Die untertänigen Gebiete. Der Verkehr

[486] Mit dem Chetiterfrieden endet die zweite Epoche der ägyptischen Eroberungen. Fortan beschränken sich, wie ehemals Amenophis III., so jetzt auch Ramses II. und seine Nachfolger darauf, das Gewonnene festzuhalten und für die Zwecke des Reichs auszunutzen. Über die Organisation fehlen genauere Angaben; doch wird man nicht zweifeln, daß das Abgabensystem und ebenso die Stellung der Vasallenfürsten so geblieben ist, wie sie Thutmosis III. gestaltet hatte. An lokalen Unruhen wird es natürlich kaum je gefehlt haben. In Palaestina machten die Beduinen (Šos) fortwährend zu schaffen. Einer dieser aus dem Osten eingedrungenen Wüstenstämme, der Stamm Israel, hatte sich in dem bisher wenig besiedelten Waldgebirge Ephraim945 festgesetzt und wird hier geduldet, wird aber oft genug unbotmäßig gewesen sein: Ramses' Sohn Merneptaḥ rühmt in einer Prunkinschrift, in der er die von ihm bezwungenen Gebiete Palaestinas aufzählt (s.u. S. 577: »Israel« – durch das Determinativ als Stammname bezeichnet – »ist verwüstet und hat keinen Samen (d.i. Nachkommen)« – die einzige Erwähnung der Israeliten in den Denkmälern dieser Epoche und zugleich der entscheidende Beweis, daß sie damals längst [486] im Lande saßen946. Andere Raubscharen werden von Osten und Süden immer wieder eingefallen sein; wie unsicher die Straßen im Gebirge sind und wie der dorthin gesandte Offizier oft genug Überfällen der Beduinen (Šos) ausgesetzt ist, wird in einem Literaturwerk dieser Zeit anschaulich geschildert947. Im Tempel von Bet el Wali ist ein Sieg Ramses' II. über sie abgebildet, und eine gleichartige Darstellung, von der ein kleiner Rest erhalten ist, befand sich an der Südwand des Säulensaals von Karnak948. Eine Inschrift rühmt, Ramses II. habe »im Lande der Šos ein großes Gemetzel angerichtet, ihre Berglande erobert und in ›ihren‹ Festungen Bauten auf seinen Namen aufgeführt«949. Daneben wurde friedlichen Scharen, wie ehemals unter Ḥaremḥab und wie schon im Mittleren Reich (Bd. I, 289), gestattet, sich mit ihren Herden in den Grenzgebieten niederzulassen. Dafür kam vor allem das Wadi Tûmîlât in Betracht, das sich vom Delta her, aus der Gegend von Bubastis, als ein schmaler Streifen Kulturlandes durch das niedrige Wüstenplateau bis zum Timsâḥsee auf dem Isthmus hinzieht und durch das ein Schiffahrtskanal bis zum Roten Meer angelegt war (o. S. 117). Ramses II. hat dies Gebiet weiter erschlossen und hier mehrere ansehnliche Festungen erbaut, so in der Mitte Tell er Reṭâbe950, [487] aus dessen Tempelruinen die angeführte Inschrift stammt, wahrscheinlich die Stadt Pitom (»Haus des Atum«), weiter östlich, bei Tell el Mas-chuta, Sukkot (äg. Zeku). Ein in einer Briefsammlung erhaltenes amtliches Schreiben aus der Zeit Merneptaḥs berichtet, daß Beduinenstämmen (Šos) von Edom – das einzige Mal, daß dieser Name in den ägyptischen Texten vorkommt – »der Durchzug durch die Festung Merneptaḥs in Sukkot nach den Teichen von Pitom Merneptaḥs in Sukkot gestattet ist, damit sie und ihre Herden auf dem Gehöft des Pharao ihr Leben fristen können«951. Gleichartige Vorgänge bewahrt die israelitische Sage von der durch Hungersnot herbeigeführten Ansiedlung ihrer Ahnen, Abrahams und Israels mit seinen Söhnen – beide Erzählungen sind ursprünglich Dubletten – in Ägypten. Der Elohist, der einige Anschauung von Ägypten besitzt, läßt sie daher als Fronarbeiter die »Magazinstädte« Pitom und Ramses erbauen und nennt Sukkot als erste Station beim Auszug aus Ramses952. Die Landschaft, in der sie angesiedelt werden, nennt er Gosen, ein Name, der wohl sicher dem der Stadt Gesem, der Hauptstadt des 20. Gaus im östlichen Delta am Eingang des Wadi Tûmîlât, entspricht953, und hier zur Bezeichnung dieser ganzen Landschaft dient.

[488] Wie hier, wird auch an der Hauptstraße nach Asien in Sile scharfe Grenzwacht gehalten; aus der Zeit Merneptahs (J. 3) ist uns ein Bruchstück des Tagebuchs eines hier stationierten Beamten erhalten, der die durchpassierenden Offiziere und Beamten und die Briefe registriert, die sie an den Hof oder an die Festungskommandanten in Syrien mit sich führen954. Daß Auswanderung nicht gestattet war und die Flüchtlinge, die in der Fremde ein Unterkommen suchten, zurückgeliefert werden mußten, haben wir beim Vertrage mit Chattusil gesehn, ebenso aber, daß sich ein reger Geschäftsverkehr wie innerhalb des Reichs so mit den Nachbarstaaten entwickelte, wie mit dem Chetiterreich, so natürlich auch mit Babylonien und Assyrien. In den Phoenikerstädten wird sich mit dem Handel der Wohlstand ständig gehoben haben und damit der Grund für ihren gewaltigen Aufschwung in der folgenden Epoche gelegt worden sein955. In Palaestina hat das Pharaonenreich eine lebhafte Kulturtätigkeit entwickelt. Wie Sethos hat auch Ramses am Tempel in Betšean gebaut, und in seinem 34. Jahre, also zur Zeit des Ehebündnisses mit der Tochter Chattusils, hier einen Denkstein errichtet, auf dem er dem Amon – der offenbar auch hier eine Kultstätte erhielt – Prunkgefäße darbringt. Nicht weit von dem Denkstein seines Vaters im Haurân, bei Sech Sa'd in der Gegend von 'Aštarot, hat sich ganz verwittert ein großer Basaltblock erhalten, der sog. Hiobstein, [489] auf dem er eine einheimische Gottheit mit undeut barem Namen verehrt956. Gleichartige Denkmäler und Städtebauten, die sich unter Merneptah weiter fortsetzen, hat es in Palaestina gewiß vielerorts gegeben.

Auf dem Mittelmeer besaß das Reich eine ansehnliche Handels- und Kriegsflotte, mit dem Haupthafen in der Ramsesstadt957, und ein reger Seeverkehr bestand wie mit den asiatischen Küsten so mit der ägaeischen Welt. Mykenische Gefäße sind fortdauernd in Phoenikien und Palaestina und in stets steigendem Maße in Ägypten importiert worden, wo sie in ähnlicher Weise beliebt waren und daher auch vielfach nachgeahmt wurden, wie die chinesischen im 18. Jahrhundert in Europa958. Dagegen haben sich die Namen der Pharaonen der neunzehnten Dynastie in der ägaeischen Welt nirgends gefunden, wie denn auch diese Gebiete selbst in den renommistischen Inschriften Ramses' II. nicht mehr erwähnt werden. Die nahen politischen Beziehungen in der Blütezeit Kretas sind seit dessen Fall gelockert, Gesandtschaften mit Geschenken, wie unter Thutmosis III., kamen nicht mehr vor. Wohl aber zeigt der schon erwähnte Piratenzug der Šerdana, daß die Verhältnisse sich geändert haben; die Seevölker haben sich fühlen gelernt und die Vorstöße Europas gegen den Orient beginnen.

Sehr auffallend ist, daß auch von Punt unter Sethos und Ramses niemals die Rede ist, auch nicht in den verherrlichenden Prunkinschriften; denn daß sie in den stereotypen Völkerlisten neben afrikanischen Stämmen nach wie vor genannt [490] werden, beweist natürlich garnichts. Handelsfahrten auf dem Roten Meer wird es auch jetzt gegeben haben, wenn auch mit vielfachen Unterbrechungen; und man kennt und preist in Ägypten nach wie vor den Weihrauch und die Balsame von Punt und weiß auch, daß das große Meer, auf dem man nach Punt fährt, bis zur Euphratmündung reicht959, wenn man auch die Seefahrten wohl nie bis dahin ausgedehnt haben wird. Aber die Tribute von Punt, die noch Haremhab erhalten hat, sind jetzt schwerlich noch eingegangen; erst Ramses III. hat wieder eine Expedition dorthin entsandt.

Sowohl durch die Kriege wie durch den andauernden Verkehr sind ununterbrochen fremde Volkselemente ins Niltal eingeströmt, teils als Kriegsgefangene, die den Göttern oder den Soldaten und Magnaten als Sklaven überwiesen wurden, teils als Händler und Söldner und auch als Ansiedler, wie die Beduinen im Wadi Tûmîlât; in der Ramsesstadt, in Memphis, und gewiß auch in anderen Städten entstehn ganze Quartiere dieser kana'anaeisch-phoenikischen Zuwanderer, die ihre heimischen Gottheiten mitbringen. Physisch erfährt dadurch die Rasse eine stets wachsende Beimischung fremden Bluts, von Süden her mit Bedja und Negern – auch die Mumie Sethos' I. zeigt nubische Züge –, von Westen, in der Folgezeit immer mehr anwachsend, mit Libyern, von Osten mit Semiten; geistig dagegen hat das Ägyptertum mit seiner altgefesteten Kultur sich diese fremden Elemente assimiliert. Aber ununterbrochen strömen in diese Kultur mit den Waren und Industrieprodukten des Auslandes auch fremde Anschauungen ein, vor allem aus der semitischen Welt. Eine wirkliche Kunst freilich gab es in Phoenikien und Palaestina nicht, sondern nur eine handwerksmäßige Technik; daher reicht die von hier kommende Einwirkung in keiner Weise an die schöpferische Einwirkung heran, welche die Berührung [491] mit der kretischen Kultur unter der achtzehnten Dynastie gebracht hatte. Äußerlich jedoch tritt sie weit stärker hervor. Kana'anaeische Wörter dringen in Masse ins Ägyptische ein, nicht nur für die von dort bezogenen Waren und Waffen, Roß und Wagen, Streitaxt und Panzer, sondern ebenso z.B. der semitische Friedensgruß šalâm oder die Bezeichnung der Jungmannschaft (S. 430. 462); neumodische Schriftstücke und Literaturwerke erweisen durch solche fremden Wörter und Phrasen, daß sie wirklich auf der Höhe des Zeitgeschmacks stehn. Semitische Götter finden in stets wachsender Zahl Aufnahme in das ohnehin immer unabsehbarer anschwellende ägyptische Pantheon, so Qadeš (o. S. 101) und die Kriegsgottheiten Rešep und 'Anat (o. S. 457, 2), nach der z.B. Ramses II. nicht nur Rosse und Hunde, sondern auch seine Tochter Bent'anat benennt, sowie eine berittene, mit Lanze, Helm und Schild bewehrte Göttin 'Asit960. Ba'al erscheint ganz als Äquivalent des Seth, des Gottes des Auslandes, dessen seit der Hyksoszeit verfallener Kult, wie der von ihm abgeleitete Name des Königs Sethos (Setî) zeigt, im Königshause lebendig war und jetzt in den Deltastädten wieder eifrig gepflegt wird, so in dem von Ramses II. neu aufgebauten und mit Tempeln geschmückten Tanis. Kaum weniger tritt Astarte hervor, die große Göttin des Geschlechtslebens und der Fruchtbarkeit; in Memphis erhält sie im Semitenquartier südlich vom Tempel des Ptah einen Tempel und gilt daher als dessen Tochter; eine in einigen Bruchstücken erhaltene Legende erzählt, wie sie nach Ägypten geht, um hier ihren Kult zu begründen, und die Götterneunheit sie huldigend aufnimmt961. Welche Bedeutung [492] diesen Kulten zukam, zeigt deutlich, daß die vier Quartiere der Ramsesstadt bezeichnet sind durch einen Tempel des Amon im Westen, der Buto (der Schutzgöttin des Delta) im Norden, der Astarte im Osten, des Seth im Süden. Ebenso heißt eine der vier Legionen des Sethos und Ramses nach Seth, der so den drei Hauptgöttern Ägyptens, Amon, Rê' und Ptah, gleichberechtigt zur Seite steht.

Ein anschauliches Bild des Handelsverkehrs mit Vorderasien und der durch ihn eingeführten Waren gibt ein fingierter Brief aus den Schreiberheften dieser Zeit, der die Bedürfnisse des königlichen Hofs schildert962. Da erscheinen Möbel mit eingelegter Arbeit aus dem Amoriterlande und aus Qedi, chetitische Waffen, Wein und Obst aus dem Chetiterlande, Öle aus allen syrischen Landschaften, die zu Schiff kommen wie das Bier aus Qedi, Kupfer aus Cypern, Pferde aus Sinear, Stiere aus Chatti, ferner junge kilikische963 Sklaven, ausgezeichnet durch Schönheit und gewandtes Benehmen, die zur Bedienung des Königs bestimmt sind und später, wenn sie älter geworden sind, in der Küche und zum Brauen des Qedibiers beschäftigt werden. Diese schmucken Ausländer aus fernen Landen sind offenbar eine Rarität und daher weit höher geschätzt als junge Kana'anaeer und Neger, wenngleich auch diese schön gekleidet werden, um als Wedelträger zu dienen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 486-493.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon