Tempelbauten und bildende Kunst.

Die Schlachtgemälde

[496] Unter Sethos und Ramses hat sich, im engsten Zusammenhang mit der in ruhmreichen Kriegen gewonnenen Wiederherstellung des Weltreichs, das freilich den alten Umfang nicht mehr erreichen konnte, der Glanz der ägyptischen Kultur noch einmal voll entfaltet; sie erlebt einen zweiten Höhepunkt ihrer Entwicklung, der die Schöpfungen der Epoche Amenophis' III. noch zu überbieten strebt. Der Staat ist neu [496] gefestigt, die von den Göttern gewollte Weltordnung unerschütterlich begründet; so können die Mittel des Reichs in vollstem Ausmaß der höchsten ihm gestellten Aufgabe dienen, die Allmacht der Götter Ägyptens und ihres mit ihnen untrennbar verbundenen Sohnes zu verherrlichen und der Mitwelt und Nachwelt sinnfällig darzustellen. Es beginnt eine Bautätigkeit, wie sie die Welt in diesem Umfang niemals wieder gesehn hat. Sie setzt unter Ramses I. ein mit der Grundlegung des Säulensaales von Karnak; unter Sethos kommen außer Bauten in Memphis, Heliopolis und anderen Orten der große Osiristempel von Abydos und sein eigner Totentempel in Theben (Qurna) sowie sein gewaltiges Grab hinzu. Sein Sohn hat dann alle diese Bauten zum Abschluß geführt und nahezu in jeder Stadt des Niltals vom Delta bis zum zweiten Katarakt neue Tempel erbaut oder alte erweitert. Die Bauten in den Deltastädten und in Nubien sind schon erwähnt; in Memphis und Heliopolis sind sie, wie die gesamten Tempelbauten, nahezu restlos geschwunden. In Abydos hat er neben den prächtigen, von ihm vollendeten Osiristempel seines Vaters einen zweiten, kleineren gestellt, der seinem Totenkult im Reich des Osiris dienen soll und seine eigenen Taten verherrlicht. In Theben hat er dem unter Tut'anch-amon und Haremhab restaurierten Amonstempel von Luxor (Opet) einen großen Hof mit mächtigem Pylon vorgelegt, in dessen Säulengang eine Kapelle Thutmosis' III. einbezogen wurde. In Karnak hat er den großen Säulensaal vollendet; der gigantische Entwurf dagegen, der dem von Ramses I. begonnenen Werk den unentbehrlichen vorderen Abschluß geben sollte (o. S. 429), ist nicht ausgeführt worden – offenbar trat die Überzahl der anderen Bauten hindernd dazwischen –, orst in weit späterer Zeit ist der große erste Hof und schließlich unter den Ptolemaeern der abschließende erste Pylon vor den Säulensaal gelegt worden, bis dahin begnügte man sich mit einer Vorhalle, auf die vom Nilufer her eine Widderallee zuführte. Zu diesen Göttertempeln kommt dann in der Totenstadt an der Westseite des Nils [497] der große Tempel Ramses' II., das Ramesseum, von dem uns außer den mächtigen Ruinen auch die in allem Wesentlichen zutreffende Beschreibung erhalten ist, die unter Ptolemaeos I. Hekataeos von Abdera von dem Wunderbau gegeben hat.969

Alle diese Tempel sind nach dem unter Amenophis III. voll ausgebildeten Schema des Prozessionstempels angelegt; auch die Architekturformen sind die gleichen geblieben. Aber die vertikale Gliederung der ursprünglich als Bündel von Papyrusstengeln gedachten Säulenschäfte ist jetzt aufgegeben, sie sind zu kreisrunden Trägern der Überdachung geworden. Die alte Idee, daß aus dem Erdboden die in Blüten oder in Schilfbündel endenden Pflanzen aufragen, über denen das als Himmel gestaltete Dach schwebt, lebt noch darin nach, daß dieses Dach niemals unmittelbar auf dem Pflanzenkapitell aufliegt, sondern diesem noch ein schlichter Würfel als Träger des Gebälks aufgesetzt ist. Im großen Säulensaal von Karnak wird die Wirkung weiter durch die unverhältnismäßige Höhe der Bündelkapitelle970 und durch den riesigen Umfang der Säulenschäfte getrübt; in ihrer dichtgedrängten Stellung, die absichtlich jeden schrägen Durchblick ausschließt, erscheinen sie plump, der harmonische Eindruck des Tempels von Luxor wird nicht mehr erreicht. Überdies sind diese Säulen vollständig mit tief eingeschnittenen Inschriften und Skulpturen bedeckt, die ihren ursprünglichen Charakter vollends aufheben. Auch in Luxor hat Ramses, beseelt von unermeßlicher Eitelkeit, sich nicht versagen können, seinen Namen überall aufdringlich tief in die Säulen einschneiden zu lassen, in schroffem Gegensatz gegen die feinen, bescheiden auftretenden Inschriften Amenophis' III., und hat dadurch den vornehmen Bau aufs häßlichste entstellt.

[498] Neben Säulen werden in steigendem Maße Pfeiler verwendet, an denen Statuen des Osiris oder des Königs lehnen. Dazu kommt die geradezu unübersehbare Masse von stehenden und sitzenden Königsstatuen, mit denen Ramses II. seine Tempel füllte, bis zu den Riesenkolossen vor dem Tempel von Luxor (sechs, 14 Meter hoch, dazu sechs kleinere, aber immer noch 7 Meter hohe in seinem Säulenhof), im Ramesseum, in Memphis, deren Maße die Memnonsstatuen Amenophis' III. erreichen und sie durch das Material, harten Granit, noch überbieten. Kaum weniger zahlreich sind die Götterstatuen, und auch an Obelisken fehlt es nicht. Dazu sind alle Wände der Bauten, einschließlich der riesigen Pylonen am Eingang, vollständig mit Reliefgemälden geschmückt, die teils Kultszenen, teils die Siege des Königs darstellen und verherrlichen.

Zu all diesen Bauten tritt nun noch eine neue Gattung hinzu: die Felsentempel. Felsgräber mit Kammern und Hallen, geschmückt mit Reliefs und Inschriften, haben die Ägypter zu allen Zeiten geschaffen; unter der achtzehnten Dynastie sind sie in den Gräbern der thebanischen Totenstadt zu reichster Entwicklung gelangt, den Höhepunkt, sowohl durch die Riesendimensionen der Anlage wie durch die wunderbar feine Ausführung der Skulpturen und Inschriften, bildet das Grab Sethos' I. im Tal der Königsgräber. Ramses II. hat dann diese Bauweise auf seine Tempel in Nubien übertragen971. Den Anstoß mag der Wunsch gegeben haben, den schmalen Streifen Kulturlandes möglichst zu schonen; dazu aber kam der Reiz, den die Aufgabe bot. Der gesamte Bau mit der Pfeilerhalle, den Kulträumen und den Seitenkammern wird gewissermaßen in den Felsen hineingeschoben; besonders anschaulich zeigt sich dadurch zugleich, daß der ägyptische Tempel ganz aufgebaut ist auf die Idee des Weges zu der in geheimnisvollem [499] Dunkel liegenden Stätte tief im Innern, an der der Gott haust, und eine Wirkung nach außen nur durch die Gestaltung des Eingangs erstrebt. Neben den kleineren Fels tempeln von Bet el Wali, Gerf Husên (von dem »Königssohn von Kuš« Setau erbaut), Sebû'a und Derr steht der Riesentempel von Abusimbel, vielleicht das gigantischste Bauwerk der Erde. Keine Beschreibung und keine Abbildung vermag den Eindruck wiederzugeben, den es erzeugt. Auf einer Terrasse sitzen, aus dem Felsen gehauen, vier 20 Meter hohe Statuen des Königs; hoch oben, über der weithinauf geglätteten Hinterwand, begrüßt, nach altherkömmlicher Symbolik, eine Reihe von Pavianen den aufgehenden Sonnengott, während dann bei Tagesanbruch das Sonnenlicht von hier aus langsam hinabsteigt, bis es durch das Portal zwischen den Kolossen in den von acht Pfeilern getragenen Innensaal eindringt. Auch an jedem von diesen lehnt wieder eine 8 Meter hohe Statue des Königs in Gestalt des Osiris, alle aus dem Felsen gehauen; und alle diese Statuen, draußen wie drinnen, geben trotz der gewaltigen Dimensionen die Porträtzüge Ramses' II. lebensvoll wieder, einige in vorzüglicher Ausführung. Die Innenwände sind dann, wie überall, mit religiösen und geschichtlichen Darstellungen bedeckt, darunter vor allem das große Gemälde der Schlacht bei Qadeš. Dem modernen Menschen erscheint es unfaßbar, wie in wenigen Jahrzehnten972 ein solches Werk geschaffen werden konnte, das für sich allein den unvergleichlichen Ruhmestitel jeder anderen Epoche bilden würde; hier aber stehn all die anderen Tempelbauten daneben, und in Abusimbel selbst noch ein zweiter kleinerer Felsentempel, der seiner ersten Gemahlin Nofret-ari geweiht, also gleichfalls vor der Ehe mit der Chetiterin erbaut ist, am Eingang mit je drei Statuen des Königs und der Königin geschmückt.

Angesichts all dieser Bauwerke staunt man immer von [500] neuem über die geradezu unabsehbare Menge geschulter Arbeiter, die dieser Zeit zu Gebote standen, von den Steinmetzen und Maurern, den Kunsthandwerkern, den Vorarbeitern und den Lehrlingen der Bildhauerschulen bis zu den Meistern, die die Pläne und Zeichnungen entwarfen, die Ausführung überwachten und den plastischen Werken die letzte Vollendung gaben. Auf diese Schöpfungen des Königs ist aber die Kunsttätigkeit der Epoche keineswegs beschränkt; vielmehr gehn ihnen auch jetzt ununterbrochen die prächtig ausgestatteten Grabbauten der Magnaten zur Seite, vor allem in den Nekropolen von Memphis und Theben, denen wir gerade in dieser Zeit nicht wenige Kunstwerke ersten Ranges verdanken. Ermöglicht ist diese einer modernen Zeit gänzlich unfaßbare Entfaltung einer monumentalen Kunst nur dadurch, daß wie auf religiösem und staatlichem, so auch auf künstlerischem Gebiet die in der Amarnazeit erschütterte Tradition wieder die volle Herrschaft gewonnen hatte und damit die unverbrüchliche Sicherheit des Stils gewährte, welche die rasche Ausführung ermöglichte. Innerhalb der dadurch gesetzten Schranken ist jedoch in der Einzelgestaltung noch so viel Spielraum gelassen, daß die Individualität des Künstlers noch nicht erstickt ist und daher auch die in der Amarnazeit gegebenen neuen Anregungen noch nachwirken können.

Besonders deutlich tritt das in den Gemälden hervor. Die Technik ist unverändert die altherkömmliche geblieben, mögen, wie vielfach in den Gräbern, die Farben lediglich auf die mit Stuck überzogene Fläche aufgesetzt sein oder mögen, wie an den Tempelwänden durchweg, die Umrisse durch flaches oder durch versenktes Relief schärfer hervorgehoben und dadurch zugleich eine leichte plastische Wirkung erzielt sein; aber in der Wiedergabe der aus dem Leben gegriffenen Szenen, z.B. der Gelage und der dabei aufgeführten Tänze oder der Leichenzüge, herrscht reiches, buntbewegtes Leben, und die Darstellung ist von einer so feinen Empfindung durchweht, daß die Fortwirkung der Amarnakunst unverkennbar [501] ist. So entstehn Meisterwerke ersten Ranges, wie der Leichenzug aus einem memphitischen Grabe973, auf dem in dem großen, aus den höchsten Beamten und Priestern des Reichs bestehenden Gefolge jede Gestalt ihre Individualität wahrt und so trotz der über ihnen allen liegenden Trauer jede Monotonie vermieden ist. Gleichwertiges hat, in einem ganz anderen Stil, erst die griechische Kunst auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung wieder zu schaffen vermocht.

Im Gemälde hat die ägyptische Kunst in der Ramessidenzeit noch einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht. Wir haben früher gesehn, wie unter direkter Einwirkung der kretisch-mykenischen Kunst die Darstellung von Schlachten und Jagden langsam in Ägypten Eingang findet. Das hat dann unter Sethos I. zu dem oben beschriebenen Bilderzyklus geführt, der in langen Reihen von Einzelszenen den Verlauf seiner Feldzüge bis zur Vorführung der Gefangenen darstellt und sie mit dem altüberkommenen, längst symbolisch gewordenen Bilde abschließt, auf dem der König die Gesamtmasse der an einen Pfahl gebundenen feindlichen Häuptlinge vor Amon am Schopf faßt und niederschmettert. Ramses II. aber ist noch weit darüber hinausgegangen: er hat die Heldentat, auf die er vor allen anderen stolz war, den Sieg bei Qadeš, in ihrem gesamten Verlauf in zwei großen, unmittelbar aneinander anschließenden Tableaus zusammengefaßt, von denen das eine die Vorgänge im Lager von dem Verhör der abgefangenen Spione bis zum Einbruch der chetitischen Streitwagen, das andere die Schlacht vor der vom Fluß umströmten Festung bis zur Einbringung der Gefangenen und der Zählung der den Gefallenen abgeschnittenen Hände darstellt. Er hat diese Bilder nicht weniger als sechsmal an seinen Tempeln darstellen lassen: in Luxor am Pylon und an der Außenmauer des Tempels, im Ramesseum am Pylon und an der Innenwand des zweiten Hofs, in Abydos an der [502] Außenwand seines Tempels, in Abusimbel im Innern. Dabei sind, je nach den räumlichen Bedingungen, manche Einzelszenen verschieden verteilt und leicht modifiziert; aber zugrunde liegt überall der gleiche Entwurf, der von einem genialen Künstler geschaffen sein muß. Es ist eine der wichtigsten und lohnendsten Aufgaben der ägyptischen Kunstgeschichte, diesen Entwurf vollständig, mit den ursprünglichen Farben, zu rekonstruieren und in allen Einzelheiten nicht nur, wie bisher schon, geschichtlich, sondern auch künstlerisch zu analysieren974. Der Gedanke, den Gesamtinhalt des Ereignisses in einem auf einen Moment gestellten Idealbild zusammenzufassen, wie ihn in genialer Weise die Siegesstele Naramsins (Bd. I, 405) oder etwa das Mosaik der Alexanderschlacht verwirklicht hat, liegt dem ägyptischen Künstler ebenso fern wie etwa dem Polygnot in dem Gemälde der Marathonschlacht und der Zerstörung von Troja oder der gesamten mittelalterlichen Kunst bis in die Frührenaissance hinein; vielmehr sollen dem Beschauer alle Hauptmomente des Verlaufs im erzählenden Bilde anschaulich vorgeführt werden. Aber im Gegensatz zu dem Bilderzyklus des Sethos faßt jedes der beiden Gemälde die einzelnen, mit Liebe ausgestalteten Episoden975 [503] zu einer starken Gesamtwirkung zusammen. Den beherrschenden Mittelpunkt bildet in beiden die Riesengestalt des Königs; im Lager auf goldenem Thron sitzend, umgeben von seiner Leibgarde aus Ägyptern und Šerdana und von den höchsten Beamten, denen er wegen ihrer Unachtsamkeit Vorwürfe macht, während die eingefangenen Spione durch Schläge zur Aussage gezwungen werden, in der Schlacht auf dem Kriegswagen mit mächtigen Rossen in das Getümmel der feindlichen Wagen daherstürmend und seine tödlichen Pfeile entsendend. Während aber die danebenstehenden erzählenden Texte, der prosaische so gut wie der poetische, nur von den Taten des Königs reden und ihn ganz allein den Sieg erfechten lassen, da alle anderen verzagen, gibt das Gemälde ein geradezu überraschendes Bild des wirklichen Hergangs und ermöglicht ihn vollständig zu rekonstruieren: die Feinde kämpfen hier wirklich, sie brechen ins Lager ein, die Prinzen fahren in eiliger Flucht davon, die Legion des Ptah wird schleunigst herbeigeholt, das rechtzeitige Eintreffen der Na'aruna schafft den Ägyptern Luft, lauter Dinge, über die der geschichtliche Bericht vollständig schweigt. Der Künstler wird selbst beim Kampf zugegen gewesen sein und hat ihn aus eigener Anschauung geschildert.

Diesen großen Gemälden an künstlerischem Wert gleichstehend sind einige der Bilder aus den späteren Kämpfen (o. S. 468f.), so die Eroberung von Satuna, das Bild einer zerstörten Stadt inmitten der verwüsteten Landschaft, und vor allem die Erstürmung von Dapur. Auch hier sind die [504] einzelnen Stufen des Kampfes zu einem einheitlichen Gesamtbilde von gewaltiger Wirkung verbunden: wir sehn den König, wie er im Vorgelände die Feinde überrennt und dann, vom Wagen gesprungen, im schlichten Leibrock ohne Panzer, die Verteidiger in der Festung mit Pfeilen überschüttet, während die übrigen Mannschaften nebst den durch große Schilddächer gedeckten Königssöhnen den Burghügel erstürmen und dann eine Mauerterrasse nach der anderen erklimmen. Vergeblich suchen die Verteidiger sich mit Geschossen und runden Steinkugeln zu wehren, schon sind die Ägypter in die höchste Bastion eingedrungen, und so bleibt ihnen nichts als um Gnade zu flehn und sich zu ergeben.

Gegen Malerei und Relief tritt die Rundplastik zurück, Allerdings sind auch in dieser Zeit neben den Kolossen manche in menschlichen Dimensionen gehaltene Statuen der Könige und der Götter geschaffen worden, so das Sitzbild Ramses' II. in Turin, in dessen Zügen sich gütiges Wohlwollen mit majestätischer Hoheit und Energie eindrucksvoll verbindet; aber die Vollendung, in der die Porträtstatuen des Mittleren Reichs und die Echnatens einen Einblick in die Seele des Herrschers gewähren, ist nicht wieder erreicht worden.

So gewaltig der Eindruck ist, den die Schöpfungen Ramses' II. hervorrufen, so wenig fehlt es daneben an tiefem Schatten. Die Überfülle der gleichzeitig in Angriff genommenen Werke führte notwendig zu Überhastung und flüchtiger Arbeit. Die Sauberkeit und feine künstlerische Empfindung, mit der wie ehemals die Skulpturen und Inschriften unter Amenophis III. so jetzt die Sethos' I. in Abydos und in seinem Grabe ausgeführt sind, findet sich in denen seines Sohnes nur noch vereinzelt. Unter den Wiedergaben der Schlacht bei Qadeš steht die am Ramsestempel von Abydos weitaus am höchsten, hier lebten offenbar noch die guten Traditionen der Zeit Sethos' I. weiter. Dagegen ist z.B. das Gemälde in Abusimbel recht flüchtig ausgeführt und großenteils nur in Umrißzeichnung skizziert, und den zahlreichen Fehlern in den beigefügten Inschriften merkt man an, daß hier[505] lokale Arbeiter verwendet wurden, die Sprache und Schrift nur unvollkommen beherrschten. Mehrere der nubischen Felsentempel, so der von Derr976 und der von Gerf Husên mit den plumpen Statuen an den Pfeilern sind geradezu liederlich gearbeitet, und das gleiche gilt von gar manchen Werken dieser Zeit. An Stelle der gemessenen Ruhe der früheren Epochen tritt bei Ramses II. hastige Überstürzung; beseelt von maßloser Großmannssucht, die in der schon berührten Art, wie er seinen Namen auf die Denkmäler der Vorzeit setzte, geradezu in Roheit entartete, wollte er sich immer von neuem sonnen im Glanz seiner Göttlichkeit, durch die Masse und die kolossalen Dimensionen alles von seinen Vorgängern Geschaffene weitaus überbieten und der Nachwelt nichts mehr zu tun übrig lassen.

Je länger seine Regierung dauerte, desto mehr führte diese Überspannung der Kräfte zu flüchtiger Arbeit, zum Schwinden des echten Kunstempfindens, zu Erschlaffung und Stillstand. Dazu kommt der ins Maßlose gesteigerte Verbrauch der materiellen Mittel, der zu finanzieller Erschöpfung führen mußte. Das tritt ganz sinnfällig darin zutage, daß im Gegensatz zu den unzähligen Denkmälern aus den ersten Jahrzehnten Ramses' II. die Zahl der Bauten und Monumente und auch die der Urkunden und privaten Inschriften, die wir seinen späteren Jahren zuweisen können, auffallend gering ist. Ganz deutlich erhält man den Eindruck, daß mit dem Ausgang der langen Regierung Ramses' II. die Blüteepoche des Neuen Reichs ihr Ende erreicht hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 496-506.
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