Der Ausgang Echnatens und die Reaktion. Tut'anch-amon und Ḥaremḥab.

Wiederunterwerfung Palaestinas

[397] Durch die Übersiedlung nach Amarna hat Echnaten sich innerlich von seinem Reich und Volk geschieden. Er hat seinen Eid gehalten, die Grenzen des abgesteckten Gebiets nicht wieder zu überschreiten. Damit hat er freilich keineswegs das [397] übrige Land sich selbst überlassen; im Gegenteil, sein Gebot herrschte von Napata bis nach Syrien hinein759, und die Bekämpfung der alten Götter wurde im ganzen Niltal durchgeführt. »Die Tempel«, so schildert sein Nachfolger Tut'anch-amon den Zustand des Landes, »aller Götter und Göttinnen von Elephantine bis zum Delta lagen in Trümmern, ihre Kapellen verfielen und wurden zu Ruinen, auf denen Gras wuchs, ihre Sanktuare waren, als ob sie nie existiert hätten, ihre Häuser wurden zu Promenaden.« Alles Tempelgut mit dem reichen Grundbesitz und den Scharen der Hörigen war offenbar für den Staat eingezogen; daraus werden die Mittel für den prächtigen Ausbau der Sonnenstadt beschafft worden sein. Aller Widerstand wurde gewaltsam niedergehalten. Indessen auf eine unmittelbare, persönliche Einwirkung, auf eine weitere aktive Propaganda hatte Echnaten jetzt verzichtet, er lebte in seiner Welt für sich, umgeben von seinen Truppen und von devoten Dienern und Beamten, denen sein Wort Gottesoffenbarung war.

So erfahren wir denn auch nur wenig von den weiteren Vorgängen unter seiner Regierung. Mit großer Freude hat er den Besuch begrüßt, den (etwa im 9. Jahre) seine Mutter der neuen Residenz abstattete; sie bekundete dadurch, daß sie sein Werk anerkannte. Im Grabe ihres Hofmarschalls Ḥui ist eingehend dargestellt, wie sie mit Sohn und Schwiegertochter zusammen speist und wie sie von diesen in eine für sie erbaute Kapelle des Tempelbezirks geführt wird, die den Namen »Schatten des Rê' der Königinmutter Teje« erhält- [398] gleichartig benannte Kapellen gab es auch für die Königin und ihre älteste Tochter; die Symbolik, die dem Namen zugrunde liegt, ist für uns nicht erkennbar.

An Versuchen, den Herrscher zu beseitigen und die alten Zustände wieder herzustellen, wird es nicht gefehlt haben. Im Grabe des Maḥu, des Obersten der Polizei (der Mazoi), ist ausführlich eine Szene dargestellt, wie diesem an einem Wintertage – das Kohlenbecken mit loderndem Feuer steht vor ihm – eine aufregende Meldung gebracht wird; er besteigt seinen Wagen und bringt die Gefangenen ein, die er dem Vezir und den höchsten Zivil- und Militärbeamten vorführt, einen kahlköpfigen Ägypter und zwei Ausländer mit spitzem Bart und langem Haar; der Vezir, hocherregt, bricht in den Segenswunsch über Aten und den König aus. Das ist offenbar kein alltägliches Ereignis, sondern die glückliche Entdeckung eines Attentats und daher als Höhepunkt seiner Amtstätigkeit von Maḥu in seinem Grabe dargestellt760.

Wie ergebnislos die Versuche des Königs verlaufen sind, seine Herrschaft über Syrien zu behaupten, haben wir schon gesehn. In seinen dorthin gerichteten Erlassen redet er als der allmächtige Gebieter, der seinen Untertanen gnädig gesinnt ist, aber die Rebellen energisch bestraft: »wisse, daß der König wohlbehalten ist wie die Sonne am Himmel; seinen zahlreichen Kriegern und Streitwagen vom oberen bis zum unteren Land, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang geht es sehr wohl«761. In Wirklichkeit dagegen vermochte er nichts mehr auszurichten und war außerstande, diese Streitmacht nach Asien zu schicken, weil er sie im Lande brauchte.

Seine Regierung hat jedenfalls bis in sein 18. Jahr gedauert, aber schwerlich viel länger. Ob er eines natürlichen Todes gestorben ist, wissen wir nicht; daß sein Tod mit dem Angriff der Chetiter zusammenfällt, legt die Vermutung nahe, daß er von Männern, die über seine Außenpolitik entrüstet [399] waren, beseitigt worden ist. Im Innern hat man zunächst versucht, seine Politik fortzusetzen; die Nachfolge erhielt, da er keinen Sohn hatte, S'akerê', der mit seiner ältesten Tochter Merit-aten vermählt war oder vermählt wurde. Ihre Namen und Bilder erscheinen unter der Sonnenscheibe in einem nur halb vollendeten Gemälde in dem unter Echnaten begonnenen Grabe des Merire' in Amarna, der wie von jenem so auch von dem neuen König mit dem »Golde« bekränzt wird762. Aber der Boden schwankte unter seinen Füßen; die Autorität des geborenen Königs konnte der angeheiratete Erbe nicht gewinnen. So kam die verwitwete Königin – offenbar Nefret-îte763 – auf den Gedanken, die Hilfe des Chetiterkönigs zu gewinnen und dadurch zugleich den von dort drohenden Angriff zu verhindern; sie bat ihn, da sie keinen Sohn habe, um einen seiner Söhne, den sie zu ihrem Gatten und zum König machen wolle, einen ihrer Knechte könne sie dazu nicht nehmen. Sie spricht also ganz als Regentin des Landes. Nach Beratung mit seinen Großen schickte Subbiluljuma einen Gesandten nach Ägypten, um zu ermitteln, ob das Angebot wirklich ernst gemeint sei; die Königin aber entsandte den Chani, eben den, den Echnaten verwendet hatte (o. S. 364. 368f.), als Bevollmächtigten mit einem Schreiben, das ihren Entschluß von neuem bekräftigte. Da ging Subbiluljuma, der eben jetzt Karkemiš nach heftigem Kampfe eingenommen und ausgeplündert hatte, darauf ein und entsandte einen seiner Söhne764.

[400] Aber inzwischen war in Amarna der volle Umschwung eingetreten. Der chetitische Prinz wird erschlagen, S'akerê' und die Königin verschwinden, an ihre Stelle tritt ein Knabe Tut'anch-aten, der mit der dritten Tochter Echnatens (die zweite war vorher gestorben) vermählt wird. Die halbfertige Sonnenstadt wird verlassen und sinkt in Trümmer, die Residenz wird nach Theben zurückverlegt, auf religiösem Gebiet aber setzt eine gründliche Reaktion ein. Der Tempel des Aten in Theben wird niedergerissen765, Name und Bild des Ketzerkönigs überall gründlich zerstört766, der Kult der alten Götter wieder aufgenommen; wir besitzen eine kleine Votivstele, auf der Tut'anch-aten noch unter diesem Namen dem Amon und der Mut huldigt767. Alsbald aber muß er seinen Namen »lebendes Abbild des Aten« in Tut'anch-amon umwandeln, und ebenso seine Gemahlin den ihren »sie lebt vom Aten« in 'Anches-en-amon.

Deutlich erkennt man, daß hinter dieser Bewegung Persönlichkeiten gestanden haben, die die Unhaltbarkeit des bisherigen Treibens erkannten, das den Weiterbestand des Reichs in Frage stellte und es zu einem Lehensstaat des Chetiterreichs zu machen drohte, und die daher entschlossen waren, zur alten Religion und Staatsform zurückzukehren. Es kann kein Zweifel sein, daß der eigentliche Leiter und der Organisator[401] des Staatsstreichs der spätere König Ḥaremḥab gewesen ist. Ḥaremḥab stammte aus einem vornehmen Geschlecht in der mittelägyptischen Stadt Ḥat-nesut(Alabastronpolis im 17. Gau); auf den Schutz ihres Gottes Horus führt er seine Laufbahn zurück. Er muß schon unter Echnaten eine führende Stellung in der Armee eingenommen haben; wahrscheinlich ist er identisch mit dem »General der Truppen des Königs und Vorsteher der Arbeiten in Acht-aten (Amarna)« Pa-atenemḥab, der sich in Amarna ein Grab angelegt hat, das über die ersten Anfänge nicht hinausgekommen ist, also dem Ende der Regierung Echnatens angehört768; er hat dann also, der herrschenden Sitte sich fügend, seinen Namen »Horus am Feste« in »der Aten am Feste« umgewandelt. Selbst nach der Krone zu greifen war für ihn noch zu früh; so wahrte man den Schein der Legitimität, indem man ein willenloses Kind auf den Thron setzte und mit der Erbtochter vermählte769, während alle Macht in den Händen Ḥaremḥabs lag.

Über die Stellung, die Ḥaremḥab unter diesem König einnahm, erhalten wir Kunde wie später durch die Inschrift über seine Thronbesteigung so vorher durch die Inschriften und Skulpturen des Grabes, das er sich damals in Sakkara [402] angelegt hat770; das zeigt zugleich, daß er, der Lage des Reichs entsprechend, die Regierung von Memphis, nicht von Theben aus geführt hat. Seine Titulatur bezeichnet ihn ganz unverhüllt als den allmächtigen Gebieter des Reichs; er ist der Größte der Großen, der Kommandant der Kommandanten, das Oberhaupt der vertrauten Räte, vom König an die Spitze der beiden Lande gestellt, um sie zu regieren, vor allem aber der Generalissimus der Truppen des Königs. »Ich habe die Gesetze des Königs festgestellt,« sagt er auf seiner Statue; »das Herz des Königs war zufrieden, mit seiner Verwaltung«, heißt es in der Thronbesteigungsinschrift, »er war entzückt über seine Wahl; daher machte er ihn zum Oberhaupt des Landes, damit er die Gesetze der beiden Lande als Fürst (rp'ti) dieses gesamten Landes durchführe, er allein ohne einen zweiten. Das Volk ›bewunderte‹ die Aussprüche seines Mundes. Wurde er vor den Herrscher gerufen, so begann der Palast zu zittern; aber wenn er seinen Mund öffnete, dem König zu antworten, so erfreute er ihn durch seine Aussprüche,« die sich an das von Thout und Ptaḥ gewiesene Herkommen hielten. »So verwaltete er die beiden Lande viele Jahre hindurch; die Verwaltungsbehörden (ẕaẕat) neigten sich vor ihm am Portal des Palastes, die Fürsten der Fremdvölker des Südens und Nordens erhoben preisend die Hände wie zu einem Gott. Alles geschah nach seinem Befehl, man wünschte ihm Heil und Gedeihen« – ein sonst nur dem König zustehender Segenswunsch – »und grüßte [403] ihn als Vater der beiden Lande.« Daß der in diesen Texten niemals genannte König, unter dem er diese Stellung einnahm, Tut'anch-amon gewesen ist, wird dadurch bestätigt, daß eine Sitzstatue aus seinem Grabe einen an ihn gerichteten Erlaß Tut'anch-amons in der Hand hält771.

Die wichtigste Aufgabe, deren Lösung die Usurpation begründete und rechtfertigte, war der Krieg gegen die Chetiter. Natürlich hat Subbiluljuma nach dem Untergang seines Sohnes einen Bachekrieg unternommen. Nach dem Bericht seines Nachfolgers Mursil II. hat er Fußvolk und Kriegswagen der Ägypter besiegt und zahlreiche Gefangene fortgeschleppt772. Die ägyptischen Nachrichten dagegen reden von einem Siege über die Asiaten und von reicher Beute. Der Widerspruch löst sich dadurch, daß nach dem chetitischen Bericht bei den Gefangenen eine Seuche ausbrach, die auch die Sieger ergriff und das Reich zwanzig Jahre lang heimgesucht hat773. Dadurch wurde es Subbiluljuma unmöglich, seinen Sieg weiter zu verfolgen; er mußte den Krieg abbrechen. Aber auch die Ägypter haben einen Angriff auf das Chetiterreich nicht gewagt, unter den Gefangenen Ḥaremḥabs finden sich keine Chetiter. So besteht fortan tatsächlich ein Friedenszustand zwischen beiden Reichen774. Dadurch ist es den Ägyptern möglich geworden, wenigstens in Palaestina erfolgreich einzugreifen. Der Sieg, in dem Ḥaremḥab die Asiaten schlug und zu dem er den König mitgenommen hat775, ist offenbar hier gegen die rebellischen Dynasten und die Chabiru erfochten worden. [404] Prachtvolle Reliefs aus seinem Grabe zeigen in scharf charakterisierten Porträts die Scharen der mitgebrachten Gefangenen, darunter außer Semiten nicht wenige Gestalten mit ganz andersartigen, durchaus europäisch anmutenden Zügen, eben die arischen Marjanni (o. S. 34 und Taf. I), die ja gerade in Palaestina stark vertreten waren; wenn Namen dabei ständen, würden wir darunter gewiß manche aus den Amamabriefen bekannte Dynasten wiederfinden.

Diese Reliefs, und ebenso die nur teilweise erhaltenen Gestalten des Königs und der Königin, denen Ḥaremḥab die Gefangenen vorführt, sind ganz in dem Stil von Amarna gearbeitet; aber mit Unrecht hat man daraus gefolgert, daß diese Szene und der ihr vorangehende Krieg unter Echnaten gespielt habe. Nichts weist auf diesen oder den Atenkult hin, vielmehr erscheint Ḥaremḥab hier durchaus als Verehrer des Amon, Rê', Horus und der übrigen Götter, und spricht die üblichen Totengebete an Osiris. Er wird die Künstler des Grabes aus Amarna mitgebracht haben, als dieses verlassen wurde.

Die Vorgeschichte des Feldzugs ist in dem der geschilderten Szene rechts gegenüberstehenden Relief dargestellt. Hier fleht eine Schar bärtiger Asiaten den Ḥaremḥab fußfällig an, zum Teil, wie in den Amarnabriefen, »auf Bauch und Rücken geworfen«; unter ihnen befinden sich auch zwei Libyer und ein Neger. Dahinter stehn andere Asiaten in syrischer Tracht mit ihren Pferden, alle unbärtig, aber mit einer langen über die Schläfe herunterhängenden Haarflechte und einem Zopf, in denen wir auch wieder Marjanni werden erkennen dürfen. Die Reste der zugehörigen Inschrift776 schildern ihre Lage: [405] ihre Ortschaften sind niedergebrannt, ihre Felder verwüstet, andere an ihre Stelle getreten, ihre Länder hungern, sie leben wie Ziegen in den Bergen, und so flehen sie den Pharao an, sein mächtiges Schwert zu senden. Ein Dolmetscher trägt dem im Schmuck der Goldketten vor ihnen stehenden Ḥaremḥab ihr Gesuch vor und überbringt ihnen dessen Bescheid, daß der Pharao die Maßregeln zum Schutz ihrer Gebiete angeordnet hat.

Diese Schilderung deckt sich vollständig mit den ständigen Notschreien der Amarnabriefe. Mit ihnen hat Ḥaremḥab in diesem Bilde, wie die Libyer und der Neger unter den Gesuchern zeigen, sogleich die gleichartigen Zustände auf afrikanischem Boden verbunden. Auch hier hat er die erschütterte Autorität des Reichs wiederhergestellt. In dem Fragment einer Beischrift, die offenbar zu der verlorenen Darstellung der nubischen Beute gehört, war von seinem Feldzug nilaufwärts, gegen Kuš, als königlicher Legat die Rede. Dann heißt es: »er fuhr nordwärts. Da erschien der König auf dem Tribunal für die Vorführung der Tribute, und der Tribut des Nordens und Südens wurde gebracht, während der Fürst Ḥaremḥab dabei stand«777. Daß der König auch hier Tut'anch-amon ist, wird dadurch bewiesen, daß dieselbe Szene in dem Grabe des Ḥui, des »Königssohns von Kuš von Eileithyia bis Napata oder Kari« (o. S. 81, 1), dargestellt ist, natürlich mit Weglassung des Ḥaremḥab; hier führt Ḥui dem unter dem Baldachin sitzenden Tut'anch-amon die Tribute aus Syrien (Rezenu) und Nubien (Kuš) vor778.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 397-406.
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