Sethos' Krieg gegen die Chetiter und Amoriter

[449] Was den unmittelbaren Anlaß zum Angriff Sethos' I. auf das Chetiterreich gegeben hat, wissen wir nicht; die Notlage, in die dieses geraten war, mag ihn dazu angereizt haben. Aber der Krieg lag in der Natur der Dinge und entsprach den Traditionen, die der Pharao von seinen Vorgängern übernommen hatte. Chattusils kurze Angabe, daß er, als sein Bruder gegen Ägypten zog, diesem Fußvolk und Wagenkämpfer aus allen ihm zugewiesenen Landschaften zugeführt habe, bezieht sich offenbar auf die Schlacht bei Qadeš; daß er näher auf diesen Krieg einzugehn vermeidet, wird sich daraus erklären, daß er Rühmliches nicht zu berichten hat und den Krieg überhaupt mißbilligt. So sind wir für Sethos' Feldzug lediglich auf den Bilderzyklus seiner Reliefs angewiesen, in denen natürlich nur einzelne Episoden zur Darstellung gelangt sind874. Wir sehn den König in üblicher [449] Weise auf dem Streitwagen mit gespanntem Bogen in das Getümmel der Feinde hineinstürmen, die sich widerstandslos zur Flucht wenden; ein Häuptling, dem sein Wagenlenker schon erschossen ist, wendet den Wagen zu eiliger Flucht und will selbst herunterspringen, andere sind schon davon gefahren oder haben ein Pferd bestiegen, um galoppierend zu entkommen; Haufen von Leichen bedecken das Schlachtfeld. Dann folgt die Fortführung der Gefangenen nach Ägypten, darunter auch ein Streitwagen mit seiner gefesselten Bemannung, schließlich ihre Vorführung vor Amon und seine Genossen im Tempel von Karnak875.

Weiteres erfahren wir nicht; aber daß Sethos in der Tat einen bedeutenden Sieg über die Chetiter erfochten hat, ist nicht zu bezweifeln. Über den Schauplatz des Krieges läßt sich leider garnichts sagen. Daran wird sich dann ein Feldzug gegen ihre Vasallen, die Amoriter, geschlossen haben; das in der obersten Reihe des Reliefs erhaltene Bild stellt den Zug dar, »den Pharao unternahm, um das Land von Qadeš (und) das Amoriterland876 zu verwüsten«. Sethos dringt zu Wagen auf die flüchtigen Feinde ein, und seine Pfeile treffen die Schützen auf den Zinnen der beiden Stadtmauern, der äußeren und der darüber aufragenden inneren, die verzweifelt [450] den Widerstand aufgeben und um Gnade flehen. Die Stadt Qadeš liegt auf einem bewaldeten Berge, ist also die Stadt in Obergalilaea (Naphtali). Daraus ergibt sich, daß sich das Amoriterreich Azirus und seiner Nachkommen unter der Oberhoheit der Chetiter bis in diese Gebiete ausgedehnt hat. Von den übrigen Bildern sind noch kleine Reste der Fortführung der Gefangenen und der Darbringung der Beute an Amon erhalten.

Einige weitere Aufschlüsse ergeben zwei Verträge mit dem Amoriterreich aus dem Archiv von Boghazkiöi877. König Chattusil erwähnt darin, daß nach dem Enkel Azirus sich Bentesina des Königtums von Amurru bemächtigte – ob als legitimer Erbe oder als Usurpator, läßt sich nicht erkennen –, daß aber Muwattal ihn absetzte und gefangen fortführte. Chattusil dagegen nahm sich seiner an, erbat ihn von seinem Bruder und gewährte ihm eine Wohnstätte in seinem Gebiet; als er dann dem Muwattal gefolgt war, setzte er Bentesina wieder ein, gab ihm eine Tochter zur Gemahlin und erneuerte mit ihm den alten Vertrag aus der Zeit Subbiluljumas und Azirus. Chattusils Sohn Dudchalia bestätigt in einem Vertrage mit Bentesinas Sohn nicht nur diese Angaben, sondern fügt hinzu, daß die Amoriter sich gegen Muwattal empört hatten und zu Ägypten abgefallen waren878, daß dann aber Muwattal in oder nach dem Kriege mit Ägypten die Amoriter wieder unterworfen und den Sabili zum König eingesetzt hat; eben diesen hat dann Chattusil zugunsten des Bentesina abgesetzt.

Beide Urkunden vermeiden, ebenso wie Chattusils Antrittsproklamation (o. S. 449), auf die Beziehungen zu Ägypten [451] einzugehn, vielmehr erwähnt Chattusil sie überhaupt nicht. Aber in Wirklichkeit ist der Übertritt der Amoriter zu Ägypten offenbar die Folge von Sethos' Vordringen gewesen; Bentesina kam dadurch in dieselbe Lage wie früher Aziru. Die milde Behandlung, die ihm zuteil wird, zeigt, daß ihm seine Untertanen keine Wahl gelassen haben. Während der nächsten Jahre gehört das Land Amurru zum ägyptischen Machtbereich: in der Liste der im Chetiterheer vertretenen Völkerschaften erscheinen die Amoriter nicht, das südlichste am Kampf teilnehmende Fürstentum ist Qadeš (Kinza); dagegen organisiert Ramses sein Heer »an der Küste von Amurru«, von hier ausstößt eine seiner Abteilungen in der Schlacht zu ihm. In Qadeš hat sich ein Relief gefunden, auf dem Sethos den Amon nebst Mut und Chons sowie den syrischen Gott Rešep verehrt879; somit scheint auch diese Stadt unter seiner Oberhoheit gestanden zu haben. Danach wird es durchaus zutreffend sein, wenn die Liste der von ihm eroberten Orte außer Akko und Tyros auch die in der Amarnazeit so viel umstrittenen Festungen Simyra und Ullaza im Eleutherostal nennt880; man wird vermuten dürfen, daß weitere Feldzüge in diesen Gebieten auf dem oberen, jetzt zerstörten Teil der Tempelmauer dargestellt waren. Umso auffallender ist, daß die Städte des nördlichen Phoenikiens, Sidon, Berytos, Byblos in dieser Zeit niemals erwähnt werden, auch nicht unter [452] Ramses II. Daraus, daß dieser in seinem 4. Jahre und dann noch dreimal an der Mündung des Hundsflusses (Nähr el Kelb), nördlich von Beirut, Stelen an der Felswand errichtet hat881, hat man geschlossen, daß hier die von Sethos erreichte Grenze gelegen habe. Aber es ist kaum denkbar, daß die alte Verbindung dieser Handelsstädte mit Ägypten nicht längst wiederaufgenommen sein sollte, und wenig wahrscheinlich, daß die Amoriter die von Aziru gewonnene Herrschaft über Byblos dauernd behalten haben882. Allerdings gehörte diesen sicher ein beträchtlicher Teil der Libanonküste, und ihr Gebiet scheint sich noch weiter nach Norden ausgedehnt zu haben; aber die Straße durch das Eleutherostal ist in ägyptischem Besitz gewesen.

Die Wiederaufnahme der Feldzüge nach Syrien hat die schon unter Ḥaremḥab eingetretene Verlegung des tatsächlichen Sitzes der Regierung nach Unterägypten vollends unvermeidlich gemacht. So wurde im äußersten Osten des Nillandes, nahe am Meere, in der Gegend der Hyksosstadt Auaris und des späteren Pelusion, eine neue Residenzstadt erbaut, die zugleich als starke Festung neben der Grenzsperre von Sile und den Brunnenstationen auf der Wüstenstraße Ägypten gegen etwaige Invasionen der Beduinen deckte. [453] Ramses II. hat während seiner ganzen Regierung die Geschäfte des Reichs von hier aus geleitet und ihr den Namen »Stadt des Ramses Miamun des Siegreichen« gegeben883. Sie bestand aber schon bei seinem Regierungsantritt; denn alsbald nach dem Tode seines Vaters ist er nach Theben gezogen, das natürlich seine offizielle Rangstellung, ebenso wie Memphis, weiter behielt, um hier in Luxor das große Amons-fest im Monat Paophi zu feiern, und ist dann von hier aus stromabwärts nach der Ramsesstadt gefahren884. Ihre Erbauung hat also schon unter Sethos begonnen, Ramses hat sie dann vollendet und ihr den Namen gegeben, den sie dauernd behalten hat885.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 449-454.
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