Wirren im Chetiterreich. Chattusil III. Fortschritte Assyriens und Untergang Mitanis

[471] Die Texte aus Boghazkiöi versagen bisher für diese Zeit fast gänzlich; von dem Krieg gegen Ägypten zu reden, vermeiden [471] sie offenbar mit Absicht923. Der Bericht Chattusils über seine Schicksale erzählt im Anschluß an den Feldzug Muwattals gegen Ägypten, daß er jetzt Puduchepa, die Tochter des Priesters der Istar aus Kizwadna, heiratet, einen von den Gasgaeern unterstützten Aufstand in dem ihm zugewiesenen Land Chakpis niederwirft und sie hier zur legitimen Königin erhebt. Eine von seinem alten Gegner, dem Sohne des Zidâ (seinem Vetter), gegen ihn erhobene Anklage schlägt er mit Hilfe der Istar – also wohl durch einen Gottesspruch – siegreich nieder; der Verleumder mit seiner Familie wird ihm ausgeliefert, er aber verschont sie und verbannt sie nach Alasia (Cypern) – diese Insel, die auf den Verkehr mit beiden Großreichen angewiesen war, hat also wohl in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Chetiterreich gestanden.

Bald darauf ist Muwattal gestorben (um 1287). Chattusil rühmt sich, in durchaus loyalem Verhalten dessen Sohn Urchitešub auf den Thron von Chattusas gesetzt und ihm weitere Erfolge erfochten zu haben. Indessen der Neffe war mißtrauisch gegen den übermächtig gewordenen Oheim und begann, ihm ein Gebiet nach dem anderen zu entziehn. Sieben Jahre lang, sagt Chattusil, habe er sich gefügt; als Urchitešub ihm aber auch seinen Herrschersitz Chakpis fortnehmen wollte, sagte er ihm auf und forderte ein Gottesgericht »durch die Istar von Samucha und den Donnergott von Neriq«, d.h. eine Entscheidung durch die Waffen. Seine Schutzgöttin hat ihn auch diesmal nicht im Stich gelassen: zahlreiche Magnaten, mit denen er offenbar schon vorher Verbindungen angeknüpft hatte, traten zu ihm über924, Urchitešub [472] wurde in der Götterstadt Samucha eingeschlossen »wie ein Schwein im Koben«; die Mauer der Festung stürzte ein, Urchitešub wurde gefangen. Das Anerbieten seiner verräterischen Mannen, ihm den Kopf abzuschlagen, hatte Chattusil schon früher zurückgewiesen, und auch jetzt behandelte er ihn gnädig; er überwies ihm ein Gebiet in Nuchasse, und hier hätte Urchitešub bleiben können, wenn er nicht mit Karduniaš (Babylonien) Verbindungen angeknüpft hätte; da wurde er übers Meer verbannt. So hatte Istar ihre Versprechungen erfüllt und Chattusil zum Großkönigtum erhoben. Wie die Göttin selbst, so erhielten seine Anhänger reiche Belohnungen; über seine Feinde und Verleumder aber erging ein schweres Strafgericht (um 1280).

Zu diesen inneren Wirren kamen die fortdauernden Konflikte mit Assyrien. Die Macht des Fürsten von Assur war seit Assuruballiṭ (ca. 1380-1340) ständig gewachsen925. In dem Ringen um das Gebiet des der Auflösung verfallenen Mitanireichs hatte er die Chetiter über den Euphrat zurückgedrängt, die Erben der alten Dynastie auf die Gebirgslande am oberen Tigris beschränkt und die Herrschaft über das nördliche Mesopotamien gewonnen. Auch Ninive gehörte jetzt wieder den Assyrern926. Von hier aus suchten sie gegen die Berglande im Osten und Norden vorzudringen; so hat Assuruballiṭ [473] hier das Land Muzri unmittelbar hinter Ninive unterworfen927.

Ein gesicherter Besitz war freilich Mesopotamien keineswegs. Vielmehr hatten sich hier »im weiten Lande Subari« von der Steppe und Wüste zu beiden Seiten des Euphrat aus in dem von zahlreichen Flußtälern durchzogenen Hügellande seit der Amarnazeit die aramaeischen Stämme immer weiter ausgebreitet; sie haben allmählich die ältere charrische Bevölkerung vollständig absorbiert, so daß in der späteren israelitischen Überlieferung, wenn sie auch eine Kunde von ihrer Herkunft aus Qîr in der syrischen Wüste im Osten (im Lande Qedem) bewahrt hat, doch Charrân (Karrhae) am Belichos zum Wohnsitz ihrer Ahnen (Laban) bereits in der Urzeit gemacht wird. In den keilschriftlichen Texten werden sie bald allgemein als Sutû »Schützen« (o. S. 93), bald mit dem Stammnamen Achlamaeer bezeichnet. Auch gegen Babylonien beginnen sie vorzudringen; und das hat, so scheint es, zu einem Zusammengehn der Kossaeerkönige von Karduniaš mit den Assyrern geführt. Von dem König, der in einer Chronik Karaindaš II. heißt928, in einer anderen durch dessen angeblichen Sohn Kadašmancharbe ersetzt wird – es ist der König, der etwa 1350-1346 regiert hat –, wird berichtet, daß er der Sohn einer Tochter Assuruballiṭs war und daß er die Sutû vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bis zur Vernichtung bezwungen, Festungen im Gebirge Chichi angelegt, Brunnen gegraben und besiedelt habe – ein Erfolg, den er wohl der Verbindung mit Assyrien verdankt.

[474] Es ist begreiflich, daß die kossaeische Kriegerkaste, in deren Händen das Regiment im Lande lag, sich gegen diese den altererbten Ansprüchen widersprechende Anlehnung an Assyrien auflehnte; im Jahre 1345 wurde der König von den Kossaeern erschlagen und einer der Ihrigen, Nazibugaš, »ein Sohn Niemandes«, zum Herrscher erhoben. Da ist Assuruballiṭ eingeschritten, hat den Usurpator beseitigt und den legitimen Erben Kurigalzu III. »den Jungen« auf den Thron gesetzt. Seine Nachfolger haben diese Stellung behauptet; als Kurigalzu (1344-23) nach Erfolgen gegen Elam einen Angriff auf Assyrien wagte, wurde er von Assuruballiṭs Sohn Ellilnirari besiegt und das Land Subari, also Mesopotamien, das offenbar das eigentliche Streitobjekt bildete, zwischen beide Staaten geteilt. Ebenso hat Ellilniraris Enkel Adadnirari I. den nächsten König, Kurigalzus Sohn Nazimaruttaš II. (1322-1297), besiegt und jetzt auch die Grenze östlich vom Tigris bis zum Gebiet der Lulumaeer im Zagrosgebirge festgelegt.

Auch sonst schreitet die Assyrermacht weiter fort, sowohl gegen die Gebirgsstämme in den Zagrosketten wie gegen die armenischen Gebirge929. Dazu kommen immer wieder Kämpfe in Mesopotamien. Arikdenilu besiegt »das Kriegsvolk der [475] Achlamaeer und Sutû«, sein Sohn Adadnirari I. erobert zahlreiche inzwischen wieder verloren gegangene Städte des ehemaligen Mitanireichs bis zum Euphrat bei Karkemiš hin, darunter die alte Hauptstadt Wassuganni, und dringt bis ins Gebirge Kašijar (Masios, jetzt Ṭûr 'Abdîn) vor; die Gegner nennt er nach alter Weise Subaraeer930.

Sein Sohn Salmanassar I. hat sich dann, nach Niederwerfung von Aufständen in den armenischen Grenzgebirgen931, gegen das Land Chanigalbat, d.i. den Rest des alten Mitanireichs, gewendet; da er rühmt, auf schmalen Pfaden durch steile Pässe vorgedrungen zu sein, kann es sich nur um das Bergland im Quellgebiet des Tigris bis zum Durchbruch des Euphrat durch die Tauruskette handeln. Der König Sat tuara fand Hilfe einerseits bei den Achlamaeern, andrerseits bei den Chetitern. Die Verbündeten verlegten den Feinden mit einem starken Heer den Zugang zum Wasser; aber Salmanassar [476] wagte mit seinen vom Durst getriebenen Truppen den Angriff und erfocht einen vollen Sieg; wie Schafe, erzählt er, habe er die Chetiter und Achlamaeer niedergemetzelt. Sattuara entkam in eiliger Flucht nach Westen. Über das besiegte Land aber ergoß sich die Brutalität, die die Assyrer charakterisiert, in ihrer furchtbarsten Gestalt: 14400 Gefangene, so rühmt er, habe er geblendet und fortgeschleppt, neun Festungen nebst der Residenz erobert, 180 Ortschaften in Schutthaufen verwandelt. Auch die von Adadnirari I. eroberten Gebiete im Kašijar und bis zum Euphrat wurden wieder unterworfen und ausgeplündert.

Damit hat das Mitanireich in Mesopotamien sein Ende gefunden. Der Name Chanigalbat ist in der Folgezeit auf die Landschaft von Melitene westlich vom Euphrat beschränkt932, wo sich die Nachkommen der alten Dynastie behauptet haben werden.

Genauere Daten für die Assyrerkönige besitzen wir nicht; aber nach den Synchronismen mit Babylonien fällt Salmanassars I. Regierung ungefähr 1280-1260. Die Feldzüge, von denen seine Inschrift berichtet, hat er gleich »im Beginn seines Priestertums« unternommen933. Somit kann der Chetiterkönig, der Chanigal bat zu Hilfe kommt, nur Chattusil III. sein934. Dadurch fällt weiteres Licht auf seine Beziehungen [477] zu Babylonien. Er hat mit Kadašmanturgu (1296-1280, Nachfolger des Nazimaruttaš II.) einen durch Verschwägerung bekräftigten Vertrag geschlossen, in dem sie sich und ihren Nachkommen gegenseitig Hilfe zusagten, und Kadašmanturgu hat sich bereit erklärt, mit seinem Heer an dem Krieg gegen Ägypten teilzunehmen935. Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen; vielmehr ist Kadašmanturgu bald darauf gestorben, sein junger Sohn Kadašmanellil II. (1280 bis 1274) aber hat unter dem Einfluß seines Ministers Ittimardukbalaṭu das Kondolenzschreiben Chattusils unfreundlich beantwortet und behauptet, dieser behandle ihn nicht als Bruder, sondern als Vasallen. Die Unterbrechung des Gesandtschaftsverkehrs entschuldigt er damit, daß die Achlamaeer feindlich sind und daß der König von Assur seine Boten nicht durchlassen werde. Diese Angabe beleuchtet die Situation: offenbar fällt Salmanassars Krieg gegen Chanigalbat und die Chetiter eben in diese Zeit, ins Jahr 1280 oder 1279, und Chattusil hat von Babylonien auf Grund des Bündnisvertrags Hilfstruppen gefordert. Daß Kadašmanellil oder vielmehr sein Minister nach den Erfahrungen seiner Vorgänger zu einem neuen Kriege gegen Assyrien wenig Neigung hatte, ist begreiflich; so lehnt er die Forderung als demütigende Zumutung ab und läßt den Gesandtschaftsverkehr einschlafen. Er mag auch daran gedacht haben, den Krieg zwischen Chattusil und Urchitešub für seine Interessen auszunutzen.

Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß Chattusil, [478] als er nach längerer Unterbrechung, nach dem Frieden mit Ägypten, wieder an Kadašmanellil schreibt936, ihm vorhält: »ist dein Reich so klein? Du hast ja mehr Pferde als Stroh! Was ist der König von Assur, daß er deinen Boten zurückhalten könnte?« Er freut sich zu hören, daß sein Bruder zum Mann geworden sei und zur Jagd gehe; er mahnt ihn, nicht länger untätig dazusitzen, sondern seinen Feind anzugreifen und sein Land zu plündern. Das zielt deutlich auf Assyrien. Erfolg hat diese Mahnung freilich nicht gehabt; das Reich Karduniaš war eben innerlich morsch und dem aufstrebenden Assyrien nicht gewachsen. Der junge König aber ist schon nach sechsjähriger Regierung gestorben.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 471-479.
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