Cypern. Nordsyrien

[86] Das gilt sogleich von den Phoenikern auf Cypern. Die ältere Annahme, daß die Insel schon früh im 2. Jahrtausend von diesen besetzt und in weitem Umfang besiedelt worden sei, daß dann erst die Griechen gekommen seien und die griechischen Städte, wie Soloi, Paphos, Salamis (für die man dann auch semitische Etymologien erfand), und ebenso die Autochthonenstadt Amathus und ihre Kultur ursprünglich phoenikische Kolonien gewesen seien, hat sich als völlig irrig erwiesen. Die Griechen sind, wie wir gesehn haben, bereits gegen Ende der mykenischen Zeit nach Cypern gekommen, die Phoeniker dagegen aller Wahrscheinlichkeit nach erst nach dieser, etwa im 11. Jahrhundert. Die einzige Gründung von Bedeutung war Kition an der Südküste, östlich von Amathus, an einer kleinen, tief ins Land einschneidenden Hafenbucht, die jetzt versumpft und zugeworfen ist; über ihr liegt der Burghügel, an den sich die befestigte Stadt an schloß. Unter der Herrschaft der tyrischen Könige, die das Regiment einem Statthalter übertrugen, hieß sie offiziell Qartchadašt »Neustadt«; im Verkehr dagegen hat sich der einheimische Name Kiti (phoen. יתכ), Κίτιον immer erhalten und ist später, als es in der Perserzeit unter eigenen Königen stand, auch von diesen angenommen worden. Bei den Hebraeern ist »Insel der Kitier« Name der ganzen Insel166. – Außer Kition [86] kennen wir auf Cypern nur noch eine Phoenikerstadt, Lapethos an der Nordküste167. So tritt hier der Gegensatz zwischen der griechischen und der phoeinikischen Kolonisation sehr anschaulich hervor: die Phoeniker besetzen zwei Küstenplätze und treiben von hier aus Handel mit der einheimischen Bevölkerung, die Griechen dagegen haben nicht nur die meisten Küstenplätze ringsum besetzt, sondern ebenso die große Binnenebene besiedelt und von hier aus den Betrieb der Kupferbergwerke bei Idalion und Tamassos in ihre Hand genommen. Die Gruben auf der Südseite des zentralen Gebirgsstocks gehörten zu Amathus; die Phoeniker dagegen haben am Bergbau schwerlich irgendwo Anteil gehabt, so eifrig sie auch die Verarbeitung und die Herstellung kostbarer Metallwaren betrieben. Das Rohmaterial werden sie hier immer nur im Handel bezogen haben. Erst in weit späterer Zeit, nachdem Athen im Jahre 448 die Insel den Persern überlassen hatte, haben die Könige von Kition unter persischer Oberhoheit auch die Griechenstädte Idalion und Tamassos zeitweilig in Besitz nehmen können.

In dem Zusammenleben der drei Nationalitäten, der alteinheimischen Bevölkerung, der Griechen und der Phoeniker, das im allgemeinen friedlich verlaufen zu sein scheint, hat sich auf der Insel eine typische Mischkultur gebildet, die allen ihren Erzeugnissen das Gepräge gibt. Zu der primitiven, der alttrojanischen [87] und kleinasiatischen eng verwandten Kultur, die vor allem in vielen seltsamen Formen der Tongefäße dauernd fortwirkt, waren bereits gegen die Mitte des 3. Jahrtausends, zur Zeit des Reichs von Akkad, unter Sargon und Naramsin, babylonische Einwirkungen gekommen168; dahin gehört vor allem, daß für das Bild der großen Göttin der Insel die uralte, mit reichem Schmuck behängte Göttin des Geschlechtslebens übernommen wird, die mit den Händen die Milch aus den Brüsten preßt, ein Typus, der sich in verfeinerter Form dauernd erhalten hat. Die Fühlung mit dem Orient ist nie unterbrochen worden; so gelangen auch »chetitische« Siegelzylinder nach der Insel, während aus Ägypten der Gebrauch der Skarabaeen übernommen wird. Dann folgt, immer stärker anwachsend, das Eindringen der kretischen und mykenischen Kultur und die Weiterbildung ihrer Motive. Aber auch in der Folgezeit ist die Verbindung mit der griechischen Welt nie abgebrochen worden; wie das Epos sich nach Cypern verbreitet, so der vollentwickelte geometrische Stil des 9. und 8. Jahrhunderts. Dazu sind nun die Phoeniker gekommen, und ohne Zweifel stammen unter der Masse der auf Cypern gefundenen Geräte des Hausrats und des Kultus sowie der Weihgeschenke und Grabbeigaben gar manche von ihnen. Aber sie mit Sicherheit auszusondern ist kaum je möglich, weil eben der phoenikischen Kunst ein eigener Stil fehlt und sie übernimmt und weiter kopiert, was örtlich und zeitlich Mode ist. Das ist auch nicht anders geworden, als dann im Lauf des 8. Jahrhunderts der assyrische, im 6. der ägyptische Einfluß hinzukommt und vor allem in der statuarischen Plastik, aber auch in der Tracht und der Ornamentik maßgebend wird. Damit ist ein weiteres Element aus der Fremde übernommen, aber das Wesen der Kultur und Kunst bleibt das gleiche: nach wie vor [88] erwecken ihre Erzeugnisse den Eindruck einer ermattenden Monotonie, ihr fehlt jedes eigene Leben und jede Entwicklung von innen aus, ihr eigentlicher Charakter besteht darin, keinen Charakter zu haben.

Unterschieden sind die Bewohner außer durch die Sprache auch durch die Schrift: die einheimische Bevölkerung hat, wie schon erwähnt169, aus der kretischen eine einfache Silbenschrift entwickelt, die die Griechen übernommen haben, so wenig sie zum Charakter ihrer Sprache paßt, während die Phoeniker das von ihnen geschaffene Alphabet verwenden – zugleich ein handgreiflicher Beweis dafür, daß die Erfindung dieses Alphabets jünger ist als die griechische Besetzung der Insel. Völlige Verschmelzung herrscht dagegen auf dem Gebiet der Religion und des Kultus. Überall, in Amathus so gut wie in den griechischen und den phoenikischen Städten, verehrt man die große Göttin der Insel, von den Griechen Aphrodite, von den Phoenikern Astarte, von den Einheimischen vermutlich noch anders benannt; dargestellt wird sie teils nach babylonischem Vorbild als üppiges nacktes Weib oder auch als Muttergöttin, mit dem Kinde auf dem Schoß, teils in der aus Kreta und Mykene übernommenen Gestalt als Taubengöttin170. Ihr großer Tempel in der griechischen oder wenigstens griechisch gewordenen Stadt Paphos bewahrt bis in die späteste Zeit ganz die Anlage der kretischen Heiligtümer mit einem halbkreisförmigen Vorhof und im Hauptbau auf einer Terrasse die freistehenden Säulen und Pfeiler, auf dem Dach Tauben und das kretische Kulthorn, im Innern der Steinkegel, in dem die Gottheit sitzt171. Der griechische Herakles wird dem Melqart gleichgesetzt, Apollon dem Rešep, Athena der 'Anat, Asklepios dem Ešmun; wieweit sich die Vorstellungen, die die einzelnen Stämme mit diesen Namen verbanden, voneinander unterschieden haben mögen, läßt sich natürlich nicht erkennen. Die heiligen Bezirke sind übersät mit Votivstatuen der Verehrer und Verehrerinnen, ganz wie in Griechenland und[89] ebenso in Ägypten und dem übrigen Orient; dazu kommen dann die zahllosen großen und kleinen Figuren der Gottheiten in Stein und in Ton. Seit der ägyptischen Oberherrschaft unter der sechsundzwanzigsten Dynastie haben dann auch ägyptische Kulte und davon gebildete Personennamen bei den Phoenikern, ebenso wie im Mutterlande, vielfach Eingang gefunden, vor allem Osiris und Isis, aber auch Bubastis und andere.

Etwa in die Zeit der Besiedlung von Cypern mag auch die Besetzung einiger Punkte der nördlichen Küste Syriens gehören. Genannt werden als phoenikische Städte Gabala an der Küste des Nosairiergebirges (südlich von Laodikea, jetzt Djebele)172 sowie Myriandos am Golf von Issos, südlich von der nach Syrien führenden Paßstraße, in persischer Zeit der Haupthandelsplatz dieses Gebiets, nach dem auch der ganze Meerbusen benannt wurde173. Einen phoenikischen Namen (»Vorgebirge«) trägt auch die südlich folgende Stadt Rhossos. Ebenso möglich ist es natürlich, daß diese Plätze erst wesentlich später besetzt worden sind, etwa in derselben Zeit, in die die Gründung von Tripolis fällt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 86-90.
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