Amenophis IV. Die Einführung des Sonnenkults

[380] Während die Machtstellung des ägyptischen Reichs immer mehr verfiel, war der neue König ganz anderen Aufgaben zugewandt. Offenbar von Jugend auf hatte Amenophis IV., vielleicht unter dem Einfluß von Theologen aus Heliopolis, sich ganz erfüllt mit den Ideen des solaren Monotheismus. Tagtäglich empfand er an sich selbst die Leben schaffende Kraft der Sonnenstrahlen, die unmittelbare Offenbarung des Gottes, der sich an jedem Morgen in seiner leiblichen Gestalt allen Augen sichtbar aus den Bergen des Ostens erhebt und Tag für Tag gleichmäßig seine Bahn über den Himmel dahinzieht, alle Welt, Menschen, Tiere und Pflanzen, belebend und zu reger Tätigkeit erweckend, bis er am Abend zur Ruhe geht und damit auch die Welt in Dunkel und Schlaf versenkt. Er war eine tief religiöse, sensitive und schwärmerisch veranlagte Natur, wie sie hochgesteigerte Kulturen so häufig erzeugen, ganz der Welt der Ideen zugewandt und den realen Bedingungen und Aufgaben des Erdendaseins entfremdet. Umso schwerer empfand er den inneren Widerspruch zwischen der Lehre des theologischen Systems und der Praxis des Kultus. Unter dem Namen des Rê' und Ḥar'achte und selbst des Atum mochte man den wahren Sonnengott verehren, aber es war nicht nur ein Widersinn, sondern Lug und Frevel, wenn andere, und gar tiergestaltige Götter, wie vor allem der Amon von Theben, seinen Namen usurpierten und seine Wirkungen sich selbst zuschrieben.

So ist Amenophis IV. nach seiner Thronbesteigung und Krönung, die in üblicher Weise in Hermonthis, der alten [380] Hauptstadt des thebanischen Gaus (Bd. I, 275) stattfand, sofort ans Werk gegangen738; ihm allein, seinem Sohne, hatte der Gott die Erkenntnis eröffnet, ihm die Herrschaft über die Welt verliehen; so war es heiligste Pflicht, hinter der alles [381] andere zurückstehn mußte, die Wahrheit zu bekennen und die Untertanen zu der richtigen Religion zu bekehren.

Der erste Schritt war die Erbauung eines Heiligtums der Sonne in Karnak, der heiligen Stätte Amons. Für den Gott behält er die Benennung Rê' Ḥar'achte (»Rê', der Horus am Horizont«) noch bei, aber mit dem bezeichnenden Zusatz »der jubelt im Horizonte in seinem Namen als Lichtglanz, der in der Sonnenscheibe ist«, – er wählt zwei Appellativa, um ganz deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß der Gott eben die sichtbare, unmittelbar wirkende Sonne selbst ist, nicht etwa ein von ihr verschiedenes Wesen, das sich in ihr nur manifestiert739. Meist wird dann die langatmige Formel schlechtweg durch Aten »die Sonnenscheibe« ersetzt. In seinen Königsnamen nahm er den Titel eines Oberpriesters dieses Gottes auf. Dem Palast, den er sich in Theben erbaut, gibt er den Namen »Jubel im Horizont«, entsprechend dem Beinamen seines Gottes740. Wie eilig er die Sache betrieben hat, [382] zeigt eine Inschrift in den Steinbrüchen von Silsilis, die angibt, daß er alle Steinmetzen »von Elephantine bis zum Delta« und die Offiziere aufbot, um dort einen Obelisken von Sandstein für den Gott brechen zu lassen. Sein Tempel in Karnak ist bei der Reaktion völlig zerstört worden; aber mehrere Blöcke aus ihm sind dadurch erhalten, daß Ḥaremḥab sie für einen von ihm erbauten Pylon verwendet hat. Auf einem dieser Blöcke befindet sich rechts das übliche Bild Amenophis' III. mit der Sonne des Horus von Edfu darüber – dieser König hat also hier einen Bau begonnen, den der Sohn dann in seinen Sonnentempel umgewandelt hat –; die Darstellung auf der linken Seite dagegen hat Amenophis IV. getilgt und durch seinen eigenen Namen und den des neuen Gottes nebst dessen Bild in Gestalt des falkenköpfigen Ḥar'achte mit der Sonnenscheibe auf dem Haupt ersetzt741. Damals also hat er noch die herkömmliche Darstellung des Sonnengottes beibehalten. Auch die Verehrung der übrigen Götter galt noch als mit der des Aten verträglich: über der Inschrift von Silsilis ist der König in üblicher Weise in Verehrung vor Amon dargestellt, darüber schwebt die geflügelte Sonnenscheibe742.

Obelisken werden gewöhnlich aus Anlaß des Seţfestes errichtet; und auch dieses Fest mit seinen zahlreichen, in uralte Zeit zurückreichenden Zeremonien (Bd. I, 220f.) hat Amenophis IV., wie manche seiner Vorgänger auch743, nicht [383] erst, wie es dem Herkommen entsprach, im 30. Jahre seiner Regierung, sondern alsbald nach ihrem Antritt gefeiert. Offenbar ist dabei der neue Tempel eingeweiht und das Fest benutzt worden, um die Verehrung des Aten feierlich zu proklamieren und allen Untertanen anzubefehlen. Damit werden weitere Bestimmungen über die Gestaltung seines Kultus verbunden gewesen sein. Vor allem ist jetzt festgesetzt worden, daß der Gott zwar neben seinem eigentlichen Namen Aten auch noch den des Rê' und Ḥar'achte führen darf, daß aber eine Darstellung in menschlicher oder gar halbtierischer Gestalt nicht mehr zulässig ist; er darf nur so gebildet werden, wie er wirklich aussieht: als die runde Scheibe, die vom Himmel ihre Strahlen auf die Erde hinabsendet und durch sie alles Leben erweckt. Daher enden die Strahlen in Hände, die das Zeichen des Lebens (daneben auch das des Gedeihens) darreichen und die auf dem Opfertisch aufgehäuften Gaben in Empfang nehmen. Dabei erhält sich die alte Vorstellung, daß die Gewalt des Gottes durch die Uraeusschlange dargestellt wird; sie hängt an der Sonnenscheibe ebenso wie an der Krone des Königs und der Königin. Diese beiden stehn in den Bildern regelmäßig, dem Gott Weihrauch oder Blumen darbietend, unter den Strahlen; ihnen fließt das Leben, das er gewährt, unmittelbar zu, sie sind von Gott auserwählt, die wahre Erkenntnis zu gewinnen und in dem Reich, das er ihnen übergeben hat, überallhin zu verbreiten744.

Die fundamentale Bedeutung des Seṭfestes für die Einführung der wahren Religion745 hat darin ihren Ausdruck gefunden, [384] daß dem Namen Aten ein darauf bezüglicher Zusatz angefügt wird: »der große lebende Aten, der im Seţfeste, Herr von Himmel und Erde, der beide Lande erleuchtet«746. Auf einem Block aus dem Tempel in Karnak strecken die Sonnenstrahlen dem König das Schriftzeichen des Festes entgegen747; zugrunde liegt die Auffassung, daß der Gott dadurch, daß er dem König diese Feier gewährte, sein Werk bestätigt und sich in ihm manifestiert hat. In den Gebeten, in denen dem König in üblicher Weise eine endlose Lebensdauer gewünscht wird, wird daher immer wieder an Aten die Bitte gerichtet, er möge ihm viele Myriaden von Seţfesten gewähren. Vermutlich hat sich der König selbst, wie so mancher seiner Vorgänger und Nachfolger nicht nur in Ägypten, in solchen Illusionen gewiegt.

Überall im Lande werden jetzt Tempel des Aten errichtet, so in Hermonthis, Memphis, Heliopolis – dessen Gott Atum-Rê' ja mit Aten identisch ist und mit dem daher andauernd enge Fühlung bestand – und gewiß noch in vielen anderen Städten. In Nubien hat der König dafür wenig unterhalb des dritten Katarakts, oberhalb von Soleb, eine neue Stadt erbaut, die den Namen Gem-aten erhielt, den auch der Tempel in Karnak trug748.

Wie jede an den Fundamenten des Überlieferten rüttelnde Umwälzung, mag sie wie hier von der Religion oder aber von politischen oder sozialen Motiven ausgehn, sofort das gesamte geistige Leben ergreift und neue Anschauungen erweckt, die überall das Bestehende in Frage stellen und umgestalten [385] wollen, so auch hier. Gleichzeitig mit der Einführung des neuen Götterbildes kommt ein neuer Stil in die bildende Kunst: die Reliefs aus dem Anfang seiner Regierung zeigen noch ganz die konventionellen klassischen Formen; dann aber, spätestens etwa in seinem dritten Jahre, erscheinen urplötzlich schroff naturalistisch gebildete Gestalten; Gesichtszüge, Bewegung, die gesamte Komposition und der Ausdruck der Szenen sind total anders geworden. Besonders anschaulich, geradezu verblüffend, wirkt der Gegensatz in den thebanischen Gräbern aus dieser Zeit, dem des Vezirs Ra'mose, wo an derselben Wand auf der einen Seite der König und seine Frau im alten Stil, auf der anderen im neuen dargestellt sind, wie sie, beschienen von den Strahlen des Aten, in ungezwungener Haltung auf die Brüstung des großen Fensters im Palaste lehnen, um den verdienten Beamten die Ehrengeschenke zuzuwerfen – eine der früheren Zeit völlig fremde, jetzt neu geschaffene Darstellung, die sich ebenso in dem gleichzeitigen Grabe des Hofbeamten Parannofer findet und dann ständig wiederholt wird.

Völlig fertig und ganz unvermittelt tritt uns in diesen Reliefs der neue Stil entgegen. Und doch müssen wir annehmen, daß er sich, ebensogut wie die neue Religion, vorher bereits vorbereitet hat. Es muß Kreise gegeben haben, die sich übersättigt fühlten von dem klassischen, durch seine volle Ausbildung zu konventionellem Formalismus gewordenen Stil, der ihnen hohl und leer und darum unwahr erschien und das, was sie empfanden, nicht auszudrücken vermochte749.

Entscheidend ist, wie in der Religion, so auch hier gewesen, daß der König sich mit Feuereifer der neuen Richtung hingab. Beides hängt aufs engste zusammen: die alten Formen der bildlichen Darstellung waren eben so unwahr wie die alte Religion. Er aber, wie ein jetzt seinem Namen ständig angefügter [386] Zusatz sagt, »lebte von der Wahrheit«, so gut wie sein Gott, und verabscheute die Lüge. Daher wollte er auch so dargestellt sein, wie er wirklich aussah, nicht in der erlogenen Gestalt des traditionellen Königsbildes. In der Zeit, in der er den Amon noch nicht rücksichtslos bekämpfte – der Name Amenophis steht auf den Gürteln der Statuen –, hat er mehrere Kolossalstatuen für den Tempel des Aten in Karnak herstellen lassen, die ihn in krasser Natürlichkeit darstellen, mit von Falten durchfurchtem Gesicht, hängendem Kinn, langem dünnen Hals, schwachem Brustkörper, dickem Bauch und schmächtigen Armen und Unterschenkeln. So hat er im Leben ausgesehn; aber der Kontrast gegen das pompöse Pharaonenornat wirkt geradezu grotesk; und ebenso erscheinen die entsprechenden Reliefs oft wie eine Karrikatur, sowenig dies natürlich der Absicht entspricht.

Charakteristisch für Ägypten ist nun, daß diesen Zügen des Königs die seiner Umgebung, sowohl der Königin wie der Magnaten, möglichst angeähnelt werden, als hätten damals alle Menschen wirklich so ausgesehn. Daß dies mit dem Bekenntnis zu der vom König gepredigten »Wahrheit«, das auch in den Grabinschriften oft genug ausgesprochen wird, in schroffem Widerspruch steht, hat man nicht empfunden. Der König ist ja ein wirklicher, lebendiger Gott – an diesem Glauben hat auch die neue Religion nichts geändert750 – und Sohn des Sonnengottes (mag dieser nun Amon, Rê' oder Aten heißen); so ist es Pflicht, sich in allem nach seinem Vorbild zu richten. Nur durch diesen tief im Volk wurzelnden Glauben ist es begreiflich, daß das Unternehmen, die alte Religion umzustürzen überhaupt gewagt, und vollends, daß es zeitweilig durchgeführt werden konnte.

Diese Unterwürfigkeit unter den Willen des Königs gelangt in den Werken der neuen, naturalistischen Kunst womöglich noch stärker zum Ausdruck als früher; die Menschen, [387] ob vornehm oder gering, die vor dem König stehn, die Soldaten, die auf ihn zulaufen, können den Rücken garnicht tief genug beugen. Auf uns wirkt diese Servilität in der realistischen Darstellung vielleicht noch abstoßender als in den gleichartigen, durch den strengen Stil gehobenen Darstellungen der älteren Zeit (z.B. Reliefs aus dem Tempel des Neweserre'); für den Ägypter dagegen ist die Befolgung dieses Zeremoniells etwas Selbstverständliches, sowohl dem Könige wie dem Vorgesetzten gegenüber, aber eben darum für das richtige Verständnis der geschichtlichen Vorgänge nur umso bedeutsamer.

Im Gegensatz zu den Untertanen behandelt Amenophis IV. seine Gemahlin Nofret-îte ebenso wie sein Vater die Königin Teje als sich völlig gleichstehend. Durchweg erscheint sie neben ihm in gleicher Größe; auch in die Gebetsformeln an den Sonnengott ist sie mit aufgenommen. In stärkster Abweichung von all seinen Vorgängern trägt er garkeine Bedenken, sich in rein menschlichen Verhältnissen darstellen zu lassen, im intimsten Verkehr mit Frau und Kindern oder in nachlässiger bequemer Haltung behaglich auf dem Stuhle sitzend, mit vollem Verzicht auf die Pose der Majestät.

Diese Ablehnung alles Traditionellen und daher Unnatürlichen hat ferner bewirkt, daß die neuen Gebetsformeln nicht mehr in der klassischen, im Leben längst stark veränderten Sprache des Mittleren Reichs abgefaßt sind, sondern zum erstenmal in der offiziellen Literatur die modernen Sprachformen (das » Neuägyptische«) verwenden. Auch darin zeigt sich, daß die Bewegung das gesamte geistige Leben ergriffen hat und von Grund aus umzugestalten versucht.

Für die Annahme der wahren Religion hat der König mit Wort und Tat eifrig gewirkt. Die Grabinschriften der Magnaten erwähnen oft, daß sie die »Lehre« vom König selbst empfangen haben und, wenn sie »die Wahrheit lieben und die Lüge verabscheuen«, damit den Mahnungen und dem Vorbild folgen, das er ihnen gegeben hat. An sanftem Druck und an Mitteln »zur Gewinnung der Herzen«, wie Mohammed sich in ähnlicher Lage ausdrückte, fehlte es nicht: wer sich [388] für überzeugt erklärte und eifrig mitwirkte, durfte auf reiche Belohnung und rasche Beförderung zu hohen Ämtern hoffen; erwähnt ist schon, daß die Darstellung der Belohnungen, die Verleihung der goldenen Ketten und Schmucksachen, die König und Königin vom Audienzfenster des Palastes aus dem Geehrten zuwarfen, vom Grabe des Vezirs Ra'mose an in den Grabreliefs ständig wiederkehrt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 380-389.
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