Quellen und Chronologie

[334] An Streitigkeiten zwischen den Vasallenfürsten in Syrien, an Versuchen, ihr Gebiet auf Kosten der Nachbarn und. Rivalen zu erweitern, wird es niemals gefehlt haben; die Aufgabe der Pharaonen und ihrer Generale war es, die Interessen des Reichs zu wahren, treu ergebene Vasallen gegen ehrgeizige Aufrührer zu schirmen, und zugleich die immer gegen die Kulturgebiete andrängenden Beduinenstämme im Zaum zu halten.

Aber unter dem schlaffen Regiment Amenophis' III. erlahmte die Tatkraft. Im Gefühl seiner Göttlichkeit ließ er die Dinge gehn wie sie wollten, und keine noch so dringende Bitte und Mahnung vermochte ihn dazu zu bringen, sein behagliches Dasein in Theben mit den Strapazen eines Kriegszugs nach Syrien zu vertauschen; selbst zu energischen Befehlen ließ er sich nur schwer bestimmen. An Rivalitäten und selbstsüchtigen Bestrebungen unter seinen Offizieren wird es auch nicht gefehlt haben. So kam es, daß in Syrien in stets steigendem Maße Unruhen ausbrachen, denen die Regierung unschlüssig und ziellos gegenüberstand.

Einen lebendigen Einblick in diese Vorgänge verdanken wir dem Archiv von Amarna. Als Amenophis IV. in seinem 6. Jahr seine Residenz hierhin verlegte, hat ér einen beträchtlichen Teil der Korrespondenz seines Vaters und seiner eigenen mit den auswärtigen Königen und den syrischen Vasallen mitgenommen, die dann in den folgenden Jahren noch. weiter anwuchs; und dies Material ist uns, wie es scheint, [334] nahezu vollständig erhalten611. Sehr empfindlich ist, daß diese Briefe niemals ein genaueres Datum enthalten. Bei den Briefen aus (und nach) Babylonien, Mitani, Assur und dem Chetiterreich ist neben dem Verfasser wenigstens auch der Adressat genannt; daraus ergibt sich, daß nahezu die Hälfte dieser Briefe aus der Zeit Amenophis' III. stammt, und das gleiche Verhältnis wird wohl annähernd auch für die Briefe der Vasallen gelten. Unter diesen nennen den Adressaten nur die vier Briefe des Akizzi von Qaţna, und diese sind alle an Amenophis III. gerichtet,

Aus den Briefen Akizzis ergibt sich, daß der Aufstand des Aitakkama von Kinza, das Vordringen des Amoriters Aziru und das erste Eingreifen der Chetiter unter Subbiluljuma in Nordsyrien, von dem die Urkunden aus Boghazkiöi berichten, bereits in die Zeit Amenophis' III. fällt, trotz des freundschaftlichen Briefs, den der Chetiterkönig an Amenophis IV. bei dessen Thronbesteigung schreibt (41). Dadurch sind neben vielen anderen auch der Brief des Königs von Nuchasse (51) und der von Tunip (59) datiert und ebenso ein Teil der Briefe des Ribaddi von Byblos, die um Hilfe gegen Aziru bitten (102ff.). Diese Briefe setzen sich dann unter Amenophis IV. weiter fort; sicher an diesen gerichtet sind, weil sie Vorgänge unter dem Vater des Adressaten erwähnen, z.B. 108 (Zl. 28ff.). 116 (Zl. 21ff.). 131 (Zl. 32ff.). 132 (Zl. 10ff.). Für die Briefe aus Palaestina bietet einen Anhalt, [335] daß auf dem Brief Labajas 254 mit Tinte das hieratische Datum »Jahr 12« (natürlich Amenophis' IV.) vermerkt ist; daraus folgt, daß diejenigen Briefe, in denen Labajas Tod erwähnt oder vorausgesetzt wird, noch beträchtlich weiter hinabreichen. Der jüngste aller Briefe ist 170, der über ein Vorrücken der Chetiter berichtet, das nach den Texten aus Boghazkiöi kurz vor den Tod Amenophis' IV. fällt.

In beträchtlich frühere Zeit dagegen gehört der Aufstand Abdaširtas, des Vaters Azirus, auf den sich die erste Hälfte der Briefe des Ribaddi von Byblos bezieht (68-95, ebenso natürlich die Briefe Abdaširtas selbst 60ff.); sie reichen offenbar ziemlich weit in die Regierung Amenophis' III. hinauf612.

Eine wesentliche Ergänzung haben die im Archiv von Boghazkiöi erhaltenen Texte gebracht, vor allem die immer mit ausführlichen geschichtlichen Einleitungen versehenen Urkunden der Verträge, die Subbiluljuma mit den von ihm besiegten Fürsten geschlossen hat613. Auch hier fehlt die [336] Datierung; aber vielfach fügen sich die Angaben aus beiden Quellen ohne weiteres ineinander und ermöglichen dadurch auch den Zeitpunkt der übrigen Nachrichten im Gesamtverlauf der Begebenheiten wenigstens annähernd festzulegen.

Einen festen Endtermin bietet die Erzählung Mursils II., daß sein Vater Subbiluljuma, als er bei Karkemiš stand, den Lupakki und Tešub(?)-zalman614 zur Eroberung des Landes 'Amq (Coelesyrien) ausschickte; darüber erschraken die Ägypter, und da ihr König Bibchururias gestorben war, wandte sich dessen Witwe an den Chetiterkönig mit der Bitte, da sie keinen Sohn habe, ihr einen seiner Söhne als Gatten zu schicken615. Dieser kommt dann in Ägypten um, worauf der König einen Rachekrieg unternimmt. Den Einfall des Lupakki in 'Amq berichtet nun der Amarnabrief 170 an den Pharao; mithin kann, da es ganz unmöglich ist, daß nach der kurz nach Amenophis' IV. Tode erfolgten Rückverlegung der Residenz nach Theben noch Briefe in das Archiv von Amarna gekommen sein können, Bibchururias nur der Thronname [337] Amenophis' IV. Nefercheprurê' sein616, und der Brief fällt in sein letztes Regierungsjahr.

Einen weiteren Anhalt gibt, daß nach einer Angabe Muwattals sein Großvater Subbiluljuma im Kriege gegen Charri (d.i. Mitani) sechs Jahre lang in Syrien gestanden, seine Herrschaft bis über Kinza und Amurri ausgedehnt, die Ägypter besiegt und seine Söhne in Aleppo und Karkeimš zu Königen eingesetzt habe617. Innerhalb dieser sechs Jahre ist also Amenophis IV. gestorben, vermutlich gegen Ende des Zeitraums618. Das höchste von ihm erhaltene Datum – auf Steinkrügen619 – ist sein 18. Jahr, und es ist nicht wahrscheinlich, daß er länger regiert hat; mithin sind die [338] an ihn gerichteten Briefe aus Amarna auf einen Zeitraum von achtzehn Jahren zu verteilen.

Weiter wissen wir aus Darstellungen in den Gräbern von Amarna, daß im 12. Jahr des Königs Tribute und Gefangene aus Syrien und Nubien am Hofe vorgeführt wurden620, also in demselben Jahre, aus dem der von Loyalität überströmende Brief 254 des Rebellen Labaja stammt. Damals hat also, wahrscheinlich im Jahre 11, ein ägyptisches Heer in Syrien eingegriffen, wenn auch schwerlich mit größerem Erfolg; es liegt nahe, das zwar nicht mit dem Feldzuge des Chetiterkönigs selbst – der erst etwas später fallen kann und zu einem Zusammenstoß mit ägyptischen Truppen nicht geführt hat –, aber wohl mit den Wirren in Verbindung zu bringen, die zu dessen Eingreifen geführt haben. Für die vorausliegenden Ereignisse unter Amenophis IV. bleiben also zehn Jahre.

Ein absolutes Datum hat FORRER zu ermitteln versucht aus der Erwähnung eines Vorzeichens, das die Sonne im 9. Jahr des Königs Mursil II. gegeben hat621, als dieser gegen das Land Azzi aufbrach, das er nach den Angaben seiner Annalen im 10. Jahr bekriegt hat. Er hält dies Vorzeichen für eine Sonnenfinsternis und findet diese im Anschluß an den Astronomen C. SCHOCH in der in Boghazkiöi sichtbaren ringförmigen Sonnenfinsternis am 13. März 1335. Danach wäre Mursils 1. Jahr = 1344, das letzte Jahr Subbiluljumas, da die dazwischenliegende Regierung seines älteren Sohnes Arnuwanda III. jedenfalls nur kurz gewesen ist, etwa 1346. Weiter verwendet er die Angabe, daß Mursil zu Anfang [339] seines 15. Jahres (also 1330) ein Fest am Fluß Mâla gefeiert hat, und daß er dieses in einem Gebet als Sühne für eine Seuche ankündigt, die bei dem Feldzug ausbrach, den sein Vater nach dem Untergang eines seiner Söhne gegen Ägypten geführt hat und die nun bereits zwanzig Jahre dauert. Danach würde dieser Krieg ins Jahr 1350, rund fünf Jahre vor Subbiluljumas Tod, der Tod Amenophis' IV. etwa 1351 fallen622.

Es wäre hoch willkommen, wenn wir hier wirklich ein astronomisch feststellbares Datum erhalten hätten. Es ist jedoch lediglich postuliert, daß das für das Sonnenomen verwendete Verbum šakiachta wirklich »verfinsterte sich« bedeutet; es kann ebensogut irgend ein anderes Phänomen bezeichnen, wie so häufig in den babylonischen und assyrischen Omina623. Als astronomisch gesichert kann daher das FORRER'sche Datum durchaus nicht betrachtet werden624. Indessen annähernd zutreffend, mit einem Spielraum von wenigen Jahren, ist dies Datum jedenfalls; es stimmt sowohl zu den assyrischen und babylonischen Synchronismen, wie zu dem, was wir über die ägyptische Chronologie ermitteln können. Für diese bildet den Ausgangspunkt, daß Ramses II. kurz nach 1300 zur Regierung gekommen ist, und daß wir auf seinen Vater Sethos I. und seinen Großvater Ramses I. [340] (regierte ein Jahr und wenige Monate) nicht mehr als höchstens ein Jahrzehnt rechnen dürfen625. Ḥaremḥabs Regierung endet also um 1310. Nun wissen wir, daß die offizielle Chronologie der Ägypter die ganze Zeit vom Tode Amenophis' III. an dem Ḥaremḥab zugerechnet hat. Eine nach diesem datierte Urkunde aus der Zeit Ramses' II. erwähnt sein 59. Jahr626. Wir werden also diesen Zeitraum auf rund sechzig Jahre anzusetzen haben, den Tod Amenophis' III. mithin auf ca. 1370, den Amenophis' IV. auf ca. 1352/1; das stimmt, wie man sieht, genau zu dem von FORRER erschlossenen Datum. Wir können daher die von diesem aufgestellten Daten627 unbedenklich übernehmen, wenn auch mit dem Vorbehalt, daß sie vielleicht um ein paar Jahre zu erhöhen sind.

Nach oben ergänzt werden sie durch die weitere Angabe628, daß Subbiluljuma zwanzig Jahre gewartet hat, bis er gegen die Charrier (Mitani) in Syrien vorging. Das wird sich auf das siegreiche Vorgehen Dušrattas gegen die Chetiter zu Anfang seiner Regierung beziehen, von dem er Am. 17, 30ff. an Amenophis III. berichtet; das ist danach etwa ins 28. Jahr des Pharao (um 1378) zu setzen. Das darauffolgende erste Eingreifen Subbiluljumas in Syrien, das er selbst zu Anfang des Vertrags mit Mattiwaza berichtet und das wir aus den Amarnabriefen kennen, ist dabei übergangen, da es ohne dauernde Folgen geblieben ist.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 334-341.
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