Ramses' III. Ausgang. Die späteren Ramessiden. Niedergang Ägyptens

[599] Ramses III. ist kurz nach dem Antritt seines 32. Jahres gestorben (um 1165 v. Chr.)1161. Der Ausgang seiner Regierung entspricht dem von ihr gezeichneten Idealbild wenig. Uns sind die Akten eines Hochverratprozesses über eine Verschwörung gegen Ramses III. großenteils erhalten, die vom Harem des Königs ausging und in die zahlreiche hohe Hofbeamte und [599] Offiziere verwickelt waren1162. Die eigentliche Triebfeder war eine seiner Frauen, Teje, die offenbar ihren Sohn »Pentuêr, der auch jenen anderen Namen getragen hat«, auf den Thron erheben wollte. Sie suchte durch ihre Gehilfen die Bevölkerung zum Aufstand aufzuhetzen; daneben wurden Zaubermittel verwendet, magische Puppen in den Palast gebracht, um die Bewohner zu lähmen u.ä.m. Die Verschwörung wurde unterdrückt, die Schuldigen verurteilt; die Vornehmsten durften sich selbst das Leben nehmen, an den anderen wurden »die großen Todesstrafen vollzogen, von denen die Götter« – oder »die heiligen Schriften«, d.i. das von den Göttern gegebene Gesetzbuch – »sagen: vollziehe sie an ihnen«; einige kamen mit dem Abschneiden von Nasen und Ohren davon.

Die Instruktion, die der König dem für diesen Fall eingesetzten, aus hohen Beamten gebildeten Gerichtshof gegeben hat, lautet ganz eigentümlich: »Die Worte, die die Leute geredet haben, kenne ich nicht. Geht und untersucht sie. Und ihr werdet gehn und sie verhören, und ihr werdet sterben lassen, die ihr durch eigene Hand sterben lassen müßt, ohne daß ich davon weiß; und ihr werdet auch die Strafe an den andern vollziehn, ohne daß ich davon weiß. ... Und ich sage euch in Wahrheit: alles was geschehn ist und was sie getan haben, laßt auf ihre Häupter fallen; ich dagegen bin geschützt und beschirmt in Ewigkeit, da ich unter den gerechten Königen bin, die beim Götterkönig Amon-Rê' und bei Osiris, dem Herrn der Ewigkeit, sind.« Ganz deutlich spricht der König hier aus, daß er bereits gestorben und in die Götterwelt eingegangen ist1163; aber es wird fingiert, [600] daß er aus dem Jenseits selbst den Gerichtshof einsetzt, dessen Urteil ihm, eben weil er tot ist, nicht mehr zur Bestätigung vorgelegt werden kann.

Ramses III. ist also einem Attentat erlegen; aber der Prinz, dem dadurch der Weg zum Thron geebnet werden sollte, ist nicht zur Regierung gelangt, sondern ein anderer Königsohn, der den Namen Ramses IV. annahm, ihm zuvorgekommen. Die Leiche Ramses' III. wurde dann nach Theben zur Leichenfeier in Medinet Habu und Beisetzung im Königsgrabe gebracht, und zugleich Ramses IV. hier von Amon, also durch das vom Gott gegebene Orakel, feierlich auf den Thron des Horus gesetzt. Auch hierüber ist uns ein eigenartiges Dokument in dem großen Buch erhalten, das über die Taten Ramses' III. und seine Gaben an die Götter berichtet. Es tritt auf als eine Rede, die der ins Jenseits eingehende König unmittelbar nach seinem Tode an Götter und Menschen hält; in Wirklichkeit ist es also von seinem Nachfolger verfaßt. In möglichster Eile sind die langen Listen der Geschenke an die Tempel zusammengestellt worden; daher sind sie wenigstens für die Unzahl der kleineren Tempel, für die das Material bis zum Begräbnistage nicht erschöpfend beschafft werden konnte, nur ganz unvollständig und enthalten viele Flüchtigkeiten im einzelnen, vor allem in den Summierungen1164. [601] Auf Grund dieser Leistungen erbittet und erhofft der verstorbene König von den Göttern die Aufnahme in ihre Mitte und die Gewährung des behaglich mit Atem, Wasser und Speise ausgestatteten Daseins im Jenseits, welches der Totendienst den Seelen der Frommen und Gerechten verschafft. Daneben aber erbittet er den göttlichen Segen für seinen Sohn Ramses IV., den Amon, Atum, Ptaḥ gezeugt und zum Thronfolger bestimmt haben. Möge das Land unter ihm gedeihen, der Nil üppige Fruchtbarkeit bringen, die Untertanen ihm freudig gehorchen und ihm zujubeln, die Barbaren seinem Schwert erliegen und ihm Tribut bringen, und er seine Grenzen setzen so weit er will. Möge ihm dauernd jugendliche Kraft und Gesundheit beschieden sein. »Du hast,« sagt er zu Amon, »mir eine Regierung von zweihundert Jahren zugesprochen; gewähre sie meinem Sohn, der noch auf Erden ist« – übertrage also auf diesen, was mir nicht erfüllt worden ist – »mache sein Leben länger als das irgend eines anderen Königs, um so die Wohltaten zu vergelten, die ich dir erwiesen habe!« In einem Gebet an Osiris von Abydos wiederholt Ramses IV.1165 alle diese Bitten nahezu wörtlich, und gerade die Bitte um ein weit über das menschliche Maß hinausgehendes Leben ist für ihn charakteristisch. »Verdopple mir,« betet er zu Osiris – »denn du,« so heißt es nachher, »bist der, der es mit seinem eigenen Munde gesagt hat, und es wird nicht umgestoßen werden« – »die lange Regierung des großen Gottes Ramses II.; denn größer sind die Wohltaten und Opfergaben, die ich deinem Heiligtum innerhalb dieser vier Jahre täglich dargebracht habe, als was der große Gott Ramses II. für dich in seinen siebenundsechzig Jahren getan hat.« Es ist ganz deutlich, daß auch in dem Ramses III. in den Mund gelegten Text in Wirklichkeit sein Sohn spricht.

[602] Zum Schluß werden dann, nach den Göttern, die Untertanen angeredet: »Ramses III., der große Gott, sagt zu den Magnaten und Grafen des Landes, Fußvolk und Streitwagen, Šerdana, den zahlreichen Soldtruppen, allen Bewohnern von Ägypten« – und nun folgt der oben gegebene Überblick über die Wiederherstellung der Ordnung durch Setnacht und die eigenen Taten, die mit der Anerkennung für den willigen Gehorsam schließt. »Siehe, jetzt bin ich in die Unterwelt eingegangen wie mein Vater Rê', und habe mich gemischt unter den großen Götterkreis in Himmel, Erde und Hölle. Amon-Rê' hat meinen Sohn auf meinen Thron gesetzt, er sitzt auf dem Thron des Horus als Herr beider Nilseiten und hat sich die Atefkrone aufgesetzt. Seid also seinen Sohlen untertan, küßt den Fußboden und beugt euch vor ihm, gehorcht und verehrt ihn, grüßt seine Schönheit jeden Morgen wie ihr es dem Rê' tut, bringt ihm die Abgaben, vollzieht seine Aufträge« – das wird im einzelnen weiter ausgeführt –; »denn Amon hat ihm das Königtum auf Erden zugesprochen und seine Lebensdauer verdoppelt mehr als jedem anderen König, ihm, dem König Ramses IV.«.

So zielt dies einzigartige Dokument auf die feierliche Einsetzung des neuen Herrschers durch den verstorbenen, in Wirklichkeit wohl zweifellos ermordeten König und maskiert die Vorgänge, durch die Ramses IV. im Gegensatz gegen den Prätendenten auf den Thron gelangt ist1166. So wird auch die Vermutung zutreffend sein, daß die Fürsorge Ramses' III. für den Kultus so eingehend dargelegt wird, um die mächtige Priesterschaft für den neuen Herrscher zu gewinnen und ihr das Vertrauen zu geben, daß er ebenso handeln wird. Daß er das getan hat, bestätigt der angeführte Hymnus an Osiris1167.

[603] Mit Ramses IV. beginnt eine lange Reihe tatenloser Könige, die alle den Namen Ramses angenommen haben, im ganzen acht, bis auf Ramses XI. Sechs von ihnen haben Gräber im Königstal erbaut, von denen das Ramses' V. durch seinen Nachfolger, der ihn vom Thron gestoßen hat, für sich mit Beschlag belegt worden ist. Auch einige andere haben nur kurze Zeit regiert; insgesamt werden wir für sie höchstens achtzig Jahre (ca. 1165-1085) ansetzen dürfen1168. Ihre Namen erscheinen gelegentlich in Papyri und inhaltlosen Inschriften; weiter wissen wir über sie garnichts. Umso klarer tritt hervor, daß es mit der Machtstellung des Reichs vorbei ist. Die Herrschaft über Nubien wird noch behauptet, aber in Asien sind auch die letzten Besitzungen verloren gegangen, wenn auch der Anspruch, daß Palaestina und Phoenikien eigentlich den Pharaonen und dem Amon gehören, weiter aufrecht erhalten wird. Die Mittel des Staats sind völlig erschöpft; die Götter erhalten wohl noch Weihgaben und Opfer, aber an größere Bauten ist nicht mehr zu denken. Ein drastisches Symptom des Niedergangs ist, daß die Unsicherheit in der riesigen Totenstadt von Theben immer mehr zunahm und nicht nur Privatgräber in großer Zahl ausgeplündert wurden, sondern auch die Königsgräber nicht mehr sicher waren. Bei einer Untersuchung im Jahre 16 Ramses' IX., über die uns die Akten erhalten sind, stellte sich allerdings [604] heraus, daß nur ein Grab, das Sebekemsafs II. aus der dreizehnten Dynastie, erbrochen und ausgeplündert war; aber wenige Jahre später war eine Diebsbande in die Gräber Sethos' I. und Ramses' II. eingebrochen, und so ging es weiter. Immer wieder mußten die Leichen der Könige untersucht und an eine sicherer scheinende Stelle überführt werden, bis man sich nach etwa anderthalb Jahrhunderten schließlich entschloß, sie alle in einem unzugänglichen Versteck in einem Felschacht bei Dêr el Baḥri zu bergen, der so gut gewählt war, daß sie hier ungestört erhalten blieben, bis sie wiederentdeckt und 1881 ins Museum von Kairo überführt wurden.

Während die Königsmacht immer mehr erschlaffte, ist die Stellung des Hohenpriesters des Amon ständig gewachsen. Unter Ramses IX. datiert eine Frau einen Diebstahl, über den sie Klage erhebt, als »zur Zeit des Aufstandes des Hohenpriesters Amons« geschehn1169. Dem Hohenpriester Amenophis weist derselbe König Abgaben für Amon zu, die bisher vom König erhoben wurden; an der Wand eines Tempelhofs hat er sich in bisher ganz unerhörter Weise neben dem König, der ihn mit dem Golde helohnt, in gleicher Größe wie dieser, also als ihm gleichstehend, darstellen lassen. Noch selbstherrlicher tritt sein Nachfolger Ḥriḥor auf, der Bauten am Chronstempel selbständig aufführt und dabei seinen Oberherrn Ramses XI. nur noch nebenbei erwähnt. Er erhält weiter die Verwaltung Nubiens als »Königssohn von Kuš«, und hat auch die alten Priestertitulaturen eines Truppenkommandanten und Grafen wieder aufgenommen; er kann sich als Oberbefehlshaber der Truppen des Südens und Nordens bezeichnen. Schließlich, beim Tode des Königs, hat er den letzten Schritt getan, die Dynastie entthront, und sich selbst die Krone aufgesetzt. Gleichzeitig aber erhebt sich in Tanis im Delta eine neue, die einundzwanzigste Dynastie.

So ist das Reich Thutmosis' III. und Ramses' II. langsam und ruhmlos an Altersschwäche entschlafen. Wenn aber aus [605] der Zersetzung des Alten und dann des Mittleren Reichs das ägyptische Volk zu einer neuen, höheren Stufe emporgestiegen war, so ist jetzt, seit der entscheidenden Krise unter Echnaten, seine innere Kraft gebrochen. Die alten Formen leben weiter und werden immer peinlicher beobachtet, und der geistige Gehalt der Tradition war so gewaltig, daß sie Jahrhunderte später, unter der sechsundzwanzigsten Dynastie, noch einmal eine Nachblüte zu erzeugen vermochte. Indessen auch da fehlt die schöpferische Kraft; etwas wirklich Neues vermag man nicht mehr zu schaffen, das Ideal liegt in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Und vor allem: das nationale Leben hat sich auf die Religion zurückgezogen, die politischen Aufgaben sind gleichgültig geworden, und der kriegerische Geist ist entschwunden. Dabei steht Ägypten auch in der jetzt beginnenden Epoche des Stillstands und der Erstarrung immer noch weit höher als Babylonien, wo nun schon seit einem Jahrtausend alles höhere Leben entschwunden ist; aber politisch wird es so ohnmächtig wie dieses, und alsbald gerät auch Ägypten, da das Volk die militärischen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, unter die Herrschaft fremder Elemente, zunächst der Söldner aus Libyen.

Wie Ägypten erstarrt und Babylonien regungslos daliegt, so sind um die Wende vom 13. zum 12. Jahrhundert auch die beiden Kulturen zugrunde gegangen, die in den Jahrhunderten vorher diesen selbständig zur Seite getreten waren. Sowohl die sich innerlich schon zersetzende kretisch-mykenische, wie die frisch aufstrebende chetitische Kultur sind den Stürmen der Völkerwanderung erlegen. So bezeichnet diese einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Menschheit. Eine neue Epoche beginnt. Politisch maßgebend für ihre Gestaltung ist der Wegfall jeder größeren Macht, die auf die Geschicke entscheidend einwirken könnte; denn auch das Assyrerreich, das jetzt im Vorschreiten begriffen ist, ist doch noch jahrhundertelang keine wirkliche Großmacht geworden und hat immer wieder um die Behauptung seiner beschränkten Machtsphäre zu kämpfen.

[606] Dieses negative Moment hat die Entwicklung der nächsten Jahrhunderte ermöglicht. Es folgt eine Epoche der Kleinstaaterei und des Stillebens der Einzelgebiete in streng begrenzten Kreisen. Zugleich aber ist dadurch neuen Völkern Raum gegeben, sich unbehindert zu bewegen und ihre Eigenart frei auszubilden. So ist Raum geschaffen für die Entwicklung, welche sich in den nächsten Jahrhunderten bei den Phoenikern, den Israeliten und den Griechen vollzogen hat.

Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 599-608.
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