Die Darstellung der Bewegung in der Überlieferung bei Manetho

[420] Zu einer wirklichen Geschichtsschreibung sind die Ägypter so wenig gelangt wie die Babylonier. Dem praktischen Bedürfnis genügten die Königslisten und die unter jeder Regierung offiziell geführten Jahrbücher, aus denen uns in einzelnen Königsinschriften, wie denen Thutmosis' III., und sonst einige wenige Reste erhalten sind. Daneben stehn populäre Erzählungen sagenhaften Charakters, wie die vom Hyksos könig [420] Apopi oder von der Einnahme von Joppe durch einen Offizier Thutmosis' III. Die Art, wie diese Volksüberlieferung später die Geschichte der religiösen Krisis dargestellt hat, ist für die Denkweise der Ägypter in den Zeiten des vollen Niedergangs so charakteristisch, daß wir sie nicht übergehn dürfen. Erhalten ist sie in einem von Josephus bewahrten Fragment Manethos, der sie, wie er angibt, nicht aus den Chroniken, sondern aus populärer Tradition aufgenommen hat806. Er versetzt die Vorgänge unter einen König Amenophis, der kein anderer ist als Merneptaḥ, der Sohn Ramses' II., nach dem Ägypten einer Invasion aus Syrien erlag; wiederhergestellt wird die Unabhängigkeit des Reichs durch Ramses III. (richtiger bereits durch dessen hier übergangenen Vater Setnacht), der hier zum Sohn des Amenophis gemacht wird. Aber dieser Merneptaḥ wird zugleich mit Amenophis IV. Echnaten gleichgesetzt – daher die Namensform Amenophis – und die Invasion auf eine religiöse Revolution in Ägypten selbst zurückgeführt; von der Volkstradition sind mithin zwei Vorgänge zusammengeworfen, die in Wirklichkeit durch rund zwei Jahrhunderte voneinander getrennt sind807. Die Erzählung lautet:

»König Amenophis hatte den Wunsch, die Götter zu schauen wie vor ihm König Hor808, und wandte sich deshalb [421] an den weisen Amenophis, den Sohn des Paapis. Dieser erklärte, sein Wunsch könne erfüllt werden, wenn er das ganze Land von den Aussätzigen und den sonstigen durch körperliche Gebrechen Befleckten reinige. Der König läßt sie alle, 80000 Mann, darunter auch einige angesehene Priester, zusammenbringen und zur Zwangsarbeit in die Steinbrüche östlich vom Nil bringen. Der weise Amenophis aber fürchtet den Zorn der Götter und sieht kraft seiner Sehergabe voraus, daß die Befleckten auswärtige Hilfe finden und dreizehn Jahre lang über Ägypten herrschen werden. Dies dem König zu sagen, wagt er nicht; er schreibt es auf und gibt sich den Tod. Da wurde der König mutlos. Als aber längere Zeit vergangen war, gestattete er ihnen, um ihre Lage zu mildern, sich in der jetzt öde daliegenden ehemaligen Hyksosstadt Auaris, der Stadt des Typhon (Seth) niederzulassen. Hier wählen sie einen Priester Osarsiph aus Heliopolis zum Oberhaupt und schwören, ihm in allem zu gehorchen. Er befiehlt, weder die Götter zu verehren, noch sich der in Ägypten als heilig geltenden Tiere zu enthalten, sondern sie zu schlachten, und mit niemandem außer den Mitverschworenen zu verkehren, wandelt auch alle herkömmlichen Sitten. Auaris läßt er befestigen und zum Kriege rüsten; als Bundesgenossen ruft er die von Amosis809 verjagten Hirten herbei, die sich in Jerusalem festgesetzt hatten. Die kommen mit einem Heere von 200000 Mann. König Amenophis weiß durch die Prophezeiung, was ihm bevorsteht; so läßt er die heiligen Tiere zusammenbringen, die Götterbilder sorgfältig verbergen; seinen fünfjährigen Sohn Ramses810 bringt er bei einem Freunde in Sicherheit. Er selbst tritt mit 300000 Kriegern den Asiaten bei [422] Pelusion entgegen811, wagt aber keinen Kampf, da er nicht gegen die Götterkämpfen will, sondern zieht unter Mitnahme des Apis und der übrigen heiligen Tiere nach Äthiopien, wo der König ihn und sein ganzes riesiges Heer aufnimmt und verpflegt – daß Äthiopien (d.i. Nubien, Kuš) damals eine Provinz des Pharaonenreichs war, ist vergessen, und um die von der Natur gegebenen Bedingungen kümmert sich diese Erzählung so wenig wie z.B. die vom Aufenthalt der Israeliten in der Sinaiwüste. Die Hirten aus Jerusalem aber bemächtigten sich mit den Befleckten zusammen des ganzen Landes, steckten Städte und Dörfer in Brand, plünderten die Tempel, verstümmelten die Götterbilder; ja, sie verwandelten die Sanktuare in Küchen, zwangen die Priester und Propheten, die heiligen Tiere zu schlachten, und warfen sie besitzlos hinaus. So hausten sie, bis die dreizehn Jahre um waren. Da kehrte Amenophis mit einem großen Heer aus Äthiopien zurück, sein Sohn Ramses stieß mit anderen Truppen zu ihm; sie besiegten die Hirten und die Befleckten und verjagten sie unter großem Gemetzel nach Syrien.«

Die Invasion der Asiaten und die abschließenden Ereignisse gehören in die Zeit vor Ramses III.; das Treiben der Befleckten dagegen, die Verfolgung der Götter und Schlachtung der heiligen Tiere, schildert deutlich das Wüten Echnatens und seiner Anhänger gegen die ägyptische Religion. Dazu gehört auch der Priester von Heliopolis Osarsiph als Führer der Bewegung812. Benutzt ist die Erzählung zugleich, um den Juden einen gehässigen und verächtlichen Ursprung [423] anzuhängen; Osarsiph soll seinen Namen in Moses gewandelt haben813. Damit verbunden ist dann das seit alters entwickelte Schema der ägyptischen Prophetie, die eine durch den Zorn der Götter herbeigeführte Katastrophe verkündet, in der die ausländischen Feinde sich der Herrschaft bemächtigen, das Land ausplündern, die Tempel zerstören, die soziale Ordnung umstürzen, bis dann ein gottgeliebter König ersteht, die Feinde verjagt, und in langer, gesegneter Regierung die alten Ordnungen wiederherstellt814. Zu dem Schema gehört auch die Flucht des Königs nach Äthiopien, die ebenso in der Nektanebossage wiederkehrt. Der Verkünder der Prophezeiung in der Osarsiphsage, Amenophis, der Sohn des Paapis, ist eine wohlbekannte Persönlichkeit, Leiter der Bauten unter Amenophis III.815. Vor allem durch seinen Totenkult hat sich [424] sein Gedächtnis erhalten, und so gilt er der Spätzeit als ein Weiser, »dessen Name ewig bestehn bleibt und dessen Sprüche nicht vergehn werden«816, und ist in der ptolemäischen Zeit geradezu zum Gott geworden. So erklärt sich, daß er in der manethonischen Erzählung zum Träger der Prophezeiung gemacht wird, die das von Amenophis IV. über Ägypten gebrachte Unheil verkündet – wozu im übrigen seine wirkliche Lebenszeit sehr gut paßt. Aus derselben Zeit, dem 3. Jahrhundert v. Chr., besitzen wir ein Ostrakon, das seine Mahnsprüche in griechischer Sprache enthält; in Wirklichkeit freilich sind diese Sätze aus griechischen Spruchsammlungen entnommen817. Eine weitere Parallele bietet ein griechischer Papyrus, der die Übersetzung einer »Verteidigungsrede des Töpfers vor König Amenophis – also demselben König, wie bei Manetho – über die Ägypten bevorstehenden Schicksale« enthält: der Töpfer verkündet die Heimsuchung und Verödung des Landes durch die typhonischen, aus Syrien kommenden »Gürtelträger« und dann den Untergang der Stadt am Meere – d.i. Alexandrias – und das Wiederaufblühen des Landes unter dem vom Sonnengott abstammenden, von Isis beschützten König, dem eine gesegnete Regierung von 55 Jahren verheißen wird818. Diese Prophezeiung stammt also aus der Zeit, wo die Ägypter [425] sich seit Ptolemaeos V. gegen die griechische Herrschaft erhoben, und soll die Wiederaufrichtung des Pharaonenreichs vorbereiten819. Auch darin berührt sich dieser Text mit der Erzählung Manethos, daß der Töpfer vor Abschluß seiner Verkündung tot zusammenbricht, ebenso wie das Lamm, das dem König Bokchoris das kommende Unheil prophezeit820; beide werden dann vom König feierlich bestattet.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 420-427.
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