Die Organisation des Neuen Reichs

[58] Mit dem Untergang des Hyksosreichs und der Wiederaufrichtung des einheitlichen Pharaonenreichs um 1580 v. Chr. beginnt für die gesamte Kulturwelt eine neue Epoche: die asiatischen Mächte sind zurückgetreten und in tiefem Verfall, Ägypten tritt in den Mittelpunkt der Weltgeschichte, und mit ihm in enger Verbindung gelangt Kreta und seine Kultur auf den Höhepunkt seiner Entwicklung. Auch die Ägypter selbst haben den Einschnitt empfunden; obwohl das Königshaus das gleiche blieb, beginnen sie mit Amosis eine neue, die achtzehnte Dynastie; die gesamte Entwicklung der Folgezeit pflegen wir unter dem Namen des »Neuen Reichs« zusammenzufassen.

Neben der Gewinnung der Unabhängigkeit und Machtstellung nach außen war der Wiederaufbau im Innern die wichtigste Aufgabe der siegreichen Herrscher. Wir haben gesehn, mit welchen Widerständen sie hier zu kämpfen hatten; der Kampf gegen die Hyksos ist nicht sowohl eine einheitliche Erhebung des ägyptischen Volks gegen die Fremdherrschaft, als vielmehr eine Eroberung des Landes durch die Könige von Theben gewesen, bei der sie sich nur auf die kriegerische Mannschaft ihres engeren Gebiets stützen konnten. Wenn in ähnlicher Lage die Könige der elften Dynastie und dann Amenemḥet I. bei der Neuschöpfung einer starken Königsmacht doch an die überlieferten Zustände anknüpfen und daher auch die lokalen Machthaber ihrem Staat einfügen konnten – bis dann Sesostris III. das Gaufürstentum [58] beseitigte98 –, so ist das Neue Reich ganz andere Wege gegangen. Nur im äußersten Süden, in Eileithyia (Elkab), der Stadt der Geiergöttin Nechbet, im dritten oberägyptischen Gau, deren Bevölkerung sich den thebanischen Herrschern eifrig angeschlossen und ihnen mehrere tüchtige Offiziere gestellt hatte, hat sich das Fürstengeschlecht der dreizehnten Dynastie (Bd. I, 302) noch längere Zeit erhalten; diese Dynasten, jetzt wie die übrigen Stadtregenten mit dem Grafentitel ausgestattet, haben sich noch einmal große Felsgräber im Stil der alten Nomarchengräber angelegt, an deren Wänden ihr Leben und Treiben dargestellt ist, sowohl die Szenen auf ihrem Gutshof, die Ernte, das Beladen der Böte, die Arbeiten der Handwerker, wie die Verwaltung ihres durch das benachbarte Esne erweiterten Bezirks, in dem sie die Naturalabgaben an die Magazine des Reichs erheben, die Viehzählung leiten, die Felder inspizieren. Nach Thutmosis I., der dem Paḥeri von Elkab die Erziehung eines früh verstorbenen Prinzen anvertraute, verschwindet auch dieses Fürstentum. Überall sonst sind die lokalen Gewalten schon durch Amosis beseitigt, zum Teil, wie erwähnt, nach hartnäckigem Widerstande. Über den partikularen Bildungen hat sich allmächtig der zentralisierte Einheitsstaat der absoluten Monarchie erhoben, die sich in der straffen Organisation der Armee und des Beamtentums eine festgefügte Grundlage schafft und keinerlei Sonderbestrebungen mehr aufkommen läßt.

In der Gestalt, welche die Reichsverwaltung unter der achtzehnten Dynastie erhält, ist das Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung dauernd festgehalten. Theoretisch besteht zwar die ursprüngliche Zweiteilung in den Süden und das Nordland weiter und kehrt in den offiziellen Formeln und Titeln wieder. Aber tatsächlich ist das Südland jetzt das [59] Stammgebiet der thebanischen Fürsten von Elephantine bis nach Siut und Kusae, d.i. eben das Reich, über das Ta'o und Kamose vor dem Beginn des Hyksoskriegs geboten; es ist in zwei Provinzen, oberhalb und unterhalb Thebens, geteilt, die dem »Vezir und Oberhaupt der südlichen Hauptstadt« (No’, d.i. Theben) unterstellt sind. Die nördlichen Gaue des Südlandes dagegen, von Hermopolis an, d.i. das im Hyksoskampf eroberte Gebiet, sind mit dem Delta verbunden und stehn unter einem zweiten Vezir, dem des Nordlandes oder von Memphis.

Diese Gestaltung des Neuen Reichs zeigt ein ganz eigenartiges Bild: der Sitz der Regierung liegt weitab von der geographischen Mitte im südlichsten Teil des Kulturlandes, längs des Flußlaufs 700 Kilometer oberhalb von Memphis, nur 200 Kilometer unterhalb der Grenze am ersten Katarakt. Das erscheint als ein Widerspruch gegen die von der Natur gegebenen Bedingungen99, der auch dadurch kaum gemildert wird, daß jetzt Nubien wieder dauernd an das Reich angegliedert wird. Nur umso anschaulicher gelangt darin zum Ausdruck, daß das Stammland der Dynastie wirklich die Basis ihrer Kraft gewesen und dauernd geblieben ist.

So tritt uns hier noch einmal ein Moment entgegen, das für den gesamten Verlauf der ägyptischen Geschichte von grundlegender Bedeutung gewesen ist. Alle großen politischen Bewegungen, die zu Reichsgründungen geführt und die Gestaltung Ägyptens auf Jahrhunderte hinaus entscheidend bestimmt haben, sind vom Süden Oberägyptens ausgegangen. Die Aufrichtung des Gesamtreichs, die »Vereinigung der beiden Lande« ist das Werk der Horuskönige von Elkab und ihrer Nachfolger aus dem thinitischen Gau; und wenn auch König Menes bereits die Festung von Memphis, die »weiße Mauer«, gebaut hat, so liegen doch nicht nur die [60] Gräber der Thiniten und ihres Hofstaats, sondern auch ihre Residenzstädte im Gebiet von Abydos. Erst seit der dritten Dynastie wird das Gebiet von Memphis der Sitz der Regierung und darum auch die Stätte der Königsgräber. Nach der Auflösung des Alten Reichs mißlingt der Versuch der Herakleopoliten aus Mittelägypten, die Reichseinheit wiederherzustellen; nach langem Ringen erliegen sie den Dynasten der elften Dynastie aus dem thebanischen Gau. Durch die Könige der zwölften Dynastie wird die Stellung Thebens und seines Gottes Amon begründet; aber die Residenz haben sie wieder in den Norden verlegt, teils nach Dahšûr, teils in das neuerschlossene Faijûm. Bei der Begründung des Neuen Reichs wiederholt sich der gleiche Vorgang zum drittenmal; diesmal aber ist die Residenz dauernd in Theben geblieben und Amon-rê’ wirklich der Reichsgott geworden, vor dem alle anderen Götter in den Schatten treten. Materiell, an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, haben die engbegrenzten Gaue des »Kopfs des Südens« natürlich immer weit hinter den fruchtbaren Gefilden Mittelägyptens und des Deltas zurückgestanden. Aber hier saß eine zwar arbeitsame und wohlhabende, doch eben darum durchaus unkriegerische Fellachenbevölkerung, die sich jedem Herrscher leicht unterwarf; nur im äußersten Süden war kriegerischer Sinn und physische Kraft noch wirklich lebendig – bezeichnend dafür ist die Rolle der Magnaten von Elkab in den entscheidenden Kämpfen –, die durch die Heranziehung der Beduinenstämme Nubiens zum Kriegsdienst gestärkt wurde. So ist ihm die Herrschaft zugefallen.

Daß diese Gestaltung des Reichs sich zwei Jahrhunderte hindurch erhalten hat100, war nur möglich bei einer straff [61] durchgeführten Organisation, die alle Mittel des Reichs fest in der Hand hielt und keinerlei Widerstand aufkommen ließ.

Die Grundlage der Lokalverwaltung sind nach wie vor die Gaue mit ihren städtischen Mittelpunkten und den Tempeln ihrer Sondergottheiten geblieben; aber an Stelle der ortsansässigen Magnaten, deren Rechtsansprüche der Staat anerkennt und schirmt, sind jetzt königliche Beamte mit ihren Sekretären getreten, und auch das »Kollegium« (qnbt), das ihnen in den Städten und den einzelnen Bezirken zur Seite steht, ist nicht etwa ein Gemeinderat, sondern die Beamtenschaft so gut wie die übrigen, zugleich als Gerichtshöfe funktionierenden Verwaltungsbehörden (ẕaẕat)101. Die Spitze der Beamtenschaft und [62] der gesamten Verwaltung bilden die beiden Vezire, die ihre Weisungen unmittelbar vom König empfangen und ihm für [63] alles was vorgeht verantwortlich sind. Über alle laufenden Geschäfte wird ihnen ständig berichtet, sie geben die Weisungen und kontrollieren durch ihre Beauftragten sämtliche Behörden. Eine Trennung der Verwaltung und Rechtsprechung kennt der Staat nicht; daher ist der Vezir zugleich der oberste Richter; an ihn gehn die Berufungen gegen die von den lokalen Gerichtshöfen, unter dem Vorsitz der hohen Verwaltungsbeamten102, getroffenen Entscheidungen. Tagtäglich sitzt er in der »Halle des Vezirs« auf seinem Amtsstuhl, die vierzig Lederrollen der Gesetze aufgeschlagen zu seinen Füßen, sein Kollegium, die »Großen des Südens«, zu seinen beiden Seiten; einer nach dem andern werden die Rechtsuchenden, Bittsteller und Beschuldigten ihm vorgeführt. Besondere Sorgfalt verlangen die Grundbesitzsachen, wo sich, ganz abgesehn von willkürlichen Übergriffen und Erbstreitigkeiten, die Grenzen der Felder bei der Überschwemmung oft genug verschoben und vermischten; da ist zur Einholung der Aussage des Distriktsvorstehers und seines Kollegiums für die Umgebung von Theben eine Frist von drei Tagen, für das übrige Land von zwei Monaten festgesetzt103. Auch alle Testamente werden [64] dem Vezir vorgelegt und von ihm gesiegelt. Strenge Unparteilichkeit, ohne jedes Ansehn der Person, wird dem Vezir nachdrücklich eingeschärft, nur das Recht, dessen Durchführung mit dem wahren Interesse des Königs identisch ist, darf er im Auge halten, weder zu hart urteilen noch zu milde; das Bild der Rechtsgöttin Ma’at trägt er am Halse104. Daß es vor allem bei Kriminalprozessen niemals ohne peinliches Verfahren mit Bastonade abging, ist selbstverständlich; dazu kommt dann als entscheidendes Mittel zur Bekräftigung der Wahrheit der Eid beim Namen des Königs, der magische Zwangsgewalt besitzt und zugleich den Meineidigen den schwersten Strafen überantwortet105.

Den Veziren zunächst, und in fortwährendem Zusammenwirken mit ihnen, stehn die Schatzmeister, wahrscheinlich gleichfalls zwei. An sie reihen sich die zahlreichen Vorsteher der Schatzhäuser, der Magazine und Werkstätten, in denen die Abgaben und Tribute aufgehäuft und verarbeitet werden, Getreide, Wein, Öl, Vieh, Kleidung und Geräte aller Art bis zu den Waffen und Kriegswagen und den Kunstwerken der Bildhauer und Juweliere, weiter die Verwaltung der königlichen Grundstücke, sowie die Baubüros nebst den Ziegeleien und den Werkstätten der Steinmetzen und Holzarbeiter. Zu jedem dieser »Häuser« gehört eine unabsehbare Schar von Arbeitern, meist Leibeigene, teils Ägypter, teils Kriegsgefangene und Fronarbeiter aus den unterworfenen Gebieten, [65] und über ihnen das nicht minder zahlreiche Aufsichtspersonal in all seinen Abstufungen.

Das Wirtschaftsleben Ägyptens ist, im Gegensatz zu Babylonien und Vorderasien, nach wie vor durchaus naturalwirtschaftlich und ist ja hier im Grunde allezeit so geblieben. Zwar spielt auch hier das Edelmetall eine bedeutende Rolle und ist, in der üblichen Ringform, so gut wie das Kupfer auch als Wertmesser verwendet worden. Indessen maßgebend für den Verkehr ist es weder im staatlichen noch im privaten Geschäftsleben geworden, es bleibt vielmehr eine Ware so gut wie Getreide und Vieh; wohl aber ist die Naturalwirtschaft in Ägypten seit alters technisch so durchgebildet und den Bedürfnissen der Verwaltung sowie des Verkehrs angepaßt, daß sie hier eben so glatt funktioniert, wie anderswo die Geldrechnung. Die Gehälter werden in Naturalien gezahlt, abgestuft nach der Rangstellung und nach der Zahl der Untergebenen und Diener, die jeder dieser Beamten und ebenso die Königin, die Damen des Harems, die zahlreichen Königskinder und das Personal der Hofhaltung zu ernähren hat; dazu dienen die gewaltigen Massen, die in den Magazinen angehäuft sind. Verdiente Offiziere und Beamte und gewiß auch gar manche Günstlinge werden daneben vom König freigebig mit Grundstücken und mit Hörigen beschenkt, so gut wie die Götter und ihre Tempel. Aber der Grundsatz, daß mit Ausnahme des Götterguts alles Land abgabenpflichtig ist, also eigentlich dem König gehört, ist voll durchgeführt; bekannt ist, welchen Eindruck diese Ordnung, die ihnen als volle Unfreiheit erschien, den Israeliten gemacht hat, die sie daher auf eine schlaue Spekulation des Joseph zurückführen, der zur Stellung eines Vezirs gelangen sei106.

[66] In der Tat ist es das Wesen des ägyptischen Staats, daß jede Existenz, sowohl die des Privatmannes wie die des Beamten, ausschließlich auf der Gnade des Königs beruht. Umso mehr gilt es, sich seine Gunst zu verdienen und dadurch der Belohnungen teilhaftig zu werden, die er und nur er spenden kann; und der Weg dazu ist die volle Fügsamkeit gegen seine Diener und Werkzeuge und der Eintritt in das Beamtenheer, durch das er das Reich zusammenhält.

Den Zugang zu dieser Laufbahn eröffnet die Erziehung in der Schreibschule. In jahrelanger mühevoller Arbeit, in der das Hauptmittel aller Erziehung, der Stock, bei Tag und bei Nacht reichlich verwendet wird, wird hier der angehende Beamte in alle Geheimnisse der Schreibkunst eingeführt; er soll die elegante Schönschrift der Bücher mit ihren sorgfältig und gleichmäßig ausgeführten Schriftzeichen ebensogut beherrschen wie die Schnellschrift der Akten, die die Zeichen möglichst, oft fast bis zur Unleserlichkeit, verkürzt und die es ermöglicht, eine mündliche Verhandlung protokollarisch aufzunehmen107. Zahlreiche Proben dieser Schriftübungen sind uns erhalten, sowohl aus der Elementarschule, wo man, um die Kosten zu sparen, in der Regel Tonscherben (Ostraka) als Schreibmaterial verwendet, wie aus den folgenden Jahren, in denen der junge Beamte, der schon zu Verwaltungsgeschäften verwendet wird, sich fortdauernd weiter zu üben hat und seine Hefte – Papyrusrollen mit Abschriften von klassischen Literaturwerken vor allem aus dem Mittleren Reich und von Schriftstücken (Briefen) aus der Verwaltung – dem Vorgesetzten, dem »Lehrer«, zu dem er dauernd in einem Pietätsverhältnis steht, zur Korrektur vorlegt, bis er als vollgültiger »Schreiber« anerkannt und ihm damit der [67] Eintritt in die höhere Beamtenlaufbahn ermöglicht wird108. Nicht selten hat er eine solche Rolle, den Beleg für die erreichte Ausbildung, mit ins Grab genommen. Durch diese Erziehung scheidet sich der Stand der Gebildeten von der Masse des unwissenden Volkes, auf das, wie im Alten und Mittleren Reich, der, »Schreiber« mit geringschätziger Verachtung herabblickt; er allein kann kommandieren und regieren, alle anderen, Bauern, Handwerker, Soldaten, unterstehn seinen Befehlen und Stockschlägen und haben von ihren Mühsalen keinen Lohn. So wird der Schreibertitel der Ausdruck für die soziale und kulturelle Stellung seines Trägers: welche Bedeutung man ihm zuweist, tritt am deutlichsten vielleicht darin hervor, daß sogar die mächtigen Magnaten von Hierakonpolis (Elkab) ihn regelmäßig in ihre Titulatur aufgenommen haben109.

Neben dem Beamtentum steht die Armee. Mit dem Entschluß, all ihre Kräfte an die Abschüttelung der Fremdherrschaft zu setzen, haben die Könige von Theben das Nationalgefühl wachgerufen; damit kommt ein neuer, militärischer Geist über Ägypten, der durch die Erfolge, die Beute und die reichen Gaben, mit denen der Pharao jede tapfere Tat belohnt, wach erhalten und gesteigert wird. Dazu kommt die tiefgreifende Umgestaltung, welche der Streitwagen in Heerwesen und Kriegführung gebracht hat; auch in Ägypten erzeugt sie eine kriegerische Aristokratie, die von ritterlichem Geiste beseelt ist und in tapferen Waffentaten ihren Stolz, in der Züchtung und Lenkung der Rossegespanne ihre wichtigste Aufgabe sieht, in der zugleich der Glanz ihrer Stellung sinnfällig vor Augen tritt. Umso mehr ist der König gezwungen, diesen Kriegeradel mit Gütern und zahlreichen Knechten auszustatten, um ihm die wirtschaftliche[68] Grundlage zu sichern110. Er selbst soll ihnen, wie in allen Tugenden, so vor allem im Kriege vorangehn: von Jugend auf ist er durch die Götter selbst im Waffenhandwerk ausgebildet; er »sucht den Kampf«; auf dem Streitwagen, den Wagenlenker zur Seite, stürmt er auf die Feinde ein111 und erlegt ihre Führer mit seinem nie irrenden Pfeil oder mit seiner Lanze, oder zerschmettert sie mit der Streitaxt.

Neben den Kriegswagen stehn die Regimenter des Fußvolks112, bewaffnet mit Lanze und Streitaxt oder Sichelschwert, zum Teil auch mit Bogen und Pfeilen; als einzige Schutzwaffe tragen sie einen flachen, etwa 1 Meter hohen, oben abgerundeten Schild. Zu den einheimischen Truppen kamen, wie ehemals, die zahlreichen Söldner aus Nubien113 und vielleicht auch schon aus der überseeischen Welt (o. S. 57). In den Kämpfen in Ägypten und Nubien hat daneben die Nilflotte eine bedeutende, wenn nicht die ausschlaggebende Rolle gespielt, vor allem für den Transport der Truppen und die Sicherung der Verbindung. Daneben stand eine Flotte auf dem Mittelmeer, die bei der Eroberung Syriens stark mitgewirkt [69] hat, sowohl beim Transport der Truppen, wie um die Küstenstädte in Abhängigkeit zu halten.

Die Durchführung und Aufrechterhaltung dieses straff einheitlichen, von Beamtentum und Militär getragenen Staatsbaus war nur möglich durch die gewaltigen Mittel, die dem König zur Verfügung standen. Wenn ganz allein der Pharao und sein Hof die Quelle ist, aus der Leben und Gedeihen der Gesamtheit der Untertanen gespeist wird, so muß er imstande sein, diese Aufgabe durch ununterbrochene, wohlabgemessene Bezahlung, durch Belohnungen, Vergünstigungen und Ehren zu erfüllen und so die Fügsamkeit und den guten Willen der Untertanen zu sichern. Das ist im Neuen Reich in der Tat, wenn auch zeitweilig Erschütterungen und innere Wirren nicht ausgeblieben sind, Jahrhunderte hindurch in erstaunlichem Maße der Fall gewesen; die Einkünfte des Königs, aus denen doch zugleich die gewaltigen Bauten und die kostbaren Statuen, Geräte und Schmucksachen sowohl des Hofhaltes wie der Tempel beschafft wurden, erscheinen als geradezu unerschöpflich. Ein beträchtlicher Teil stammte aus den reichen Erträgen des Königsguts mit seinen Fabriken und Manufakturen; den Hauptteil der Einnahmen aber lieferte das raffiniert durchgeführte Steuersystem. Von allem Ackerland, mit Ausnahme des Priester- oder Tempelguts, wurde, wie der israelitische Bericht über Josephs Finanzwirtschaft angibt, eine Abgabe von zwanzig Prozent des Ernteertrags erhoben114 – eine geradezu ungeheuerlich erscheinende Belastung, wie sie nur in einem so fruchtbaren Lande wie Ägypten überhaupt denkbar war. In derselben Weise war jeder Zweig der Produktion und jedes Handwerk mit Naturalabgaben belegt, ferner der Viehstand, die Bäume, die Gebühren für die Benutzung und Instandhaltung der Kanäle u.s.w. Auch eine Kopfsteuer hat offenbar nicht gefehlt. Über [70] den Personalbestand und das Vermögen jedes Haushalts wurden Listen geführt und müssen, wie schon im Mittleren Reich, Deklarationen eingeliefert werden. Dazu kamen die Frondienste, zu denen die abhängigen Stände verpflichtet waren und die allein die großen Bauten ermöglicht haben. Immer wesentlicher aber wurden daneben, je höher die Anforderungen stiegen, die Bezüge aus dem Auslande, teils die Kriegsbeute, teils die ganz nach demselben Muster geregelten Abgaben und Frondienste der unterworfenen Provinzen. Der ägyptische Staat war, wenn er bestehn sollte, geradezu auf Kriegführung und Eroberung angewiesen, ganz abgesehn davon, daß er die Produkte des Auslandes, das Bauholz des Libanon, die Manufakturen Syriens, die Ausbeute der Minen Nubiens und der Sinaihalbinsel garnicht entbehren konnte. Vielleicht die wichtigste und für die Weltstellung des Reichs entscheidende Einnahmequelle waren die Goldbergwerke Nubiens. Der Besitz dieses kostbaren Metalls gewährt dem Pharao den Vorrang vor allen anderen Königen und ein selten versagendes Mittel im diplomatischen Verkehr; und nicht minder begehrenswert erscheint es seinen Untertanen selbst. Ununterbrochen verleiht der König »das Gold«, die Dekoration mit goldenen Ketten und Ringen, an tapfere Offiziere wie an tüchtige Beamte, oft zu vielen Malen – der Admiral A'ḥmose z.B. hat es siebenmal erhalten –, und immer hat er gewaltige Massen in seinen Schatzhäusern. Die Ausbeute der nubischen Bergwerke muß in dieser Zeit geradezu unerschöpflich gewesen sein.

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte es scheinen, als sei von den thebanischen Königen die Staatsgestalt der vierten Dynastie mit ihrem unumschränkten Gottkönigtum und ihrem Beamtenregiment wiederhergestellt. Aber in Wirklichkeit besteht doch ein fundamentaler Unterschied: sowohl die Kultur wie die Weltlage ist eine ganz andere geworden, das Neue Reich steht zum Alten wie die absolute Monarchie der Epoche Ludwigs XIV. und des aufgeklärten Despotismus zu dem Königtum Karls d. Gr., sie trägt den Charakter der [71] modernen Zeit, in die Ägypten nach einer Entwicklung von anderthalb Jahrtausenden eingetreten ist. Die wirtschaftlichen Bedingungen, welche das Alte Reich alsbald in einen Feudalstaat umgewandelt haben, bestehn nicht mehr; dafür sind die Mittel so gut wie unbeschränkt, so daß die Einheit des Staatswillens sich ungehindert durchsetzen und behaupten kann, im Innern wie nach Außen. So ist das Reich von der Idee der Universalität, der Weltherrschaft erfaßt; durch die Vernichtung des Hyksosreichs ist diese von Vorderasien auf Ägypten übergegangen. Schon in der oben erwähnten Proklamation des Amosis ist sie vollbewußt als Grundgedanke seiner Königsmacht ausgesprochen: er ist der Gottessohn und Gott, niemand kann ihm widerstehn, alle Völker sind ihm untertan, er setzt seine Grenzen an den Enden der Erde. In den Kundgebungen seiner Nachfolger tritt sie uns in immer mehr sich überbietenden Ausdrücken ständig entgegen. Im Besitz dieser Stellung ist Ägypten nicht nur für die nächsten Jahrhunderte die führen de Großmacht der Kulturwelt geworden, sondern hat als solche ihre aus den alten Traditionen des Niltals erwachsene und jetzt zur vollen Reife gelangte Kultur in Schöpfungen verwirklicht, die an Großartigkeit und innerlicher Geschlossenheit in der gesamten Weltgeschichte kaum ihresgleichen haben.

Indessen eine Macht gibt es, die der des Königs gleichberechtigt zur Seite, oder vielmehr in der Idee noch hoch über ihr steht: das sind die Götter, die ihm Herrschaft und Sieg verliehn haben. Je größer seine Erfolge sind, umso mehr ist er verpflichtet, ihnen durch reiche Geschenke und Feste den Dank zu zahlen und sich ihre Gunst weiter zu sichern. In erster Linie steht natürlich der Amon von Theben, der jetzt zum Nationalgott des Reichs erwächst. Der Glaube an seine Allmacht, an seine Identität mit dem einen Weltenherrscher Rê’, ist in den Königen ganz lebendig und beseelt sie umso mehr, da sie sich als unmittelbar mit ihm verbunden, auf geheimnisvolle Weise von ihm erzeugt fühlen. Der bescheidene Tempel, den ihm die zwölfte Dynastie [72] in Karnak erbaut hat, erwächst seit dem Neubau Thutmosis' I. zum großen Reichstempel Ägyptens; alle folgenden Könige haben an ihm gebaut, ihn ständig erweiternd und sich durch immer gewaltigere Anlagen überbietend. Aber diese Bauten sind nur ein kleiner Bruchteil dessen, was ununterbrochen dem Gotte zuströmte. Schon von Amosis besitzen wir eine lange Liste der kostbaren Gefäße, Ketten und Kränze, Schmucksachen und Kultgeräte aus Gold, Silber, edlem Gestein, Zedernholz vom Libanon, die er seinem Vater Amon-rê’ geschenkt hat; und dazu kamen der stets anwachsende Grundbesitz und die Scharen der Hörigen und Kriegsgefangenen, die ihm überwiesen wurden. So entsteht im Eigentum des Gottes ein zweiter gewaltiger Güterkomplex mit seinen Schatzhäusern, Magazinen und Werkstätten, dem zugehörigen Verwaltungspersonal und den Massen der Hörigen, der unabhängig neben dem »Königshaus« stand – wenn er auch, wenigstens bei Rechmerê’ unter Thutmosis III., gleichfalls der Aufsicht des Vezirs des Südens unterstellt war.

Natürlich haben auch die übrigen Götter des Landes ihren Anteil erhalten, Atum von Heliopolis, Ptaḥ von Memphis, Thouth von Hermopolis, Osiris von Abydos, und wie sie alle heißen, wenn auch nicht entfernt in dem Umfang wie Amon von Theben. Die Sorge für den Kultus und die Errichtung immer neuer Tempelbauten wird, den gewaltig gesteigerten Machtmitteln des Reichs entsprechend, in einem gegen die älteren Zeiten ins Unendliche gewachsenen Umfang eine, wenn nicht geradezu die Hauptaufgabe des Gottkönigs. Dementsprechend schwillt auch der Umfang der Priesterschaft immer an; sie wird ein privilegierter Stand, der von den Einkünften der Tempel lebt; die Söhne der höheren Stände – denn eine erbliche Kaste ist die Priesterschaft noch nicht – suchen und finden Eintritt in sie. Die Wirkung ist umso zweischneidiger, da alles Tempelgut steuerfrei und damit den Aufgaben des Staats entzogen ist, wenngleich dieser, wie schon erwähnt, eine Kontrolle darüber auszuüben sucht. Auch das Aufrücken der Anwärter von den untersten Stufen – [73] des »Gottesvaters« und dann des »Reinen (u’eb)« – bis zu den höchsten des dritten, zweiten und ersten »Gottesdieners« oder Propheten wird, wie jede Amtsstellung, vom Pharao vergeben. Aber tatsächlich entsteht so doch ein Staat im Staate, der auf noch festeren Fundamenten ruht als dieser und der als Träger der göttlichen Ordnungen und Offenbarungen in noch ganz anderer Weise als die weltliche Macht mit dem Nimbus des Geheimnisvollen und Unantastbaren umgeben ist. Ohne es zu ahnen, haben so die Pharaonen des Neuen Reichs eine Macht großgezogen, die schließlich ihnen über den Kopf gewachsen ist und wesentlich dazu beigetragen hat, den von ihnen geschaffenen Staatsbau zu zerstören.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 58-74.
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