Volks besteht, aber jetzt eingefügt in den entwickelten Aufbau eines Kulturstaats. Die Regierung muß alles tun, um diese Aristokratie zu fördern, muß sie mit Grundbesitz und Privilegien ausstatten und für kriegerische Verdienste reiche Belohnungen und Ehren gewähren. Daher trägt die folgende Epoche, so verschiedenartig im übrigen die kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen der Staaten sein mögen, überall einen ritterlichen Charakter. Der militärische Ehrgeiz erwacht und das Selbstbewußtsein steigert sich. Auch die großen Götter des Reichs, mögen sie auch aus einer ganz anderen Vorstellungswelt entstammen, werden zu Kriegsgöttern, Amon von Theben nebst Montu und dem jetzt eifrig verehrten (und dem semitischen Ba’al gleichgesetzten) Sêth so gut wie in Palaestina und Syrien Astarte und ’Anat – deren Kult jetzt ebenfalls in Ägypten eindringt – und bei den Charriern und Chetitern Tešub, bei den Assyrern der diesem angeähnelte Nationalgott Assur. In Ägypten, wo uns das reichste Material vorliegt, läßt sich diese Wandlung am deutlichsten erkennen: in dem Kriegeradel des Neuen Reichs und in seinen Königen lebt ein ganz anderer Geist als in den feudalen Magnaten der älteren Zeit und den in stetigem Ringen mit ihnen ihre Rechte und Machtstellung behauptenden Pharaonen des Mittleren Reichs.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 44-47.
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