Babylonien, Assyrien, Mitani, das Chetiterreich

[151] Nach dem Tode Thutmosis' III. und der Niederwerfung des syrischen Aufstandes durch Amenophis II. hat das ägyptische Weltreich zwei Menschenalter lang im wesentlichen unerschüttert bestanden. An neue Eroberungen und weitere Ausdehnung über den Euphrat ins innere Asien dachte man nicht mehr. Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten haben sich freundschaftlich gestaltet. In ihrer durch Gesandtschaften vermittelten Korrespondenz herrscht strenge Etikette, der Pharao und die auswärtigen Könige bezeichnen sich als Brüder, jeder wünscht dem anderen Wohlergehn nebst seinem ganzen Hause, seinen Magnaten, Rossen und Wagen und seinem Lande, und berichtet über sich das gleiche. Burnaburiaš von Babel ist empört, daß Amenophis IV. ihm bei einer Erkrankung nicht geschrieben und seine Wünsche nicht gesandt hat, und läßt sich nur mit Mühe durch die Annahme beruhigen, daß er infolge der weiten Entfernung nichts davon gehört haben werde. Durchaus geboten ist, den Namen des Adressaten vor dem eigenen zu nennen; ein leider nur fragmentarisch erhaltener Brief beschwert sich über einen dagegen begangenen Verstoß288. Zu festigen sucht man die Beziehungen durch Verschwägerung; aber gerade hier zeigt sich, daß tatsächlich eine Gleichstellung nicht besteht. Der Pharao erbittet und erhält bei jedem Thronwechsel die Töchter der befreundeten Könige – namentlich Amenophis III. [151] ist darin geradezu unersättlich, seinem Harem gehört die Schwester und dann die Tochter des Kadašmancharbe von Babel, die Schwester und dann die Tochter des Dušratta von Mitani, die Tochter des Tarchundarab von Arzawa an –; aber zur Hauptgemahlin, zur regierenden Königin wird keine von ihnen erhoben, sondern das sind durchweg Ägypterinnen, unter Amenophis III. Teje, die Tochter eines Privatmanns289. Wenn dagegen der Babylonierkönig Kadašmancharbe es wagt, eine ägyptische Prinzessin für sich zu begehren, so wird er mit der Erklärung abgewiesen: »von alters her wird eine ägyptische Königstochter an niemand gegeben«; und er schämt sich nicht, da er empfindet, daß die Bemerkung, Amenophis sei doch der König und könne tun was er wolle, ohne daß Jemand darein reden könne, nicht viel nützen wird, ihm vorzuschlagen, er solle doch irgend ein schönes Mädchen als seine Tochter ausstaffieren; dagegen werde er ihm seine eigene Tochter nicht vorenthalten.

Das Entscheidende sind die gewaltigen Machtmittel und Reichtümer, über die der Pharao verfügt, und in erster Linie das Gold, das alle Könige begehren und für Kultbilder und die Ausstattung der Feste brauchen, und das sie nur von Ägypten erhalten können. »In Ägypten«, schreibt Dušratta von Mitani, »ist Gold in Menge wie Staub«; und so bittet er immer von neuem um »viel Gold, so daß es sich garnicht zählen läßt«290. In derselben Weise bittet der babylonische König fortdauernd um Gold für die (meistens wohl kultischen) Werke, die er ausführen läßt. Das übersandte Gold wird dann im Feuer auf seine Reinheit geprüft, und mehrfach hören wir den Vorwurf, daß es nicht vollwichtig sondern legiert sei291. Auch die Assyrerkönige werden reichlich bedacht, z.B. für einen Palastbau292. Bescheidener tritt [152] der König von Alasia (Cypern) auf, der sich offenbar halbwegs als Vasall des Pharao fühlt; er bittet nur um Silber und daneben vor allem um Öl293. Im übrigen erfolgen die Geschenksendungen, von denen mehrfach lange Listen erhalten sind, von beiden Seiten durchweg im großen Stil, sowohl dem Umfang wie dem Werte nach; auch die Boten und die Frauen – die gelegentlich an der Korrespondenz gleichfalls teilnehmen – werden reichlich bedacht. Babylonien sendet vor allem den hochgeschätzten Blaustein (uknu, Lazur), Cypern außer Elfenbein, Holz und Getreide große Massen Kupfers; einmal erfahren wir, daß die Kupfer sendung klein ausfallen mußte, weil »die Hand Nergals (des Pestgottes) alle Menschen meines Landes getötet hat«, darunter auch den Sohn des Königs294, so daß die Kupferbergwerke nicht bearbeitet werden konnten; auch der ägyptische Gesandte wurde dadurch drei Jahre lang festgehalten.

Mit Babylonien, dem Reiche Karduniaš, gẹhn die geregelten Beziehungen bis auf Karaindaš I. zurück, den sechzehnten in der Reihe der kossaeischen Herrscher295; er ist einer der Nachfolger des Königs von Sinear, dessen Geschenke Thutmosis III. erwähnt (o. S. 128), und gehört wohl in die Zeit Amenophis' II.. Mit ihm setzen, nach einer Lücke von zwei Jahrhunderten, die spärlichen Urkunden aus Babylonien wieder ein. Auf einem Ziegel vom Tempel Eanna der Nanaia von Uruk nennt er sich »der mächtige König, König von Babel, König von Sumer und Akkad, König der Kaššû, König von Karduniaš«, berücksichtigt also in seiner Titulatur [153] noch den herrschenden Volksstamm, allerdings abweichend von den älteren Königen der Dynastie an letzter Stelle; bei seinen Nachfolgern werden die Kossaeer im Königstitel überhaupt nicht mehr genannt, obwohl sie immer noch die herrschende Kriegerschicht bilden. Man sieht, wie sich das Reich wenigstens äußerlich immer mehr babylonisiert. An innerer Kraft freilich hat es nicht gewonnen. Das Geschäftsleben bewegt sich in den herkömmlichen Formen weiter296, und auch die überlieferte Kultur und Religion wird fortgesponnen; aber irgend etwas Neues hat sie, in schroffstem Gegensatz zu Ägypten, all diese Jahrhunderte hindurch nicht geschaffen; besäßen wir Kunstdenkmäler aus dieser Zeit, so würde uns der fortschreitende Verfall zweifellos drastisch entgegentreten. Die weltgeschichtliche Rolle Babyloniens ist eben mit dem Ende der ersten Dynastie von Babel ausgespielt, nur die erstarrten Formen schleppen sich inhaltslos weiter.

So war denn auch an ein kraftvolles Auftreten nach außen nicht zu denken. Als die Kana'anaeer sich gegen Ägypten empören wollten297 und sich deshalb an Kurigalzu II., wahrscheinlich den zweiten Nachfolger des Karaindaš, wandten, hat dieser das Gesuch abgelehnt und an der Verbindung mit Ägypten festgehalten298. Über die Beziehungen zu Elam [154] fehlt uns aus dieser Zeit jede Kunde. Im Tigrisgebiet gehörten die Landschaften bis zum Diâla hinab den Patesi's von Assur, die damals unter der Oberhoheit des Mitanireichs standen [155] (o. S. 133f.). Umso weniger konnten die Herrscher von Babel daran denken, hier ihre Ansprüche auf Suprematie zu verwirklichen; Karaindaš I. begnügte sich, mit Assurbelnisesu [156] von Assur einen Vertrag abzuschließen (um 1430), der die Grenze zwischen beiden Staaten festsetzte299.

Das Reich Mitani oder Chanigalbat hat die durch Sauššatar gewonnene Machtstellung (o. S. 125, 133) unter seinen Nachfolgern behauptet und noch erweitert; im Vertrage mit Aleppo erhebt der Chetiterkönig Mursil II. gegen die Könige von Chanigalbat und Aleppo den Vorwurf, daß sie sich, nach dem Kriege gegen Duchalia II. (o. S. 125, 2), ganz besonders gegen den Chetiterkönig Chattusil II. (um 1430) vergangen hätten300. Die [157] Chetiter werden nicht nur aus Syrien völlig verdrängt, sondern verlieren auch die Herrschaft über die Gebirgslande am oberen Euphrat und im östlichen Kleinasien. Die Landschaft Isuwa östlich vom Euphratknie bis zum Quellgebiet des Tigris schließt sich dem Lande Charri, d.i. dem Mitanireiche an, die Gaue im östlichen Taurusgebiet fallen ab und ihre Bewohner suchen Aufnahme jenseits des Euphrats; weiter im Norden löst der König von Kizwatna in den pontischen Gebirgen bis zum Schwarzen Meer seine Verbindung mit dem Chetiterreich und wird Vasall »des Charriers«, des Königs von Mitani301.

Durch diesen völligen Verfall des Chetiterreichs wird es sich erklären, daß auch der König von Arzawa im ebenen [158] Kilikien302 jetzt mit Ägypten in Verbindung trat. Amenophis III. übersendet seinem König Tarchundaraba Geschenke und fordert seine Tochter; zu beachten ist dabei, daß er in der im übrigen ganz dem Herkömmlichen entsprechenden Grußformel ihn nicht seinen Bruder nennt, und daß er den eigenen Namen voranstellt303. In ähnlicher Stellung mag das Land gestanden haben, aus dem ein »Königssohn« an »meinen Herrn, den König von Ägypten, meinen Vater«, berichtet (Am. 44), daß er den aus dem Chetiterlande zurückkehrenden ägyptischen Gesandten seine eigenen Boten nebst sechzehn Leuten als Geschenk »an meinen Vater« mitgibt, natürlich verbunden mit einer Bitte um Gold. Dieser Prinz ist also kein Untertan, wie er denn auch die für diese obligatorische Formel von siebenmaligem Fußfall vor dem König nicht verwendet, sondern ein selbständiger Dynast: sein Fürstentum wird im nördlichsten Syrien, etwa im Amanosgebiet, zu suchen sein304.

[159] Der Friedenszustand zwischen Ägypten und Mitani ist nach Thutmosis III. nicht wieder gestört worden. Unter Sauššatars Sohn Artatâma305 sind die Beziehungen weiter dadurch bekräftigt worden, daß dieser dem Pharao-Amenophis II. oder Thutmosis IV.306 – seine Tochter zur Frau gab, allerdings, wie sein Enkel berichtet, erst auf die siebente Werbung. Ebenso mußte dann Amenophis III. bei dem nächsten König, Sutarna, um seine Tochter Giluchepa sechsmal anhalten, ehe er sie im 10. Jahre seiner Regierung (um 1395) erhielt, mit einem Gefolge von 317 Frauen ihres Harems. Amenophis war stolz auf diesen Erfolg, er hat ihn, in der von ihm dafür geschaffenen Weise, durch Skarabaeen, die diese »staunenswerte Neuigkeit« verkünden, dem Volk bekannt gegeben. Umso beachtenswerter ist, daß Giluchepa so wenig wie irgend eine der auswärtigen Prinzessinnen regierende Königin geworden ist; eben dieser Skarabaeus nennt vielmehr als »große Gemahlin des Königs« ausdrücklich Teje, Tochter des Juja und der Tuja.

Eben dieses Verhalten zeigt, und die fortwährenden Betteleien um Gold bestätigen, daß trotz aller Freundschaftsversicherungen das Mitanireich dem ägyptischen nicht gleich stand. Innerlich ist es offenbar kein starker Staat gewesen. [160] Ihm fehlte eine feste Grundlage: die Masse der Bevölkerung bestand aus Charriern, die Herrschaft lag in den Händen der Oberschicht der Marjanni. Auch auf religiösem Gebiet stehn diese Elemente unausgeglichen nebeneinander; auf der einen Seite die charrischen Gottheiten Tešub, Šimike, die Göttin Šauška (vgl. o. S. 134, 4), auf der anderen die indischen Götter, und dazwischen die babylonisch-assyrischen Gottheiten Ištar und Šamaš. Bei den Wirren nach dem Tode Dušrattas führen die Gegensätze zwischen Charriern und Marjanni zu blutigen Kämpfen307. Gewiß haben sie auch früher schon eine Rolle gespielt; sie mögen mitgewirkt haben, als Sutarnas Sohn Artašuwara einer Verschwörung zum Opfer fiel und sein Mörder Tuchi sich im Namen von dessen unmündigem Bruder Dušratta der Regentschaft bemächtigte. Diesem aber gelang es, sich freizumachen und die Mörder seines Bruders nebst ihrem Anhang zu bestrafen (etwa um 1390), und dann einen Angriff der Chetiter siegreich abzuwehren308. Umso mehr Anlaß hatte er, die freundschaftlichen Beziehungen zu Ägypten weiter zu pflegen.


In engem Zusammenhang mit der Machtentfaltung Ägyptens nach außen steht die Neugestaltung und Umbildung der Kultur und der geistigen Anschauungen, die sich gleichzeitig im Innern vollzieht und zu einer entscheidenden inneren Krisis geführt hat. Indessen bevor wir auf diese Entwicklung eingehn können, ist es geboten, uns der Gestaltung der Kultur zuzuwenden, die sich inzwischen auf Kreta und auf dem griechischen Festland gebildet hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 151-162.
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