Der Gottesstaat von Theben

und die Dynastie von Tanis

[6] In den Siegen Ramses' III. und in seinem großen Tempel und Palast in Medinet Habu hat das Pharaonenreich noch einmal seinen alten Glanz entfaltet. Aber es war das letztemal.1 Die inneren Wirren und Haremsintrigen, in denen der alte König nach 32jähriger Regierung den Tod fand, zeigen, wie morsch die Zustände geworden waren. Noch deutlicher redet seine eigene Schilderung des Wohllebens und behaglichen Müßiggangs, in den er die Armee versinken ließ (Bd. II 1, 594). Sein Sohn Ramses IV., der sich der Regierung bemächtigte, wird in der Schulliteratur in einem Hymnus auf seine Thronbesteigung in üblicher Weise als Bringer alles Segens gepriesen, der die Hungrigen sättigt, die Nackten kleidet, die Gefangenen freiläßt, den Flüchtigen die Rückkehr gewährt, Frieden und Wohlstand schafft2 – zugrunde mag eine Amnestie mit Steuererlaß beim Regierungsantritt liegen –; und er selbst hat sich mit der Hoffnung getragen, es seinen Vorgängern gleichtun zu können. Aber entgegen seinen überschwenglichen Erwartungen waren ihm nur sechs Jahre beschieden. In seinen Nachfolgern scheint dann der Unternehmungsgeist vollends erloschen zu sein. Die reichen materiellen Mittel der Zeiten der Großmacht waren erschöpft. Riesige Gräber in den Felswänden des thebanischen Königstals haben auch die späteren Ramessiden noch anlegen können; aber [6] zu Tempelbauten reichten die Mittel nicht mehr, man mußte sich auf kleine Reparaturen beschränken. Auch die innere Ausschmückung des von Ramses III. mit Verwendung von Steinen älterer Bauten errichteten Chonstempels in Karnak (Bd. II 1, 597) ist nach Ramses IV. ein halbes Jahrhundert lang nicht weiter fortgeführt worden. Die letzten Besitzungen in Syrien und Palaestina sind bald nach Ramses III. verloren gegangen – daher weiß die in dieser Zeit einsetzende israelitische Überlieferung nichts mehr davon –; als um 1100 Tiglatpileser I. nach Phoenikien vordrang, ist ihm der damalige Ramesside nicht etwa entgegengetreten, sondern hat ihm freundschaftlichst ein Geschenk übersandt, freilich nicht mehr Gold, wie in den Zeiten der Großmacht, sondern ein Krokodil als Sehenswürdigkeit, die den Assyrerkönig interessierte.

Die Fiktion freilich, daß Amon-Rê', der Gott von Theben, die Weltherrschaft besitze und sie seinem Sohn, dem Pharao, übertragen habe, wird dauernd festgehalten. Je schwächer das Königtum innerlich ist, umso eifriger sucht es, nach den Geboten der Gottheit zu leben und zu handeln. Das allen Religionen gemeinsame Streben, den göttlichen Willen aus Vorzeichen und Äußerungen aller Art zu erkunden, hatte in Theben seit langem zur schematischen Ausbildung eines Orakelapparats geführt: der Gott selbst, d.i. der in einem kostbar geschmückten Schrein verhüllte Fetisch Amons, wird in der Gottesbarke aus der Zelle, in der er im Dunkeln haust, auf den Schultern der Priester in die Säulenhalle getragen; er selbst leitet ihre Schritte und gibt seinen Willen durch Bewegungen kund, die der Oberpriester auslegt, den die Griechen daher προφήτης »Verkünder« nennen. In dieser Weise wird bei großen Staatsaktionen seit alters verfahren, so bei der Erhebung Thutmosis' III. zum Mitregenten und Nachfolger seines Bruders und in der Schilderung, die Hatšepsut von ihrer angeblichen Einsetzung durch ihren Vater gibt;3 ebenso erwählt unter Ramses II. Amon aus allen ihm vom König vorgeführten Kandidaten seinen neuen Oberpriester, – [7] worauf der König ihn einsetzt4. Mit den ägyptischen Darstellungen und Texten stimmt die Schilderung vollständig überein, die Kallisthenes als Augenzeuge von der Art gegeben hat, wie Amon in der Oase Siwa, einer Filiale des thebanischen Kults, dem Alexander das Orakel erteilt hat5. »Was als Gott verehrt wird, hat nicht die Gestalt, die die Künstler gewöhnlich den Göttern geben, sondern gleicht am meisten einem Omphalos« (umbilicus, d.i. der heilige Stein in Delphi, der als Nabel der Erde gilt), »geschmückt mit Smaragden und Edelsteinen. Wenn ein Orakel begehrt wird, tragen ihn die Priester auf den Schultern auf einem vergoldeten Schiff, von dem zu beiden Seiten viele silberne Schalen herabhängen; sie tragen den Gott automatisch dahin, wohin sein Wille den Weg lenkt; es folgt ihnen eine Schar von Jungfrauen und Frauen, die altüberkommene Hymnen singen. Das Orakel erteilt der Gott nicht durch Worte, wie in Delphi und Branchidae, sondern durch bestimmte den Trägern eingeflößte symbolische Bewegungen, die der Prophet auslegt«6.

Es entspricht dem Wesen der wiederhergestellten Orthodoxie, daß dieser Orakelapparat immer stärker ausgebildet wurde. Die politischen Aufgaben traten den religiösen gegenüber ganz zurück. Wie sehr dadurch und zugleich durch das ständige Anwachsen des Tempelguts die Stellung der Priesterschaft und vor allem die des Hohenpriesters gesteigert wurde und dieser sich, wie z.B. der Hohepriester Amenophis unter [8] Ramses IX., gleichberechtigt neben den König stellt, ist früher schon ausgeführt worden. Unter Ramses XI. hat Ḥriḥor diese Stellung erhalten7 und weiter gesteigert; er nennt sich zugleich »großer Truppenkommandant des Südens und Nordens und General«, ferner »Fürst (rp'ti) an der Spitze der beiden Lande, großer Vertrauensmann (smr'o) im ganzen Lande«, auf einer Statue in Kairo auch »Kommandant der Hauptstadt und Vezir«. Schließlich ist er auch »Königssohn von Kuš« geworden8, hat also auch die Verwaltung Nubiens und seiner Goldminen erhalten. Er hat also etwa dieselbe Stellung eingenommen wie Ḥaremḥab unter Tut'anch-amon, und Ramses XI. ist nur eine Puppe in seinen Händen gewesen. Er hat die Bautätigkeit am Chonstempel wieder aufgenommen; in seinen Inschriften im Säulensaal nennt er neben sich auch den Pharao, dem Amon, als er in Prozession den Tempel besucht, dafür allen Segen gewährt. Dann aber, in dem vorgelegten Säulenhof, erscheint der Name Ḥriḥors mit voller Königstitulatur; seinen Amtstitel »Erster Priester des Amon« hat er als Thronnamen in den Königsring gesetzt und seinem Eigennamen »Sohn des Amon« hinzugefügt.

Über den Hergang der Usurpation gibt eine Inschrift an der Tür zwischen dem älteren und dem neuen Bau Aufschluß; sie ist zwar arg verstümmelt, läßt aber die Hauptmomente noch erkennen9. Datiert ist sie noch nach Ramses XI. Sie berichtet zunächst von einer Unterredung Ḥriḥors, der hier noch seine Amtstitel, aber nicht den Königstitel trägt, mit dem Gotte Chons. Zu erkennen ist, daß dieser ihm die Sorge für seine Stadt Theben überträgt und ihm eine Lebenszeit von vielen Jahren und »Leben, Heil, Gesundheit« (der über den König gesprochene Segenswunsch) »und vieles Gute in No (Theben)« [9] verheißen hat. Die Worte des Chons werden dem Amon in Luxor mitgeteilt, und dieser »wendet sein Antlitz nordwärts nach Karnak« und erklärt seine Zustimmung: »ein Zeitraum von 20 Jahren ist, was der Götterkönig Amonrê' dir gibt als Belohnung für die Wohltaten, die du der Mut und dem Chons gewährt hast«. Ḥriḥor erbittet und erhält die Erlaubnis, »dies Wunder« auf einer Steintafel im Chonstempel zu verzeichnen, und Amon bestätigt nochmals, daß er ihm einen Zeitraum von 20 Jahren gewährt hat.

In diesem Text ist uns die offizielle Darstellung der Übertragung der Herrschaft über Theben an Ḥriḥor erhalten. Offenbar hat er, als die lange Regierung Ramses' XI. zu Ende ging,10 den Moment für gekommen erachtet, selbst nach der Krone zu greifen, und dies Vorgehn durch die Orakel des Chons und Amon sanktioniert; dabei wird fingiert, daß er dadurch in derselben Weise überrascht ist wie Thutmosis III. bei seiner Erhebung zum Thronfolger oder wie später die äthiopischen Könige, wenn Amon sie aus der Masse der ihm vorgeführten Prinzen als Herrscher auswählt. Die Entthronung der Ramessiden scheint ohne Erschütterung auf friedlichem Wege erfolgt zu sein. Allerdings ist Ramses' XI. Grab nicht vollendet worden; aber verfolgt wurde die alte Dynastie nicht, vielmehr finden wir später, unter der zweiundzwanzigsten Dynastie, noch mehrfach »Söhne des Ramses« in hohen Stellungen, also Familien, die ihren Stammbaum auf das alte Königshaus zurückführten.

Die Übertragung des Königtums auf den Hohenpriester Amons und damit die Umwandlung des weltlichen Staats der Pharaonen in ein Gottesreich, in dem der Gott von Theben durch sein Orakel und sein Organ, das Oberhaupt seines Kultus, das Regiment über das Reich – und der Theorie nach über die ganze Welt – selbst übernimmt, ist die folgerichtige Konsequenz der restaurierten Orthodoxie. Zugleich ist sie der erste [10] Versuch, eine wirkliche Theokratie aufzurichten, den die Weltgeschichte kennt. Aber seine volle Durchführung hat sich sofort als unmöglich erwiesen. Von dem weit abgelegenen Theben aus ließ sich das langgestreckte Niltal nicht mehr regieren, vielmehr hatte sich, wenn es auch offiziell noch immer die Hauptstadt geblieben war, seit Ḥaremḥab und den Ramessiden der Schwerpunkt wieder nach Unterägypten und dem Delta verlegt, und nur von hier aus ließen sich die Beziehungen zum asiatischen Ausland regeln. So ist hier, gleichzeitig mit der Usurpation Ḥriḥors, ein neues Königtum, das der einundzwanzigsten Dynastie, entstanden. Sein Begründer ist Smendes (Nsibindid), sein Sitz Tanis (Ṣo'an), das, bereits unter Ramses II. stark gefördert und mit Bauten geschmückt, tiefer im Kulturlande an einem der östlichsten Nilarme gelegen, jetzt der exponierten Ramsesstadt am Meere den Rang abgelaufen hat. Wie der Hergang im einzelnen gewesen ist, läßt sich nicht erkennen; wir wissen lediglich, daß beide Könige verbündet nebeneinander regieren – Smendes' Gemahlin Tentamon, die neben ihm als Mitregentin erscheint, entstammte vermutlich dem thebanischen Priestergeschlecht und bildete die Verbindung zwischen beiden Herrschern – und die Jahrzählung gemeinsam ist, und daß wenigstens nach thebanischer Auffassung11 die Verteilung das Werk Amons ist. Tatsächlich freilich hatte der König von Tanis durchaus den Vorrang, während Ḥriḥors Königtum ephemer geblieben ist; bei Manetho wird es daher übergangen und nur die Dynastie von Tanis gezählt.

Charakteristisch für beide Herrscherhäuser ist, daß ihre Mitglieder durchweg Namen führen, die in älterer Zeit unerhört sind. So Ḥriḥors Sohn Pi'anchi »der Lebende«, dessen Sohn Pinoẕem »der Süße« – beide mit dem Artikel gebildet –, dessen Söhne Ẕedchons'ef'onch »es sprach Chons und er lebt«, eine Namensbildung, die alsbald ganz geläufig wird und ähnlich auch in Babylonien aufkommt, und völlig barbarisch Masaherta. Ebenso sind die Namen des Smendes (»dem Bock von Mendes gehörig«) – [11] und seines Sohnes Psusennes (Pisebcha'ennu, später etwa Psiu šennu gesprochen, »der Stern, der aus der Stadt aufgeht«) vulgär. Auch das zeigt, ähnlich wie im römischen Kaiserreich, der seit dem 2. Jahrhundert einsetzende Verfall des alten Namenswesens, daß die alte Zeit zu Ende und eine neue, von unten aufsteigende Schicht ans Regiment gekommen ist.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 6-12.
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