Kosmische Mächte

[157] Neben den auf Erden hausenden Gottheiten stehn die überirdischen, deren Wirkung die ganze Welt umfaßt. So vor allem die Götter, die in Sonne und Mond ihren Sitz haben, jene im Semitischen meist als weibliches Wesen aufgefaßt, während der Mond bei den Semiten immer ein männlicher Gott ist (Lunus), was von den Mythologen nur zu oft vergessen wird. Durch seine wechselnden Schicksale hat er, wie überall auf Erden, die helfende Teilnahme der Menschen wachgerufen; vor allem sein Wiedererscheinen als Neumond wird mit Opfern und Schmäusen gefeiert. Aber dem naturwüchsigen Menschen stehn diese Götter noch viel zu fern, um mit ihnen in Verbindung zu treten; man mag von ihnen Mythen erzählen, aber zu einem Kultus und damit zu Bedeutung für die Religion gelangen sie, wo es dazu gekommen ist, wohl immer erst bei fortschreitender Kultur und seßhaftem Leben, so bei den Ägyptern und bei den Babyloniern und ebenso, hier aber ganz spät, auch in der hellenistisch-römischen Religion. Bei den Kana'anaeern (Choritern) an der [157] Westabdachung des Gebirges Juda weisen Ortsnamen wie Bet-šemeš und die hier lokalisierten Sagen vom »Sonnenmann« Šimšon auf einen alten Sonnenkult hin; und bei den Aramaeern erscheint der Sonnengott unter den Hauptgöttern, wie in Südarabien die Sonnengöttin351. Bei den Phoenikern dagegen läßt sich ein Kultus dieser beiden Götter nicht nachweisen, und auch zur Bildung von Personennamen werden sie nur selten verwendet352.

Weit bedeutsamer ist eine andere kosmische Macht, der Himmelsgott Ba'alšamêm. Die Anschauung, daß das Himmelsgewölbe der Sitz einer dort waltenden Gottheit ist, die sich, im einzelnen mannigfaltig verschieden gestaltet, wohl bei allen Völkern findet, gehört bei den Semiten zum alten Erbbesitz. Von den Akkadiern wird der Himmelsgott mit dem sumerischen Anu identifiziert353 und steht an der Spitze des Pantheons der Babylonier und Assyrer. Für die rein semitischen Stämme ist er zunächst, wie sein Name besagt, nur einer der vielen Ba'alîm354; zur Seite [158] steht ihm daher, ebenso wie diesen, eine Astarte als seine Gemahlin; bei einem nordarabischen Stamm zur Zeit Assurbanipals führt sie den aramaeischen Namen 'Atar-šamain355, d.i. »die 'Attar des Himmels«. Bei den Phoenikern ist er dann der höchste Gott geworden, immer dem Zeus gleichgesetzt, mit einem Tempel wohl in jeder Stadt356. Seine Genossin, die Himmelsgöttin, heißt in Sidon »die Astarte des Himmels Ba'als«357; ihr entspricht in Jerusalem »die Königin des Himmels« (o. S. 148), ferner die Aphrodite Urania, der im Jahre 333 Kaufleute aus Kition in Athen einen Tempel bauen358, und in Karthago die Göttin, die in römischer Zeit im ganzen punischen Nordafrika als Caelestis eifrig verehrt wird359.

Neben diesen Himmelsgöttern steht dann wieder der Himmel selbst als ein besonderer Gott Šamêmrûm »der hohe Himmel«, von Philo durch Ὑψουράνιος übersetzt. Bei Sanchunjaton ist er im Götterstammbaum an die feurigen Elemente (»Luft, Feuer, [159] Flamme«) sowie an die Ba'alîm angereiht. Diese Feuerdämonen finden sich in einem Text aus Sidon mit den anderen Elementargöttern verbunden: »Meer, Šamêmrûmîm (d.i. Himmel), Erde, Rešapîm«360. An ihrer Spitze steht offenbar der Gott Rešep »Flamme«, der bereits zur Ägypterzeit in Syrien in hohem Ansehn gestanden haben muß; von den Ägyptern wird er bewaffnet und die Keule schwingend dargestellt, also als kriegerischer Blitzgott, mit semitischem Bart; am Stirnband sitzt ein kleiner Gazellenkopf. Bei den Phoenikern und in Karthago (hier in der Namensform Arsŭph) ist er mehrfach nachzuweisen; er wird hier dem Apollo gleichgesetzt und galt wohl immer als einer der Hauptgötter des Pantheons361, auf aramaeischem Gebiet findet er sich nur in dem Pantheon von Sendjirli, wo er einmal auch unter dem Doppelnamen Arq-Rešep (»Erde-Eešep«) mit der Erde verbunden ist, wie in der Inschrift aus Sidon.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 157-160.
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