Die Entsendung des Wenamon nach Byblos

[12] In seinen Inschriften im Chonstempel von Karnak rühmt Ḥriḥor in alter Weise, daß die Fürsten von Rezenu ihm täglich huldigen. Wie es in Wirklichkeit damit aussah, zeigt ein Schriftstück aus dem 5. Jahre der beiden koordinierten Herrscher, der Bericht des thebanischen Tempelbeamten Wenamon über eine Gesandtschaft nach Phoenikien12. Das für die Prozessionen des Gottes dienende Prunkschiff Amons mußte erneuert werden, und so wird auf Grund eines von Amon an Ḥriḥor »meinen Herren« gegebenen Orakels Wenamon entsandt, um Bauholz vom Libanon zu holen. Zu befehlen hat man freilich in den phoenikischen Städten nichts mehr; aber man vertraut auf das Ansehn, in dem Ägypten und seine Götter hier, vor allem in Byblos, seit alters stehn, und so wird ihm ein Gottesbild als Delegierter des Götterkönigs mitgegeben, der »Amon des Weges« – eine auch sonst, so bei Chons in der Bentrešlegende (Bd. II 1, 484, 1) vorkommende Zerlegung des Gottes in den eigentlichen, im Fetisch des Tempels hausenden Gott und in einen in die Welt entsandten und dort für ihn handelnden Doppelgänger, wie sie sich ganz ebenso bei den Israeliten in dem unnahbar auf dem Sinai thronenden Jahwe und seinem »Abgesandten (mal'ak)« findet, der unter dem Volk wirkt und ihm die Orakel erteilt. Als Ausrüstung erhält Wenamon –[12] außerdem eine nicht unbeträchtliche Geldsumme13, die Ḥriḥor und die Magnaten der Thebais aufgebracht haben. Ein Schiff für die Seefahrt konnte man ihm freilich in Theben nicht beschaffen, sondern war dafür auf Smendes und Tentamon angewiesen; so erhält er ein Schreiben an diese, das im Namen des Gottes selbst abgefaßt ist.

In Tanis erklären beide sich bereit, den Auftrag des Götterkönigs zu vollziehen. Ein eigenes Schiff haben sie ihm freilich nicht gegeben – so kümmerlich sind trotz des regen Verkehrs mit Phoenikien die Verhältnisse geworden –, sondern entsenden ihn auf dem Schiff eines, offenbar phoenikischen, Kapitäns Mengabut.

Unterwegs läuft dies die Stadt Dor an, wo sich, nördlich von den Philistern, die Zakkari festgesetzt haben14, und wird hier von ihrem Fürsten Beder freundlich aufgenommen. Aber einer der Matrosen entflieht und stiehlt ihm seine ganze Barschaft, und der Fürst hat wenig Neigung, Wenamons Forderung entsprechend, den Dieb aufzutreiben oder gar ihm den Schaden zu ersetzen; das würde er, wie er erklärt, allerdings getan haben, wenn einer seiner Untertanen in das Schiff eingebrochen wäre, da der Dieb aber zu der Mannschaft des ägyptischen Schiffs gehöre, sei er für ihn nicht haftbar. So muß Wenamon nach längeren erfolglosen Verhandlungen abfahren. Hier ist im Papyrus eine große Lücke; aus einigen Bruchstücken und aus dem weiteren Verlauf ergibt sich, daß Wenamon zunächst in Tyros anläuft und dann auf der Weiterfahrt Zakkarileute antrifft. Da verfährt er, wie es im Verkehr zwischen Angehörigen verschiedener Staaten üblich ist, wo eine durch Verträge gesicherte Prozeßordnung nicht besteht: wenn man in der Gemeinde, in der man eine Forderung hat, sein Recht nicht erhalten kann, sucht man sich des Guts eines ihrer Bürger zu bemächtigen und sich dadurch schadlos zu halten oder sie zu zwingen, die erhobenen – [13] Ansprüche zu befriedigen15. So nimmt er den Zakkari einen Beutel mit 30 deben Silber weg und erklärt, er werde es behalten, bis sie ihm sein Geld wiederschaffen würden. Dann fährt er über Sidon weiter nach Byblos.

Dem Fürsten Zikarba'al von Byblos war die Ankunft des Ägypters sehr unwillkommen; er war geneigt, den Fremden, der mit so dürftiger Ausstattung kam, für einen Schwindler zu halten, und wollte andrerseits auch nur den Schein einer Abhängigkeit von Ägypten nicht aufkommen lassen. Freilich hatten sein Vater und sein Großvater früher zu gleichem Zweck das Holz geliefert, aber da hatte der Pharao sechs mit ägyptischen Waren beladene Schiffe geschickt und, wie die in Byblos geführten Tagebücher auswiesen, mit Geld bezahlt (1000 deben Silber), und ein reger Schiffsverkehr in Geschäftsverbindung (chbr רבח) mit Smendes und den Handelshäusern im Delta bestand auch jetzt; aber andrerseits hatte man eine von Cha'emuês (wahrscheinlich Ramses XI.) geschickte Gesandtschaft nicht abgefertigt, sondern siebzehn Jahre lang bis an ihren Tod in Byblos festgehalten.

So hat Zikarba'al den Wenamon nicht vorgelassen, sondern ihm immer wieder den Befehl geschickt, den Hafen zu verlassen. Wenamon blieb nichts übrig, als sich zu fügen; er fand ein Schiff, das nach Ägypten ging, und traf Vorbereitung, das geheimgehaltene Gottesbild in ihm zu verbergen. Aber die enge Verbindung, in der Byblos religiös und kulturell seit den ältesten Zeiten mit Ägypten gestanden hatte, wirkte noch nach: bei einem Opfer des Fürsten wurde einer seiner Pagen von prophetischer Verzückung befallen und gebot, den Gott und den von Amon geschickten Boten zu holen. Diesem Gotteswort hat Zikarba'al gehorcht; am nächsten Morgen lud er den Wenamon zu sich. Da dieser weder Geld und Waren, noch ein Schreiben Amons und seines Hohenpriesters mitbrachte – er hatte sie an Smendes und Tentamon abgegeben, zugleich ein drastischer Beleg für die Zerfahrenheit, die damals in Ägypten herrschte –, wurde Zikarba'al [14] sehr erregt und brachte seine Verdächtigungen vor. »Da«, so erzählt Wenamon, »schweig ich in diesem großen Moment.« Das machte Eindruck; der Fürst lenkte ein und fragte nach seinem Auftrag. Er erklärte sich bereit, wie sein Vater und Großvater das Holz zu liefern, aber nur gegen Bezahlung, wie früher; er sei nicht der Diener der Herrscher Ägyptens, ihm gehöre der Libanon. Allerdings habe Amon alle Länder ausgestattet, Ägypten voran, und »von dort ist Kunstfertigkeit und Lehre bis zu meinem Wohnort gekommen; was soll dann aber dieses klägliche Reisen, das man dich machen läßt?«

Wenamon lehnt diese Worte entrüstet ab: Amon gehört jedes Schiff auf dem Wasser, das Meer und der Libanon; »er ist noch derselbe, der er gewesen ist; und da stehst du und willst Geschäfte machen wegen des Libanon mit dessen Herrn, dem Amon«. Er hat dir viel mehr gesendet als das den früheren Königen gebrachte Gold und Silber, nämlich Leben und Gesundheit, das er bringt und auch dir verleihen wird, wenn du ihn verehrst, wie es deine Väter getan haben, und seinen Auftrag erfüllst. »Begehre nicht, was dem Götterkönig Amonrê' gehört: wahrlich, der Löwe liebt sein Eigentum.«

Trotz dieser energischen Worte, die gewiß Eindruck gemacht haben – denn für die Phoeniker sind die ägyptischen Götter gewaltige Mächte –, empfindet Wenamon doch, daß er eine Konzession machen muß; er schlägt vor, einen Boten an Smendes und Tentamon zu schicken, damit diese das Nötige (eine Abschlagszahlung) senden; wenn er selbst dann in den Süden zurückgekehrt sei, werde er alles erledigen. Darauf geht Zikarba'al ein und schickt, um seinen guten Willen zu zeigen, gleich einige Holzbalken mit. Als dann eine einigermaßen genügende Sendung eingetroffen ist, läßt er in der Tat die Bäume fällen und im Frühjahr16 verladen. Dabei hält er ihm nochmals vor, daß er den Auftrag ebenso ausgeführt habe wie seine Väter, obwohl er nicht dasselbe erhalten habe wie diese; jetzt solle er aber auch [15] schleunigst abreisen und bedenken, daß er eben so schrecklich sein könne wie das Meer und Wenamon dankbar sein müsse, daß er ihm nicht angetan habe, was den Gesandten des Cha'emuês geschehen sei; er solle sich deren Gräber ansehn17. Das lehnt Wenamon ab: jene und ihr Auftraggeber seien nur Menschen gewesen; er aber sei im Auftrag des Götterkönigs gekommen, geleitet von dessen Gesandten, dem Amon des Weges. Es wäre viel richtiger, der Fürst errichte einen Denkstein, auf dem er erzähle, was er für Amon getan, um so von diesem Verlängerung seines Lebens zu erhalten; wenn dann wieder einmal ein Gesandter aus Ägypten komme, der die Inschrift lesen könne – es wird als selbstverständlich betrachtet, daß sie ägyptisch, in Hieroglyphen, abgefaßt ist –, werde ihm durch das Aussprechen seines Namens im Westreich Wasser gewährt wie den Göttern (den seligen Königen), die dort sind. Die so eröffnete Aussicht auf ein behagliches Fortleben im Jenseits verfehlte ihren Eindruck auf den Fürsten nicht: »Das ist ein großes Zeugnis,« antwortet er, »was du mir aussprichst.« Man sieht, wie stark die ägyptischen Vorstellungen in Byblos gewirkt haben. Indessen die Hauptsache bleibt doch das Geschäft; und so fügt Wenamon seinen hochtrabenden Worten die in möglichst geringschätzigen Ausdrücken gegebene Zusicherung hinzu, für die Bezahlung durch den Hohenpriester des Amon werde er nach seiner Heimkehr sorgen.

Als Wenamon abfahren wollte, trafen vor dem Hafen elf Schiffe der Zakkari ein, um ihn abzufangen. Er geriet in große Besorgnis, aber der Fürst tröstet ihn; den Zakkari erklärt er, er könne den Gesandten Amons doch in seinem Lande nicht gefangen nehmen, sondern müsse ihn abfahren lassen; auf hoher See könnten sie ihn dann ja verfolgen. So ist Wenamon wirklich mit seinem Holz abgefahren, offenbar auf einem Schiff von Byblos18. Er wird vom Sturm nach einer Stadt auf Cypern [16] (Alasia) verschlagen. Die Bewohner wollen die Fremden nach Strandrecht, behandeln und machen Miene, sie zu erschlagen; Wenamon selbst wird vor die Königin Ḥateb geschleppt, die er auf der Straße trifft. Hier findet er jemand, der Ägyptisch versteht19, und läßt ihr sagen, in Theben habe er gehört, überall sonst tue man Unrecht, aber in Alasia Recht; jetzt aber geschehe das Gegenteil. Er sei Gesandter Amons, und wenn er umkomme, werde man ihn allezeit suchen (die Strafe werde also nicht ausbleiben), und wenn man die Mannschaft des Fürsten von Byblos wirklich erschlage, werde dieser genug Mannschaften von Cypern finden, die er ebenso behandeln werde.

Damit bricht der Papyrus ab. Da Wenamon seinen Bericht hat abfassen können, kann kein Zweifel sein, daß er schließlich glücklich heimgekehrt ist und dem Amon das Bauholz überbracht und hoffentlich auch das Geld nach Byblos gesandt hat. In der Art, wie er, mit feinem psychologischen Takt, seine schwierige Aufgabe gelöst hat, tritt die Überlegenheit der ägyptischen Kultur anschaulich und wirkungsvoll hervor. Zugleich aber führt sein Bericht die Ohnmacht, zu der das Pharaonenreich hinabgesunken ist, lebendig vor Augen; seine weltgeschichtliche Rolle ist ausgespielt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 12-17.
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