Die Göttertempel der achtzehnten Dynastie. Schlachtengemälde. Einwirkung der kretischen Kunst

[307] Neben die Grabbauten treten jetzt in ganz anderer Weise als früher die Tempel der Götter. Kapellen, in denen die [307] Götterbilder und der zum Kultus gehörende Apparat bewahrt wurde, hat es in Ägypten zu allen Zeiten gegeben; aber größere Tempelbauten, in denen zugleich eine klar erfaßte religiöse Idee zum Ausdruck gelangt, hat das alte Ägypten nur ein einziges Mal geschaffen, in den Sonnenheiligtümern der fünften Dynastie. Sonst sind uns, in bezeichnendem Gegensatz zu den Totentempeln der Pyramiden, Göttertempel aus dem Alten Reich überhaupt nicht, aus dem Mittleren nur in dürftigen Resten erhalten. Die Formen und Zeremonien des Kultus waren längst voll entwickelt, und ebenso die Grundformen der Architektur; aber zu Monumentalbauten großen Stils für den Dienst der Götter hat diese ganze Zeit, die anderthalb Jahrtausende umfaßt, nur ein einziges Mal das Bedürfnis empfunden, in dem Jahrhundert der fünften Dynastie, die auch dadurch eine Sonderstellung einnimmt und einen ersten Höhepunkt in der geistigen Entwicklung Ägyptens bezeichnet, auf dem sich die folgende Zeit der Zersetzung nicht mehr zu halten vermochte. Auch der Amontempel der zwölften Dynastie in Karnak, von dessen Grundriß einige Reste erhalten sind, war ein bescheidener Bau von 40 Metern im Quadrat, und nicht viel anders werden der Ptahtempel von Memphis und auch der Sethtempel der Hyksos in Auaris und die übrigen ausgesehn haben.

Jetzt aber gelangen die religiösen Gedanken, welche unter der fünften Dynastie hervorgetreten waren, zu voller Verwirklichung. Die äußeren Erfolge haben die Religiosität mächtig gesteigert; und zugleich gewähren sie in reichstem Maße die Mittel, ihre Forderungen zu erfüllen. Immer dringender empfindet man die Verpflichtung, den Göttern den Dank abzustatten und ihnen vollen Anteil an allem zu gewähren, was sie dem Pharao so überschwenglich beschert haben.

Der Löwenanteil fällt natürlich dem Amon von Theben zu. Schon Amosis und Amenophis I. haben wie anderswo so auch in Karnak an den Tempeln gebaut; aber die neue Wendung beginnt doch erst mit Thutmosis I. Er hat vor dem alten Tempel des Amon in Karnak, der dann unter den [308] Neubauten so gut wie völlig verschwunden ist, hintereinander zwei große Pylone und vor ihnen zwei mächtige Obelisken errichtet, die dann von Hatšepsut noch überboten wurden (o. S. 115). Deren Obelisken wurden dann wieder von Thutmosis III. in ein Portal eingemauert und so den Blicken völlig entzogen; dafür stellte er zwei neue Obelisken vor die seines Vaters. Auch die inneren Räume hat er stark umgestaltet, vor allem durch Einbau eines Saales, an dessen Wänden er seine Annalen bis zum 42. Jahr seiner Regierung aufzeichnen ließ587. Hinter dem alten Tempel erbaute er einen großen Festsaal, dessen Dach an den Seiten von viereckigen Pfeilern und im Mittelschiff von Nachbildungen von Zeltstangen getragen wird – eine wenig ansprechende Säulenform, die hier an Stelle der sonst üblichen Papyrussäulen tritt und später nie wieder verwendet wird. Ringsum liegen zahlreiche Kammern und Kapellen, deren Statuen und Reliefs neben den Göttern und in engem Verkehr mit ihnen den König darstellen und einmal auch seiner Vorgänger auf dem Thron gedenken, von denen die sog. Königstafel von Kamak eine Auswahl zusammenstellt.

Überhaupt dienen die Tempelbauten ebensosehr der Verherrlichung des Königs wie der des großen Gottes und der diesem als Gehilfen untergeordneten Gottheiten. Oder vielmehr, beides bildet hier wie in den Totentempeln eine untrennbare Einheit: der Gott und der Pharao, der lebende und der zum Himmel emporgestiegene, sind so eng ineinander verwachsen, daß die Großtaten des Königs, wie sie seine Erwählung durch den Gott erweisen, so auch dessen Allmacht verkünden. So hat denn auch Thutmosis III. den Tempel mit langen Listen der von ihm besiegten Völker und Ortschaften geschmückt; er berichtet, in durchaus legendarischer Fassung [309] (o. S. 112), ähnlich wie Hatšepsut in Dêr el Bahri, wie er von Amon zum König berufen wird, er beschreibt die Bauten und die reichen Geschenke aus der Siegesbeute, mit denen er ihm den Dank gezollt hat; er bildet die Pflanzen ab, die er, wie Hatšepsut aus Punt, aus der Fremde eingeführt und im Garten gepflanzt hat.

Nur umso beachtenswerter ist, daß Darstellungen von Kämpfen und Schlachten noch völlig fehlen. Die Gestalten der Ausländer vermag man scharf zu erfassen und in vortrefflich gelungener Charakteristik wiederzugeben; das gleiche gilt von den Seetieren des Ozeans bei Hatšepsut und auch, trotz mancher seltsamen Verzeichnungen, von den Pflanzen bei Thutmosis III.; die Reliefs von Dêr el Bahri und die Gemälde der Gräber lehren, daß erzählende Bilderzyklen den Künstlern durchaus geläufig waren, so die ausführliche Darstellung der Flottenexpedition nach Punt, die Vorführung der Gesandtschaften und Abgaben, der Aufmarsch der Soldaten zur Parade u.s.w. Aber das hält sich im Rahmen der seit alters geläufigen Darstellungen so gut wie die der Arbeiten auf dem Felde und in der Werkstatt der Handwerker, wie denn auch, wo mehrere Gruppen nebeneinander stehn, die staffelförmige Anordnung in übereinander gesetzte Streifen beibehalten wird, die in den wenigen aus dem Alten und Mittleren Reich erhaltenen Bildern von Angriffen auf eine Festung durchaus herrscht. Ein Schlachtgemälde dagegen erfordert die Wiedergabe des Kampfgetümmels und des wirren Durcheinander der Kämpfer und der Streitwagen, und daran hat sich die Kunst unter Thutmosis III. noch nicht gewagt. Zum ersten Male588 tritt uns eine solche Darstellung [310] entgegen auf dem Streitwagen seines Enkels Thutmosis' IV., und zwar gleich hier in derjenigen Auffassung, die für die Folgezeit herrschend geblieben ist (so auf zwei Truhen Tutanch-amons). Nicht den wirklichen Verlauf der Schlacht darzustellen ist die Aufgabe, sondern den Pharao als den Sieger, dem kein Feind widerstehn kann. In riesiger Gestalt, ganz allein, stürmt er auf seinem Streitwagen mit gespanntem Bogen in die Scharen der Feinde, die vergeblich das Heil in der Flucht suchen, sondern mit ihren Rossen, von seinem nie irrenden Pfeil getroffen, im Todeskampf zu Boden stürzen.

Eine solche rein symbolische Behandlung des Vorgangs ist das diametrale Gegenteil der durchaus realistischen Wiedergabe der Wirklichkeit in der kretischen Kunst. Und doch kann kein Zweifel sein, daß gerade hier die von dort gekommenen Anregungen, und zwar speziell die am Hof der mykenischen Fürsten schon im 16. Jahrhundert geschaffenen Kampfszenen, entscheidend eingewirkt haben. Nur so erklärt sich die ganz unägyptische Zusammenfassung zu einer einheitlich komponierten Szene, das völlige Fehlen einer horizontalen Grundlinie, auf der sonst die Gestalten stehn, die lebhafte Bewegung der sich drängenden und vielfach überschneidenden Figuren. Besonders deutlich wird die fremde Einwirkung auch darin, daß die galoppierenden Rosse, abweichend von allen älteren Tierdarstellungen, nicht mehr mit allen vier Beinen auf dem Boden stehn, sondern ganz frei springen, und der Boden überhaupt nicht angedeutet ist589.

Wir haben gesehn, wie schon im Anfang des Neuen Reichs auf den Waffen des Königs Amosis eine kretische [311] Figur und die überlange Streckung des springenden Löwen nachgebildet ist, wie die mykenischen Deckenmuster in die ägyptischen Gräber übernommen werden. Wenn dann kretische und mykenische Gefäße in Ägypten vielbegehrt und geradezu Mode werden – auch an ägyptischen Nachahmungen fehlt es nicht –, so wirkt dabei der Reiz des Exotischen mit, der sich in jeder hochentwickelten Kultur fühlbar macht und sich ebenso in der Einführung syrischer Waren und in der wachsenden Neigung zur Aufnahme kana'anaeischer Worte und Wendungen in die elegante Redeweise der Gebildeten zeigt. Die ägyptische und die ägaeische Kunst stehn zueinander ähnlich wie die europäische zur ostasiatischen seit dem 18. Jahrhundert. Neben der äußerlichen Berührung geht immer eine stille gegenseitige Anregung einher. Wenn jetzt die seit dem Beginn des Alten Reichs völlig aufgegebene Bemalung der Tongefäße, vor allem mit Blättern und Blüten – doch findet sich gelegentlich auch ein anspringendes Pferd dargestellt –, wieder aufkommt und die Fläche durch parallele Streifen gegliedert wird, so ist darin, bei aller Abweichung in Zeichnung und Farben, die von außen gekommene Einwirkung unverkennbar. Überhaupt aber hat sich eine Ausgleichung der verschiedenen Kulturgebiete vollzogen, die in den Formen der Gefäße von Stein, Ton und Metall, in den Goldschmiedearbeiten, in den Schmucksachen deutlich hervortritt. Charakteristisch dafür sind die großen Schalen von getriebenem Golde, auf deren Rand Blumen und Vögel, aber auch Steinbockköpfe, Frösche, Löwen und selbst der König auf dem Streitwagen aufgesetzt sind590. Die Motive sind durchaus ägyptisch, aber sie erscheinen vor allem unter den Tributen und Geschenken der Syrer und Kaftier und auch der Neger Nubiens. Die fremden Goldschmiede haben also in Ägypten geschaffene Formen übernommen, um die dort besonders hoch geschätzte und vielbegehrte Ware für den [312] Pharao und seine Magnaten zu liefern. In Griechenland und Etrurien hat sich die Nachwirkung lange erhalten; gleichartige Bronzeschalen sind hier noch in viel späterer Zeit gearbeitet worden.

Der Gegensatz der beiden Kulturen spricht sich am deutlichsten aus in der Architektur. Das Streben nach Monumentalität, das den kretischen Palästen so völlig fehlt591, ist von Anfang an die dominierende Triebkraft der großen Bauten Ägyptens. Erwachsen ist es aus dem Versuch, im Totenkult die Zeit zu überwinden und im Gegensatz zum ephemeren irdischen Dasein dem Totengeist eine ewige Existenz zu sichern. Jetzt, im Neuen Reich, durchdringt dieses Streben auch den Tempelbau und wird hier ins Gigantische gesteigert; sowohl im Grundriß wie im Aufbau hat kein anderes Bauwerk der Erde solche Dimensionen erreicht und so gewaltige Materialmassen bewältigt. Und dabei ist doch sowohl die innere Einheit der Anlage bewahrt wie die feine Empfindung für die Verwendung der architektonischen Formen; die mächtigen Säulen, in den vom Alten Reich geschaffenen, dem Papyrus und der Palme entlehnten Formen, gelangen hier in den großen Hallen und Höfen zu vollster Wirkung, und nicht minder die Verbindung der Architektur mit dem plastischen und malerischen Schmuck der Wände und mit den davorstehenden Riesenstatuen der Könige und Götter.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 307-313.
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