Göttinnen

[144] Bei den Beduinenstämmen findet sich vielfach neben oder an Stelle des Gottes eine »Göttin« 'ilât. So bei den Arabern der Sinaihalbinsel, deren Namen Αλιλατ, mit arabischem Artikel (Al-ilât), Herodot bewahrt hat, der sie der Himmelsgöttin [144] gleichsetzt303; später ist sie, zu Allât verkürzt, weithin durch Arabien verbreitet, von Palmyra und den Nabataeern bis nach Tâif bei Mekka. Auch in Karthago und in Sulci auf Sardinien finden wir einen Tempel der Ilât304. Die gewöhnliche Bezeichnung dieser Göttinnen aber ist bei den Nordsemiten 'Aštar, bei den Kana'anaeern und Phoenikern meist mit zugetretener Femininendung 'Aštart, Ἀστάρτη, aramaeisch mit regelrechter Lautverschiebung 'Attar (Ἀϑάρη), ein aus dem Ursemitischen stammendes Wort305 dunkler Herkunft, das die Göttin als die zeugende und gebärende Macht zu bezeichnen scheint, die dem Stamm den Wurf der Ziegen und Schafe verschafft, von dem er lebt306. Bei den Babyloniern ist Ištar daher die Göttin des Geschlechtslebens; bei den Westsemiten ist Astarte, 'Attar wohl immer die Göttin, die dem Hauptgott als Gemahlin zur Seite steht307 und neben ihm einen eigenen Tempel hat, so in Sidon, Tyros, Kition, Karthago308. Dargestellt wird sie, wie schon erwähnt, nach[145] ägyptischem Vorbild mit einer Hörnerkrone309 und daher von den Griechen gelegentlich als Mondgöttin gedeutet310. In Tyros ist ihr außerdem, wie Philo angibt, ein vom Himmel gefallener Stern geweiht; das geht natürlich auf die im Venusstern erscheinende babylonische Ištar zurück. Für die westsemitische Welt aber sind diese Deutungen ganz sekundär und kommen für das Wesen des Kultus nicht in Betracht.

Von Astarte verschieden ist die Verkörperung der selbständigen Stadtgemeinden in besondern, durch die Mauerkrone auf dem Haupte charakterisierten Göttinnen, wie sie in Nordafrika auf den Stadtmünzen abgebildet sind. In Karthago wird diese Stadtgöttin in einem Vertrage als δαίμων Καρχηδονίων angerufen, neben Melqart (Herakles), dem Schutzgott der Mutterstadt Tyros311. Sie wird wohl identisch sein mit der schon erwähnten Ilât, der Göttin schlechthin. Daneben finden wir als Hauptgöttin des populären Kultus Nordafrikas, der unzählige Weihinschriften den Dank für Erhörung und Segen aussprechen, eine Göttin »Tut von Pneba'al« (herkömmlich Tanit vokalisiert), die mehrfach auch als »Mutter« angerufen wird.312

[146] Gleichartig mag die Göttin der »heiligen« Stadt Qadeš oder Kinza am Orontes gewesen sein, die zwar mit dem Kopfschmuck der Ḥatḥôr, aber nackt, mit Blumen und Schlangen in den Händen und nach kleinasiatischer Art auf einem Löwen stehend gebildet wurde. Wie diese haben die Ägypter des Neuen Reichs eine kriegerische Göttin 'Anat übernommen, nach der mehrere Orte in Palaestina benannt sind und die auch dem Jahwe zugesellt war, und daneben eine weitere Kriegsgöttin 'Asît, die mit Lanze, Helm und Schild bewaffnet zu Roß gegen die Feinde sprengt313.

Auch in Byblos ist, anders als in den übrigen phoenikischen Städten, die Stadtgottheit nicht ein Ba'al, sondern eine Göttin, Ba'alat Gubl314. Seit ältester Zeit ist sie durch den Seeverkehr mit Ägypten verbunden und der Ḥatḥôr gleichgesetzt und nach deren Bilde gestaltet. Neben ihr steht ihr Liebling, der im Frühling aufblühende Vegetationsgott, der in der Glut der dürrenden Hitze des Sommers den feindlichen Mächten erliegt. Dieser reich entwickelte Kult ist deutlich kleinasiatischen Ursprungs und daher erst später zu besprechen; für die semitische Art aber ist bezeichnend, daß ebensowenig wie die Göttin auch dieser Gott einen Eigennamen hat, sondern einfach als »mein Herr« Adônî angerufen wird, woraus die Griechen dann den Namen Adonis gemacht, haben315.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 144-147.
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