Die Restauration der Orthodoxie und des Staats

[406] Neben den äußeren Kriegen ging die Restauration im Innern einher. In einer großen Inschrift im Tempel von Karnak779 berichtet Tut'anch-amon ausführlich über die Wiederherstellung des Kultus. Voran geht eine Schilderung des traurigen Zustandes, in dem sich das Land bei seiner Krönung befand, der Verödung der Tempel, der Erfolglosigkeit der Truppen in Phoenikien (S. 379). »Die Götter hatten diesem Lande den Rücken gewandt; wenn man einen Gott anflehte, um ein Orakel von ihm zu erhalten, kam er nicht; wenn man eine Göttin anrief, kam sie ebensowenig.« Jetzt aber hat ein König den Thron bestiegen, den Amon selbst gezeugt, Kamutf (»der Stier seiner Mutter«) gebildet, die Seelen von Heliopolis insgesamt gestaltet haben, einen immerwährenden König, einen Horus, der ewig dauert, einen guten Herrscher, der für das Gedeihen aller Götter, seiner Väter, wirkt. Er herrscht über die Lande des Horus, Ägypten und das Ausland, jedes Land beugt sich vor ihm. »Er hat wiederhergestellt, was verfallen war von den Denkmälern der Vorzeit, er hat die Lüge niedergeschlagen und die Wahrheit befestigt« – die Schlagworte Echnatens erhalten jetzt die umgekehrte Bedeutung. In einer Thronsitzung im Palaste Thutmosis' I.780 wurden die entscheidenden Beschlüsse gefaßt. Vor allem erhielten die beiden großen Reichsgötter Amon von Theben und Ptaḥ von Memphis große, die früheren noch überragende, mit Edelsteinen geschmückte Statuen von Gold. Aber auch alle anderen Götter wurden bedacht, ihre Tempel und Einkünfte [407] wiederhergestellt, Barken für die Götterprozessionen auf dem Nil gebaut. Für ihren Dienst wurden wieder Priester und Propheten bestellt »aus den Kindern der Magnaten ihrer Städte (der Städte der Lokalgötter), Söhne von Leuten mit bekannten Namen« – im Gegensatz zu den Emporkömmlingen, die Echnaten befördert hatte. Die Schatzkammern wurden aufgefüllt, zahlreiche Sklaven und Sklavinnen, vor allem aus der Kriegsbeute, den Tempeln überwiesen und durch Reinigungszeremonien geweiht, ebenso die für den Kultus unentbehrlichen Chöre der Musikantinnen und Tänzerinnen.

Sehr anschaulich tritt uns diese Wiederaufnahme des alten Kultus im Tempel von Luxor entgegen. Wie überall, werden auch hier die ausgemeißelten Namen und Bilder Amons wieder eingesetzt; der unter Amenophis III. noch nicht zum Abschluß gelangte Bau wird wieder aufgenommen, die Wände des großen Säulengangs am Eingang im Namen Tut'anch-amons mit einer Darstellung der Götterprozession am Neujahrstage geschmückt. Was in diesen offiziellen Denkmälern unter dem Namen Tut'anch-amons erscheint, ist jedoch in Wirklichkeit das Werk Ḥaremḥabs. Daher hat dieser, als er König geworden war, überall, und so auch in Luxor und in dem großen Erlaß, seinen Namen an Stelle des seines Schützlings gesetzt781. Das ist keine Verfolgung eines Usurpators, sondern er hat damit nur auch offiziell an sich genommen, was tatsächlich von ihm geschaffen war.

Tut'anch-amon hat die Jahre, in denen er mannbar wurde, nicht lange überlebt782. Zu seinem Nachfolger wurde wieder ein Mann aus der Umgebung Echnatens erhoben, der unter ihm sich ein Grab in Amarna angelegt hatte und hier als eifriger Verehrer des Aten erscheint, Eje (Ai), der Gemahl [408] der Teje, der »Amme« der Königin Nofret-îte783. Er hat seinem Vorgänger das Grab im Tal der thebanischen Königsgräber ausgerichtet, und dadurch, daß dieses Grab allein von allen unversehrt mit der vollen, geradezu unermeßlichen Ausstattung an Kunstwerken und Kostbarkeiten aller Art, darunter auch dem Sarge von massivem Gold, erhalten geblieben ist784, ist dieser König, einer der unbedeutendsten von allen, gegenwärtig vielleicht der populärste unter allen Pharaonen geworden – eine Ironie des Zufalls, die besonders anschaulich ins Bewußtsein führt, wie stark unsere Geschichtserkenntnis vom Spiel des Zufalls abhängig ist.

Was den Anlaß zu Ejes Erhebung gegeben hat, ob Ḥaremḥab einer Gegenströmung nachgeben mußte, ob er seine Zeit noch nicht gekommen glaubte und das Streben mitwirkte, wenigstens äußerlich noch einen gewissen Zusammenhang mit der alten Linie aufrecht zu erhalten, läßt sich nicht erkennen785. Nicht unmöglich ist, daß in Theben eine Faktion zur Macht gelangte, die er dulden mußte, während er selbst in Memphis die Regierung führte.

[409] Eje hat seine Regierung benutzt, um sich ein großes Grab abseits vom Haupttal der Königsgräber neben dem Amenophis' III. anzulegen. Er hat nur wenige Jahre regiert786. Ob er gewaltsam beseitigt worden ist, wissen wir nicht. Ḥaremḥab übergeht natürlich in der Darstellung seiner Thronbesteigung diese Vorgänge vollständig und begnügt sich mit der Wen dung, daß nach vielen Jahren seiner Regentschaft sein Schutzgott Horus von Ḥat-nesut den Wunsch empfand, ihn auf seinen ewigen Thron zu setzen, mit ihm nach Theben zog und ihn vor Amon-rê' führe. Dieser – der zu dem Zweck aus seinem Tempel in Karnak in den von Luxor zog, wo die Krönungszeremonien vollzogen wurden – gab freudig seine Zustimmung, die Uraeusschlange wurde an seiner Stirn befestigt787, alle Schutzgötter des Reichs begrüßten den Erwählten Amons mit Jubel und setzten seine Königsnamen fest. Aber er hat Ejes Namen überall ausgetilgt, wo er sich vorfand, auch in seinem Grabe, ihn also als illegitimen Usurpator betrachtet788; das zeigt deutlich, daß der Thronwechsel gewaltsam und gewiß nicht ohne Blutvergießen erfolgt ist. Ḥaremḥab hat zugegriffen, als er den Moment gekommen glaubte, den letzten Schritt zu tun, damit aber zugleich den bisher noch zum Schein aufrecht erhaltenen Zusammenhang mit dem alten Herrscherhause zerrissen und eine neue Dynastie, die neunzehnte, begründet.

[410] Ḥaremḥab hat als König das Werk der Restauration vollendet. »Vom Delta bis nach Nubien« werden die Tempel und die Götterbilder wiederhergestellt und ihr Besitz wieder auf den alten Stand gebracht789. In Karnak hat er für zwei neue Pylonen im Süden des Tempels die Steinblöcke des zerstörten Atentempels verwendet. In Bruchstücken erhalten ist uns ein großes Edikt, das die Strafbestimmungen gegen die Erpressungen und Bedrückungen durch die Beamten und Steuererheber, gegen die Räubereien der Truppen, gegen parteiische und ungerechte Richter umfassend neu regelt; in schweren Fällen wird die Todesstrafe, in anderen Abschneidung der Nase und Einsperrung in die Grenzfeste Sile am Isthmus790, für Soldaten, die den Bauern die dem Fiskus zufallenden Tierhäute rauben, hundert Stockschläge mit fünf offenen Wunden verhängt. Deutlich sieht man, wie arg infolge der religiösen Wirren Verwilderung und Zuchtlosigkeit um sich gegriffen hat. Bezeichnend für die Tendenz der Regierung ist, daß er sich in einem Falle auf das Vorgehn Thutmosis' III. beruft. Ḥaremḥab rühmt sich, daß er das Niltal in seiner ganzen Ausdehnung bereist, die Zustände in allen Einzelheiten genau kennen gelernt, tüchtige, gut vorgebildete Beamte ausgesucht und in die Richterkollegien der beiden Hauptstädte eingesetzt habe. Der eigentliche Sitz der Regierung ist unter ihm, wie schon in seiner Regentschaft, Memphis geblieben791; so sehr auch von ihm und seinen Nachfolgern Theben weiter mit prächtigen Bauten geschmückt und der Primat seines Gottes Amon betont wird – auch die Grabstätte der Könige ist es noch lange geblieben, auch Ḥaremḥab hat sich hier als König ein neues Grab angelegt –, so ist doch [411] die eigentliche Glanzzeit Thebens mit dem Auf treten Echnatens zu Ende, das Schwergewicht der von der Natur des Landes gegebenen Bedingungen setzt sich wieder durch.

Ḥaremḥab hat mindestens ein Vierteljahrhundert als König regiert792. Über die auswärtigen Beziehungen haben wir nur sehr dürftige Kunde, vor allem, weil die Wand zwischen seinen Pylonen, deren Reliefs diese Vorgänge darstellten, bis auf geringe Reste zerstört ist793. Einen Kriegszug hat er nach Kuš unternommen – seine triumphierende Heimkehr ist an der Wand einer Felskapelle in Silsilis dargestellt –; aus Punt hat ihm eine Gesandtschaft reiche Gaben, vor allem Säcke Gold, gebracht; andere Bruchstücke beziehen sich auf einen Kriegszug nach Syrien, aus dem er Gefangene und Beutestücke aller Art, vor allem Prunkgefäße, dem Amon darbrachte794. Außerdem nennen die Reste einer Völkerliste Ortschaften aus Nordsyrien, darunter auch die Chetiter; ob daraus aber ein neuer, sonst weder in den ägyptischen noch in den chetitischen Denkmälern erwähnter Krieg mit diesen erschlossen werden darf, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden795.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 406-412.
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