Thronwirren und Fremdherrschaft in Ägypten. Setnacht

[579] In diesem Siege hat sich die militärische Kraft des Reichs, die übrigens vorwiegend schon damals auf den ausländischen Söldnern beruhte, noch einmal bewährt. Der Bestand dieser Fremdtruppe ist dann offenbar aus den Kriegsgefangenen und dann durch weitere Anwerbungen unter den Seevölkern beträchtlich vermehrt worden: in den Bildern der Libyerkriege Ramses' III. sind, wie schon erwähnt, neben dem ägyptischen Aufgebot und den Negertruppen sowohl die Šerdana wie Philister oder Zakkari und Turša vielfach dargestellt, teils als Einzelkämpfer, teils als geschlossene Abteilung.

[579] Indessen die Erschöpfung, die unter Ramses II. eingesetzt hatte, tritt unter seinem Sohn deutlich zutage. Größere Bauten hat er nicht mehr ausführen können; er behilft sich damit, daß er in noch viel rücksichtsloserer Weise als sein Vater seinen Namen überall auf ältere Denkmäler und Königsstatuen eingraben läßt. Für seinen Totentempel in Theben hat er die Bausteine aus dem schon verfallenen Tempel Amenophis' III. geholt, die große Inschrift, die seinen Sieg verherrlicht, auf die Rückseite einer von dort genommenen Granitstele gesetzt; man sieht, nicht der Wille fehlte, aber die Mittel.

Merneptaḥ mag etwa ein Jahrzehnt lang regiert haben1122. Über seine Nachfolger versagt das auf uns gekommene Material so gut wie völlig. Wir kennen aus dieser Zeit drei Könige, die sich im Königstal von Theben ein Grab gebaut haben; aber zwei von ihnen galten als illegitim und ihre Namen sind hier sowie auf den wenigen Monumenten, auf denen sie sonst noch vorkommen, getilgt. Der erste ist Amenmeses, ein Usurpator nicht königlichen Geblüts1123, der Merneptaḥ gestürzt zu haben scheint, aber sich nicht lange behauptete; sein Grab ist systematisch zerstört. Er ist durch Merneptaḥ Siptaḥ gestürzt worden, der sich länger behauptet hat; die [580] nach ihm datierten Inschriften reichen bis zu seinem 6. Jahr. Neben ihm tritt seine Gemahlin Tausret hervor, die gleichfalls ein großes Grab erhalten hat. Daneben hat sich sein Schatzmeister Bai ein Grab angelegt, muß also eine führende Stellung eingenommen haben. Ihm ist Sethos II. gefolgt, der den Namen seines Vorgängers tilgt, den der Tausret dagegen verschont (vielleicht hat er sie geheiratet) und neben ihrem Grab für sich ein eigenes gebaut hat, das unangetastet geblieben ist. Auch sonst wird er in der Folgezeit als legitimer Herrscher anerkannt1124. Gestorben ist er im Verlauf seines 6. Jahres; das auf einer Kalksteinplatte erhaltene Tagebuch über die Arbeiten an seinem Grabe zeigt, daß ihm ein König Ramses Siptaḥ gefolgt ist und daß die Arbeiten nach einer Trauerfrist von vier Tagen unbehindert weitergingen1125, also eine Erschütterung durch den Thronwechsel wenigstens zunächst nicht eingetreten ist. Der neue König ist sonst nur durch ganz wenige kleine Monumente bekannt1126. Er kann nur kurze Zeit regiert haben. Der nächste Pharao, von dem wir Denkmäler haben, ist dann Setnacht, der Vater Ramses' III.1127.

[581] Das ist alles, was sich aus den Monumenten und Inschriften dieser Zeit entnehmen läßt. In welcher Beziehung diese Könige zu dem legitimen Herrscherhaus gestanden und worauf sich ihre Ansprüche gegründet haben, bleibt völlig dunkel. Hier ist uns aber einmal ein gleichzeitiger Bericht erhalten, der Aufklärung gewährt, die kurze Schilderung, die Ramses III. in dem zusammenfassenden Bericht seiner Taten von dem Wirrsal gibt, das vor der Erhebung seines Vaters Setnacht in Ägypten herrschte. »Viele Jahre hindurch, vormals bis auf andere Zeiten, gab es kein Oberhaupt, sondern Ägypten war in den Händen der Magnaten und Stadtherrscher, und einer erschlug den andern, vornehm und gering.« Das ist also der Zustand unter den sich rasch ablösenden Usurpatoren, die wir kennen gelernt haben. »Danach aber kamen Zeiten mit leeren (d.h. königslosen) Jahren« – Jahren, in denen nicht nach Regierungszahlen datiert werden konnte –; »da war ein Choriter 'Arsu unter ihnen als Häuptling; der machte das ganze Land sich allein tributär und vereinigte seine Genossen, den Besitz zu plündern. Die Götter behandelten sie wie die Menschen, Opfer wurden in den Tempeln nicht dargebracht.«

»Dann aber wandten sich die Götter zur Beruhigung, um das Land zurecht zu stellen gemäß seiner richtigen Ordnung. Sie setzten ihren aus ihrem Leibe hervorgegangenen Sohn zum Herrscher über das ganze Land auf ihren großen Thron, den König Setnacht. Er war wie der Gott Chepri und Seth, wenn er rast; er ordnete das ganze Land, das im Aufruhr gewesen war; er erschlug die Rebellen, die in Ägypten waren, und reinigte den großen Thron Ägyptens; er wurde der Herrscher der beiden Lande auf dem Thron des Atum. Er bestätigte die Tempel im Besitz der Opfergaben, sie dem Götterkreise darzubringen gemäß ihren Satzungen.«

Diese Erzählung bringt sehr anschaulich zum Bewußtsein, [582] wie unzulänglich unsere Kunde ist, wo uns keine geschichtliche Darstellung erhalten ist. In dem Denkmälermaterial fehlt jede auch nur versteckte Andeutung, die auf die Fremdherrschaft des Arsu oder auf die entscheidende Rolle Setnachts hinwiese. Setnacht hat das Grab der Tausret für sich mit Beschlag belegt und dann, wie es scheint, den Bau des Grabes Ramses' III. begonnen; sonst erscheint sein Name nur auf ein paar unbedeutenden Monumenten und in den Bergwerken der Sinaihalbinsel1128; und doch muß er einer der bedeutendsten Pharaonen gewesen sein. Wie er emporgekommen ist und ob er irgendwie mit der alten Dynastie zusammenhing, wissen wir nicht; legitimer König, etwa, wie man gemeint hat, der Sohn Sethos' II., ist er gewiß nicht gewesen, sonst würde sein Sohn ganz anders reden.

Eine dunkle Kunde von diesen Vorgängen scheint in der Volksüberlieferung erhalten, die Manetho in seine Erzählung von Osarsiph aufgenommen hat. Wir haben oben gesehn (S. 421ff.), daß in ihr die Geschichte der religiösen Bewegung unter Amenophis IV. versetzt ist in die Zeit Merneptaḥs (dessen Name daher in Amenophis gewandelt ist)1129 und Ramses' III., der zu dessen Sohn gemacht wird. Unter Amenophis brachen die Feinde aus Jerusalem, angeblich Nachkommen der verjagten Hyksos, in Ägypten ein; König Amenophis wagt keinen Widerstand, sondern flüchtet nach Aethiopien (Nubien), bringt aber seinen fünfjährigen Sohn Ramses bei einem Freunde in Sicherheit. Die Fremden (infolge der Kontamination verbunden mit den Aussätzigen unter Osarsiph) verwüsten das Land, seine Ortschaften und Tempel dreizehn Jahre lang; dann kehrt Amenophis zurück, schlägt sie [583] mit seinem Sohn Ramses zusammen zum Lande hinaus und verfolgt sie durch die Wüste bis nach Syrien. In dieser nach ägyptischer Art ganz legendarisch ausgemalten Erzählung ist der Nachklang der Fremdherrschaft unter Arsu unverkennbar; denn nur damals hat es eine solche gegeben, während Amenophis IV. und seine Nachfolger immer noch die Herrschaft über einen Teil Syriens behauptet haben. Setnacht ist vergessen; seine Taten werden vielmehr seinem ruhmreichen Sohn Ramses III. zugeschrieben und dieser zugleich durch die Anknüpfung an Merneptaḥ legitimiert.

Daß es sich bei Arsu1130 wirklich wenigstens halbwegs um eine Fremdherrschaft handelt, kann auch nach Ramses' Bericht nicht zweifelhaft sein. Dieser Palaestinenser (Choriter) mag einer der zahlreichen Ausländer aus Syrien gewesen sein, die wir in dieser Zeit als Offiziere und hohe Beamte im Dienst der Pharaonen finden1131, der sich in Verbindung mit seinen Landsleuten der Herrschaft bemächtigte und dann auch aus Palaestina Zuzug erhalten haben wird.

Sein Besieger Setnacht kann, wie das Fehlen größerer Denkmäler zeigt, nur kurze Zeit regiert haben. Aber er hat die Königsmacht neu begründet; sein Sohn, den er zum Mitregenten und Nachfolger bestellte und dem er den ruhmvollen Namen Ramses gegeben hatte, durfte sich der Hoffnung hingeben, es seinem großen Vorgänger gleichzutun. Er hat gleich nach seiner Krönung die volle Herstellung der inneren Ordnung durchgeführt: »Ich habe«, rühmt er, »Ägypten in zahlreiche Klassen gegliedert, Hofbeamte des Palastes, große Magnaten, zahlreiche Infanterie und Wagenkämpfer zu Hunderttausenden, Šerdana und Kahak ohne Zahl, Gefolgsleute [584] (Troß) zu Zehntausenden, und die Fronpflichtigen Ägyptens (die abhängige Bevölkerung).« Deutlich tritt in diesen Worten hervor, daß der Schwerpunkt in den Streitkräften liegt und in diesen wieder die überseeischen und libyschen Söldner eine entscheidende Rolle spielen.

Wir werden die Zeit vom Antritt Merneptaḥs bis auf den Ramses' III. rund auf ein Menschenalter (ca. 1232-1200) ansetzen dürfen1132. Synchronismen fehlen völlig; aber die Geschlechtsfolge der Chetiterkönige führt für den Untergang ihres Reichs auf das gleiche Datum, und so werden wir nicht fehlgehn, wenn wir die 32 jährige Regierung Ramses' III. in die ersten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts setzen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 579-585.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon